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WIRKSTOFF/585: "Cannabis ist kein Wundermittel" - Studie zum Einsatz medizinischer Cannabinoide (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 4, April 2021

"Cannabis ist kein Wundermittel"

von PM/RED


CANNABINOIDE. Studie zum Einsatz medizinischer Cannabinoide in der Therapie. Verordnungen auch außerhalb der geprüften Anwendungsgebiete.


Die gesetzlichen Krankenkassen verzeichnen seit Inkrafttreten der Verschreibungsmöglichkeit von Cannabis im März 2017 zunehmende Verordnungen von cannabisbasierten Arzneimitteln - laut Krankenkasse BKK Mobil Oil von 27 Millionen Euro im Jahr 2017 auf 123 Millionen Euro 2019. Für 2020 prognostiziert Arzneimittelexperte Prof. Gerd Glaeske ein Ausgabenvolumen von 151 Millionen Euro. Die BKK Mobil Oil hat beim Forschungszentrum SOCIUM der Universität Bremen unter Leitung Glaeskes eine Studie in Auftrag gegeben, die sie unter dem Namen "Cannabis-Report 2020" vergangenen Monat veröffentlichte.

Ein Ergebnis des Reports: Ein Fünftel der Antragsteller (173 Patienten) erhielt cannabisbasierte Arzneimittel im Rahmen "gut geprüfter und zugelassener Anwendungsgebiete". Dazu gehören nach Angaben der Kasse vor allem die spezialisierte ambulante Palliativversorgung von Krebspatienten sowie Anträge von Versicherten mit neurologischen Leiden oder Anorexie. Hier seien überwiegend Dronabinoltropfen mit einer Versorgungsdauer von bis zu zwei Monaten eingesetzt worden.

Ein Großteil der Patienten erhielt Cannabinoide jedoch außerhalb der in klinischen Studien geprüften Indikation - etwa aufgrund eines chronischen Schmerzsyndroms (27%), wegen anhaltender Rückenschmerzen (7%), wegen Spastik (6%) oder wegen Polyneuropathie (5%).

Weiteres Ergebnis: 62% der Leistungsausgaben entfielen 2019 auf unverarbeitete Cannabisblüten und Blüten in Zubereitungen. "Archaisch anmutende Therapien in Zeiten der Verfügbarkeit von standardisiert hergestellten und im Markt verfügbaren zugelassenen Cannabis-Produkten und vor allem von gut geprüften, wirksamen und vielfach erprobten Schmerzmitteln", urteilte Glaeske. In diesen Bereich fielen auch die Hochkostenfälle mit Ausgaben von mehr als 15.000 Euro im Analysezeitraum von 34 Monaten. Auffällig sei, dass vor allem 20- bis 29-jährige Männer zu den Antragstellern gehörten. Die Tagesdosen würden mitunter ein Vielfaches über denen des staatlichen Cannabisprogrammes der Niederlande liegen. Dies lasse die Frage aufkommen, ob die Dosierungen mit einer verantwortungsvollen Versorgung in Einklang zu bringen seien oder ob getrocknete Cannabisblüten auch als Rauschmittel "auf Rezept" missbraucht oder sogar weiterverkauft werden, so der Experte.

Vor diesem Hintergrund sieht Glaeske die Forderung nach gesetzlichen Rahmenbedingungen, Darreichungsformen und Dosierungen sowie nach einer Nutzenbewertung der gesamten Cannabis-Anwendungspalette als berechtigt. "Cannabis ist schließlich kein Wundermittel", so Glaeske. Er forderte, dass Evidenz, Therapiesicherheit und Patientennutzen bei der Entscheidung über die Anwendung von Cannabisprodukten im Vordergrund stehen sollten.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 4, April 2021, 74. Jahrgang, Seite 25
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-0, Fax: 04551/803-101
E-Mail: info@aeksh.de
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2021

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