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DIABETES/1284: Diabetes-Kurs - Wirksamkeit von medikamentösen Therapien bei Übergewicht (DJ)


Diabetes-Journal 10/2009 - aktiv gesund leben

Diabetes-Kurs
Das (Bauch-)Fett muss weg!

Von Dr. Gerhard-W. Schmeisl


Beim Abnehmen und dauerhaften Halten des erreichten Gewichts versagen traditionell die gängigen Therapien. Und von vielen Medikamenten ist unklar, ob sie auf Dauer wirken. Im Kurs gibt es einen Überblick.


In den USA sterben mittlerweile fast so viele Menschen an den Folgen von krankhaftem Übergewicht (Adipositas) wie am Zigarettenkonsum! Nach Daten des Statistischen Bundesamtes waren in Deutschland 2005 insgesamt 14 Prozent der erwachsenen Männer und 13 Prozent der erwachsenen Frauen adipös. Ein 40-jähriger adipöser Mann hat eine um durchschnittlich 7 Jahre geringere Lebenserwartung (nach Liehr im Fachmagazin "MMW" 13/2007, siehe Tab. 2).


Tab. 2: Gewichtsabnahme von 10 kg senkt Risiken...
Sterblichkeit


­- Gesamtsterblichkeit
­- diabetesbedingt
­- Krebssterblichkeit
- 20%
- 30%
- 40%
Blutdruck

­- systolisch
­- diastolisch
- 20 mmHg
- 10 mmHg
Diabetes mellitus

­- Nüchternblutzucker
­- HbA1c
- 50%
- 2%
Blutfette


­- Gesamtcholesterin
­- LDL-Cholesterin
­- Triglyzeride
- 10%
- 15%
- 30%
Entzündungsparameter

­- CRP
­- IL-6
- 30%
- 30%

Therapie mit Medikamenten scheint sinnvoll

Die Zusammenhänge zwischen Adipositas und Risiko für Herz und Kreislauf sind bekannt, doch in der Praxis werden sie allzu selten konkret und rechtzeitig gemeinsam angegangen. Bis heute sind Langzeiterfolge in der Adipositastherapie leider nur schwer zu erzielen, weshalb gerade unter dem Aspekt eine medikamentöse Therapie durchaus sinnvoll erscheint. Die bisher zur Verfügung stehenden Arzneimittel können aufgrund der Studienlage und unter Abwägung der Nebenwirkungen nur zeitlich begrenzt und nicht als Dauertherapie empfohlen werden.

Auch konkrete Empfehlungen sind schwer, denn es fehlen Langzeitstudien, die einen Nutzen für einzelne Messwerte und auch eine langfristige Verringerung der Erkrankungshäufigkeit und der Sterberate belegen. Trotzdem sterben immer mehr Menschen, die krankhaft übergewichtig sind, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall; und das kann man womöglich verhindern. Nun also zu den bekannten, wieder verworfenen und den neuen Therapieansätzen.


Tab. 1: Umfang erhöht Risiko
Taillenumfang
Risiko erhöht
Risiko stark erhöht
Männer
Frauen
über 94 cm
über 80 cm
über 102cm
über 88 cm

Medikamentöse Therapie

Der 2006 von der EMEA (= Europäische Arzneimittelbehörde) zugelassene Wirkstoff Rimonabant (= Acomplia®) ist mittlerweile nicht mehr zur Therapie von Üsbergewicht zugelassen - wegen gefährlicher Nebenwirkungen wie Selbstmordgefahr.


Sibutramin (Reductil®)

Den Wirkstoff Sibutramin (= Reductil®) gibt es bereits seit Januar 1999 für Patienten mit ernährungsbedingter Adipositas, eingebettet in ein Behandlungskonzept zur allgemeinen Gewichtsreduktion. Er ist zugelassen ab einem Körper-Massen-Index ("BMI") über 30 kg/m² sowie ab einem BMI über 27 kg/m², wenn gleichzeitig adipositasbedingte Risikofaktoren vorliegen wie Typ-2-Diabetes oder eine Fettstoffwechselstörung.

Sibutramin beeinflusst die Übertragung an den Nervenenden im Gehirn - einfach gesagt führt es zu einer Appetitminderung. Es wird in der Regel einmal täglich eingenommen im Kontext mit einer kalorienreduzierten Ernährung, wobei mit der niedrigsten Dosis begonnen werden sollte. In den Studien mit einer Mindestlaufzeit von einem Jahr, an denen hauptsächlich Frauen teilnahmen, kam es zu einer Gewichtsreduktion von etwa 4,3 kg gegenüber Placebo (= Scheinmedikament). Da in den Studien relativ viele Patienten ausgestiegen sind, ist die Aussagekraft allerdings sehr begrenzt.


Sibutramin: häufigste Nebenwirkungen

• Kopfschmerzen
• Schwindel
• trockener Mund
• schneller Puls
gelegentlich auch:
• hoher Blutdruck
• Schlafstörungen und Angstzustände
• Beteiligung des Herzens (Endo-, Myo- und Perikard, Herzklappen)


Selbst bezahlen: 430 €/Jahr

Die Kosten der Therapie müssen von den Patienten selbst getragen werden, das Präparat selbst ist verschreibungspflichtig und wird in der Regel von den Krankenkassen nicht erstattet; die Jahreskosten betrugen im August 2009 etwa 430 €. Die Nebenwirkungen seitens des Herzens und der Herzklappen nehmen allerdings einen relativ hohen Anteil von 11 Prozent ein. Zur Erinnerung: Die früher einmal eingesetzten Appetitzügler mussten wegen gehäufter Berichte von Lungenhochdruck und Herzklappenveränderungen vom Markt genommen werden! Die Europäische Arzneimittelbehörde EMEA und das Bundesamt für Arzneimittel (BfArM) haben das Unternehmen zusammen mit anderen EU-Staaten dazu veranlasst, eine Studie durchzuführen (SCOUT), die letztendlich die Sicherheit klären soll - und auch, ob das Medikament tatsächlich relevante positive Effekte hat.


Orlistat (= Xenical®): Fett wird wieder ausgeschieden

­... ist seit den 90er-Jahren auf dem Markt und dient der Behandlung von Patienten mit Adipositas ab einem BMI über 28 kg/m² und mit entsprechenden Risikofaktoren; es ist verbunden mit einer ernährungsreduzierten kalorienreduzierten Kost.

Es bindet an die im Inneren des Dünndarms vorhandene "Lipase" (ein fettabbauendes Eiweiß), die Aufnahme der Neutralfette im Darm wird so behindert. So kommt es, dass etwa ein Drittel des mit der Nahrung zugeführten Fetts wieder ausgeschieden wird, wodurch sich natürlich die Fett- und Kalorienaufnahme ebenfalls deutlich reduziert. In größeren Langzeitstudien zeigte sich, dass es unter Orlistat-Therapie zu einer zusätzlichen Gewichtsreduktion von etwa 2,7 kg gegenüber Placebo kommen kann. Leider nahmen die Patienten trotz erfolgter Gewichtsreduktion nach Absetzen des Medikamentes wieder zu. Die Therapiekosten müssen ebenfalls vom Patienten selbst getragen werden. Bei einer Dosierung von 3-mal täglich 120 mg jeweils zu den Hauptmahlzeiten entstehen Kosten bis etwa 1200 € pro Jahr (Stand August 2009).

Die Kombination von Orlistat und Sibutramin ist grundsätzlich möglich, es gibt aber nur wenige Studien dazu, sodass davon eher abgeraten werden muss.

Weitere Medikamente, die zwar einen gewichtssenkenden Effekt haben, zur Gewichtsreduktion bei uns jedoch nicht zugelassen sind wie Zyban® (primär zur Raucherentwöhnung) oder Fluoxetin (Fluctin®), sollen hier nicht näher besprochen werden.


Orlistat: Nebenwirkung

• Übelkeit
• Bauchspeicheldrüsenentzündung (Pankreatitis)
• starke Bauchschmerzen
• erhöhte Leberwerte, Leberentzündung (Hepatitis)
• Fettstühle in nahezu 50 Prozent der Fälle


Keine Adipositas-Zulassung

Neuere Medikamente gegen hohen Blutzucker ("Antidiabetika"), die eine deutliche bis massive Gewichtsreduktion bewirken können, sind nicht zugelassen für die alleinige Therapie der Adipositas: zum Beispiel "Byetta®" und "Victoza®". Sie sind nur zugelassen im Zusammenhang mit der Therapie des Typ-2-Diabetikers mit Metformin, Thiazolidindionen und/oder Sulfonylharnstoffen.


Das Fazit

Aufgrund der Studienlage und unter Abwägung aller Nebenwirkungen kann derzeit die Einnahme von Medikamenten zur Adipositastherapie nur zeitlich begrenzt empfohlen werden. Alle Betroffenen wissen, wie schwierig und problematisch es ist, eine langfristige Ernährungsumstellung und eine Steigerung der körperlichen Aktivität in der Praxis zu erreichen. Gerade aus diesem Grund scheint es unabdingbar, vorbeugende Maßnahmen in den Alltag zu integrieren - wie regelmäßige Bewegung, nicht unbedingt Sport.

Man sollte auch nicht ständig von Diät reden, sondern von einer vernünftigen, der Tätigkeit angepassten, eventuell niedrigkalorischen Ernährung unter Beibehaltung von Lieblingsspeisen. Präventivmaßnahmen, die möglicherweise bereits im Kindergarten und in der Schule ansetzen, sind jedoch unbedingt vorzuziehen - hier ist unsere Gesellschaft gefordert!

Inzwischen gibt es auch immer mehr Daten dahingehend, dass insbesondere extrem übergewichtige Menschen, die schon eine lange Leidensgeschichte des frustranen Abnehmens hinter sich haben, von Operationen profitieren. Besonders Magenoperationen (Magenbypass, Magenband, Magenplastik) scheinen in dieser Situation hilfreich; auch neuere Verfahren, bei denen das innere Bauchfett ("viszerales Fett") teilweise entnommen wird, scheinen den Menschen zu helfen.

Operative Verfahren, mit all ihren Risiken, können jedoch nur als allerletzte Option verstanden werden; es handelt sich nicht um eine Schönheitsoperation, die man mal so eben mitnimmt. Lassen Sie sich diesbezüglich unbedingt von seriösen Operateuren und Psychologen beraten!


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Wollen Sie Ihr Diabetes-Wissen mal wieder auffrischen? Hierfür gibt es im Diabetes Journal den großen Diabetes-Kurs von Dr. med. Gerhard-W. Schmeisl: Jeden Monat erklären wir langjährigen und neuen Lesern, die noch nicht auf eine so lange "Diabetes-Karriere" zurückblicken, worum es sich bei Diabetes handelt, welche Therapien es gibt, worauf man achten sollte und wie man Folgeerkrankungen verhindern oder zumindest hinauszögern kann.

Kontakt
Dr. med. Gerhard-W. Schmeisl
Internist/Diabetologe/Angiologe,
Sozialmedizin/Sportmedizin,
Ltd. Arzt der Deegenbergklinik,
Burgstraße 21
97688 Bad Kissingen
Tel: 0971/821-0
Fax: 0971/821-8484


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Quelle:
Diabetes-Journal 10/2009, Seite 42 - 45
Herausgeber: Verlag Kirchheim + Co GmbH
Kaiserstr. 41, 55116 Mainz
Tel.: 06131/960 70 30, Fax: 06131/960 70 90
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2009