Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → SOZIALES


ARTIKEL/508: Krank ohne Papiere - Medibüro Kiel sucht Arztpraxen für ehrenamtliche Hilfe (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2012

Medibüro Kiel

Krank ohne Papiere: Arztpraxen für ehrenamtliche Hilfe gesucht


Der Bedarf an Unterstützung für Menschen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung in Kiel wächst. Das Medibüro vermittelt Hilfe von Ärzten und Apotheken.


Das Medibüro Kiel ist eine ehrenamtlich betreute Einrichtung, die Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere in Deutschland zu ihrem gesetzlich garantierten Recht auf Gesundheitsversorgung verhilft. Die etwa 20 aktiv Mitarbeitenden - davon die Hälfte mit einer medizinischen Ausbildung - vermitteln Hilfesuchende ohne Krankenversicherung in medizinische Behandlung. Dabei arbeitet das Medibüro mit Apotheken, Hebammen, Arztpraxen und einem Labor zusammen, die anonym und kostenlos untersuchen und behandeln.

Seit Gründung im Oktober 2010 und einem ersten Bericht im Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt 7/2011 hat sich einiges getan. Kamen zu Beginn nur wenige Patienten, sind es inzwischen durchschnittlich drei bis fünf, die die wöchentliche Sprechstunde aufsuchen. Bis Mitte Februar konnte das Team mehr als 125 Vermittlungen vorweisen. Alter, Geschlecht und Herkunft der Hilfesuchenden sind bunt gemischt. Die Arbeit des Medibüros demonstriert folgendes Beispiel: Ein älterer Mann kommt mit Herz- und Nierenbeschwerden in die Sprechstunde. Da er ohne Aufenthaltsstatus in Schleswig-Holstein lebt, ist er nicht krankenversichert. Er zeigt den Vermittlern in der Sprechstunde die Medikamente, die er genommen hat, u. a. Blutdrucksenker, die er von Freunden bekommen hat. Damit sie länger halten, hatte er sie immer nur bei Beschwerden genommen. Nach der Vermittlung des Medibüros an kooperierende Fachärzte stellte sich heraus, dass er unter Bluthochdruck und Diabetes leidet. Der nicht behandelte Diabetes hatte bereits Nierenschäden hervorgerufen. Nach Vermittlung durch das Medibüro Kiel erhält er jetzt regelmäßig Behandlungen und Medikamente.

In den letzten Monaten zeigt sich eine Zunahme der Patientenzahlen aus den neuen EU-Ländern. Obwohl sich diese Menschen nicht illegal in Deutschland aufhalten, ist auch für sie der Zugang zum Gesundheitssystem erschwert. Meist haben sie nur eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten, können nur mit geringfügiger Selbstständigkeit überleben. Selbst der niedrigste Krankenkassenbeitrag für Selbstständige ist für die meisten nicht bezahlbar. Neben dieser Herausforderung sind es außerdem psychisch belastete Menschen, die das Medibüro vor ein Problem stellen, da bisher kaum Kontakte zu psychologischen Praxen bestehen.

Um das dringend notwendige Angebot des Medibüros - nach Schätzungen betrifft es zwischen 1.000 und 10.000 Menschen in Schleswig-Holstein - aufrechtzuerhalten, ist es auf Hilfe angewiesen. Dringend gesucht werden Arztpraxen - vor allem Allgemein- und Gynäkologiepraxen und Psychologen - für die Sprechstunden, Mitwirkende mit und ohne beraterische Erfahrung und Mediziner vom Studierenden bis zum Ruheständler.

Trotz aller Unterstützung durch Ärzte und andere Gesundheitsberufe: Das Modell "Medibüro" muss bei steigender Patientenzahl seine Grenzen erreichen. "Ehrenamtliche Tätigkeit kann kein Ersatz sein für die Aufgabe des Staates, Menschenrechte wie das Recht auf Gesundheit zu garantieren", sagte Ruth Volk vom Medibüro Kiel. "Deshalb fordern wir die Einführung eines anonymen Krankenscheins, der allen in Deutschland lebenden Menschen ohne Angst vor Abschiebung die notwendige medizinische Behandlung ermöglicht." Um aktiv zur Erfüllung dieser Forderung beizutragen, hat das Medibüro einen Antrag erarbeitet, der in den schleswig-holsteinischen Landtag eingebracht werden soll. Es bleibt zu hoffen, dass von dort in Zukunft Konstruktives zu hören sein wird, denn einzelne Abgeordnete haben sich bereits positiv geäußert.

Mehrsprachige Informationen über die Arbeit des Medibüros und aktuelle Entwicklungen sind auf der Homepage www.medibuero-kiel.de verfügbar.

Christiane Buhl, Medibüro Kiel
info@medibuero-kiel.de

*

Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2012 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2012/201203/h12034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt März 2012
65. Jahrgang, Seite 36
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
V.i.S.d.P.: Dr. Franz Bartmann
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.org
Internet: www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2012

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang