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AIDS/780: Späte HIV-Diagnose - Experten fordern Ausweitung der Tests (Thieme)


Thieme Verlag / FZMedNews - Dienstag, 15. Juni 2010

Späte HIV-Diagnose: Experten fordern Ausweitung der Tests


fzm - Ein Drittel aller Infektionen mit dem Immunschwäche-Virus HIV werden in Deutschland erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung erkannt. Dadurch beginnt die Therapie oft später, als dies medizinisch sinnvoll wäre. Experten regen deshalb in der Fachzeitschrift "DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2010) eine Ausweitung der Tests an, der allerdings freiwillig bleiben sollte.

Die Initiative zum HIV-Test geht in Deutschland überwiegend von den Betroffenen aus, schreibt Professor Reinhold Schmidt von der Medizinischen Hochschule Hannover zusammen mit Vertretern des Bundesgesundheitsministeriums und der Deutschen AIDS-Gesellschaft. In Aktionswochen und Kampagnen wird bei den Risikogruppen für die Tests geworben. Diese sprechen insbesondere Männer mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten an. Gerade auf diese Gruppe entfällt derzeit der zahlenmäßig größte Anteil der Spätdiagnosen. Auch Migranten aus Regionen, in denen HIV stark verbreitet ist, etwa in Afrika südlich der Sahara, lassen sich selten testen. Lange übersehen werden Infektionen zudem bei Männern und Frauen, die sich über heterosexuelle Kontakte angesteckt haben.

Dagegen werden HIV-Infektionen bei Drogenkonsumenten vergleichsweise früh erkannt. Professor Schmidt: Diese Personen haben in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern einen relativ guten Zugang zum Gesundheitswesen. Im Rahmen der Therapie- und Substitutionseinrichtungen testen Ärzte sie regelmäßig auf HIV. Mediziner raten ansonsten noch im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen oder bei der Abklärung unklarer Gesundheitsbeschwerden zum HIV-Test.

Wie häufig ärztlich initiierte Tests durchgeführt werden, ist unbekannt. Die HIV-Experten vermuten jedoch, dass viele Gelegenheiten für eine Frühdiagnose verpasst werden. Selbst bei Erkrankungen, die klar auf eine HIV-Infektion hinweisen, würde oft auf einen Test verzichtet. Als Beispiel nennt Professor Schmidt eine Gürtelrose. Sie tritt normalerweise nur bei älteren Menschen auf. Bei jungen Patienten ist sie eine sogenannte HIV-Indikatorerkrankung. Die Behandlungs-Leitlinien fordern in diesem Fall einen Test, der in der Praxis jedoch zu selten durchgeführt werde, beklagen die Autoren.

Ein ärztlich initiierter HIV-Test sei auch sinnvoll, wenn junge Menschen wegen anderer sexuell übertragbarer Erkrankungen den Arzt aufsuchen. Professor Schmidt: Die Schwelle für Beratung und Test muss hier gesenkt werden. Mit Blick auf die Risikogruppe unter Migranten fordern die Experten einen ausreichenden Zugang zum medizinischen Versorgungssystem. Auch Personen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus oder Krankenversicherungsschutz müssten Aussicht auf eine Behandlung haben.

Gegen seinen Willen sollte jedoch niemand getestet werden. Dies ist in Deutschland derzeit auch nur im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungen möglich. Jeder Mensch habe ein Recht auf Nichtwissen, schreiben Professor Schmidt und Co-Autoren. Eine Entscheidung gegen die Durchführung eines angeratenen HIV-Testes sei zu akzeptieren und dürfe nicht zu Benachteiligungen führen. Auch ein allgemeines HIV-Screening in medizinischen Einrichtungen lehnen die Experten ab. Dazu sei die HIV-Infektion in Deutschland zu selten. Nach Schätzung des Robert-Koch-Instituts sind in Deutschland zirka 61.000 Menschen HIV-infiziert. Das entspricht 0,12 Prozent der Erwachsenen im Alter von 15 bis 60 Jahren.


U. Marcus et al. für den Expertenworkshop GWB und DAIG:
HIV-Testung: Empfehlungen zur Verbesserung der aktuellen Situation Ergebnisse eines Expertenworkshops.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2010; 135 (23): S. 1201-1202


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Quelle:
FZMedNews - Dienstag, 15. Juni 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2010