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STUDIE/283: Sterbehilfe - Schweizer wollen selbstbestimmt über das Lebensende entscheiden (idw)


Universität Zürich - 02.09.2010

Selbstbestimmt über das Lebensende entscheiden


Die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer wollen selbstbestimmt entscheiden, wann sie ihr Leben beenden wollen. Auch direkte aktive Sterbehilfe bei todkranken Krebspatienten würden sie gesetzlich erlauben. Sie sind aber eher dagegen, dass psychisch Kranke und ältere, lebensmüde Menschen ohne körperliche Beschwerden Suizidbeihilfe erhalten können. Nur 36 Prozent würden selbst die Hilfe einer Sterbehilfe-Organisation in Anspruch nehmen, wie eine nationale Studie der Universität Zürich zeigt. Eine Mehrheit ist zudem dagegen, dass im Ausland wohnhafte Personen in die Schweiz kommen dürfen, um sich mit Hilfe einer Sterbehilfe-Organisation das Leben zu nehmen.

Das Kriminologische Institut der Universität Zürich hat erstmals in der Schweiz 1500 Personen zu konkreten Sterbehilfe- und Suizidbeihilfefällen befragt. Wie Prof. Christian Schwarzenegger an einer Medienkonferenz erläuterte, befürwortet eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer die Möglichkeit von Sterbehilfe und Suizidbeihilfe. Eine Mehrheit würde auch die heute verbotene, direkte aktive Sterbehilfe für Menschen erlauben, die an einer tödlichen Krankheit im Endstadium leiden. «Diese Einstellungen korrespondieren mit einer positiven Sicht auf das selbstbestimmte Sterben und einer schwach ausgeprägten Religiosität», erklärte Prof. Schwarzenegger. Eine Minderheit der Schweizer Bevölkerung dagegen erachtet fast alle Formen von Sterbehilfe und Suizidbeihilfe als moralisch falsch und befürwortet rechtliche Verbotslösungen.

Bei Personen, die nicht mehr selbst über einen Behandlungsabbruch entscheiden können, kommt es wesentlich auf die Zustimmung und Einigkeit der Angehörigen an. So wird die Sterbehilfe am stärksten befürwortet, wenn alle Angehörigen der Ansicht sind, ein Komapatient, bei dem keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht, habe in diesem Zustand nicht weiterleben wollen. «Sind sich die Angehörigen darüber nicht einig, ist die Befürwortung der Sterbehilfe am geringsten», sagt Prof. Schwarzenegger. Aus Sicht der Bevölkerung dürfen Ärzte bei dieser Form der Sterbehilfe nicht eigenmächtig handeln und die Gefühle der Angehörigen sollten respektiert und ihre Auseinandersetzung mit dem Tod berücksichtigt werden.

Wie die Studie weiter zeigt, spielt die Selbstbestimmung eine zentrale Rolle. Eine Mehrheit stimmt der Aussage zu, dass jeder erwachsene Mensch selber darüber entscheiden dürfen soll, wann er sein Leben beenden will. Vor allem ältere Personen haben vorgesorgt und in einer Patientenverfügung geregelt, was mit ihnen passieren soll, wenn sie einmal schwerkrank werden und nicht mehr selbst darüber entscheiden können. In der Altergruppe der über 70 Jährigen verfügen 34 Prozent über eine solche Patientenverfügung.


Sterbehilfe-Organisationen ermöglichen würdevolles Sterben

Die Mehrheit der Bevölkerung ist der Ansicht, dass Suizidhilfe-Organisationen ein würdevolles Sterben im Beisein der Angehörigen ermöglichen. Aber 41 Prozent der Befragten könnten sich «auf keinen Fall» oder «eher nicht» vorstellen, selbst einmal auf die Hilfe einer Sterbehilfe-Organisation zurückzugreifen. 36 Prozent könnten sich vorstellen, dies zu tun.

Mehr Ablehnung als Zustimmung zeigt sich bei der Suizidbeihilfe für betagte Menschen ohne körperliche Leiden, die aus Lebensmüdigkeit Suizid begehen wollen. Eine Mehrheit würde demnach Sterbehilfe für Lebensmüde verbieten. Auch die umstrittene Suizidbeihilfe für Menschen mit schweren psychischen Krankheiten stösst nicht auf breite Zustimmung.

86 Prozent der Befragten wollen, dass primär Ärzte bei der Selbsttötung mitwirken oder dann speziell ausgebildetes Pflegepersonal. Weniger als die Hälfte der Befragten, nämlich 43 Prozent, waren der Ansicht, dass Suizidbeihilfe auch durch ausgebildete Mitarbeiter von Sterbehilfe-Organisationen durchgeführt werden sollte. Die Schweizerinnen und Schweizer bevorzugen also ein Modell des ärztlich assistierten Suizids.


Gegen Sterbetourismus

52,5 Prozent der Befragten wären einverstanden, wenn in ihrer direkten Nachbarschaft Sterbehilfe durch eine Sterbehilfe-Organisation durchgeführt würde. Personen, die sich vorstellen können, in Zukunft selbst eine organisierte Suizidbeihilfe in Anspruch zu nehmen, stimmen der organisierten Suizidbeihilfe in der Nachbarschaft eher zu. Eine Mehrheit der Befragten ist aber gegen organisierte Suizidbeihilfe an im Ausland wohnhaften Ausländern. Rund 66 Prozent lehnen den Sterbetourismus «voll» oder «eher» ab.


Kontakt:
Prof. Christian Schwarzenegger, Kriminologisches Institut, Universität Zürich
E-Mail: christian.schwarzenegger@rwi.uzh.ch


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DEFINITIONEN UND RECHTLICHE GRUNDLAGEN

Sterbehilfe:

Unter der Sterbehilfe ist die Tötung (aktiv) oder das Sterbenlassen (passiv) eines leidenden Patienten, meist in der Endphase seines Lebens, zu verstehen. Die aktive oder passive Sterbehilfe durch den Arzt erfolgt auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten oder beruht auf einer Anordnung in einer Patientenverfügung.


Suizidbeihilfe:

Von Suizidbeihilfe spricht man, wenn eine Person einen Sterbewilligen bei der Selbsttötung unterstützt. Voraussetzung dafür ist, dass sich der Sterbewillige der Tragweite seiner Handlung bewusst sein und die tödliche Handlung selbst ausführen muss.


Organisierte Suizidbeihilfe:

Sterbehilfe-Organisationen leisten Suizidbeihilfe bei Menschen mit hoffnungsloser Krankheitsprognose, unerträglichen Beschwerden oder unzumutbarer Behinderung. Die Hilfe besteht in der Beratung, Vorbereitung und Begleitung des Suizids, der mit einer tödlichen Dosis des Medikaments Natrium-Pentobarbital (NaP) durchgeführt wird.


Die wichtigsten rechtlichen Regelungen über die Sterbehilfe und Suizidbeihilfe finden sich im Strafrecht.

Direkte aktive Sterbehilfe ist grundsätzlich verboten, selbst wenn es ein Patient oder Sterbender ausdrücklich verlangt. Davon wird eine Ausnahme gemacht, wenn die lebensverkürzende Wirkung eine unbeabsichtigte, aber unvermeidbare Nebenfolge einer Schmerzbehandlung ist (sog. indirekte aktive Sterbehilfe).

Die passive Sterbehilfe, also das Unterlassen von lebenserhaltenden medizinischen Massnahmen und Sterbenlassen eines Menschen, ist rechtmässig, wenn der Betroffene ausdrücklich auf diese Behandlung verzichtet oder dies in einer Patientenverfügung so regelt.

Die Suizidbeihilfe ist nur dann verboten, wenn sie aus selbstsüchtigen Beweggründen heraus erfolgt.

Daneben gibt es gesundheits-, betäubungs- und standesrechtliche Einschränkungen der Sterbehilfe bzw. Suizidbeihilfe



Weitere Informationen finden Sie unter:
http://www.mediadesk.uzh.ch

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution94


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Quelle: 
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität Zürich, Beat Müller, 02.09. 2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
 
veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2010