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FORSCHUNG/584: Virtuelle Ursuppe (Forschen in Jülich)


FORSCHEN in Jülich - 2/2008
Das Magazin aus dem Forschungszentrum

Virtuelle Ursuppe

Von Wiebke Rögener


Wie vor über vier Milliarden Jahren, lange bevor es Lebewesen auf der Erde gab, erstmalig einfachste Eiweißmoleküle entstanden sein könnten, erforscht der Bochumer Professor Dominik Marx mit Hilfe Jülicher Supercomputer. Hoher Druck, hohe Temperaturen und schwefelhaltige Mineralien haben möglicherweise an der Entstehung des Lebens mitgewirkt.


Charles Darwin, der Pionier der Evolutionstheorie, vermutete einst, die ersten Eiweißmoleküle könnten "in einem warmen kleinen Teich" entstanden sein, mit allen möglichen Ammonium- und Phosphor-Salzen, mit Licht, Hitze und Elektrizität. Er wusste allerdings nicht zu sagen, wie der Schritt von der unbelebten zur belebten Materie sich vollzogen haben könnte.

Die ersten Hinweise lieferte 1953 der US-Amerikaner Stanley Lloyd Miller: Als er die Bedingungen einer möglichen Uratmosphäre im Glaskolben nachstellte, bildeten sich darin einfache organische Moleküle, die Aminosäuren. Aber wie sich diese Bausteine zu Eiweißen zusammenfügen konnten, und welche Rolle eisen- und schwefelhaltige Mineralien dabei möglicherweise spielten, blieb weiter Spekulation.

Doch ein Forscherteam um Dominik Marx, den Leiter des Lehrstuhls für Theoretische Chemie der Ruhr-Universität Bochum, konnte jetzt erstmals am Jülicher Supercomputer zeigen: Unter Bedingungen, wie sie auch heute noch in der Tiefsee an vulkanischen "heißen Schloten" herrschen, wäre es tatsächlich möglich, dass sich Aminosäuren zu Eiweißketten zusammenschließen - ganz ohne die biologischen Werkzeuge, die normalerweise nötig sind, wenn Zellen Eiweiße produzieren.


Simulieren statt Spekulieren

Das Szenario der urzeitlichen Eisen- und Schwefelwelt wurde dafür nicht etwa im Chemielabor nachgebaut. Der "warme kleine Teich" entstand virtuell im Jülicher Supercomputer JUBL. Nur im Rechner trafen darin zwei simulierte Aminosäuren - einfache Glyzinmoleküle - aufeinander. "Wir gehen bei unseren Berechnungen von den grundlegenden chemischen Bausteinen aus, also von den Elektronen und Atomkernen der beteiligten Moleküle", erläutert Marx. Für diese Simulationen wurden keinerlei Messwerte aus Experimenten zu Hilfe genommen, sondern die Forscher fütterten den Rechner nur mit Informationen über die Eigenschaften der beteiligten Molekül-Bausteine. Er berechnete dann das Verhalten der in Wasser gelösten Moleküle unter verschiedenen Bedingungen.

Es zeigte sich: Je höher der simulierte Druck und je heißer das virtuelle Wasser, desto leichter bildet sich zwischen zwei Aminosäuren eine Peptidbindung - der fundamentale Vorgang bei der Eiweißsynthese. Bis zu 20 Megapascal waren die Moleküle dabei ausgesetzt - das ist etwa das 200-fache des Luftdruckes auf Meereshöhe. Die Temperatur wurde auf mehr als 200 Grad Celsius gesteigert. "Solche Versuche kontrolliert im Labor durchzuführen, wäre außerordentlich schwierig", betont Marx. Unter derart extremen Bedingungen hat Wasser ganz andere Eigenschaften als im normalen Zustand, und die darin gelösten Aminosäuren reagieren leichter miteinander. Wenn in der virtuellen Ursuppe außerdem das eisen- und schwefelhaltige Pyrit hinzu kam, taten sich die Eiweißbausteine noch schneller zusammen - das Mineral wirkt als Katalysator, der die Reaktion beschleunigt. "Wie das genau funktioniert, wissen wir noch nicht. Pyrit ist ein Modell für viele Eisen-Schwefel-Verbindungen, die hier eine Rolle spielen könnten", schränkt Marx ein. "Wir wissen auch nicht, ob die ersten Eiweißmoleküle tatsächlich so entstanden sind, wie in unseren Simulationen. Aber mit dem Supercomputer konnten wir zeigen, dass dieser Weg möglich ist."


Rückblick braucht viel Rechenzeit

Der Rechenaufwand für die Simulation der Frühgeschichte des Lebens war enorm. "Wenn man alles zusammenzählt, arbeiteten mehr als 2 000 Prozessoren des JUBL vier Monate lang daran", rechnet Dr. Norbert Attig vom Jülich Supercomputing Centre vor. Insgesamt erhalten nur rund 200 Forscherteams pro Jahr Zugang zu einem der Jülicher Supercomputer, zu JUGENE sogar nur ein Bruchteil davon. "Prinzipiell könnte jeder Forscher in Europa bei uns rechnen", so Attig. "Aber die eingereichten Anträge übersteigen die verfügbare Rechenzeit bereits um das Fünf- bis Siebenfache." Ein international besetzter wissenschaftlicher Gutachterrat bewertet sie und spricht Empfehlungen für die Bewilligung von Supercomputer-Ressourcen aus. Dabei werden zwei Kriterien angelegt: Verspricht das Projekt neue und relevante Erkenntnisse? Und lässt es sich effizient auf einem großen Supercomputer bearbeiten?

Beide Kriterien trafen auf Marx' Projekt zu. "Das ist einfach eine ungeheuer interessante Fragestellung", sagt Attig. Erst der Jülicher Blue Gene-Rechner machte es möglich, ihr nachzugehen. Der Gutachterrat des John von Neumann-Instituts für Computing (NIC) - der Einrichtung, die die Rechenzeit auf den Supercomputern der Helmholtz-Gemeinschaft vergibt - zeichnete das Vorhaben sogar als "Exzellenz-Projekt 2008" aus, und erste Ergebnisse wurden im renommierten "Journal of the American Chemical Society" veröffentlicht. Auch die Medien berichteten vielfach über die eindrucksvollen Resultate.

Dominik Marx hofft darauf, dass für seine Simulationen bald noch leistungsfähigere Rechner zur Verfügung stehen. "Mit JUGENE haben wir schon phantastische neue Möglichkeiten, aber unsere Modellannahmen sind leider immer noch stark idealisiert. Leistungsstärkere Rechner würden realistischere Modelle möglich machen." Für ihn gibt es Gründe, optimistisch in die Zukunft zu schauen: "Das Gauss Centre for Supercomputing, der Verbund der drei nationalen Höchstleistungsrechenzentren, koordiniert seit kurzem die Supercomputing-Aktivitäten in Deutschland und trägt dazu bei, dass Deutschland im Höchstleistungsrechnen nach außen mit einer Stimme spricht", sagt er. Darüber hinaus kann auf europäischer Ebene die Partnerschaft PRACE ("Partnership for Advanced Computing in Europe") die europäische Infrastruktur im Höchstleistungsrechnen weiter verbessern. "Aber nur die Vernetzung der vorhandenen Zentren allein reicht nicht", ist Marx überzeugt. "Man braucht auch nachhaltige Investitionen in neue Rechner der höchsten Leistungsklasse, um als Forscher gegenüber Kollegen in den USA und Japan auf Dauer konkurrenzfähig bleiben zu können."


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Quelle:
Forschen in Jülich - Magazin des Forschungszentrums Jülich 2/2008, Seite 18-19
Herausgeber: Forschungszentrum Jülich GmbH
Kontakt: Stabsstelle Unternehmenskommunikation, 52425 Jülich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2009