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ORNITHOLOGIE/175: Hotspot der Biodiversität - Vögel im Nordosten von Myanmar (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 10/2009

Hotspot der Biodiversität:
Vögel im Nordosten von Myanmar

Von Dr. Frank D. Steinheimer


Unter der Leitung von Jonathan Eames von BirdLife International in Indochina erforschten zwei große Expeditionen in den Jahren 2005 und 2007 die Vogelwelt der Bergregion des nordöstlichen Kachin-Gebietes im Norden von Myanmar (ehemals Burma). Während die erste Expedition in weiten Teilen eine intakte Avifauna dokumentieren konnte, fanden die Teilnehmer der zweiten Expedition alarmierende Anzeichen rapiden Raubbaus und damit eine akute Bedrohung der regionalen Artenvielfalt durch chinesische Abholzungsprojekte.


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Wer in Myanmar reist, taucht ein in ein mystisches Land, das von politischer Abschottung, dem Buddhismus und einer reichen kulturellen Tradition geprägt ist. Während westliche Mächte wegen der politischen Situation das Land isolieren, so ist für den Einzelreisenden die Lage doch anders: Er trifft auf eine freundliche, ehrwürdige, stets hilfsbereite, äußerst interessierte Bevölkerung, die gar nicht genug von der Außenwelt erfahren kann. Schon deswegen sollte man einen sanften Tourismus in diesem Land fördern. Der viel wichtigere Grund ist aber, die Bevölkerung durch Individualreisen bei der Bewahrung ihres Naturerbes zu unterstürzen. Und in keinem Land Südostasiens geht dies leichter als in Myanmar. Denn wo sonst findet man Menschen, die einen nachhaltigen Umgang mit der Natur und das Wissen um die Natur so sehr in ihrem Glauben und ihre Kultur manifestiert haben, wie in diesem Landstrich zwischen dem Himalaja und dem Golf von Bengal.

Myanmar beherbergt in seinem südlichsten Staat, der Tanintharyi Division (früher Tenasserim) den weltweit größten noch zusammenhängenden Sundaischen Tieflandregenwald. Erst vor kurzem wurde hier eine Population der hoch bedrohten Goldkehlpitta (Pitta gurneyi) mit etwa 20.000 Paaren entdeckt - von dieser Vogelart waren zuvor nur neun Paare aus Thailand bekannt! An den Nordrändern Myanmars liegt zudem eine spannende Übergangszone vom Regenwald über tropische Bergwälder und paläarktische Tannenwälder bis hin zu alpinen Matten, Fels und Schnee. In den Bergen des Nordens überschneiden sich zusätzlich die Avifaunen vom indo-himalajischen Raum und den Bergen von Yunnan und erhöhen damit die dortige Biodiversität. Mit nun über tausend nachgewiesenen Vogelarten gehört Myanmar in der Tat zu den Hotspots der ornithologischen Artenvielfalt weltweit.


Der lange Weg zum Imawbun

Das nordöstliche Kachin war das letzte Mal durch die amerikanisch-britische Verney-Cutting-Expedition in den Jahren 1938 und 1939 ornithologisch bereist worden. BirdLife schloss mit seinen beiden Expeditionen somit eine Forschungslücke von über sechs Jahrzehnten. Dies wurde erst durch ein starkes Team vor Ort ermöglicht, das aus Mitgliedern der in Yangon (Rangun) registrierten "Biodiversity and Nature Conservation Association" und dem burmesischen Forstministerium bestand. Nur so war es auch möglich, Zugang zu einem Gebiet zu bekommen, das für die allermeisten Menschen nur aus Schlagzeilen zu Aufständen der selbsternannten "unabhängigen, demokratischen Kachin-Armee" gegen die zentrale Militärregierung bekannt ist. Von der Provinzhauptstadt Myitkyina aus, die mit einem Inlandsflug von der Hauptstadt Yangon erreichbar ist, ging es über Chibwe, einen Handelsknotenpunkt an der Straße nach China, in zwei langen Tagesfahrten an den Fuß des Bergmassivs Imawbun. Während die Expedition von 2005 sich die Südwestflanke eines Vorgipfels names Ma Jed als Hauptforschungsgebiet aussuchte (in Höhen von 1800 bis 2600 Metern), dokumentierte die zweite Expedition den Berghauptkamm des Imawbun auf über 3000 Metern Höhe. Für die umfassenden Kartierungen wurden einheimische Jäger der Vawlaw (eine tibetanische Ethnie) und Lisu (ursprünglich aus Yunnan) befragt, mit mehreren hundert Metern Japannetzen an sechs verschiedenen Standorten jeweils über mehrere Wochen hinweg Vögel gefangen und per Fernglas und Verhören Transekte aufgenommen.


Hotspot der Biodiversität

Die Ergebnisse sind umwerfend: Unter den über 300 nachgewiesenen fast ausschließlich montanen Vogelarten während der beiden Expeditionen befanden sich mehrere global bedrohte Arten, wie der Blythtragopan (Tragopan blythii) und der Nepalhornvogel (Aceros nipalensis). Sieben der 22 Indikatorarten des "Endemic Bird Area" Yunnan Mountains wurden nun auch für Myanmar nachgewiesen - ein Zeichen dafür, dass die globalen Schutzbemühungen für diese Arten auf den Norden Myanmars ausgeweitet werden sollten. Der in der Vorwarnliste für bedrohte Vogelarten eingestufte Rosenschwanztrogon (Harpactes wardi) wurde nach 65 Jahren wieder für Myanmar dokumentiert, mit mehreren Sichtungen von einzelnen Weibchen. Die Weibchen, in neueren Feldführern fälschlicherweise oft zitronengelb anstatt dottergelb abgebildet, saßen den Kopf kreisend auf abgestorbenen äußeren Ästen von immergrünen Laubbäumen in ca. 2000 Metern Meereshöhe, flogen dann und wann in die Nebelschwaden der feuchten Bergwälder ab und kamen mit einer Insektenbeute wieder an die Sitzwarte zurück. In Höhe von 2600 Metern trafen typische tropische Arten wie der Feuerschwanz-Nektarvogel (Aethopyga ignicauda) und der Goldkehl-Bartvogel (Megalaima franklinii) auf paläarktische Arten wie unsere Wasseramsel, Alpenbraunelle, Zaunkönig und Waldkauz. In dieser Höhe kann es in den Wintermonaten empfindlich kalt werden, mit Nachtfrost und teils sogar Schnee, der auf den Blättern der immergrünen Urwaldriesen eigenartig wirkt. Die tropischen Vögel sind ebenso reichlich wie paläarktische Vögel mit Fettpolstern ausgestattet. Die größte Diversität im Gebiet weisen die Timalien auf: 68 echte Timalienarten und acht Papageischnabelarten wurden durch die BirdLife Expeditionen nachgewiesen. Darunter befanden sich auch aus der Käfighaltung bekannte Arten wie der Silberohr-Sonnenvogel (Leiothrix argentauris), die Bändersiva (Chrysominla strigula) und das Feuerschwänzchen (Myzornis pyrrhoura), aber auch eher kryptische Arten wie der Dünnschnabelsäbler (Xiphirhynchus superciliaris), die Keilschnabeltimalie (Sphenocichla humei) und die Schuppentimalie (Pnoepyga albiventer).

Zu den Besonderheiten gehörte der erste belegte Nachweis des Mauerläufers im Gebiet. Für diejenigen, die die Art aus den Alpen kennen, mag verwunderlich sein, dass der Mauerläufer in Myanmar bis jetzt nur an Lehmwänden, dort aber mehrmals, im Abstand von drei bis acht Metern entlang eines Flusslaufes zu finden war. Weitere Erst- und Seltenheitsnachweise betrafen unsere Amsel in einer collinen Reisterrasse, den Blauschmätzer (Cinclidium frontale) als Netzfang auf 2000 Metern Höhe und den Gelbbürzel-Honigzeiger (Indicator xanthonotus) nahe von großen Wildbienennestern an steil aufragenden Felswänden eines Flusstals weit oberhalb der Nachtfrostgrenze. Ein Winternachweis für den Ibisschnabel (Ibidorhyncha struthersii) gelang entlang eines Nebenflusses des Nmai Hka.


Geschachtelte Faunenscheiden

Der östliche Seitenarm Nmai Hka des Ayeyarwady (Irrawaddy) Flusses trennt das Vorkommen des Silberfasans (Lophura nycthemera; östliche Art) von dem des Kalifasans (L. leucomelanos; westliche Art). Der Fluss selbst scheint eher unspektakulär, sein Tal jedoch ist tief eingeschnitten, wobei die Berge zu beiden Seiten den Nmai Hka um bis zu 3000 Meter überragen. Die Faunenscheide ist aber nicht eindeutig; bei anderen Arten oder Unterarten liegt die Trennung der Taxa auch am Nu Jiang (Salween) und am Lancang Jiang (Mekong) in Yunnan, also nach Osten verschoben, oder am westlichen Seitenarm Mali Hka des Ayeyarwady und am Chindwinn Fluss, also nach Westen verlagert.


Voranschreitende Abholzung

Das BirdLife-Team legte jeweils nach Abschluss der Expetionen Berichte vor, die auch den entsprechenden Ämtern in Myanmar übergeben wurden. Der Wunsch war es, das Gebiet komplett unter Schutz zu stellen. Die einheimische Bevölkerung hätte dies größtenteils sehr begrüßt. Doch innerhalb von nur zwei Jahren haben chinesische Holzfirmen mit enormem Aufwand und Einsatz Forststraßen durch das Gebiet gesprengt, behelfsmäßige Straßen gebaut, Wasser für Stromerzeugung aufgestaut und temporäre Holzfällercamps errichtet. Die einheimischen Vawlaws wehrten sich mit Schildern gegen die Abholzung "ihres" Waldes und einmal auch mit einem Giftpfeil, verschossen aus einer Bambusarmbrust. Die betroffene Gruppe Holzfäller verließ nach dem Tod des einen Mannes den Wald wieder sehr schnell, aber es werden neue Gruppen nachkommen. An den Ausfallstraßen zur Grenze von Yunnan liegen rechts und links in den Tälern abgestürzte Holzlaster - Menschen sind Material zum schnellen Geldgewinn. In einer einzigen Nacht konnte das BirdLife-Team am 12. Januar 2007 mehrere Hundert, voll beladene Holztrucks zählen, als diese auf einer der drei möglichen Routen vom Ayeyarwadytal nach Yunnan aufbrachen. Hochgerechnet ergeben sich für alle drei Routen zusammen über 1000 Holztransporte pro Nacht. Die großen Holzstapel wurden mit grünen Zweigen bedeckt - eventuell um eine Entdeckung des Raubbaus aus der Luft zu vermeiden. Derzeit ist noch unklar, inwieweit oder ob überhaupt die zentrale Militärregierung in die Abholzung involviert ist. Die unabhängigen, aufständigen Armeen jedenfalls profitieren nach eigenen Aussagen von den chinesischen Firmen, indem sie Kampfausbildung und Waffen erhalten. Bei Ersterschließung der Gebiete wurden vor allem Edelhölzer wie Kirsche, Eiche oder die Lorbeerbäume der Gattung Persea gefällt. Die zweite Runde galt dann den restlichen Bäumen im Kahlschlagverfahren, die dritte Runde übernahmen Köhler. Von dem einst geschlossenen Primärwald blieben in kürzester Zeit nur steppenartige Graslandschaften übrig.


Jagddruck auf Fasane und Großsäuger

Die Öffnung des Waldes mit Forststraßen hat noch eine weitere negative Folge: Jäger können nun spielend von ihren Dörfern in einem Tagesmarsch in das Habitat der rinderähnlichen Ziegenart Takin (Budorcas taxicolor) und Kleinem Pandabären (Ailurus fulgens) gelangen; der Fellhandel nach China blüht und die Tiere verschwinden rasend schnell. Als Kollateralschaden werden alle großen Fasane reduziert - sie werden von den Jägern und ihren Familien gegessen. BirdLife International hat mittlerweile den Plan aufgegeben, das Schutzgebiet am Imawbun einzurichten. Zu sehr ist der Raubbau fortgeschritten. Man konzentriert sich nun weiter westlich auf das "Goldene Dreieck" zwischen den beiden Flussarmen des Ayeyarwady. Nachdem die Militärjunta die Hauptzugangsbrücke in das Goldene Dreieck gesprengt hat - eher gegen aufständige Kachins als gegen Holz plünderde Chinesen - ist das Gebiet vorerst vor Holzfällungen durch fremde Firmen sicher. Vielleicht gelingt es ja doch noch einen Ausschnitt aus der indo-himalajanischen und yunnanischen Vogelwelt für Myanmar zu bewahren, sodass es auch in der nächsten Generation das Gebiet sein kann, was es heute ist: ein Zentrum der Biodiversität.


Literatur zum Thema:

Robson, C. R. (2000): A Field Guide to the Birds of South-east Asia. New Holland, London.

Smythies, B. E. (2001): The Birds of Burma. 4th edition. Natural History Publications, Kota Kinabalu, Borneo.

http://birdlifeindochina.org/


Dr. Frank D. Steinheimer arbeitet seit 1995 in verschiedenen Projekten und als Kustode in den Vogelsammlungen der Naturkundemuseen von Wien, London (Tring) und Berlin und leitet derzeit den Aufbau eines naturkundlichen Museums für die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Für BirdLife International war er 2000 in Kambodscha, 2005 und 2007 in Myanmar unterwegs. Seit 2006 ist er zudem im wissenschaftlichen Editing des Handbook of the Birds of the World (Lynx) tätig.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Sundatieflandwald, colliner immergrüner Wald, montaner Nebelwald, paläarktischer Nadelwald mit Zwergbambus, alpine Matten und vegetationsloser Fels und Schnee sind die Zonierungen des Imawbun-Bergmassivs.

Der Staat der Kachin im Norden Myanmars. Von der Provinzhauptstadt Myitkyina geht es entlang des Flusses Nmai Hka ins Gebiet des Imawbun.

Der Dünnschnabelsäbler (Xiphirrhynchus superciliaris) lebt vor allem in dichtem Bambusgestrüpp und stochert in kleinen Löchern nach Insekten und deren Larven.

Teilnehmer der BirdLife-Expedition 2007. Zweiter von rechts: Jonathan C. Eames, Leiter von BirdLife International in Indochina.

Die Hauptstraße in den Norden ist nur außerhalb der Regenzeit überhaupt befahrbar.

Tagsüber sitzt die Fuchseule (Otus spilocephalus) bewegungslos in Bäumen und auf Felsen und kann auch von Laienfotografen ohne Teleobjektiv gut abgelichtet werden.

Der Goldkehl-Bartvogel (Megalaima franklinii) gehört zu den tropischen Vögeln, die auch noch im Winter des Himalajas häufig über der Nachtfrostgrenze vorkommen.

Primärer montaner Regenwald an der Südwestflanke des Imawbun. Diese Aufnahme hat historischen Wert, denn dieser Wald wurde zwischen 2005 und 2007 selektiv durch chinesische Firmen abgeholzt.

Das Feuerschwänzchen (Myzornis pyrrhoura, oben) und die Bändersiva (Chrysominla strigula, Mitte) gehören mit zu den häufigsten montanen Timalien im Gebiet und wurden dementsprechend oft auch mit den Japannetzen gefangen. Der Netzfang der kryptisch lebenden Keilschnabeltimalie (Sphcnocichla humei, unten) war eher die Ausnahme.

Chinesisches Holzfällercamp und Holzlasterkonvoi an der Grenze zu Yunnan im Januar 2007.

Vom seltenen Blythtragopan (Tragopan blythii) konnten mehrmals Federn als Mahlzeitreste von Jägern gefunden, aber nur einmal ein Individuum vom Team "live" beobachtet werden. Die Art lebt in dichtbewachsenen Tälern nahe der Baumgrenze.

Der Ibisschnabel (Ibidorhyncha struthersii) ist ein seltener Wintergast in kleinen Trupps an kieselreichen, breiteren Gebirgsströmen im Nordosten Myanmars.

Die indigenen Völker des Gebiets sind neben den im Tiefland heimischen Kachins (links oben) vor allem die Bergstämme der Vawlaws (rechts) und die erst vor einigen Jahrhunderten eingewanderten Lisus (links unten).


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 10/2009
56. Jahrgang, Oktober 2009, S. 370 - 375
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2009