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STUDIE/469: Stigmatisierung psychisch Erkrankter nimmt zu (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2014

Greifswald-Leipziger Studie
Stigmatisierung von psychisch Erkrankten nimmt zu

Von Anne Mey



Menschen mit Schizophrenie werden verstärkt abgelehnt, Aufklärungsarbeit verfehlt Intention, Psychotherapie erhält mehr Zuspruch.


Das Verhältnis zu Menschen mit der Diagnose Schizophrenie hat sich im Vergleich zu 1990 stark verschlechtert. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie mit 3.600 Teilnehmern, die von der Fritz-Thyssen-Stiftung gefördert und an der Universitätsmedizin Greifswald durchgeführt wurde. Die Einstellung zu den Krankheitsbildern Depression und Alkoholismus ist dagegen weitgehend stabil geblieben.

Den Studienteilnehmern wurden nach Angaben der Universitätsmedizin Greifswald drei exemplarische Krankheitsgeschichten ohne Nennung der Diagnose vorgestellt. Die Befragten äußerten anschließend in je 30-minütigen Interviews ihre Meinung zu den möglichen Ursachen, gaben Behandlungsempfehlungen und schilderten ihre persönliche Einstellung zu Menschen mit der dargelegten psychischen Erkrankung. Dabei zeigte sich, dass die Aufklärungsarbeit in Sachen Schizophrenie, die den biologischen Charakter der Krankheit betont, Wirkung gezeigt hat: 2011 stimmten 62 Prozent der Studienteilnehmer der These zu, dass es sich bei Schizophrenie um eine Gehirnkrankheit handle, 1990 waren nur 43 Prozent davon überzeugt. Parallel wuchs allerdings auch die Furcht vor Betroffenen und das Bedürfnis nach sozialer Distanz, während Mitleid und Hilfsbereitschaft abnahmen. Ihre eigentliche Intention verfehlten die Anti-Stigma-Kampagnen somit. Studienleiter Dr. Georg Schomerus: "Aufklärung und Wissen ändern offenbar nichts am Problem der Stigmatisierung. Bei der Schizophrenie gibt es sogar Hinweise, dass eine einseitige Betonung biologischer Prozesse bei der Darstellung dieser Krankheit in den Medien oder durch Wissenschaftler den Betroffenen schadet."

So lehnten es 31 Prozent der Studienteilnehmer ab, mit einem an Schizophrenie Erkrankten zusammenzuarbeiten, und 53 Prozent würden davon absehen, jemanden mit Schizophrenie einem Freund vorzustellen. Professionelle therapeutische Hilfe in Form von Pharmakotherapie und Psychotherapie stieß bei den Studienteilnehmern auf stärkeres positives Echo als in den Jahren zuvor. So würden 82 Prozent (+16 Prozent seit 1990) der Befragten eine Psychotherapie und 53 Prozent (+23 Prozent) psychiatrische Medikamente zur Behandlung von Schizophrenie empfehlen. Auch bei Depression und Alkoholismus lässt sich laut der Studie ein ähnlicher Trend bei der Behandlungsempfehlung beobachten. Beide Diagnosen haben außerdem gemein, dass ihnen vor allem psychosoziale Stressfaktoren als Ursache von den Befragten zugeschrieben werden.

Als häufigster Faktor wurde Stress am Arbeitsplatz als Auslöser einer Depression (80 Prozent) oder einer Alkoholabhängigkeit (76 Prozent) genannt. Für das Krankheitsbild Depression zeichnet sich damit eine Trendwende ab, denn bis zum Jahr 2001 ließen die Daten einen Anstieg einer biologischen Krankheitsvorstellung erkennen, während nun psychosoziale Faktoren dominieren. Zudem brachten über 10 Prozent der Befragten das Krankheitsbild mit dem Begriff "Burnout" in Verbindung, 1990 war dieser Terminus praktisch unbekannt. Während Mitleid und Hilfsbereitschaft leicht anstiegen, wurde gleichzeitig auch mehr Ärger über die Betroffenen geäußert.

Alkoholabhängige Menschen werden laut der Studie unverändert am stärksten von allen drei psychischen Erkrankungen abgelehnt. Weder als Nachbar (31 Prozent) oder Arbeitskollegen (34 Prozent), noch als Mitglied des Freundeskreises (60 Prozent) oder als Untermieter (61 Prozent) wird ein Betroffener mit dieser Diagnose gewünscht.

Als Vergleichsdaten lagen Studienergebnisse aus den Jahren 1990, 1993 und 2001 des Leipziger Wissenschaftlers Prof. Matthias C. Angermeyer vor, der auch die aktuelle Studie begleitete.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2014 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2014/201404/h14044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt April 2014
67. Jahrgang, Seite 59
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2014