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SCHMERZ/593: Hexenschuss, Bandscheiben, Ischias - Knackpunkt Rücken (Securvital)


Securvital 4/2011 - Juli/August
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Hexenschuss, Bandscheiben, Ischias
Knackpunkt Rücken

Von Norbert Schnorbach


Millionen Menschen leiden unter Rückenschmerzen. Mal kommen sie schleichend, mal plötzlich. In vielen Fällen verschwinden die Schmerzen nach einigen Tagen wieder. Die Ärzte sind oft ratlos. Die gute Nachricht: Man kann vorbeugend viel tun, um sich vor Rückenschmerzen zu schützen.


Unser Rücken ist ein bewundernswertes Gebilde. Die Konstruktion aus 24 beweglichen Wirbelknochen, Bandscheiben, ungezählten Bändern und gut 300 Muskeln ist stabiles Gerüst und flexibler Stoßdämpfer zugleich. Die Wirbelsäule muss Bewegungen in alle Richtungen verkraften und die empfindlichsten Nervenstränge schützen. Sie verhilft uns zum aufrechten Gang und hält auch die vielen Stunden unseres Lebens in Büro- und Fernsehsesseln aus. Aber wenn es irgendwo in der Konstruktion knirscht und hakt, dann ist die Lebensfreude angeknackst. Dann kann aus heiterem Himmel jede Bewegung zur Hölle werden.

Die Wirbelsäule, so scheint es, gehört zu unseren strapaziertesten Körperteilen. Kreuzschmerzen sind in Deutschland die häufigste Volkskrankheit. 80 bis 90 Prozent aller Bundesbürger haben gelegentlich Rückenschmerzen. Zwei Drittel aller Erwachsenen hatten in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal oder sogar regelmäßig Schmerzattacken, Hexenschuss oder Bandscheibenvorfälle. Sie sind die häufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit. Und die Probleme nehmen zu: Seit Jahren steigt die Zahl der Rückenschmerz-Geplagten nach Angaben der Krankenkassen ständig in die Höhe.

Das liegt durchaus nicht nur am Alter mit seinen unvermeidlichen Verschleißerscheinungen. Mittlerweile sind auch junge Leute immer stärker betroffen. Bei Jugendlichen und jungen Berufsanfängern haben Kreuzschmerzen massiv zugenommen.


Problemzone

Sogar Kinder haben immer mehr Probleme mit dem Rücken, stellen Kinder- und Hausärzte fest. »Wenn Kinder im Schnitt nur noch 900 Meter am Tag zu Fuß gehen und vier Stunden vor PC und TV sitzen, dann müssen sie Schmerzen im Kreuz bekommen«, meint der Sportwissenschaftler Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule in Köln.

Wer sich's gern bequem macht, keinen Sport treibt, womöglich zu viele Kilos auf der Hüfte hat, der kann sich ausrechnen, dass die Wirbelsäule über kurz oder lang nicht mehr mitspielt. Der Rücken mit seinem Halteapparat aus Muskeln, Sehnen und Bändern braucht vielfältige Bewegungen und Belastungen. Wird er unterfordert und lahm gelegt, verkümmern wesentliche Teile.

Beim modernen Lebensstil ist es kein Wunder, dass der Rücken zur Problemzone Nummer eins geworden ist. Computer und Fernseher, Bürostühle, Autositze und manchmal auch unbequeme Betten sind Gift für den Rücken, vor allem in Kombination mit Übergewicht. Monotone Belastungen in der Arbeitswelt, allgemeiner Bewegungsmangel und noch dazu schlechte Körperhaltung haben über kurz oder lang schmerzhafte Folgen, die in Nacken und Schultern oder auch nach unten in die Beine ausstrahlen können.

Umgekehrt gilt: Bewegung hilft. Gehen, Laufen, Bücken, Drehen, Recken, Dehnen tun dem Körper gut, in allen Altersklassen. Lieber Treppen steigen statt den Aufzug zu nehmen, zu Fuß gehen und frische Luft genießen, öfter mal das Auto stehen lassen und Fahrrad fahren und in der Freizeit die müden Knochen ein wenig in Schwung bringen. Ausgleich durch Bewegung, heißt das wirkungsvolle Rezept, das viele Rückenschmerzen verhindern kann.


Hexenschuss

Es gibt tatsächlich Mittel und Wege, sich vor dem Schmerz zu schützen. Yoga, TaiChi, Pilates und Feldenkrais helfen ebenso wie regelmäßiges Wandern, Schwimmen, Joggen, Walken oder Mannschaftssport. Die Wirbelsäule braucht vielfältige Belastungen, damit die Muskulatur kräftig bleibt. Gute Fitnessstudios und Training der Rücken-, Nacken- und auch der Bauchmuskeln helfen dabei. Der Rücken dankt's. Zu schätzen weiß man diese Lebensqualität erst, wenn man eine Schmerzattacke erlebt. Wenn der Hexenschuss plötzlich da ist, wenn man krumm und schief steht und jede schmerzhafte Bewegung vermeiden will, dann wird die Welt zum Jammertal. Zum Glück können einfache Mittel wie Wärmflasche und Schmerzmittel Linderung bringen (siehe Seite 11). In den meisten unkomplizierten Fällen lassen die Schmerzen ohnehin nach ein paar Tagen wieder nach. Bis zu 90 Prozent aller Rückenschmerzen klingen unabhängig von der Art der Behandlung innerhalb von sechs Wochen ab.

Wenn das Kreuz sich schmerzhaft meldet, zeigt sich übrigens auch, wie unterschiedlich Frauen und Männer sich verhalten: Frauen gehen zum Arzt, Männer lieber aufs Sofa. Letzteres ist eindeutig das Falsche. Früher hielt man Ruhe und Schonung bei Rückenschmerzen für richtig. Doch die medizinische Erkenntnis hat sich gewandelt. Mittlerweile setzen die Experten darauf, dass die Wirbelsäule samt Muskeln, Bändern und Gelenken Bewegung braucht, auch dann, wenn's schon weh tut. Wer sich auf's Sofa legt, läuft Gefahr, dass weitere Muskelbereiche den Dienst einstellen und der Halteapparat noch mehr Probleme hat.

Schmerzen sind ja oft nicht das eigentliche Problem, sondern ein Warnsignal des Körpers, das etwas nicht stimmt. Das können rein körperliche Ursachen wie Verschleißerscheinungen der Bandscheiben, Knochenschwächen oder zu schwache Muskeln sein. Es kann aber auch sein, dass die Ursachen im psychosomatischen Bereich liegen: Stress und Kummer schlagen sich in Verspannungen nieder, die das geschmeidige Zusammenspiel von Wirbelsäule und stützenden Muskeln aus dem Lot bringen und dem Rücken einen Knacks geben.

Oft führen solche Muskelverspannungen zu Rückenschmerzen, die nach einiger Zeit von selbst wieder abklingen, möglicherweise aber auch wiederkehren. Für die Ärzte ist das ein vielschichtiges Problem mit vielen Unbekannten. Röntgenbilder helfen meist nicht weiter, wenn die Psyche mitspielt. Nur bei 10 bis 20 Prozent der Rückenschmerzpatienten lässt sich eine eindeutige körperliche Ursache feststellen. Prof. Hartmut Göbel von der Schmerzklinik Kiel rät dazu, alle Faktoren zu prüfen, die zu Rückenschmerzen führen können. Dazu gehören Stress, Depressionen, Belastungen am Arbeitsplatz und Probleme in der Partnerschaft.

Die Rezepte, um Rückenschmerzen zu kurieren, sind entsprechend vielfältig. Oft verschreiben die Ärzte Massagen und Spritzen oder Medikamente. Stark zugenommen hat die Verschreibung von Krankengymnastik. Bewährt hat sich auch Akupunktur. Die chinesische Nadeltherapie ist sogar laut umfangreichen Studien erfolgreicher als herkömmliche Methoden.


Eigeninitiative

Dagegen muss vor übereilten Operationen gewarnt werden. Sie sind selten notwendig und allzu oft erfolglos. Nach Bandscheibenoperationen hat die Mehrheit der Patienten später wieder Probleme. »Es steigt die Zahl der Patienten, bei denen die Schmerzen nach der Operation nicht besser, sondern schlimmer werden«, berichtet der Informationsdienst Wissenschaft. Kritische Stimmen gibt es auch in der Branche selbst: Der Münchner Orthopäde Dr. Martin Marianowicz hat 12.000 Patienten mit Bandscheibenschäden behandelt und festgestellt, dass 80 Prozent der Operationen überflüssig sind.

Nicht wenige Patienten haben eine Odyssee bei Ärzten hinter sich - und die eigentliche Ursache ihrer Rückenschmerzen nicht gefunden. »Wir müssen umdenken«, meint Dr. Marianowicz. »Die wichtigsten Verbündeten bei der Behandlung sind die Zeit und die Natur, denn 90 Prozent aller Bandscheibenvorfälle heilen folgenlos ab.«

»Die wichtigsten Verbündeten bei der Behandlung sind die Zeit und die Natur.«
Dr. Martin Marianowicz, Orthopäde

Einem schmerzgeplagten Patienten im Wartezimmer fällt es sicher nicht leicht zu akzeptieren, dass die Wirbelsäule nicht so einfach zu reparieren ist wie etwa die Stoßdämpfer eines Autos. Nachhaltige Hilfe muss einen ganzheitlichen Ansatz befolgen. Osteopathie, Yoga, Qigong und andere Therapiemöglichkeiten sehen im kranken Menschen mehr als ein zu reparierendes Organ. Und sie fordern Eigeninitiative vom Patienten: Änderungen im Lebensstil, in der Eigenwahrnehmung, im Umgang mit sich selbst und mit den vielfältigen Faktoren, die im Alltag den Rücken und die Psyche belasten.


Empfehlenswerte Bücher

• Anna Trökes: Yoga für den Rücken.
München 2008, mit DVD, 19,99 EUR

• Ingo Froböse: Das neue Rückentraining.
München 2011, 12,99 EUR

• Martin Marianowicz: Aufs Kreuz gelegt.
Warum 80% der Rücken-OPs überflüssig sind.
München 2010, 17,95 EUR

• Stiftung Warentest: Das Rückenbuch:
Aktiv gegen Schmerzen.
Berlin 2010, 19,90 EUR


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

73 Prozent der Frauen und 62 Prozent der Männer haben Probleme mit dem Kreuz. Rückenschmerzen sind Volkskrankheit Nummer eins.

80 Prozent aller Rückenschmerzen heilen ohne Folgen. Auf Dauer sind richtige Haltung und Bewegung entscheidend. Oft kann Akupunktur helfen.

60 Prozent der Rückenschmerzen vergehen in wenigen Tagen. Meist sind sie nach sechs Wochen verschwunden. 10 Prozent dauern länger als ein Jahr an.

Die obersten 7 Wirbelknochen sind die relativ feinen Halswirbel. Hier treten häufig Nackenschmerzen auf, die in Kopf und Schultern ausstrahlen.
Die 12 kräftigen Brustwirbel bilden den oberen Rücken. Sie stützen auch die Rippen. Schmerzen können durch verschobene Wirbel oder verspannte Muskulatur entstehen.
Die 5 Lendenwirbel sind besonders schwer belastet. Sie tragen einen großen Teil des Körpergewichts. Bandscheibenschäden treten häufig in diesem Bereich auf.
Die jeweils 5 Kreuz- und Steißbeinwirbel sind miteinander und mit den Beckenknochen verwachsen. Sie sind Ansatzpunkte für Bänder und Muskeln.


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Was dem Rücken wirklich hilft

10 Tipps gegen Rückenschmerzen

Von Kristin Bleich

Die Behandlung von Rückenproblemen hat sich gründlich gewandelt. Nicht Schonung, sondern aktive Stärkung und Vorbeugung tun dem Rücken gut.


Meistens lassen Rückenschmerzen nach einiger Zeit von selbst nach. Strikte Bettruhe ist nicht angesagt, im Gegenteil: Der Körper braucht Anreize durch Bewegung. In schwereren Fällen, bei Lähmungserscheinungen und Dauerschmerzen sollte man einen Arzt aufsuchen.

1. Wärme und Schmerzmittel sind als »erste Hilfe« bei akuten Schmerzen angebracht. Wärme durch ABC-Pflaster, heiße Kirschkernkissen oder die gute alte Wärmflasche lindern meist den Schmerz. Rezeptfreie Schmerzmittel helfen, nicht in Schonhaltungen zu verfallen, die noch mehr Probleme schaffen.

2. Massagen und Krankengymnastik werden oft in Kombination mit Schmerzmitteln verschrieben - zur Linderung und Lockerung der Verspannungen.

3. Akupunktur hat sich in umfangreichen Studien als hilfreiche Behandlung bewährt. Bei chronischen Knie- und Rückenschmerzen ist Akupunktur eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen.

4. Osteopathische Behandlungen dienen dazu, Ursachen von Blockaden und Spannungen zu finden und aufzulösen. Osteopathie wird üblicherweise nicht von den Krankenkassen anerkannt. Doch Versicherte der SECURVITA erhalten im Rahmen von Kooperationsverträgen auch osteopathische Behandlungen.

5. Yoga, Qigong, Tai-Chi sind zur Vorbeugung wie auch bei akuten Schmerzen hilfreich. Die Bewegungsübungen kräftigen die Muskulatur, unterstützen geschmeidige Bewegungsabläufe und helfen Stress abzubauen.

6. Pilates als sanftes Fitnesstraining verbessert Haltung und Beweglichkeit, Balance und Körperkraft und gilt damit als wirksame Prävention gegen Rückenschmerzen.

7. Die Feldenkrais-Methode, die die Körperwahrnehmung schult, hat eine ähnlich positive Wirkung.

8. Progressive Muskelentspannung und autogenes Training sind als Entspannungsmethoden zum Abbau von Stress und Spannungen anerkannt. Die SECURVITA fördert sie als Präventionskurse (ebenso wie Yoga, Qigong, Tai-Chi, Pilates, Feldenkrais und andere), mit Kostenzuschüssen und Bonuspunkten.

9. Krafttraining für den Rücken wird in Sportvereinen, Fitnessclubs oder den spezialisierten Kieser-Studios angeboten und zielt auf die Schwachstellen, die durch Bewegungsmangel und Schreibtischarbeit oft entstehen: Ohne kräftige Muskeln kann der Rücken den alltäglichen Belastungen nicht standhalten.

10. Vielseitiger Sport tut immer gut, sofern er nicht exzessiv betrieben wird. Joggen, Walken, Radfahren, Schwimmen, Wandern usw. verhelfen zu einem guten Körpergefühl. Auf Dauer schützt nichts besser vor wiederkehrenden Rückenschmerzen als vielfältige Bewegung, weil Bewegungsmangel zusammen mit Übergewicht eine der Hauptursachen von Rückenbeschwerden ist.


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Quelle:
Securvital 4/2011 - Juli/August, Seite 6 - 11
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. August 2011