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ARTIKEL/528: Gender-Medizin - Der GROSSE Unterschied (Securvital)


Securvital 4/2016 - Oktober-Dezember
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Gender-Medizin
Der grosse Unterschied

Von Norbert Schnorbach


Frauen leben gesünder und werden älter als Männer. Bei bestimmten Krankheiten und Medikamenten sind sie aber benachteiligt. Der "kleine Unterschied" wird in der Medizin noch längst nicht ausreichend beachtet.

Eigentlich sollten Frauen und Männer gleich gut medizinisch versorgt werden. Tatsächlich aber gibt es erhebliche Unterschiede. Das gilt nicht nur für die Versorgung mit Medikamenten, sondern auch für die Diagnose bei Krankheiten und sogar für die Behandlung in lebensgefährlichen Situationen.

Beispiel Herzinfarkt: Er gilt als typisches Männerproblem, als Managerkrankheit, die mit Schmerzen in der Brust und der linken Schulter auftritt. Bei Frauen sehen die drohenden Anzeichen für Herzprobleme nicht selten ganz anders aus. Sie können etwa mit unspezifischen Bauchschmerzen, Erschöpfung und Übelkeit beginnen. Die Betroffenen selbst nehmen die Symptome oft nicht ernst genug, auch Ärztinnen und Ärzte unterschätzen die Gefahr bei Frauen. Der Unterschied hat zur Folge, dass Herzprobleme bei Frauen später als bei Männern erkannt werden und die medizinische Hilfe öfter zu spät kommt.

"Männersache"

Dabei sind Herzprobleme keineswegs "Männersache". Zwar erleiden Männer im statistischen Durchschnitt früher einen Herzinfarkt, aber Frauen sterben häufiger an den Folgen. Insgesamt sind Herz-Kreislauferkrankungen bei Frauen in Deutschland eine häufigere Todesursache als bei Männern, wenn man außer den Infarkten auch Herzklappenerkrankungen, Herzschwäche und Rhythmusstörungen berücksichtigt. Viele Frauen nehmen das Risiko nicht ernst genug, sagt Professor Vera Regitz-Zagrosek. Sie ist Spezialistin für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die erste und bisher einzige Professorin für frauenspezifische Gesundheitsforschung auf diesem Gebiet. Nachteile für Frauen gibt es auch bei Medikamenten. Viele Arzneimittel wirken im weiblichen Körper anders als im männlichen. Die Forschung hat sich in der Vergangenheit an Männern orientiert und die Ergebnisse wurden oft einfach auf Frauen übertragen, kritisieren Gesundheitsexperten. Die Arzneimittelforschung hat einen Nachholbedarf. Ob die Dosierung bei Frauen niedriger eingesetzt werden muss, ob Nebenwirkungen unterschiedlich auftreten, ob Hormone oder Unterschiede im Stoffwechsel die Wirkung verändern - das alles ist viel zu wenig beachtet und erforscht worden.

Mehr und mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass Frauen Arzneimittel anders aufnehmen als Männer und ihr Organismus sie auch anders abbaut. Frauen bekommen im Durchschnitt mehr Medikamente verschrieben als Männer. Aber weibliche Patienten benötigen offenbar bei diversen Schmerz-, Herz- oder Beruhigungsmittel eine kleinere Dosis als Männer. Bei einem häufig verordneten Schlafmittel hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA vor einiger Zeit die empfohlene Dosis für Frauen halbiert. Nach Ansicht von Prof. Regitz-Zagrosek dauert es viel zu lange, "bis ein solches Wissen in Dosierungsempfehlungen oder Leitlinien umgesetzt wird."

Von Frauen lernen

Auch für Männer gibt es geschlechtsspezifische Gesundheitsrisiken. Zum Beispiel trifft der plötzliche Herztod mit Durchblutungsstörungen des Herzmuskels bei jungen Sportlern fast ausschließlich Männer, ohne dass die Gründe dafür genau bekannt sind. Auch Osteoporose ist ein Problem für Männer: Sie wird als typische Frauenerkrankung angesehen und bei Männern eher vernachlässigt. Die Lebenserwartung ist ein Hinweis auf die geschlechtsspezifischen Aspekte der Gesundheit. Statistisch gesehen wird heute ein neugeborenes Mädchen etwa 83 Jahre alt, ein Junge nur knapp 78. Frauen leben im Durchschnitt fünf Jahre länger als Männer.

Die Unterschiede liegen zum Teil in den Genen, aber auch im Bereich der eigenen Verantwortung. So ernähren sich Frauen oft gesünder als Männer und rauchen weniger. Sie legen grundsätzlich mehr Wert auf ihre Gesundheit und gehen häufiger zu den empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen. Männer dagegen sind für Krankheitssignale bei Stress und Depressionen weniger empfänglich. Und sie sind, jedenfalls im statistischen Durchschnitt, größere Vorsorgemuffel. Nur ein Bruchteil der Männer nutzt die Krebsvorsorge. Sie gehen seltener zum Arzt und beißen auch bei stärkeren Beschwerden lieber erst mal die Zähne zusammen, bevor sie um Rat fragen. Beim Thema Lebensstil, gesunde Ernährung und Gesundheitsförderung durch Bewegung und Entspannung könnten die Männer ganz offensichtlich einiges von den Frauen lernen.

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Quelle:
Securvital 4/2016 - Oktober-Dezember, Seite 14 - 15
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2016

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