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HINTERGRUND/142: Musikhochschule erhält Rieger-Orgel (JOGU Uni Mainz)


[JOGU] Nr. 208, Mai 2009
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Die Seele eines Raums
Musikhochschule erhält Rieger-Orgel

Von Ulrike Brandenburg


Denn das Glück höret nimmer auf: Nachdem die Mainzer Musikhochschule unlängst ihren hervorragend ausgestatteten Zweiflügelbau beziehen konnte, dürfen sich Studierende und Lehrende schon auf das nächste Großereignis freuen: Im kommenden Jahr werden zwei neue Orgeln eingeweiht. Während der Neubau der großen Konzertorgel in Luzern begonnen hat, konnte das kleinere Lehr-Instrument der Vorarlberger Werkstätte Rieger aktuell in Mainz eingebaut werden.


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Im Raum herrscht das geordnete Durcheinander eines Handwerksbetriebes. Auf dem Tisch thront ein Werkzeugkoffer, am Fenster haften Pläne; an der Wand aber lehnen silberne Orgelpfeifen. Denn gerade zieht die Königin aller Instrumente in ihr Studio an der Mainzer Musikhochschule ein. Dabei ist dieser Star von zurückhaltender Präsenz: Ein kleiner Spieltisch und darüber aufgetürmt hellgrüne Lamellen, das ist der spontane Gesamt-Eindruck von der neuen Rieger-Orgel, an welche die Orgelbauer Markus Zoitl und Martin Parzer gerade letzte Hand anlegen.

Sachlich - und eigentlich viel zu bescheiden - erläutert das Team seine Arbeit. Dabei verkörpert bereits der Außeneindruck des Prospektes - der Orgelfassade also - eine Riegersche Besonderheit. Die aus mattiertem Glas gefertigten Jalousien der Frontansicht - der so genannte Schwellkasten - werden normalerweise aus Holz gefertigt, das Unternehmen Rieger verwendet in seinen weltweit erfolgreichen Projekten abweichende, differenziert auf den Klang abgestimmte und zugleich ästhetisch komplexe Materialien. Die Außenmontage der Schwellklappen ist eine moderne Erfindung, die Funktion der beweglichen Lamellen seit der Romantik unverändert: Durch das Schließen der Klappen kann der Klang stufenlos gedämpft werden, es entsteht ein der dynamischen Orchesterwirkung ähnlicher Effekt.

Orgeln - zu allen Zeiten bildete ihre Klangvielfalt den Höreindruck der Ensemblemusik der jeweiligen Epoche ab. In der Renaissance imitiert die Orgel die Blasinstrumente Zink und Schalmei, Rankett und Krummhorn - man denke hier an heutige Klarinetten von allerdings herberer Klangfarbe. In der Barockzeit machen neue Register, sprich Pfeifengruppen, hochtonige Soli möglich. Im 19. Jahrhundert werden dann ganze Sinfonieorchester akustisch in die Kirchen geholt.

Ab dem Mittelalter können die Klangbilder also rekonstruiert werden. Doch ist zu diesem Zeitpunkt die Orgel bereits 1.500 Jahre alt. Wie ein jegliches Kulturgut des Abendlandes ist auch die Orgel eine Erfindung der griechischen Antike. Der Vorläufer unseres heutigen Instrumentes entstand im dritten vorchristlichen Jahrhundert in Alexandrien. Der Name der Spielvorrichtung ist vertraut: "Hydraulis" - da der Winddruck in den bronzenen Spielpfeifen durch Wasser erzeugt wurde.

Wie das wohl klang? Vielleicht wie ein Flötenduett mit dem Meer - rauschend, getragen, atonal, suggestiv. Über die Römer gelangte das nun vermittels eines Blasebalges Luftbetriebene Pfeifenwerk nach Byzanz - um den kaiserlichen Zeremonien akustisches Gewicht zu verleihen. Im neunten Jahrhundert kommt die Orgel schließlich nach Westeuropa und in die Kirche. Zunächst in die Aachener Pfalzkapelle, in der Folge wird die Orgel zum bischöflichen Statussymbol, ab der Gotik zur Trägerin der christlichen Liturgie. Allerdings wäre es falsch, sich einen Organisten in der Tracht der Minnesänger vorzustellen, der virtuos eine oder mehrere Spieltastaturen - eben die so genannten Manuale - bedient. Bis zum Spätmittelalter werden statt ihrer so genannte Schleifen verwendet, mit der ganzen Hand zu ziehende Holzstücke, welche die Luft-Ventile blockieren.

Die Anforderungen der Musikgeschichte, die heutige Konzertorgeln zu erfüllen haben, sind also mehr als umfangreich: Mit Ausnahme des antiken Wassereffektes müssen im aktuellen Orgelbau unterschiedliche historische Klangbilder vereint werden. Die neue Mainzer Lehrorgel erfüllt diese Ansprüche. Doch vor die Detailerläuterungen hat Markus Zoitl den Kniefall gesetzt - und ohne einen solchen kann sich auch niemand hineinbegeben in das Werk, den Pfeifenraum also und damit das Herz der Orgel.

Vornan der Blasebalg, mit Steinen beschwert. Er ist motorbetrieben, und einige der wenigen Verbeugungen der Orgelbauer vor der Moderne. Dann folgen, auf so genannten Windladen stehend, die Register, metallen und aus Birnenholz, in drei hintereinander gestaffelten Pfeifen-Formationen. Die neue Orgel ist auch ein olfaktorisches Erlebnis: Von dem verwendeten feinjährigen Fichtenholz geht ein betörender Duft aus.

Zurück im Studio-Raum, setzt Zoitl sich, erläuternd, an den aus Eichenholz gefertigten Spieltisch, der drei Manuale trägt - deren dunkle Spieltasten übrigens aus Grenadilleholz und deren helle aus Rinderknochen gefertigt sind. Jedem Manual ist ein bestimmter Klangbereich zugeordnet. Mit der ersten Tastenreihe kommt das Hauptwerk, kommen Principal, Bourdon (= aufgrund des Hummelartigen Surrens) und Octave zum Klingen. Das zweite Manual fügt unter anderem Flöte und Nazard (von französisch "nasarder" = "näseln") hinzu, mit dem dritten Manual nehmen unter anderen Blockflöte und Oboe am Konzert teil, zudem kann das Schwellwerk bedient werden. Wie üblich, können verschiedene Register aber auch auf einem Manual gekoppelt werden. Sieben Varianten bietet hier die Mainzer Riegerorgel an - und außerdem ein elektronisches Setzersystem, das zehn Benutzer mit je 1.000 Kombinationen zulässt.

Die Zeiten, in denen der Organist im Spiel innehalten musste, um per Hand die Register zu ziehen, das heißt die jeweils gewünschten Ventile der Luftzufuhr - dem so genannten Orgelwind - zu öffnen, sind im modernen Orgelbau denn doch vorbei - auch wenn im Instrument, so Zoitl, so viel Mechanik wie möglich zum Einsatz kommt.

Wie zum Beweis lässt der Orgelbauer jetzt volle Harmonien, einige Läufe und Akkordbrechungen ertönen. Die angespielte Toccata wirkt wie ein Konzertauftakt - zumal diese freie, Improvisationen erlaubende Musikform, bereits in der Zeit der Renaissance zum Inbegriff der Orgelmusik wurde und noch Mitte des 19. Jahrhunderts das berühmte Evergreen aus Charles-Marie Widors fünfter Orgelsinfonie bildete. Weil Toccaten (von italienisch "toccare" = "betasten") das gesamte Klangvermögen einer Orgel hörbar machen, dienen sie aber auch der Intonation und damit der eigentlichen Aufgabe dieses und der folgenden Tage.

Selbstverständlich hat der Intonateur bereits in der Planungsphase die Größen, sprich Mensuren der einzelnen Pfeifen festgelegt. Doch nun geht es um die Feinabstimmung.

Immer wieder spielt Zoitl bestimmte Register an; Martin Parzer klettert daraufhin ins Innere der Orgel und baut die beanstandete Pfeife aus; eine Möglichkeit, den Ton zu verändern, besteht darin, den Kern höher zu setzen - Orgelpfeifen funktionieren nach dem Blockflötenprinzip, mehrheitlich werden Labialpfeifen verwendet. Durch Anblasen eines Labiums entstehen so genannte Schneidentöne, durch den Aufprall auf eine Schnittkante wird also die Luftsäule im Rohrinneren zum Schwingen gebracht. Tiefe und gedämpfte Klänge gehen von so genannten gedackten (= gedeckten, also oben verschlossenen) Pfeifen aus. Die erste gedackte Stimme übrigens war der 1508 verwendete Bourdon.

Die Intonation eines Registers nimmt einen ganzen Tag in Anspruch. Für die Mainzer Lehrorgel hat das Team zwei Wochen angesetzt - schließlich kommen ja auch noch die mit dem Pedal erreichbaren Kombinationen Subbass und Cello dazu, und auch hier muss eine gleichmäßige Lautstärke erreicht werden, auch dürfen die Pfeifen beim "Ansprechen" nicht "spucken".

Ein Geduldsspiel also. "Ja", sagt Zoitl, "aber die Orgel ist die Seele eines Raumes, einer Kirche. Und wenn man weiß, so klingt sie, das ist der Seelenton dieses Bauwerkes - also das ist ein tolles Gefühl, wenn man mit der Arbeit zu Ende ist und herausgeht."


Information: Die Rieger-Orgel wird zusammen mit dem neuen Orgelgroßbau, der Goll-Orgel, im kommenden Jahr eingeweiht. Aus diesem Anlass findet im September 2010 an der Mainzer Musikhochschule ein internationaler Orgelwettbewerb statt. In das Programm dieses Interpretationswettbewerbes soll ein kammermusikalisches Werk für Orgel und Bläser integriert werden. Hierfür schreibt die Hochschule für Musik einen Kompositionswettbewerb aus. Einsendeschluss ist der 31. Dezember 2009.
Nähere Informationen unter http://www.musik.uni-mainz.de/1832_DEU_HTML.php


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Quelle:
[JOGU] - Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Nr. 208, Mai 2009, Seite 26-27
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch
Tel.: 06131/39-223 69, -205 93; Fax: 06131/39-241 39
E-Mail: AnetteSpohn@verwaltung.uni-mainz.de

Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr.
Sie wird kostenlos an Studierende und Angehörige
der Johannes Gutenberg-Universität sowie an die
Mitglieder der Vereinigung "Freunde der Universität
Mainz e.V." verteilt.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2009