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DIABETES/1354: Diabetiker haben's schwerer - Wirtschaftskrise, Mobbing ... und dann noch Diabetes! (DJ)


Diabetes-Journal 5/2010 - aktiv gesund leben

Diabetiker haben's schwerer:
Wirtschaftskrise, Mobbing ... und dann noch Diabetes!

Von Dipl.-Psych. Barbara Holker


Wirtschaftskrise, Sparzwang, Entlassungen, Burnout: Wenn eine chronische Krankheit wie Diabetes dazukommt, können die Folgen erheblich sein. Wie können Sie sich in solchen Zeiten selbst helfen? Und wie erkennen Sie, ab welchem Zeitpunkt Sie professionelle Hilfe brauchen?


In der aktuellen Wirtschaftssituation herrscht in vielen Betrieben Kurzarbeit. Die vorhandene Arbeit muss in teils erheblich reduzierter Arbeitszeit bewältigt werden. In der Produktion leuchtet dies völlig ein, es ist ja wirklich weniger zu tun. Allerdings gibt es Bereiche, in denen dies gar nicht stimmt: So hat die Lohnbuchhalterin beispielsweise immer noch jeden Monat Löhne zu berechnen und deren Auszahlung zu bewerkstelligen. Oft hat sie sogar mehr zu tun, weil viele Kollegen wegen des Kurzarbeitergeldes zusätzliche Fragen haben. Ähnliches gilt für Abteilungen wie Einkauf, Marketing, Personal oder Öffentlichkeitsarbeit.

In anderen Betrieben werden aus Spargründen alle Zeitarbeitskräfte entlassen. Die vorhandene Arbeit muss mit weniger Arbeitskräften bewältigt werden. Ein Kollege ist plötzlich für zwei Projekte zuständig, wo es vorher nur eins war. Um die tatsächliche Mehrarbeit zu bewältigen, verzichtet man auf Pausen und auf den Gang zur Kaffeeküche; eigene Bedürfnisse werden weniger beachtet.


Zunächst Schlafstörungen

Viele Betroffene berichten, dass sie an Schlafstörungen leiden, selten vor Mitternacht ins Bett gehen können und ihnen auch dann der Beruf nicht aus dem Kopf geht. Sie sind mit der Zeit so müde und erschöpft, dass selbst die Wochenenden nicht mehr reichen, um sich zu erholen. Es fällt immer schwerer, die nötige tägliche Disziplin aufrechtzuerhalten, wie Diabetiker sie im besonderen Maße brauchen. Sport und Mahlzeiten fallen den verlängerten Arbeitszeiten zum Opfer. Bei längerem Andauern der Symptome kann man durchaus von beginnendem Burnout sprechen.


Die Angst vor Entlassung

In vielen Betrieben herrscht die Sorge vor Verlust des Arbeitsplatzes. Besonders nach Reorganisationen oder nach Unternehmensfusionen und - übernahmen drohen Kündigungen. Dabei trifft es auch verdiente, langjährige, ältere Kollegen. Die betroffenen Mitarbeiter müssen lange Phasen der Unsicherheit zwischen Ankündigung anstehender Veränderungen und deren tatsächlicher Umsetzung aushalten - eine Zeit, in der sich erhebliche Ängste entwickeln können. Die Vorstellung, sich einen neuen Job suchen zu müssen, ist für die meisten Menschen sehr schwierig. Für chronisch erkrankte Menschen, die um ihre schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt wissen, ist dies noch belastender.


Diskriminierung, Mobbing: besonders Diabetiker

Menschen mit chronischen Krankheiten wie Diabetes, die eventuell längere durchschnittliche Krankheitszeiten als ihre Kollegen haben oder aufgrund ihrer Krankheit bestimmte (Mehr-)Arbeit oder Reisetätigkeit nicht leisten können, sind in solchen Zeiten besonders durch Diskriminierung und Mobbing gefährdet. Rücksichtnahme und Verständnis der Kollegen nehmen nämlich meist ab, wenn diese selbst Angst um den Job haben müssen.

Gerade wenn es um die Frage geht, wer entlassen werden soll, könnten sie zuerst an den chronisch kranken Kollegen denken. Um die eigene Mehrarbeit besonders herauszustreichen, betonen sie immer wieder die (zeitlichen oder körperlichen) Einschränkungen des Kollegen. Eine Form von Psychoterror nimmt ihren Lauf - dazu angelegt, den Kollegen aus dem Betrieb zu ekeln. Im Verlauf kann dieses Verhaltensmuster auf andere Kollegen übergreifen und durchaus systematisch den chronisch Kranken verleumden. Spätestens wenn jetzt noch Kompetenzentzug, Einteilung zu besonders unbeliebten Tätigkeiten oder vielleicht Umzug in schlechtere Büroräume dazukommen, spricht man von Mobbing. Der gemobbte chronisch Kranke wird zum Prügelknaben für die Kollegen, die selbst unter erheblichen Ängsten leiden und deren Selbstbewusstsein unter den betrieblichen Rahmenbedingungen gelitten hat. Mehr als die Hälfte aller Mobbingopfer geben an, unter Leistungsblockaden zu leiden und Angstzustände zu entwickeln. Und fast zehn Prozent aller Mobbingopfer entwickeln Depressionen.


Tipps und Hilfen gegen Burnout

Um einem drohenden Burnout zu entgehen, haben sich in der Praxis eine Reihe von Maßnahmen bewährt, die Sie ohne professionelle Hilfe anpacken können. Im Wesentlichen geht es darum, Schritt für Schritt wieder die Steuerung in Ihrem Arbeitsleben zu übernehmen und dem Gefühl der eigenen Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins entgegenzutreten.


Ruder wieder übernehmen

Wichtig ist, dass Sie kleine realistische Schritte anpacken. Vorhaben, wie jeden Tag früh nach Hause zu gehen, wenn Sie bisher kaum vor 20 Uhr nach Hause kamen, scheitern schnell an der Arbeitsrealität. Gerade am Thema Arbeitszeit ist es deshalb wichtig, dass Sie Ihre eigene Situation ehrlich anschauen und sich überlegen, was schon eine Verbesserung für Sie bedeuten würde. Im extremsten Fall kann dies bereits ein einziger Abend pro Woche sein, an dem Sie vor 18 Uhr nach Hause gehen. Die mittlerweile durchaus gängige Wochenendarbeit auf einen halben Tag zu beschränken, am Freitag vor 16 Uhr nach Hause zu gehen oder einen Vormittag Home-Office zu machen, können schon ein Erfolg sein.


Zeit-Tagebuch führen

Überlassen Sie es nicht dem Zufall, ob Ihre Zeitvorhaben klappen werden: Dokumentieren Sie in einem Kalender Arbeitsbeginn und -ende, Pausen, Abend- oder Nachtschichten sowie Zubettgehzeiten. Überprüfen Sie wöchentlich, ob Sie mit Ihrem Arbeitsverhalten zufrieden waren, welche Vorhaben Sie hauen - und, falls diese nicht geklappt haben, woran es lag. Eventuell müssten Sie sich Ihren "frühen" Abend nach anderen Kriterien auswählen. Vielleicht können Sie Ihre Vorhaben auch schon ausweiten? Gehen Sie an wenigstens zwei Abenden der Woche vor 23 Uhr zu Bett. Und wenn Sie folgenden Tipp beherzigen, wird sich Ihr Tag-Nacht-Rhythmus bald wieder einpendeln:


Der Morgenspaziergang: Tag beginnt privat!

Gehen Sie morgens vor der Arbeit an die frische Luft; es geht nicht um sportliche Leistungen, sondern um eine halbe Stunde Qualitätszeit für Sie selbst - Zeit, in der Sie flott spazieren oder Nordic walken und frische Luft tanken. Wichtiger noch als der körperliche Aspekt ist die Tatsache, dass Ihr Tag mit Privatem beginnt - so kann es schon gar nicht mehr passieren, dass Sie nichts außer Arbeit erleben. Wie oft sollten Sie morgens raus? Mindestens jeden zweiten Tag, in akuten Phasen der Belastung täglich. Nebeneffekt: Sie werden nach kurzer Zeit feststellen, dass Sie sich trotz der halben Stunde weniger Schlaf ausgeschlafener und tatkräftiger fühlen und sich Ihr gestörter Schlafrhythmus allmählich reguliert.


Kümmern Sie sich um Ihr Privatleben

Menschen, die mit großen Schritten auf den Burnout zugehen, haben meist ihr privates Umfeld vernachlässigt - planen Sie einen Abend "Qualitätszeit" pro Woche ein: ein Abend, den Sie mit Ihrem Partner, Freunden oder in einem Verein verbringen. Es geht darum, wieder den Anschluss ans Leben zu bekommen und damit auch mehr Abstand zum Arbeitsalltag.


Holen Sie mittags Luft...

­... und dies ist im wörtlichen Sinn gemeint: Gehen Sie in der Mittagszeit wenigstens zehn Minuten um den Block. Nehmen Sie Abstand zum Unternehmen, zu den Kollegen und zu Ihrem Arbeitstisch. Genießen Sie gerade im Frühjahr die ersten Sonnenstrahlen.


Klärung mit dem Chef

Wenn Ihre Arbeitszeiten über einen längeren Zeitraum ausufern, Sie sich längerfristig überfordert fühlen oder erste Anzeichen eines Burnouts an sich wahrnehmen, ist es höchste Zeit für eine Klärung mit dem Chef: Erbitten Sie Hilfe bei der Priorisierung Ihrer Aufgaben und bei der Suche nach Ideen, wie der Überlastung beizukommen ist. Achten Sie darauf, Ihre Belastung ohne Vorwurf zu beschreiben (mit Hilfe der Daten aus dem Zeit-Tagebuch) und das Gespräch so in Richtung einer gemeinsamen Suche nach Lösungen zu lenken.


Mobbing: Hören Sie auf, Opfer zu sein

Sofern Sie noch in der Lage dazu sind, gibt es nur einen Tipp: Wehren Sie sich! Sprechen Sie die Mobber an, konfrontieren Sie sie mit ihrem Handeln. Entkommen Sie Ihrer eigenen Hilflosigkeit - und gehen Sie auf Gegenkurs. Häufig erfahren Sie von Mobbingaktivitäten nur über Dritte. Dies macht es besonders schwer, das Verhalten des Mobbers anzusprechen. Eine solche Konfrontation muss nicht automatisch zu heftigen Konflikten führen. Manchmal genügt es schon, deutlich zu machen, dass man, falls die Gerüchte stimmen würden, ein solches Verhalten sehr unkollegial fände.


Maßnahmen gegen Burnout:

1. Ruder übernehmen
2. Zeit-Tagebuch führen
3. Morgenspaziergang
4. Privatleben pflegen
5 Mittagspause
6. Gespräch mit dem Chef


Suchen Sie Hilfe

Wenn Sie es sich nervlich nicht zutrauen, diese Konfrontation allein zu überstehen, ist Ihr Vorgesetzter Ihre erste Anlaufstelle. Falls dieser am Mobbing beteiligt ist, müssen Sie bei dessen Vorgesetztem Hilfe suchen. Er kann Sie bei einem Gespräch mit dem Mobber unterstützen und als unparteiischer Mittler dienen. In manchen Betrieben gibt es einen Beauftragten für das Thema im Betriebsrat oder in der Personalabteilung. Nutzen Sie eine solche Stelle zur Beratung.


Wann brauchen Sie Hilfe durch einen Coach?

Auf den einfachsten Nenner gebracht: Wenn Sie sich nicht mehr selbst helfen können! Dies kann zum Beispiel dann sein, wenn Sie keinen anderen Ausweg als die Kündigung sehen, sich Ihr Denken ausschließlich um die berufliche Situation dreht oder wenn sich die Belastung bereits in psychosomatischen Zeichen wie totaler Erschöpfung, Konzentrations- oder schweren Schlafstörungen äußert.

Ein guter Coach wird mit Ihnen Schritt für Schritt erarbeiten, wie Sie den Weg aus der Krise finden. Er wird eng verfolgen, ob sich Ihre Symptome maßgeblich bessern und im Zweifelsfall die Kontaktaufnahme mit einem Arzt empfehlen. Er wird mit Ihnen Strategien der Klärung erarbeiten und schwierige Gespräche konkret üben. Sprechen Sie mit Ihrem Vorgesetzten: Mehr und mehr Unternehmen sind bereit, bei akuten Krisen die Kosten für die Hilfe eines Coachs zu übernehmen.


Das Fazit

Chronisch Kranke sind stärker von den Folgen der Wirtschaftskrise wie Arbeitsüberlastung oder Mobbing im Kampf um die Arbeitsstelle bedroht als Gesunde. Wenn Sie erste Anzeichen negativer Auswirkungen wie Burnout oder Mobbing bei sich feststellen, können Sie sich eventuell noch selbst helfen. Dann gilt es, das Gefühl des Ausgeliefertseins zu überwinden. Wehren Sie sich gegen Mobbing, übernehmen Sie wieder die Herrschaft über Ihre Arbeitsbelastung.

Wenn Sie nicht mehr die Kraft haben, sich dem Problem allein zu stellen, und auch die Befolgung der Tipps gegen Burnout nicht geholfen haben, brauchen Sie professionelle Unterstützung.


Kontakt
Dipl.-Psych. Barbara Holker
Oberes Hardtfeld 13
89312 Günzburg
Tel.: 08221/399746
Fax: 08221/39 9745
www.consulting-impact.com


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Lassen Sie sich bei Bedarf helfen, dem Gefühl der eigenen Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins entgegenzutreten.
- Diskriminierung und Mobbing: Diabetiker sind in Krisenzeiten häufiger betroffen.
- Sport, Verein, Freunde: wieder Anschluss an das Leben bekommen - und damit Abstand zum Arbeitsalltag.
- Luft holen ... im wörtlichen Sinn: Es wirkt Wunder, zehn Minuten oder mehr draußen zu verbringen - weg vom Büro, vom Arbeitsplatz, von den Kollegen.


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Quelle:
Diabetes-Journal 5/2010, Seite 28 - 31
Herausgeber: Verlag Kirchheim + Co GmbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2010