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ARTIKEL/519: Eizellspende - Maries Reise ins Unbekannte (welt der frau)


welt der frau 7+8/13 - Die österreichische Frauenzeitschrift seit 1946

Maries Reise ins Unbekannte

Von Regine Bogensberger


Die Eizellspende ist in Österreich und Deutschland gesetzlich verboten. Dennoch leben hier viele Familien, deren Kinder mithilfe einer fremden Eizelle entstanden sind. Sie hüten ein großes Geheimnis. Wie geht es diesen Familien und den Kindern? Fünf betroffene Frauen berichten von ihrem Leben.


In diesem Jahr noch wollen Helene B.(*) und ihre vierjährige Tochter Marie eine Reise antreten. Diese wird sie von ihrem Wohnort im deutschen Ostthüringen in eine Kinderwunschklinik nach Tschechien führen. Die 45-jährige Frau wird ihre Tochter dem Klinikpersonal vorstellen, sie wird Marie das Labor zeigen, in dem ihr Leben seinen Anfang genommen hat. Schließlich wird sie ihr auch von einer jungen Frau erzählen, die vielleicht nicht weit von hier wohnt, die damals auch hierhergekommen ist, sich operieren lassen hat und ihre Eizellen Maries Mama überlassen hat. Und Marie wird erfahren, was sie zu diesem Zeitpunkt wohl kaum schon verstehen kann, nämlich dass sie von dieser Fremden einiges mitbekommen hat, denn diese ist ihre "genetische Mutter".

Irgendwann wird Marie auch erfahren, dass sich ihre Eltern sie so sehr gewünscht haben, dass sie sich auch von Gesetzen nicht aufhalten lassen haben. Denn in Deutschland und Österreich ist die Eizellspende verboten, im Unterschied zu vielen anderen Ländern wie etwa Tschechien, Spanien oder Großbritannien. Bei diesem reproduktionsmedizinischen Verfahren wird eine Spenderin zunächst mit Hormonen stimuliert, damit sie mehr Eizellen produziert, diese werden dann mittels Operation entnommen und mit dem Sperma des künftigen Vaters befruchtet. Die befruchteten Eizellen werden in die Gebärmutter der Empfängerin transferiert. Was sich medizinisch so trocken beschreiben lässt, ist in Deutschland und Österreich heiß umstritten. Hier diskutiert man, ob die Eizellspende erlaubt werden soll, da ja auch die Samenspende zugelassen ist. Eine zentrale Frage bezieht sich auf die psychischen und sozialen Konsequenzen für betroffene Familien, die laut SkeptikerInnen noch nicht abzusehen sind: Was bedeutet es für eine Frau, wenn sie ein Kind in sich trägt und gebiert, das genetisch nicht mit ihr verwandt ist, das vielleicht Eigenschaften aufweist, die ihr nicht gefallen? Was bedeutet es für einen Mann, wenn sich sein Sperma mit der Eizelle einer fremden Frau vereint? Und was bedeutet es für ein Kind, genetische Merkmale einer Frau in sich zu tragen, von der es in vielen Fällen nie etwas erfahren wird?


Das Gefühl, etwas Fremdes in sich zu tragen

Es ist diese Frage, die Helene B. heute unsicher macht, ob sie noch einmal denselben Weg gehen würde. Denn sie räumt ein, dass sie unter dem Einfluss der Diagnose, keine eigenen Eizellen mehr zu produzieren, unüberlegt den Entschluss zur Eizellspende gefasst habe. Letztlich tat sie es ihrem Mann zuliebe, der sich so sehr ein Kind wünschte, während sie - die bereits einen Sohn aus erster Ehe hatte - damals, mit Anfang 40 und nach vielen erfolglosen Versuchen, mit dem Kinderwunsch abgeschlossen hatte. Helene B. gesteht, dass sie gar nicht daran geglaubt habe, es könne klappen, da ihr auch der Arzt aufgrund einer Endometriose wenig Hoffnung auf eine Schwangerschaft machen konnte. Als sie dann doch einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielt, fühlte sie sich im ersten Moment wie "ungewollt schwanger" Lange verdrängte sie die Schwangerschaft und glaubte, das Ungeborene würde nicht leben. Sie hatte auch das Gefühl, etwas Fremdes in sich zu tragen. Doch nach der Geburt stellte sich ein "noch nie empfundenes Glücksgefühl" und "tiefe Dankbarkeit" der Spenderin gegenüber ein. Mit der Zeit seien die Entstehungsgeschichte und die Gedanken an die Spenderin in den Hintergrund gerückt, sagt Helene B. Sie fühle sich "wie jede andere Mutter auch. Es ist meine Tochter, ich liebe sie unendlich."

Warum dann die Zweifel? Helene B. meint, sie und ihr Mann hätten sich zu wenig damit auseinandergesetzt, was es für ihre Tochter einmal bedeuten würde, fremde genetische Wurzeln zu haben.


Aufklärung ist nötig

Genau deshalb plädiert Karin Tordy, Psychologin an der Abteilung für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin am AKH Wien, für eine verpflichtete Beratung vor dem Entschluss zur Eizellspende. Vor Adoptionen hätte sich das auch bewährt. Tordy ist zwar für eine Legalisierung dieser Behandlung, aber nur unter strikten Regeln. "So unreflektiert, wie sie jetzt angewendet wird, ist es eine Katastrophe", betont die Psychologin. Sie hat in letzter Zeit mit mehreren Frauen zu tun gehabt, die nach einer Eizellspende im Ausland aufgrund von Komplikationen in der Schwangerschaft im AKH behandelt werden mussten. Diese Frauen hatten nicht nur medizinische, sondern auch psychische Probleme mit der Eizellspende. Tordy schildert dramatische Beispiele: So gibt es etwa Frauen, die das "Fremde" in sich nicht mehr aushielten, oder solche, die trotz höheren Alters und eigener Erkrankung mittels Eizellspende nochmals Mutter wurden. "Auf die Bedürfnisse des Kindes wird oft nicht geachtet", beklagt sie.

In krassem Gegensatz dazu stehen die Aussagen von ReproduktionsmedizinerInnen wie Peter Husslein, Vorstand der Universitätsklinik für Frauenheilkunde an der Medizinischen Universität Wien. Er berichtet von seinen Patientinnen in der Privatordination, zu denen er langjährigen Kontakt hält: "Alle meine Paare, die eine Eizellspende durchführen ließen, sind überglücklich und verdrängen diese in kürzester Zeit." Wesentlich sei eine umfassende Aufklärung vor dem Eingriff, sagt auch er. Nach seiner Erfahrung würde dann nur die Hälfte der Paare tatsächlich den Weg der Eizellspende gehen. Diese Beratung müsse bei jenen Fällen, mit denen Tordy zu tun hatte, zu kurz gekommen sein, meint er.

Auch Zdeněk Malý, Leiter der Klinik für Reproduktionsmedizin "Unica" im tschechischen Brünn, gibt an, bisher kein Paar zu kennen, das psychische Probleme nach einer Eizellspende gehabt habe. Er räumt aber ein, nur in manchen Fällen nach Eintritt einer Schwangerschaft den weiteren Verlauf zu erfahren. In seiner Klinik werden pro Jahr 300 bis 350 Eizellspenden durchgeführt. "Die Eizellspende ist eine sehr ernsthafte Sache, daher bemühen wir uns in einem zweistündigen Aufklärungsgespräch, alle Aspekte zu diskutieren", versichert Maly. In einer Info-Borschüre der Klinik werden mögliche Risiken des Eingriffs aber nicht angesprochen.


Sag ich's dem Kind?

"Wir waren gut informiert", sagen auch jene Frauen, die hier ihre Erfahrungen mitteilen - mit Ausnahme von Helene B. Alle fünf Frauen geben an, eine glückliche Familie zu sein und kein Problem damit zu haben, dass ihr Kind genetisch nicht mit ihnen verwandt ist. Es sei eben i h r Kind. Gegenüber der Spenderin fühlen sie nur Dankbarkeit. Eine Frau meint daher, dass alle Eigenschaften, die ihr Kind von dieser Frau geerbt habe, nur willkommen seien.

Erste Studien bestätigen diese durchwegs positiven Erfahrungen einzelner Frauen. Nach den Forschungen der britischen Psychologin Susan Golombok, Direktorin des Zentrums für Familienforschung an der Universität Cambridge, entwickeln sich Familien nach einer Eizellspende genauso gut wie Familien, deren Kinder natürlich gezeugt wurden. Golombok untersucht langfristig die Beziehungen innerhalb dieser Familien und die Entwicklung der Kinder. Ihre Studien haben auch gezeigt, dass die Mehrheit der Eltern dem Kind nicht die Wahrheit über seine Entstehung sagt, obwohl Familien von dieser Offenheit profitieren könnten. Wissenschaftliche Untersuchungen über adoptierte Kinder haben längst bewiesen, dass sich Geheimnisse und eine späte Offenlegung negativ auf die Kinder auswirken können. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Identität ist zudem in der UN- Kinderrechtskonvention verankert. Aus diesem Grund änderte etwa Großbritannien 2005 das Gesetz und stellte die völlig anonyme Eizellspende (wie in Tschechien) unter Verbot; Kinder haben das Recht, als Erwachsene Namen und Adresse der Spenderin zu erfahren, in Österreich ist die Samenspende ähnlich geregelt.

Hermine E. und ihr Mann wollen es ihrem Sohn dennoch niemals erzählen, dass er mithilfe einer fremden Eizelle entstanden ist. Sie sind das einzige der fünf Paare, das die Herkunft vor dem Kind geheim halten will, ein weiteres Paar ist noch unschlüssig. Hermine E. erklärt, dass immerhin sie es sei, die die Schwangerschaft erlebt habe, ihr Sohn sei daher i h r Kind. Für sie sei dies die letzte Chance gewesen, ein Kind zu bekommen, denn für eine Adoption sei sie schon zu alt gewesen. Die 45-jährige Wienerin wurde nach fünf erfolglosen IVF-Versuchen (künstliche Befruchtung) durch eine Eizellspende in Tschechien endlich schwanger. Doch die Schwangerschaft verlief mit Komplikationen: Hermine E. entwickelte eine Präeklampsie (Bluthochdruck), ihr Sohn wurde zwölf Wochen zu früh geboren und musste 16 Wochen im Krankenhaus behandelt werden. Heute ist sie dankbar, dass sich ihr mittlerweile einjähriger Sohn gut entwickelt. An die Entstehungsgeschichte, so sagt sie, würde sie nicht mehr denken.

Marie habe ein Recht, die Wahrheit zu erfahren, meint allerdings Helene B. Und nur Marie wird einmal beantworten können, was auch WissenschaftlerInnen bisher im Zusammenhang mit der Eizellspende noch nicht untersucht haben: Ob die Frau aus Tschechien je eine Bedeutung in ihrem Leben einnehmen wird. Maries Reise hin zu dieser Antwort hat nun begonnen.

(*) Alle Namen von der Redaktion geändert.


Eine schwierige Diskussion: Soll die Eizellspende in Österreich erlaubt werden?

BefürworterInnen argumentieren, sie sei ein Erfolg versprechendes Verfahren für Frauen, die mit eigenen Eizellen nicht mehr schwanger werden können (oftmals aus Altersgründen). Risiken könnten durch geeignete Regelungen, etwa durch eine Altersgrenze für Empfängerinnen, minimiert werden.

GegnerInnen wenden ein, dass noch zu viele Fragezeigen bestünden: Medizinische Folgen seien ebenso wenig umfassend und langfristig erforscht wie psychosoziale Auswirkungen für betroffene Familien. Zudem bestehe die Gefahr, dass Spenderinnen, die sich einer Hormonbehandlung und Operation unterziehen müssen, vom boomenden "Kinderwunschmarkt" ausgebeutet werden.

Während die katholische Kirche klar dagegen ist, gibt die Katholische Frauenbewegung Österreich an, noch zu keiner Position gefunden zu haben.

Das Verbot der Eizellspende wird längst umgangen. Immer mehr Paare reisen für diese Behandlung ins Ausland. Heimische ReproduktionsmedizinerInnen haben ausländische PartnerInnen. Genaue Zahlen hierzu sind nicht bekannt. Leonhard Loimer, der in Wien und Wels Kinderwunschkliniken betreibt, schätzt, dass hierzulande ca. 600 Kinder pro Jahr nach einer Eizellspende geboren werden. KollegInnen geben niedrigere Schätzungen an. Dennoch: Die Eizellspende ist keine Ausnahme mehr.

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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift. Seit 1946.
Juli/August 2013, Seite 34-37
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2013

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