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AIDS/1080: Interview - Eine frühzeitige Diagnose kann viel Leid ersparen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 5/2019

Im Zweifel Test

Interview mit Ute Krackow und Uli Manthey von Stephan Göhrmann


HIV und Aids sind auch in Arztpraxen keine alltäglichen Erkrankungen. Wie richtiges Fragen die Immunerkrankung aufdecken kann, erklären die Experten Ute Krackow und Uli Manthey im Gespräch mit Stephan Göhrmann.


Der Landesverband der Aidshilfen-Kompetenznetz Aids in Schleswig-Holstein und die Aids-Hilfe Kiel e.V. sind wichtige Ansprechpartner in Norddeutschland. Sie bieten Fachtagungen und Seminare an. Sensibilisierungsmaßnahmen finden u. a. an Schulen, Krankenpflegeschulen, in Justizvollzugsanstalten oder für die Polizei statt. Ute Krackow und Uli Manthey sind in den Organisationen in leitender Funktion tätig (siehe Info-Leisten unten) und kennen das Umfeld.

Frau Krackow, Herr Manthey, das Thema Aids war mit dem vermehrten Auftreten der Krankheit stark von Stigmata und Diskriminierung begleitet. Können Sie eine veränderte gesellschaftliche Wahrnehmung feststellen? Sind die Menschen heute aufgeklärter, als sie es noch vor 15-20 Jahren waren?

Ute Krackow: Nein, eine tatsächliche Verbesserung ist vielfach nicht festzustellen. Viele wissen nichts über die aktuellen Entwicklungen und Fortschritte, die die Medikamentenforschung auf diesem Gebiet gemacht hat. Besonders schade ist, dass wenigen die Formel "N=N" ein Begriff ist. Sie bedeutet: "Nicht nachweisbar = Nicht übertragbar". Dabei hilft diese Erkenntnis nicht nur den Menschen, die positiv auf HIV getestet wurden. Das Wissen kann nämlich auch den Menschen helfen, die eine Infektion befürchten.

Uli Manthey: Es gibt heute so großartige Medikamente und Therapien. Wichtig ist nur, dass die HIV-Infektion früh erkannt wird. Und dass eine schnelle Überweisung an einen HIV-Schwerpunktarzt vorgenommen wird. Der Kampf gegen HIV und Aids ist immer auch ein Kampf gegen Stigmatisierung und kategoriales Denken. Auch Fairness und Neutralität sind wichtige Handlungsnormen, auch für Hausärzte.

Sind Sie also der Meinung, dass sich bezüglich der Wahrnehmung von HIV und Aids wenig verändert hat in den letzten Jahrzehnten?

Krackow: Uns kommt es nicht auf irgendwelche Kategorien an, wonach man Menschen unterteilen kann. Wir fragen jeden: "Hattest du ungeschützten Sex mit einer Person, die du nicht kennst?" Das kann auch längere Zeit zurückliegen.

Manthey: Wir hatten auch mal den Fall einer älteren Dame. Die Hausfrau, bekam von ihrem Hausarzt nach langem Rätselraten gesagt, sie solle doch einen HIV-Test machen. Sie war erstaunt, als der Bluttest positiv zurückkam und die Infektion bereits im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert wurde. Es kam heraus, dass ihr Ehemann sie wohl angesteckt hat. Dieser war schon vor Jahren unter einem eigentümlichen Krankheitsbild gestorben. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass der Ehemann während seines Thailandurlaubs mit Prostituierten geschlafen und sich dort wohl infiziert hatte und jahrelang unerkannt sich im Aidsvollbild befand. Solche Geschichten verdeutlichen, dass es überall Infizierte geben kann. Die Intuition der Ärzte kann in diesem Fall helfen. Sollte sich ein Verdacht ergeben, ist die Sexualität ein wichtiges Thema.

Und in den Praxen?

Manthey: Ich habe selber 1996 meine Erstdiagnose HIV und Aids im Vollbild bekommen. Die Fragen, die mir gestellt wurden waren: "Wie kam es denn dazu?" und "Was wollen Sie jetzt machen?". Solche Fragen dürften heute eigentlich nicht mehr kommen. HIV oder die Befürchtung an Aids erkrankt zu sein, ist ein hochsensibles und emotionales Thema, das mit vielen individuellen Ängsten verbunden ist.

Krackow: Das Problem ist, wenn Menschen beim Arzt diese Erfahrung mehrmals machen, gehen sie irgendwann gar nicht mehr zum Arzt. Oder sie gehen zum Zahnarzt und sagen nicht, dass sie infiziert sind. Das verlagert HIV/Aids wieder in einen negativen Kontext und die Menschen, die mit HIV leben, werden wieder stigmatisiert.

Was kann helfen, die Erkrankung aufzudecken?

Krackow: Wir wissen: Das Krankheitsbild und Begleiterscheinungen sind vor allem in Flächenländern wie Schleswig-Holstein nicht ständig in den Praxen Thema. Aber der ländliche Raum schützt nicht vor Aids. Umso wichtiger ist es, dass der Arzt sensibilisiert ist. Denn in der Regel ist es der Hausarzt, der als erster mit den Patienten in Kontakt kommt. Wenn er HIV erkennt, ist er derjenige, der das Leben rettet. Die Erfahrung zeigt: Wenn der Arzt sich offen zeigt, reagieren auch die Betroffenen ebenso offen und sprechen dann oft über Dinge, über die sie ansonsten schweigen würden.

Manthey: Wichtig ist, dass der Arzt die richtigen Fragen stellt. Es ist sinnvoll, nicht nur den stereotypischen Risikogruppen die Fragen zu stellen. Auch alte Menschen können sexuell aktiv sein.

Was hilft außer Perspektivwechsel und Selbstreflexion?

Manthey: Manche Krankheiten sind ganz eindeutige Hinweise auf eine HIV-Infektion. Ich hatte beispielsweise eine ausgeprägte Form des Kaposi-Sarkoms. Über 50 Tumore hatte ich durch diese Humane Herpesvirus Typ 8 (HHV-8) Erkrankung. Die sind bei mir mit Beginn der Therapie von alleine zurückgegangen, denn unter einem intakten Immunsystem verschwinden die wieder. Manche Krankheitsbilder sind nicht so eindeutig, können bei einem wachsamen Auge aber durchaus als Hinweis erkannt werden. Ärzte sollten im Blick haben:

Wenn junge Menschen eine Gürtelrose oder eine Herpes-Superinfektion haben, starken Gewichtsverlust, unerklärliches Fieber, Nachtschweiß, chronischen Durchfall oder andere STI (sexually transmitted infections) aufweisen, sollte sofort ein Test gemacht werden.

Krackow: Bei jedem kleinsten Bedenken sollte ein Test gemacht werden. Der Benefit durch Tests ist enorm. Entweder der Mensch hat kein HIV und ist gesund, oder er ist HIV positiv, muss eine Tablette am Tag nehmen und bleibt gesund. Jeder Test macht Sinn. HIV ist kein wirkliches Problem mehr, sofern man von seiner Infektion weiß und man in guter Behandlung ist. Sie haben es schlechter, wenn Sie MS oder Krebs haben.

Sie haben gerade von Tabletten gesprochen. Was können Sie über aktuelle Therapien sagen?

Manthey: Moderne HIV-Therapien drücken die Viruslast unter die Nachweisgrenze, sodass der Patient nicht mehr infektiös ist. Durch die konsequente medikamentöse Behandlung wird das Schlüsselenzym der HIV-Vermehrung in den befallenen Zellen blockiert. Therapy as Prevention (TasP) bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die medikamentöse Behandlung gleichzeitig als Prävention angesehen werden kann. Denn wer HIV hat und konsequent Medikamente einnimmt ist nicht mehr infektiös.

Krackow: Auf der anderen Seite gibt es noch die Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Sie ist ein beliebtes Präventionsmittel. Sie mindert das Risiko nicht-infizierter Menschen überhaupt, sich mit HIV zu infizieren. Die Gründe für die präventive Einnahme des Medikaments sind vielfältig. Nicht selten steht ein Kinderwunsch im Raum. Noch kostet die Monatspackung 40 Euro. Ab August sollen Risikogruppen PrEP als Kassenleistung erhalten können.

PrEP klingt fast nach einem Allheilmittel. Kann jeder Mensch diese Medikamente nehmen?

Krackow: Ja, jeder Mann kann unter bestimmten Voraussetzungen die PrEP einnehmen. Sie kann nur von HIV-Schwerpunktärzten verschrieben werden. Dieser übernimmt auch die Beratung. Im Vorfeld wird getestet, ob der Patient bereits HIV-infiziert ist. Dieser Test muss negativ ausfallen. Ebenso muss auf Hepatitis B und C und weitere sexuell übertragbare Infektionskrankheiten (STI) ein negatives Testergebnis erfolgen. Vor und während der medikamentösen Behandlung werden die Nieren- und Leberwerte überprüft und es wird stets geguckt, ob die Medikamente zu Nebenwirkungen führen. Hierzu muss ein PrEP-Checkbuch geführt werden, in des alle Tests und Laboruntersuchungen eingetragen werden müssen. Ohne Eintragung, keine PrEP.

Manthey: Beginnt die Medikation mit der PrEP, erfolgt die ersten Untersuchungen vor und nach vier Wochen, danach vierteljährlich. Kondom, PrEP und TasP ist die bundesweite Safer Sex 3.0 Strategie.

Krackow: Es ist nicht zu erwarten, dass jeder Arzt ein HIV-Experte wird. Es würde reichen, dass beim Arzt-Patienten-Gespräch bestimmte Fragen ins Gespräch oder den Fragebogen aufgenommen werden, deren Antworten auf eine Infektion hinweisen könnten und hellhörig machen.

Manthey: Das wünschen sich auch die HIV-Schwerpunktärzte. Die wissen, dass durch eine schnelle Weiterleitung durch den Hausarzt an den Spezialisten viel Leid erspart bleiben kann. Es wäre schön, wenn alle an einem Strang zögen, damit wir zusammen das Ziel "Kein Aids für alle bis 2020" erreichen können.

Vielen Dank für das Gespräch


Ute Krackow
Die Diplom-Sozialpädagogin ist Geschäftsführerin des Landesverbandes der Aidshilfen Kompetenznetz Aids in Schleswig-Holstein und bereits seit 1991 Mitglied der Aids-Hilfe Kiel. Dort ist Krackow unter anderem für die Zielgruppen spezifische Präventions- und Fortbildungsveranstaltungen, Fachseminare und -tagungen verantwortlich.

Uli Manthey
ist Vorstandsvorsitzender des Landesverbandes Kompetenznetz Aids in Schleswig-Holstein und der Aids Hilfe Kiel e.V. Im Kieler Verein ist er ebenso Fachreferent für sexuelle Gesundheit und für die Ausbildung neuer Präventions-Lehrkräfte nach sexualpädagogischen Gesichtspunkten zuständig.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 5/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201905/h19054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Mai 2019, Seite 24 - 25
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2019

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