MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen - 23.07.2015
Auf der Suche nach den Grenzen des Lebens
Mikroorganismen fast 2,5 Kilometer unter dem Meeresboden entdeckt
Zusammen mit internationalen Kollegen haben Wissenschaftler des Zentrums für Marine Umweltwissenschaften (MARUM) an der Universität Bremen erforscht, bis zu welcher Tiefe Leben im Meeresboden existiert. Jetzt weisen sie nach, dass fast 2,5 Kilometer tief unter dem Meeresboden mikrobielle Zellen leben, die dort Methan produzieren. Die Ergebnisse erscheinen in der kommenden Ausgabe des US-amerikanischen Wissenschaftsmagazins Science.
In den Tiefen des Meeresbodens entfaltet sich ein riesiges Ökosystem: die
tiefe Biosphäre. Die hier lebenden Mikroorganismen - Bakterien und
Archaeen - machen mindestens genauso viel Biomasse aus wie alles Leben im
Ozean. Neben der Tiefsee bildet die tiefe Biosphäre das vermutlich größte
zusammenhängende Ökosystem der Erde, dessen Grenzen bislang noch kaum
dokumentiert sind. Durch frühere wissenschaftliche Bohrungen in
Ablagerungen am Meeresboden konnte mikrobielles Leben bis in einer Tiefe
von 1.922 Metern nachgewiesen werden. Um herauszufinden, ob Leben in noch
größeren Tiefen existiert, und um das untere Ende der tiefen Biosphäre
auszuloten, ging 2012 ein internationales Forscherteam an Bord des
japanischen Forschungsbohrschiffs Chikyu auf Expedition in den
Westpazifik.
MARUM-Wissenschaftler Prof. Kai-Uwe Hinrichs und Dr. Fumio Inagaki vom japanischen Meeresforschungszentrum JAMSTEC (Japan Agency for Marine Earth Science and Technology) - damals Expeditionsleiter und heute Hauptautoren der Science-Studie - und ihrem Team gelang es, vor der japanischen Küste bis zu 2.466 Meter tief in den Meeresboden vorzudringen und Proben zu gewinnen. Das ist neuer Rekord im wissenschaftlichen Bohren auf See. "In unseren Proben aus dieser Tiefe haben wir mikrobielle Zellen entdeckt. Überraschenderweise jedoch sehr viel weniger als wir eigentlich erwartet hatten", sagt Hinrichs. Vielleicht sind die Forscher hier tatsächlich schon nahe an die untere Grenze der tiefen Biosphäre vorgedrungen. "Trotz der extrem geringen Zellzahlen in diesen Tiefen, konnten wir biologische Prozesse nachweisen. Die mikrobiellen Grenzgänger wandeln dort unten Kohle, die in den Ablagerungen enthalten ist, in Methan um."
Diese besondere Mikrobengemeinschaft lebt in kohlehaltigen Schichten bei etwa 40 bis 60°Celsius. Die bis zu sieben Meter dicken Kohleschichten im Meeresboden entstanden vor etwa 20 Millionen Jahren, als große Mengen organischen Materials, das aus Landpflanzen stammt, in Küstennähe abgelagert wurden. Später senkten sich diese Küstenbereiche infolge geologischer Prozesse ab und wurden so zu Meeresboden.
"Wie unsere Untersuchungen zeigen, unterscheidet sich die Mikrobengemeinschaft in den kohlehaltigen Schichten stark von den Gemeinschaften, die in oberen Sedimentschichten leben", sagt Inagaki. "Sie weist stattdessen Ähnlichkeiten zu Mikrobengemeinschaften auf, wie man sie in Waldböden findet." Das lässt vermuten, dass man in den jetzt entdeckten Gemeinschaften noch Spuren der einstig an Land lebenden Mikroorganismen sieht - und das Millionen Jahre, nachdem deren Lebensraum im Meer versank.
Dass das Leben in der tiefen Biosphäre bis heute noch so viele offene Forschungsfragen bereit hält, ist vor allem auch auf die Schwierigkeiten bei der Probennahme zurückzuführen: Proben aus diesen enormen Tiefen zu gewinnen, ohne sie dabei zu verunreinigen, stellen Wissenschaft und Technik vor besondere Herausforderungen. Die für die Science-Studie untersuchten Proben wurden 2012 auf einer Expedition des damaligen Integrated Ocean Drilling Program (heute: International Ocean Discovery Program IODP) mit dem weltweit modernsten Forschungsbohrschiff Chikyu vor der Küste der japanischen Shimokita-Halbinsel erbohrt.
Publikation:
Exploring deep microbial life in coal-bearing sediment down to ∼ 2.5 km
below the ocean floor
Fumio Inagaki, Kai-Uwe Hinrichs und 44 weitere Autoren
Veröffentlichung: 24. Juli 2015 in Science
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution314
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen,
Albert Gerdes, 23.07.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2015
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