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THERAPIE/362: Modellprojekt - Digitale Therapie zur Behandlung von Angststörungen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2/2020

Telemedizin - Therapie mithilfe von VR-Brille und App:
Das Programm für Patienten mit Angststörungen

von Dirk Schnack


Eine Therapie per VR-Brille und App für Patienten mit Agoraphobie, sozialer Phobie oder Panikstörungen: Diese Möglichkeit der Fernbehandlung stellte die Techniker Krankenkasse (TK) vergangenen Monat vor. Beteiligt ist das Zentrum für Integrative Psychiatrie (ZIP) des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), das jeden der 200 Teilnehmer im Rahmen einer dreistündigen psychotherapeutischen Diagnostik in Kiel oder Lübeck untersucht und anschließend entscheidet, ob Patienten mit der vorliegenden Phobie geeignet sind, im Rahmen des Modellprojektes behandelt zu werden. Laut TK stützt sich die Therapie mit dem Namen Invirto auf Leitlinien und erstreckt sich über einen Zeitraum von vier Wochen.

Die Teilnehmer erhalten für die Therapie eine Virtual Reality (VR)-Brille und einen App-Zugang nach Hause geschickt. Anders als bei einer klassischen Psychotherapie entscheiden die Patienten selbst, wann sie wo und in welcher Häufigkeit die einzelnen Schulungsmodule und Übungen absolvieren. Bei der Therapie werden die Patienten mit Angst auslösenden Situationen konfrontiert. Insgesamt stehen acht Stunden Schulungsmaterial und fast vier Stunden VR-Bildmaterial für sieben unterschiedliche Angstszenarien zur Verfügung. Darin sind die sieben Situationen enthalten, die bei Betroffenen am häufigsten Ängste auslösen, u. a. sind dies große Menschenansammlungen, das Fahren mit einem Aufzug oder mit der U-Bahn. Während der Therapie werden die Patienten von einem Psychotherapeuten des UKSH telefonisch oder per Video begleitet.

Im Behandlungsverlauf erhebt die App über einen Fragenkatalog regelmäßig die psychische Situation der Teilnehmer. Verschlechtert sich deren Zustand, können die Teilnehmer per Notfallnummer Hilfe anfordern.

Psychiater Dr. Bartosz Zurowski vom UKSH verwies zur Projektvorstellung auf den Leidensdruck der Patienten. "Anfangs sind es oft sehr diffuse und unspezifische Symptome, wie Schweißausbrüche, Herzklopfen oder Übelkeit. Deshalb erkennen die Patienten zu Beginn häufig nicht, dass ihre Ängste diese Symptome hervorrufen", sagte der Oberarzt und Leiter des Bereichs Angst- und Zwangsstörungen am UKSH-Campus in Lübeck. Im weiteren Verlauf würden die Symptome häufig komplexer. Manchmal trauten sich die Betroffenen im weiteren Verlauf nicht mehr, ihre Wohnung zu verlassen. Eine Berufstätigkeit, Einkäufe oder eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben seien für diese Menschen häufig nicht mehr möglich. Zurowski: "Deshalb ist es wichtig, dass Angstpatienten möglichst frühzeitig und niederschwellig ihre Störung mit einem wirksamen Gesamtkonzept bearbeiten können."

Die einzelnen Bausteine der Therapie sind nach seinen Angaben "wissenschaftlich sehr gut erprobt" und hätten sich in zahlreichen Studien bewährt. "Es wird höchste Zeit, dass wir diese neuen digitalen Techniken endlich in der ambulanten Versorgung einsetzen. Ich bin mir sicher, dass wir damit die Behandlung entscheidend verbessern und das bisherige Angebot der ambulanten Psychotherapie ergänzen", sagte Zurowski.

Entwickelt wurde die Therapie von der Hamburger Firma Sympatient, die vor zwei Jahren aus einer wissenschaftlichen Studie am UKSH heraus entwickelt und im vergangenen Jahr mit dem Hamburger Gründerpreis ausgezeichnet wurde.

TK-Bundesvorstand Dr. Jens Baas hält diese Art der Fernbehandlung insbesondere für Patienten aus Regionen mit wenigen spezialisierten Therapeuten und langen Anfahrtswegen für eine "sehr attraktive Therapieoption". Nach eigenen Angaben ist die TK die erste Krankenkasse in Deutschland, die eine digitale Therapie zur Behandlung von Angststörungen in den eigenen vier Wänden anbietet. Behandlungserfolg, Aufwand und Akzeptanz werden bei dem Projekt systematisch erhoben. An der neuen Versorgungsform können TK-Versicherte aus dem gesamten Bundesgebiet teilnehmen. Nach Angaben der Kasse ist das Angebot für jeden Betroffenen unabhängig von seinem Alter geeignet. Die Schulung im Umgang mit der Technik erfolgt per Video. Perspektivisch kann sich die TK vorstellen, neben dem ZIP weitere Untersuchungsorte für Versicherte aus entfernteren Regionen in das Projekt zu integrieren.

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10 Mio. Menschen in Deutschland leiden im Verlauf eines Jahres an einer Angststörung. Damit ist sie eine der am stärksten verbreiteten psychischen Erkrankung. Die TK bietet nun eine digitale Therapie zur Behandlung von Angststörungen an. Dafür werden seit Ende Januar 200 Teilnehmer für ein Modellprojekt rekrutiert.
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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2020 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2020/202002/h20024a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
73. Jahrgang, Februar 2020, Seite 15
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2020

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