Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 9/2017
Cannabis
Gemeinsam zu erfüllende Aufgabe
von Jutta Clement
Ärzte und Apotheker bildeten sich gemeinsam fort und erhielten Handlungshilfen. Fazit: Cannabis wird keine Therapieoption für die breite Masse.
Seit März 2017 können schwerkranke Menschen unter bestimmten Voraussetzungen mit Cannabis in standardisierter pharmazeutischer Qualität oder mit Zubereitungen aus der Droge zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versorgt werden. Verordnet werden darf Cannabis von Humanärzten (nicht Zahn- und Tierärzten), die am Betäubungsmittelverkehr teilnehmen. Bei einem gemeinsam von Apotheker- und Ärztekammer geplanten Fortbildungsabend im Juli berichtete das Referententeam über die für beide Berufsgruppen relevanten Fakten und Herausforderungen zu Cannabis als Arzneimittel.
Prof. Hartmut Göbel, Neurologe und Schmerztherapeut (Schmerzklinik Kiel), und Dr. rer. nat. Christian Ude, Apothekenleiter aus Darmstadt und Lehrbeauftragter an der Goethe Universität Frankfurt/Main, zeigten sich in der Veranstaltung einig, dass die therapeutische Versorgung von Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen mit Cannabis eine gemeinsam zu erfüllende Aufgabe ist. In der Veranstaltung wurden zahlreiche Handlungshilfen für Apotheker und Ärzte aufgezeigt.
Ude betonte, dass bei allen Betrachtungen zu Cannabis genau unterschieden werden müsse, welche Form von Cannabis zum Einsatz kommt. Grundsätzlich ist zwischen getrockneten Cannabisblüten (Cannabis flos), Cannabiszubereitungen, wie z. B. Extrakten, und Cannabis-Fertigarzneimitteln zu unterscheiden. Zudem variieren die verfügbaren Cannabissorten in ihrem Gehalt an den beiden Hauptinhaltsstoffen (Δ 9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD)) erheblich, was verschiedene klinische Wirksamkeit und Indikationen zur Folge hat. Deshalb sei es für eine eindeutige Cannabisverordnung so wichtig, die entsprechende Cannabissorte anzugeben. Die Auswahl der für die entsprechende Indikation geeigneten Cannabis-Varietät basiere auf deren Wirkstoffgehalt an THC und CBD. Wichtig seien die Festlegung der geeigneten Dosis und die individuelle Dosistitration, betonte Ude.
Schließlich hat die Darreichungsform und Applikationsart einen bedeutenden Einfluss auf die pharmakokinetischen Eigenschaften. Das Rauchen von Cannabis ("Joint") wird aus pharmazeutischer Sicht nicht empfohlen. Falls die inhalative Anwendung gewünscht ist, sollen die Cannabisblüten mittels eines Verdampfers angewendet werden. Einige rezepturmäßig herzustellende Darreichungsformen wie z. B. Tropfen oder Kapseln stehen als zusätzliche Optionen - dann aber nur mit Dronabinol oder Cannabidiol - zur Verfügung. Dabei empfiehlt es sich, auf die eigens zu diesem Zweck erarbeiteten Herstellungsvorschriften des Neuen Rezepturformulariums (NRF) zurückzugreifen, um qualitätsgesicherte Rezepturarzneimittel herzustellen. (Standardisierte Rezepturen, Formelsammlung für Ärzte)
SORTE |
GEHALT THC (%) |
GEHALT CBD (%) |
HERKUNFT |
Bedrocan Bedica Bedrobinol Bediol Bedrolite |
ca. 22 ca. 14 ca. 13,5 ca. 6,3 <1 |
<1 <1 <1 ca. 8 ca. 9 |
Niederlande |
Pedanios 22/1 Pedanios 18/1 Pedanios 16/1 Pedanios 14/1 Pedanios 8/8 |
ca. 22 ca. 18 ca. 16 ca. 14 ca. 8 |
<1 <1 <1 <1 ca. 8 |
Kanada |
Bakerstreet Houndstooth Princeton Penelope Argyle |
ca. 23,4 ca. 20,3 ca. 16,5 ca. 10,4 ca. 5,4 |
< 0,5 < 0,5 < 0,5 ca. 7,5 ca. 7 |
Kanada |
Cannabis-Sorten nach Herkunftsland, Gehalt bezogen auf die getrocknete
Droge.
Quelle: Bundesapothekerkammer: FAQ "Cannabisgesetz", Stand 24. August
2017
Derzeit sind zwei Fertigarzneimittel mit genau definierter
Zusammensetzung auf dem deutschen Markt. Sie unterscheiden sich
wesentlich hinsichtlich der Indikation, Zusammensetzung und
Applikationsform. Sativex Spray zur Anwendung in der Mundhöhle
(definierter 1:1 Extrakt aus Cannabis) ist für erwachsene Patienten
mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von Multipler
Sklerose (MS) unter genau definierten Voraussetzungen zugelassen.
Demgegenüber sind Canemes Kapseln (Wirkstoff Nabilon - ein
synthetisches THC-Derivat) bei durch Chemotherapie induzierter
Übelkeit und Erbrechen bei Krebspatienten indiziert. Verfügbar sind
außerdem Marinol-Kapseln, die aus dem Ausland importiert werden
müssen. Im Rahmen der neuen gesetzlichen Regelungen können diese
Fertigarzneimittel auch außerhalb dieser Indikationen nach Genehmigung
durch die gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden.
Aus diesen Möglichkeiten wählt der behandelnde Arzt patientenindividuell das geeignete Cannabisprodukt aus. Göbel informierte über die im SGB V § 31 Abs. 6 definierte Voraussetzung für die Verordnungsfähigkeit von Cannabis. Hinsichtlich der Indikation ist ein sehr weit gefasstes Spektrum denkbar. Er zeigte exemplarisch die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Cannabis bei unterschiedlichen Symptomen wie Spastik bei MS, chemotherapieinduziertes Erbrechen, chronischer oder neuropathischem Schmerz, Appetitsteigerung bei HIV/AIDS, Epilepsie oder Tourette-Syndrom auf.
Göbel verwies auf die Verpflichtung zur Genehmigung durch die gesetzliche Krankenkasse vor Beginn der Behandlung eines Patienten mit Cannabis zulasten der GKV. Ein Formular für das Genehmigungsverfahren existiere derzeit nicht und so sei ein formloser Antrag unter Bezugnahme auf die in SGB V §31 Abs. 6 festgelegten Voraussetzungen zu stellen. Dabei seien Patienten auf die Unterstützung des Arztes angewiesen, insbesondere bei Angaben zur Schwere der Erkrankung und über das Fehlen von alternativen Therapieoptionen. Eine weitere ärztliche Verpflichtung in diesem Zusammenhang sei die Übermittlung der für die nicht-interventionelle Begleiterhebung erforderlichen Daten an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in anonymisierter Form. Die Versicherten seien vor Beginn der Behandlung über diese Datenübermittlung durch die verordnenden Ärzte an das BfArM zu informieren.
Göbels persönliche Erfahrungen in der Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker im Zusammenhang mit Cannabisverordnungen sind positiv. Derzeitige Anbauorte für Cannabis liegen im Ausland. Nach Import der Cannabisdroge durch spezielle Importeure werden die verschiedenen Varietäten in Deutschland als Arzneimittel (Rohstoff) angeboten. Nicht jede der verfügbaren Varietäten sei zu jeder Zeit lieferbar, sodass eine enge Zusammenarbeit mit dem Apotheker, der (nicht nur) zuverlässige Auskünfte zur Lieferbarkeit geben kann, unabdingbar sei.
Auf der Webseite des BfArM (www.bfarm.de -> Bundesopiumstelle -> Cannabis als Medizin), finden sich weiterführende Informationen zur sicheren Anwendung und Abgabe cannabishaltiger Arzneimittel.
Die Anwendung von Cannabis-Arzneimitteln ist keine Therapieoption, die sich für die breite Masse eröffnet, sondern auf schwerwiegende therapierefraktäre Erkrankungen beschränkt. Die beiden Besonderheiten der verpflichtenden Genehmigung durch die GKV vor Therapiebeginn und die Mitwirkungspflicht des Arztes an der nicht-interventionellen Begleiterhebung unterscheiden diese Therapie von anderen Therapien. Letztlich bietet die breit gefasste Indikationsstellung einen gewissen Gestaltungsspielraum für die Cannabisverordnung und eine Chance auf Linderung für schwer betroffene Patienten. Insofern ist die Begleiterhebung nicht nur sinnvoll, sondern birgt die Hoffnung auf zusätzlichen Erkenntnisgewinn zum therapeutischen Potenzial entsprechender Cannabisarzneimittel bei einzelnen Indikationen.
Jutta Clement, Akademie für pharmazeutische Fortbildung
und Qualitätssicherung Apothekerkammer Schleswig-Holstein
"Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis, wenn ...
1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare
positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende
Symptome besteht."
(Quelle: SGB V 931 Abs. 6)
Fakten zum Nachlesen im Internet vom Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Hinweise für Ärzte
www.bfarm.de/DE/Bundesopiumstelle/Cannabis/Hinweise_Aerzte/_node.html
Hinweise zur Begleiterhebung www.begleiterhebung.de
Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 9/2017 im
Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201709/h17094a.htm
Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de
*
Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, September 2017, Seite 30 - 31
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.
veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2017
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