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SCHMERZ/615: Rückenschmerzen - Die weibliche Mitte stärken (welt der frau)


welt der frau 12/2011 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Rückenschmerzen
Die weibliche Mitte stärken

Von Christina Badelt


Menstruation, Schwangerschaft, Osteoporose, Doppelbelastung aufgrund von Beruf und Familie: Frauen haben ein größeres Risiko, an chronischen Rückenschmerzen zu leiden, als Männer. Wer aber achtsam mit sich selbst umgeht und bewusst auf die eigenen Körpersignale hört, kann Schmerzen lindern oder gar nicht erst aufkommen lassen.


Frauen sind, im Gegensatz zu Männern, mit einem schwächeren knöchernen Stützapparat ausgestattet und sollten daher gut darauf achten, ihre Bauch- und Rückenmuskulatur gesund und stark zu erhalten. Wird die Muskulatur des Bauches beispielsweise durch eine Schwangerschaft überdehnt, so fällt diese für die Haltefunktion der Wirbelsäule teilweise aus, und die Stützfunktion muss von der Rückenmuskulatur übernommen werden. Die dadurch überlasteten Lendenmuskeln ermüden schneller, werden hart und verkrampfen sich - das Resultat sind Kreuz- und Lendenschmerzen. Aber nicht nur Schwangere, sondern auch berufstätige Frauen klagen oftmals über starke Schmerzen, wenn ihr Bewegungsapparat durch ständiges Sitzen und wenig Bewegung aus dem Gleichgewicht gerät. "Frauen haben durch die häufige Doppelbelastung verstärkt mit Rückenleiden und -schmerzen zu kämpfen. Hausarbeiten wie Wäsche aufhängen, bügeln und/oder die Kinder auf dem Arm tragen würde man am Arbeitsplatz als "Lastenmanipulation" betrachten, ebenso diverse Arbeiten in der Küche oder im Garten. Das bedeutet, dass die sogenannte 'Freizeit' bei Frauen häufig nur ein Wechsel in ein anderes Arbeitsfeld ist", betont Dorothea Haslinger, Physiotherapeutin und Leiterin der Fachgruppe "Arbeit und Gesundheit" bei Physio Austria. Wichtig ist es daher, sich mit der eigenen Überlastung auseinanderzusetzen und Körper und Seele wieder in Einklang zu bringen, rät die Expertin.


Systemische Bewegungslehre

Eine mögliche Behandlungsmethode dabei ist die Systemische und Integrative Bewegungslehre (SIB). Die Methode schult den Zusammenhang von Bewegung des Körpers und der Seele. "Wir gehen davon aus, dass Menschen über das Bewusstwerden von Bewegung die Qualität ihres Lebens wesentlich verändern und verbessern können. SIB macht erfahrbar, wie Denken, Fühlen, Bewegen und Handeln zusammenspielen, um den Weg zu größtmöglicher Bewegungsfreiheit zu weisen. Das ist für eine schwangere Frau genauso wichtig wie für PatientInnen, die durch ständiges Arbeiten am Computer über Rückenleiden klagen oder nur Verspannungen fühlen", erklärt Dr.in Nurit Sommer, Körpertherapeutin, Bewegungslehrerin und Mitbegründerin der Systemischen und Integrativen Bewegungslehre.


Kraftzentrum und Atmung

Verkrampfungen der Muskulatur führen zwangsläufig zu Schmerzen, wenig Körperaktivität verstärkt das Rückenleiden zusätzlich. "Durch die Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule muss die Beweglichkeit immer wieder neu erworben und trainiert werden. Wichtig ist es, sich die Frage zu stellen: 'Was steht hinter einer Einschränkung und wohin verweist diese?' Aus meiner Arbeitspraxis weiß ich, dass es sich oft um Überlastungen handelt, die von einem 'Zuviel' kommen." Gerade Frauen haben starke innere Antreiber, also gewisse Vorstellungen, wie man zu sein hat, was man zu tun hat und welche Konsequenzen möglicherweise darauf folgen. All diese Gefühle und Stressfaktoren werden im Körper gespeichert und können zum Ausdruck kommen. Die Wirbelsäule als innere Mitte ermöglicht es uns, sich nach rechts, links, hinten und vorne zu bewegen. Wichtig ist es, diese Beweglichkeit zu spüren und die Verbindung zum Becken, dem Kraftzentrum des Körpers, immer wieder aufzunehmen. Der tiefe und bewusste Atem spielt bei der Entspannung der Muskulatur eine wesentliche Rolle - im Privatleben genauso wie im Berufsalltag.


Bewegung integrieren

Eine große Unterstützung für (körperliches) Wohlbefinden ist daher Bewegung. "Fordert die Arbeit eine längere Sitzdauer ohne Positionswechsel (mehr als 20 Minuten!), können Beschwerden auftreten, die auch die Leistungsfähigkeit einschränken", beschreibt Haslinger. Als Präventionsmaßnahme am Arbeitsplatz ist es ratsam, kleine Bewegungsabläufe in den Alltag zu integrieren. So kann man die Kollegin im Nebenraum per E-Mail oder Telefonat informieren oder aber auch die Informationen persönlich weitergeben. Empfohlen wird auch, so oft wie möglich die Treppen anstatt des Liftes zu nehmen. "In unserem Lebensraum wird die Bewegung leider noch immer viel zu wenig beachtet. Wir sitzen, stehen, sitzen, sitzen ... von morgens bis abends. Das bedeutet, dass die Muskeln, die wir für die Haltungsarbeit brauchen, nicht mehr im Gleichgewicht sind und es dadurch zu einer ungünstigen Haltung kommt", betont Haslinger. Worauf man achten sollte:

-> Beim Stehen ist der Abstand der Füße hüftbreit, dabei kann die Belastung gleich verteilt werden: nach vorne, hinten, rechts und links.

-> Die Knie sollten dabei nicht nach hinten durchgedrückt, das Becken aufrecht gehalten werden. "Spätestens bei dieser Angabe wird es kompliziert, denn Haltung hat auch viel mit Sich-selbst-Spüren zu tun", weiß die Physiotherapeutin. Wie man sich dabei überlisten kann? Telefongespräche im Stehen oder Gehen bewirken zum Beispiel neben dem Informationsaustausch zusätzlich einen Haltungs- und somit Belastungswechsel für den Körper.


Arbeitsplatz

Ein 8-Stunden-Arbeitstag sollte in wechselnden Haltungs- und Bewegungspositionen verbracht werden. Pro Arbeitsstunde sollen mindestens zwei bis vier bewusste Haltungswechsel erfolgen. "Am besten wäre es, den Arbeitstag zu 50% sitzend, 35% stehend und 25% in Bewegung zu verbringen", rät Haslinger. Vieles am Computerarbeitsplatz kann ergonomisch eingestellt werden - von der Maus bis hin zur Fußstütze, vom Lichteinfall bis zum Geräuschpegel im Raum. "Beschränken wir uns beim Computerarbeitsplatz auf den Tisch und den Bürosessel, ist zwar nur ein Teil beachtet, aber es ist der Bereich, den jede Frau sich selbst organisieren kann. Jeder Mensch hat individuelle Maße, die eingestellt werden müssen, damit der Körper den Sitzmarathon durchhält", meint Haslinger. Folgende Tipps können am Arbeitsplatz zusätzlich angewendet werden:

-> Bürostuhl: Je nach Modell hat dieser unterschiedliche Einstellungsmöglichkeiten.

-> Höhe der Sitzfläche: Beide Füße sind auf dem Boden. Die Knie und Hüften sind im Winkel von 90-100° gebeugt (bei 100° kann die Lendenwirbelsäule besser aufgerichtet werden).

-> Rückenlehne: Die dynamische Einstellung muss auf das Körpergewicht abgestimmt sein und soll bis unter die Schulterblätter reichen, um Bewegung zuzulassen. Die Lendenwirbelsäule soll durch die physiologische Krümmung unterstützt sein.

-> Armlehnen: Der Oberkörper ist aufrecht, die Schultern nicht hochgezogen. Die Unterarme sollten auf den Armlehnen ruhen.

-> Sitzflächentiefe: Die Lendenwirbelsäule wird von der Rückenlehne gut unterstützt. Die Sitzfläche soll eine Handbreit hinter der Kniekehle enden.

-> Tischhöhe: Der Oberkörper ist aufgerichtet und durch die Rückenlehne gestützt. Beide Arme hängen locker nach unten. Es ist wichtig, dass die Schultern nicht hochgezogen sind. Ellbogen im Winkel von 90° beugen. Der Abstand vom Ellbogen bis zum Boden ist die ideale Tischhöhe für Schreibarbeiten.

-> Beinfreiheit: Unter dem Tisch sollten der Rollcontainer, der Papierkorb oder die Handtasche die Bewegungsfreiheit nicht einschränken.

-> Arbeitsmittel: Die Tastatur soll ca. eine Handbreit von der Tischkante entfernt sein.

Der Beleghalter ist zwischen Tastatur und Bildschirm angeordnet, und der Bildschirm ist so aufgestellt, dass er zwischen 60 und 80 cm von den Augen entfernt ist. Die Arbeitsmittel Bürostuhl, Tischkante, Tastatur und Bildschirm stehen parallel zueinander.

-> Bildschirmhöhe: Bei aufrechter Sitzposition fällt der Blick in das obere Drittel des Bildschirmes.


Sich den Rücken freihalten

Das soziale Umfeld spielt auch eine große Rolle, wenn es darum geht, sich körperlich und seelisch gesund zu fühlen. Stressfaktoren wie Zeitdruck, geringe Wertschätzung, Kommunikationsmangel oder ein isolierter Arbeitsplatz können nachhaltige psychosomatische Folgen haben.

Auch die Pausengestaltung ist von großer Bedeutung: "Pausen sind essenziell für die Leistungsfähigkeit. Im Sport kennen wir die 'lohnende Pause', die sich so gestaltet, dass der Sportler/die Sportlerin angehalten wird, einen Tag mit Regenerationsmaßnahmen einzulegen (Sauna, Massage, Wärmeanwendungen ...)." Haslinger weiter: "Die Arbeit am Computerarbeitsplatz ist Ausdauersport für den Halteapparat und das Gehirn." Eine Pause im Sinne von "Nichtstun" ist daher notwendig, um psychisch bedingten Beschwerden und Schmerzen vorzubeugen. Auch die ganzheitliche Diagnostik der Wirbelsäule ist von großer Bedeutung. Entspannungsübungen und Trainings wie Qigong, Yoga und Pilates helfen, den Rücken zu stärken, die eigene Atmung besser kennenzulernen und achtsam mit der eigenen Körpersprache umzugehen.


INFORMATIONEN UND BUCHTIPPS

Dietrich Grönemeyer: Mein Rückenbuch. Das sanfte Programm zwischen High Tech und Naturheilkunde. Zabert Sandmann Verlag 2008.

Nurit Sommer, Gertraud Pantucek, Elisabeth Mayr: Lächelnde Elefanten - Systemische und Integrative Bewegungslehre, Theorie und Praxis. Eigenverlag, Erscheinungstermin 4.12.2011. Infos und Bestellung: www.isib.org

Der Bundesverband der PhysiotherapeutInnen Österreichs Physio Austria bietet den Kalender "Der bewegte Arbeitsplatz" mit einfachen Übungen für Zwischendurch, Informationen zur ErgoPlus-Arbeitsplatzanalyse sowie eine Liste mit PhysiotherapeutInnen in Ihrem Bundesland an: www.physioaustria.at


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Dezember 2011, Seite 50-52
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2012