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FORSCHUNG/721: Eine Amöbe wird zur Alge (idw)


Universität zu Köln - 19.08.2010

Eine Amöbe wird zur Alge


Sequenzanalysen abgelesener Gene einer Amöbe enthüllen erste notwendige Schritte zur Integration eines photosynthetischen Organells in eine Wirtszelle. Wissenschaftlern des Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin, des Fritz Lipmann Institut in Jena und des Biozentrums der Universität zu Köln ist es gelungen nachzuweisen, dass die Entstehung photosynthetischer Organellen durch Aufnahme und Umwandlung eines Bakteriums kein einmaliges Evolutionsereignis war.

Durch Photosynthese wird Lichtenergie in chemisch gebundener Form für alle Lebewesen der Erde nutzbar gemacht, wobei Sauerstoff entsteht. Nachdem einfache Bakterien (Cyanobakterien) diesen Prozess entwickelt und perfektioniert hatten, verleibten sich kernhaltige Zellen (Eukaryoten) diese Bakterien als Symbionten ein, wandelten sie im Laufe der Evolution zu Organellen (Chloroplasten) um und übernahmen so die Photosynthese der Cyanobakterien. Während dieses als primäre Endosymbiose bezeichneten Prozesses wurden von den ursprünglich mehreren Tausend Genen des Cyanobakteriums viele ausgeschaltet, andere wurden in den Zellkern des Wirtes verlagert. Letztere erfüllen eine wichtige Aufgabe in der Zelle: Sie regulieren die Funktion des Chloroplasten. So besitzt ein Chloroplast heute nur noch ca. 100 Gene, aber etwa 1000 Gene des Zellkerns stellen Proteine für die Aufrechterhaltung der Photosynthese zur Verfügung.

Bislang nahm man an, dass alle heutigen Algen und Pflanzen ihre Chloroplasten durch eine einzige primäre Endosymbiose eines Cyanobakteriums erhielten. Vor zwei Jahren konnten Glöckner, Melkonian und Nowack (Jena und Köln) jedoch zeigen, dass eine Amöbe, Paulinella chromatophora, durch eine unabhängige Endosymbiose ein Cyanobakterium aufnahm und photosynthetisch wurde. Sie sequenzierten die DNA des Chromatophoren, des ehemaligen Cyanobakteriums der Amöbe. Im Gegensatz zu der Endosymbiose, die zu unseren heutigen Pflanzen führte, liegt diese wahrscheinlich nur etwa 40-60 Millionen Jahre zurück, wobei der Chromatophor noch nicht so viele Gene verloren hat wie ein Chloroplast, der dafür mehr als eine Milliarde Jahre Zeit hatte.

Inzwischen gibt es Hinweise darauf, dass einige Gene des Chromatophoren in den Zellkern der Amöbe überführt wurden. Die Arbeitsgruppen von Glöckner und Melkonian interessierte nun, wie oft dies geschehen ist, und ob die Produkte dieser Gene möglicherweise in die Regulation des Stoffwechsels der Chromatophoren eingreifen. Nur wenn eine direkte Wechselwirkung zwischen Zellkern und Chromatophor besteht, kann man auch den Chromatophoren als echtes Organell auffassen.

Um diese Frage zu klären, wurde das sogenannte Transkriptom von P. chromatophora untersucht. Dazu mussten alle in einem bestimmten Zellzustand abgelesenen Gene detektiert werden. Das wurde durch Einsatz einer neuen Generation von DNA-Sequenzierautomaten (Next Generation Sequencing, NGS) erreicht. Um eine mögliche Regulation untersuchen zu können, wurden zwei verschiedene Zellzustände untersucht: im Dunkeln gehaltene Amöben, und Amöben, die gerade einen neuen Tag beginnen sahen, also Photosynthese aufnehmen konnten.

Zwei wichtige Erkenntnisse konnten die Autoren gewinnen. Immerhin bis zu hundert Gene wanderten vom Chromatophoren zum Zellkern und blieben dort aktiv. Gleichzeitig wurden sie so umgebaut, dass sie für den Zellkern "verträglicher" wurden. Und zweitens sind einige dieser verlagerten Gene lichtreguliert, das heißt, sie reagieren auf Umweltbedingungen, die für die Photosynthese wichtig sind.

Somit ist nun klar: Die primäre Endosymbiose in P. chromatophora führte zur Bildung eines echten Organells, das mit einem frühen evolutionären Stadium der uns in Pflanzen begegnenden Chloroplasten verglichen werden kann. Die Einbindung dieses Organells in den Wirtsorganismus ist allerdings bei der Amöbe noch nicht so weit fortgeschritten wie bei den Pflanzen.

Noch sind nicht alle Fragen, die an dieser außergewöhnlichen Amöbe, die nun zur Alge "geadelt" wurde, untersucht werden können, geklärt. Aber die vorliegende Untersuchung zeigt, dass die Evolution auch bei so komplexen Vorgängen wie der Etablierung eines photosynthetischen Organells durch primäre Endosymbiose, das Gleiche nicht nur einmal ausprobiert.

Internet:
www.melkonian.uni-koeln.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution19


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität zu Köln, Gabriele Rutzen, 19.08.2010
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2010