Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → SOZIALES

GEWALT/229: Cybermobbing und seine Folgen für Kinder und Jugendliche (Soziale Psychiatrie)


Soziale Psychiatrie Nr. 135 - Heft 1, Januar 2012
Rundbrief der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.

Cybermobbing und seine Folgen für Kinder und Jugendliche

Von Torsten Porsch und Stephanie Pieschl


Mehr als jeder dritte Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren war in Nordrhein-Westfalen bereits einmal Opfer einer Cybermobbing-Attacke. So das Ergebnis einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK), die im Juni 2011 veröffentlicht wurde. Durchgeführt wurde die Befragung von Stephanie Pieschl und Torsten Porsch. Sie haben die wichtigsten Erkenntnisse für die »Soziale Psychiatrie« zusammengefasst.


Kinder und Jugendliche können untereinander gemein sein. Manchmal wird aus solchen Gemeinheiten Mobbing:

»'Klapsenkind ... Du bist zu dumm, dich umzubringen'« ... Monatelang mobbten vier Mitschülerinnen Sarah [auch im Internet], bis diese sich im Chat wehrte: 'Keine Angst. Jeder bekommt, was er verdient. Der Tag wird kommen ... Ich schlage euch kaputt.' Eine Mitschülerin informiert die Schulleitung, die befürchtet einen Amoklauf, Sarah wird nachts von der Polizei aus dem Bett geholt und in die Jugendpsychiatrie gebracht (Sarah, 15, Sauerland)«.(1)

Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit Cybermobbing bei Kindern und Jugendlichen, obwohl Cybermobbing durchaus auch im Erwachsenenalter vorkommen kann. Es werden ausschließlich die Folgen für die Opfer beschrieben, auch wenn Cybermobbing ebenfalls Folgen für die Täter sowie für eine gesamte Klasse oder Gruppe von Jugendlichen haben kann.


Cybermobbing ist Mobbing im Internet

Seit dem Einzug moderner Informations- und Kommunikationstechnologien, insbesondere der weit verbreiteten Nutzung von Handy und Internet, findet Mobbing auch in der digitalen Welt statt. Dieses sogenannte Cybermobbing ist ein gesellschaftlich neues Phänomen, das erstmalig Mitte der 2000er Jahre in den USA und Großbritannien beschrieben wurde (Ybarra/Mitchell 2004). Die meisten Definitionen von Cybermobbing lehnen sich eng an Definitionen von konventionellem Mobbing in der Schule an: Danach bezeichnet Cybermobbing die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien, um absichtlich und wiederholt schwächere Individuen oder Gruppen von Individuen zu diffamieren oder zu schikanieren (z.B. Scheithauer/Hayer/Bull 2007). Einige Bestandteile dieser Definition sind unstrittig, wie der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien. Dennoch sind Aspekte der Absicht und der Wiederholung bei Cybermobbing häufig nur schwer einzugrenzen, beispielsweise wenn Jugendliche aus Spaß ein peinliches Video im Internet einstellen, sich die Verbreitung desselben verselbstständigt und dieser Vorfall weitreichende Folgen hat. Daher würden mit solch einer »engen« Definition nicht alle Formen von Cybermobbing erfasst. Der wissenschaftliche Diskurs zur begrifflichen Eingrenzung ist noch nicht abgeschlossen. Trotzdem bietet sich für die praktische Arbeit, vor allem im Bereich der Prävention und Intervention, folgende opferzentrierte Definition an (Pieschl/Porsch, im Druck): »Cybermobbing sind alle Formen von Schikane, Verunglimpfung, Betrug, Verrat und Ausgrenzung mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien, bei denen sich das Opfer hilflos oder ausgeliefert und (emotional) belastet fühlt oder bei denen es sich voraussichtlich so fühlen würde, falls es von diesen Vorfällen wüsste.«

In diesem Kontext sind unter Schikane alle Formen von direkter Beleidigung oder Bedrohung zu verstehen, beispielsweise per SMS oder E-Mail. Unter Verunglimpfung versteht man die Verbreitung von Gerüchten, die dem Ansehen eines Cyberopfers schaden können, beispielsweise über soziale Netzwerke. Unter Betrug wird hier bezeichnet, dass sich ein Cybertäter als sein Cyberopfer ausgibt und sich so verhält, dass es dem Cyberopfer schadet, beispielsweise im Chat. Verrat heißt, dass ein Cybertäter Geheimnisse des Cyberopfers gegen dessen Willen verbreitet, darunter fällt auch die Verbreitung von (peinlichen) Fotos und Videos. Unter Ausgrenzung versteht man den systematischen Ausschluss des Cyberopfers aus Onlinegruppen oder -aktivitäten, beispielsweise aus Onlinespielen. Cybermobbing kann also vielfältige Formen annehmen, die auch zusammen auftreten können. Aus Sicht des Opfers sind solche Vorfälle dann als Cybermobbing zu verstehen, wenn sie das Opfer belasten.


Cybermobbing ist eine eigenständige Form von Mobbing

Auch wenn es viele Gemeinsamkeiten von konventionellem Mobbing und Cybermobbing gibt und häufig die gleichen Personen involviert sind, ist Cybermobbing eine eigenständige Form von Mobbing. Die Unterschiede ergeben sich größtenteils aus der Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien bei Cybermobbing. Kurz gesagt ist Cybermobbing allgegenwärtig, hat eine große Reichweite, ist für die Opfer wie auch die Täter kaum kontrollierbar, kann anonym passieren und wird von Erwachsenen kaum wahrgenommen (Dooley/Pyzalski/Cross 2009; Fawzi 2009; Pieschl/Porsch, im Druck). Während konventionelles Mobbing überwiegend in der Schule oder auf dem Schulweg stattfindet, kann Cybermobbing überall dort sein, wo Kinder und Jugendliche Handys nutzen oder auf das Internet zugreifen. Fast alle Jugendlichen nutzen heutzutage Handy und Internet täglich, im Durchschnitt über zwei Stunden (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2010). Somit gibt es kaum mehr einen Schonraum vor Cybermobbing. Während konventionelles Mobbing jeweils nur von einigen wenigen Personen beobachtet wird, kann Cybermobbing öffentlich an ein unüberschaubar großes Publikum verbreitet werden. Was einmal im Internet steht, kann nicht mehr kontrolliert werden - weder von Cyberopfern noch von Cybertätern.

Auch für den Cybertäter ergeben sich Besonderheiten des Cybermobbings. Im Cyberspace kann ein Cybertäter häufig anonym bleiben und bekommt die Reaktionen des Cyberopfers - beispielsweise Mimik, Gestik oder Körpersprache - kaum mit. Somit können seine Hemmschwelle und seine Fähigkeit zur empathischen Einfühlung gesenkt sein.

Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass Kinder und Jugendliche einerseits und Erwachsene andererseits unterschiedliche Informations- und Kommunikationstechnologien nutzen. Dadurch gibt es im Internet fast keine Kontroll- und Aufsichtsmechanismen gegen Cybermobbing, sondern Kinder und Jugendliche sind fast unter sich. Im Gegensatz dazu können Lehrer auf dem Schulhof teilweise bei konventionellem Mobbing eingreifen.


Cybermobbing ist bei Kindern und Jugendlichen angekommen

In einer repräsentativen Umfrage durch Forsa (Techniker Krankenkasse 2011) haben wir 1000 Schülerinnen und Schüler aus Nordrhein-Westfalen im Alter von 14 bis 20 Jahren telefonisch zum Thema Cybermobbing befragen lassen. Einerseits zeigte sich, dass die befragten Schüler häufig selbst von Cybermobbing betroffen sind. 36% waren bereits selbst Cyberopfer, besonders häufig von Schikane (22%) und Verunglimpfung (15%). Demgegenüber gaben 8% der Befragten zu, schon einmal Cybertäter gewesen zu sein, und 21% könnten sich vorstellen, Cybertäter zu werden. Dies deckt sich mit anderen deutschen und internationalen Studien, aufgrund derer man schließen kann, dass zwischen 20 und 30% der Schüler von Cybermobbing betroffen sind (Tokunaga 2010). Andererseits zeigte sich auch, dass bei den Schülern selbst das Bewusstsein für dieses Phänomen steigt. In der Forsa-Umfrage beispielsweise gaben 77% der Schüler an, den Begriff »Cybermobbing« zu kennen, und 74% kannten ein Cyberopfer in ihrem Umfeld.


Cybermobbing ist in den Schulen angekommen

Bereits Anfang 2008 veröffentlichte eine große Lehrergewerkschaft eine Handreichung zum Umgang mit Cybermobbing (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft 2008). Dort wurde vor allem das Problem behandelt, dass auch Lehrerinnen und Lehrer Opfer von Cybermobbing werden können. Somit gelangte das Problem erstmals in die Wahrnehmung vieler Lehrer. Schon 2007 gaben 58% der deutschen Lehrer an, dass Cybermobbing unter Kindern und Jugendlichen in den letzten zwei Jahren an ihrer Schule zugenommen hat (Jäger/Fischer/Riebel 2007). Es kann in diesem Zusammenhang als positiv bewertet werden, dass dieses Thema heutzutage in Schulen behandelt wird. Beispielsweise gaben 57% der Schüler in der besagten Forsa-Umfrage an, bereits einmal in der Schule über das Thema Cybermobbing gesprochen zu haben. Wir gehen davon aus, dass dies auf unterschiedlichste Weise geschehen sein kann, beispielsweise durch die Einführung von Verhaltensregeln für das Internet oder systematische Präventionsarbeit gegen Cybermobbing. Schulen scheinen ein geeigneter Ort, die Medienkompetenz von Schülern auszubilden und somit Cybermobbing möglicherweise verhindern zu können. Dazu stehen heute vielfältige Mittel zur Verfügung, beispielsweise das Präventionsprogramm »Surf-Fair« gegen Cybermobbing (Pieschl/Porsch, im Druck), Arbeitsmaterialien von Klicksafe (Klicksafe 2011), Theaterstücke gegen Cybermobbing und viele lokale Angebote.


Cybermobbing hat Folgen

In den Medien wird regelmäßig und öffentlichkeitswirksam über Einzelfälle berichtet, in denen Suizide von Jugendlichen ursächlich auf Cybermobbing zurückgeführt werden (Dambach 2011; Fawzi 2009; Hinduja/Patchin 2010). Auch wenn über »Amokläufe« oder deren Ankündigung berichtet wird, rückt post hoc Cybermobbing - neben gewalthaltigem Medienkonsum und auffälligen Persönlichkeitsakzentuierungen - immer wieder in den Fokus. Diese Nähe des Phänomens Cybermobbing mit Akten von Gewalt gegen sich selbst oder andere ist allerdings deutlich zu kurz gegriffen und fern jeder wissenschaftlichen Bestätigung. Zur Frage der Folgen von Cybermobbing steht die wissenschaftliche Forschung erst am Anfang. Daher konnten bisher keine Kausalität zwischen Cybermobbing und dessen Folgen, sondern lediglich Zusammenhänge festgestellt werden. Die hier berichteten Ergebnisse stammen einerseits aus Selbstberichten von Cyberopfern und andererseits aus Vergleichen zwischen Cyberopfern und Kindern und Jugendlichen, die bisher nicht von Cybermobbing betroffen waren.


Cybermobbing bleibt manchmal ohne Folgen

Die Folgen von Cybermobbing scheinen abhängig zu sein von einerseits dem Ausmaß und der Häufigkeit des Cybermobbings selbst - nicht jede gemeine SMS löst ernsthafte Folgen aus. Andererseits scheint die Resilienz der Cyberopfer ein wichtiger Faktor zu sein - selbst die gemeinsten und lang anhaltendsten Cyberattacken können ohne ernsthafte Folgen bleiben, wenn das Cyberopfer entsprechende Persönlichkeitseigenschaften mitbringt und von seinem sozialen Umfeld unterstützt wird. Daher ist es nicht überraschend, dass zirka ein Viertel aller Opfer von Cybermobbing angeben, dass diese Vorfälle sie nicht belastet haben (Patchin/Hinduja 2006).


Cybermobbing hat meist negative Folgen für Emotionen und für das Verhalten

Werden Kinder und Jugendliche Opfer von Cybermobbing, so erzählen sie häufig niemandem oder lediglich ihren engsten Freundinnen/Freunden davon. Das Gefühl der Hilflosigkeit entsteht bei den Opfern durch eine zunehmende soziale Isolierung. Besonders wenn Cybermobbing über längere Zeit anhält oder über einen kurzen Zeitraum sehr intensiv vorkommt, kann diese Situation zu negativen Konsequenzen für die Opfer führen.

Der größte Anteil der Opfer von Cybermobbing berichtet von ernst zu nehmenden emotionalen Folgen. Beispielsweise gaben die Cyberopfer in der Forsa-Umfrage an, dass sie wütend (70%) und verzweifelt (24%) waren und sich hilflos fühlten (22%). Auch in anderen Umfragen berichten die Opfer von Cybermobbing von solchen negativen Emotionen (Ortega et al. 2009; Patchin/Hinduja 2006).

Vergleicht man Opfer von Cybermobbing mit anderen Schülern, die nicht Opfer geworden sind, so zeigen sich außerdem eine Reihe von negativen Folgen in ihrem Verhalten: Opfer von Cybermobbing haben mehr Schwierigkeiten bei der sozialen Anpassung in Gruppen (Ybarra 2004), verhalten sich häufiger delinquent (Tokunaga 2010; Ybarra/Mitchell 2004), können sich in der Schule schlechter konzentrieren und zeigen schlechtere akademische Leistung, sie haben mehr Fehlzeiten, müssen häufiger nachsitzen, besitzen eine negativere Einstellung gegenüber der Schule und dem schulischen Umfeld und nehmen die Schule als unsicherer wahr (Tokunaga 2010; Ybarra/Mitchell 2004).

Opfer von Cybermobbing werden auch häufig zu Tätern von Cybermobbing, wenn sie versuchen, sich im Internet zu wehren, und dabei aggressiv vorgehen (Haynie et al. 2001; Veenstra et al. 2005). Durch ein solches Verhalten kann sich das Problem Cybermobbing allerdings deutlich verschärfen.


Cybermobbing kann ernsthafte psychische oder psychosomatische Folgen haben

Folgen von Cybermobbing können sogar schwerwiegenderer sein als Folgen von konventionellem Mobbing. Einerseits konnte man zeigen, dass verbales Mobbing - wie es auch bei Cybermobbing zu finden ist - häufig negativere Konsequenzen besitzt als physisches Mobbing (Keith/Martin 2005; Reid/Monsen/Rivers 2004). Andererseits führt die öffentliche Verbreitung von Cybermobbing über Internet und Handy dazu, dass Opfer die Situation wahrnehmen, als würden sie im Fernsehen oder in der Zeitung öffentlich verhöhnt (Fawzi 2009). Beispielsweise zeigte sich, dass Opfer von Cybermobbing sich besonders durch die (öffentliche) Verbreitung von Fotos und Videos belastet fühlen (Smith et al. 2008).

Für solche ernsthaften Folgen gibt es auch empirische Belege. Gut 20% der Opfer von Cybermobbing fühlt sich ernsthaft durch Cybermobbing belastet (Finkelhor/Mitchell/Wolak 2000). Beispielsweise berichteten in der Forsa-Umfrage einige Opfer von ernst zu nehmenden psychosomatischen Folgen: Sie konnten schlecht schlafen (17%) und litten unter Kopf- (10%) und Bauchschmerzen (8%). Vergleicht man Opfer von Cybermobbing mit anderen Schülern, die nicht Opfer geworden sind, so zeigen sich außerdem eine Reihe von negativen psychischen Folgen: Opfer von Cybermobbing besitzen weniger Selbstbewusstsein (Tokunaga 2010), zeigen mehr depressive Symptome, mehr soziale Ängste, mehr suizidale Gedanken, weisen generell mehr affektive Störungen auf, und sie konsumieren häufiger Drogen (Gradinger/Strohmeier/Spiel 2009; Hinduja/Patchin 2010; Klomek/Sourander/Gould 2010; Tokunaga 2010; Ybarra 2004; Ybarra/Mitchell 2004).


Cybermobbing ist in den Kliniken und bei niedergelassenen Ärzten angekommen

Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, wenn Falk Burchard, Chefarzt der LWL-Klinik in Marsberg, berichtet, dass 20 bis 30% seiner stationären Patienten Aspekte von Mobbing und Cybermobbing erlebt haben.(2) Cybermobbing kann ernsthafte Folgen haben, die offen in psychiatrischen Kontexten, aber auch verdeckt in Form von Somatisierungen auftreten. Auch wenn hierzu noch systematische Erhebungen fehlen, hat Cybermobbing somit Folgen, die zum Teil nur durch ärztliche Unterstützung gelindert werden können.


Erkennen und Handeln

Dem Umfeld von Cybermobbing-Opfern fällt häufig auf, dass diese ohne erkennbaren Grund ihr Verhalten im Alltag ändern. Dies kann sich darin äußern, dass Kinder und Jugendliche plötzlich aufhören, den Computer zu nutzen, ängstlich und nervös erscheinen, wenn sie Nachrichten auf dem Computer oder dem Handy empfangen, nach Nutzung des Computers bedrückt oder angespannt wirken, nicht darüber reden möchten, was sie am Computer machen, nicht mehr in die Schule oder nach draußen gehen möchten oder sich von Freundinnen/Freunden und der Familie zurückziehen (Diamanduros/Downs/Jenkins 2008). Diese Hinweise können zur Identifizierung eines potenziellen Problems mit Cybermobbing genutzt werden. Dennoch müssen sich diese Hinweise nicht in jedem Fall von Cybermobbing zeigen. Daher ist es sinnvoll, Kinder und Jugendliche auch explizit nach ihren Erfahrungen im Internet zu fragen.

Sollte es doch zu einem konkreten Vorfall von Cybermobbing kommen, ist zu bedenken, dass grundsätzlich jeder Vorfall von Cybermobbing anders ist. Es gibt keine ideale Lösung, um Cybermobbing zu beenden! Manchmal kann das Problem Cybermobbing gar nicht gelöst werden. Daher sollten alle Maßnahmen der jeweiligen Situation angepasst und deren Wirkungen auf das Umfeld sowie die persönliche Situation des Opfers einbezogen werden. Bei leichteren Fällen von Cybermobbing sollten Betroffene mit der Hilfe von vertrauten Personen unbedingt selbst aktiv werden. Wenn Cybermobbing jedoch nicht aufhört oder es sich (direkt) um ernst zu nehmende Gewaltandrohungen, Nötigungen oder gar Erpressungen handelt wie auch Situationen, bei denen die Beseitigung von Spuren (z.B. Fotos) des Cybermobbings Probleme bereitet, sollten auch Anwälte und Strafverfolgungsbehörden einbezogen werden. Ein gutes Vorgehen ist folgende Vier-Stufen-Strategie (Porsch/Pieschl/Hohage 2011): Beruhigen - Sichern - Melden - Hilfe.

Als Erstes gilt es, sich und die Cybermobbing-Situation zu beruhigen. In der Situation innehalten und nachdenken. Jedoch nie auf Schikane oder andere Attacken im Netz mit ähnlichem Verhalten antworten, da aggressives Verhalten in der Regel die Situation verschlimmert. Cybermobbing sollte immer dokumentiert werden. E-Mails oder SMS nicht löschen, Screenshots von Beiträgen/Bildern auf den Internetseiten machen. Die gesicherten Informationen können eventuell genutzt werden, um mit Tätern über konkretes Verhalten zu sprechen, oder auch als Beweise herangezogen werden. Dem Betreiber des Internetangebotes sollten Cybermobbing-Inhalte sowie gegebenenfalls der/die Täter (Profil, Nickname) zur Löschung gemeldet werden.

Cyberopfer sollten darüber hinaus Freunden, Eltern oder anderen Vertrauenspersonen über ihre Erfahrungen berichten und sich bei ihnen Hilfe holen. Einerseits können Gleichaltrige emotionale Unterstützung leisten und haben vielleicht Tipps für technische Lösungen, z.B. wie Cybermobbing beim Anbieter gemeldet werden kann. Andererseits sollten in jedem Fall Erwachsene hinzugezogen werden, da diese besser beurteilen können, in welchen Situationen weitere professionelle Hilfe nötig ist. Professionelle Hilfe gibt es an ganz unterschiedlichen Stellen, beispielsweise bei schulpsychologischen Beratungsstellen, Erziehungsberatungsstellen, Jugendämtern und Polizeidienststellen mit kompetenten Ansprechpartnern. Falls Betroffene im Elternhaus und in der Schule keine Ansprechpartner finden, können sie sich auch anonym und kostenfrei von Handy und Festnetz an eine bundesweite »Nummer gegen Kummer« (0800 1110333) wenden oder sich von Gleichaltrigen im Internet beraten lassen (www.juuuport.de)


Fazit

Die genaue Definition von Cybermobbing ist noch Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Trotzdem schlagen wir eine breite und opferzentrierte Definition vor, die sämtliche Vorfälle im Internet umfasst, sofern sie das Opfer ernsthaft belasten. Empirisch belegt ist dagegen, das Cybermobbing unter Kindern und Jugendlichen relativ weit verbreitet ist und zumindest in einigen Fällen ernsthafte negative Folgen für die Opfer haben kann. Cybermobbing kann teilweise von Außenstehenden erkannt werden. Bei dem Umgang mit Cybermobbing brauchen Opfer in jedem Fall Hilfe und Unterstützung, die jeweils auf die spezifische Situation angepasst werden sollte.


Dr. Stephanie Pieschl, Diplom-Psychologin, ist akademische Rätin a.Z.; Dr. Torsten Porsch, Diplom-Psychologe, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter. Beide arbeiten an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Institut für Psychologie.
Kontakt:
E-Mail: pieschl@psy.uni-muenster.de
E-Mail: t.porsch@uni-muenster.de

Literatur bei Torsten Porsch.

Anmerkungen:
(1) http://www.derwesten.de/leben/gesundheit/Cybermobbing-Die-dunkle-Seite-des-Internetsid4745061.html (entnommen am 10.10.2011).

(2) »Münstersche Zeitung« vom 15.10.2011: »Cybermobbing: Aufklärung für Grundschüler«.


*


Quelle:
Soziale Psychiatrie Nr. 135 - Heft 1, Januar 2012, Seite 34 - 37
veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autoren und der
Redaktion
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.
Zeltinger Str. 9, 50969 Köln
Telefon: 0221/51 10 02, Fax: 0221/52 99 03
E-Mail: dgsp@netcologne.de
Internet: www.psychiatrie.de/dgsp

Erscheinungsweise: vierteljährlich, jeweils zum Quartalsanfang
Bezugspreis: Einzelheft 10,- Euro
Jahresabo: 34,- Euro inkl. Zustellung
Für DGSP-Mitglieder ist der Bezug im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2012