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ORNITHOLOGIE/190: Kanareninsel Lanzarote - Vögel auf Lava (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 1/2010

Vielfalt auf der Kanareninsel Lanzarote: Vögel auf Lava

Von Horst Wilkens


Mit den Kanarischen Inseln werden im allgemeinen Sonne, Strand und der schneebedeckte Pico del Teide auf Teneriffa verbunden. Den wenigsten ist bewusst, dass es sich hierbei um ein "Galapagos" vor den Türen Europas handelt. Dabei hat jede der sieben Inseln ihren eigenen biologischen Charakter, der sich auch in der Vogelwelt zeigt. Vielfach ist es zur Ausbildung von Unterarten gekommen, die sowohl von denen des nahen afrikanischen Kontinents sowie auch zwischen den Inseln voneinander abweichen können. In einigen Fällen sind sogar neue Arten entstanden.


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Landeanflug auf den Flugplatz Arrecife: überall auf der Insel sind steiniges Geröll und rote Aschen zu sehen, der Pflanzenbewuchs ist wegen der extrem geringen Niederschläge sehr spärlich. Karg zeigt sich Lanzarote die meiste Zeit des Jahres den Touristen. Im Frühjahr jedoch überzieht eine unvorstellbare Blütenpracht die Insel. Bei Wanderungen durch die verschiedenen Lebensräume sind das Trällern der Stummellerchen, die eher unmelodisch klingenden, metallischen Rufe der Raubwürger sowie der Gesang der Kanarengirlitze zu hören. Macht sich der Besucher die Mühe genauer hinzusehen, so wird er von der einzigartigen Vielfalt und Fremdartigkeit dieser eher unbekannten Kanareninsel hinter der lebensfeindlich anmutenden Fassade zu jeder Jahreszeit begeistert sein.



Vielfalt in karger Vulkanlandschaft

Die Kanarischen Inseln vor der Westküste Nordafrikas entstanden zwischen 20 Mio. (Fuerteventura) und 1 Mio. (El Hierro) Jahren. Lanzarote, die nördlichste Insel des Kanarischen Archipels, hob sich vor ca. 15 Mio. Jahren aus dem Meer. Der vulkanische Ursprung ist auch heute noch allerorten augenscheinlich. Schon im Anflug erkennt man einige der insgesamt etwa 100 die Insel überziehenden Vulkankrater. Bis Anfang des 18. Jahrhunderts wurden große Teile der Insel von der glühenden Lava und den Ascheregen erneuter Vulkanausbrüche überdeckt. Im Nationalpark "Timanfaya" wird dies besonders deutlich. Entscheidend für das heutige Landschaftsbild ist der Mangel an Wasser, durch den auch der ältere vulkanische Untergrund sichtbar bleibt: "lebende" Böden im mitteleuropäischen Sinne sind nicht vorhanden, sondern nur felsiger und steiniger Untergrund. Die Vegetation ist daher sehr lückenhaft. Bäume fehlen nahezu vollständig bzw. gedeihen nur mit menschlicher Hilfe.

Auf Grund seiner Kargheit hat sich auf Lanzarote eine Reihe hoch interessanter Lebensräume entwickelt. Diese reichen von untermeerischen Höhlen mit augenlosen weißen Tiefseekrabben und blinden urzeitlichen Krebsen bis hin zu trockenen Stein- und Sandwüsten. Viele Pflanzen und Tiere kommen als Arten oder Unterarten nur auf Lanzarote oder zusätzlich auf der südlich angrenzenden Nachbarinsel Fuerteventura vor.


El Jable - Lebensraum für Spezialisten in Sand und Wind

Zu den biologisch wertvollsten Lebensräumen Lanzarotes gehört die im Nordwesten der Insel gelegene Halbwüste. Dieses Gebiet unterliegt auf ganz besondere Weise der Dynamik des Passatwindes. Seit Jahrtausenden treibt er die in der Brandung des Atlantiks klein geriebenen Schalen unterschiedlichster Weichtiere und Stachelhäuter sowie winzige Gesteinstrümmer aus dem Meer über die Insel. Hier bilden sich weite Sandflächen und Dünen, die vom Wind in steter Bewegung gehalten und erst an Vulkankegeln im Hinterland aufgefangen und abgebremst werden. Der pflanzliche Bewuchs ist im Sommer und Herbst spärlich, umso erstaunlicher ist das üppig bunt blühende Pflanzenmeer im Frühjahr, das sich nach winterlichen Regenfällen entwickeln kann. "El Jable" ist ein Lebensraum für Spezialisten. Die Fruchtbarkeit des vulkanischen Untergrundes und des vom Meer heran gewehten Sandes ermöglichen eine speziell an die hier herrschenden ökologischen Bedingungen angepasste Landwirtschaft im Dünensand.

"El Jable" gehört zu den wichtigsten Refugien der Kanarischen Kragentrappe auf Lanzarote, die ansonsten nur auf der Nachbarinsel Fuerteventura und dem nördlich vorgelagerten Eiland La Graciosa vorkommt. Die äußerst scheue Kragentrappe ist hervorragend getarnt und lässt Beobachter nur auf großen Abstand an sich heran kommen. Entweder duckt sie sich hinter einem Dornlattichstrauch oder flieht bereits in weiter Entfernung. Trotzdem sind Kragentrappen immer wieder zu sehen. Im beginnenden Frühjahr gelingt es mit Ausdauer auch balzende Hähne zu beobachten, wenn sie mit zurückgelegtem Kopf und nach oben gestreckten Scheitel- und Kragenfedern wie ein großer weißer Puschel durch das Gelände sausen.

Weitaus seltener ist auf Lanzarote der Rennvogel. Auch er hat seine Hauptverbreitung auf Lanzarote in "El Jable". Die Art hält sich meist am Boden auf, wo Phasen schnellen Laufs mit kurzen Unterbrechungen abwechseln, während derer er regungslos hoch aufgerichtet die Umgebung mustert. Nur im Herbst finden sich größere Flugtrupps zusammen. Mit seinem kräftigen leicht gebogenen spitzen Schnabel legt er Insektenlarven aus dem Wurzelwerk der Pflanzen frei oder pickt Kleintiere auf. Recht häufig ist der Triel, dessen melancholische Rufe vor allem in der Dunkelheit zu hören sind. Bei einem Besuch im Frühjahr ist die Luft in "El Jable" erfüllt vom Gesang der Stummellerche. Immer wieder trifft man auf den Südlichen Raubwürger und den Turmfalken, die hier Dornbüsche als Ansitz nutzen. In "El Jable" leben sie vor allem von der häufigen endemischen Atlantischen Eidechse.



Barrancos - Kerbtäler im Famara-Massiv

Starke Regenfälle längst vergangener Zeiten dürften verantwortlich sein für die Erosion des Felsgesteins, in das vor allem am Ostrand des Famara-Massivs im Norden Lanzarotes tiefe Täler, die Barrancos, geschnitten wurden. Die größten sind die Barrancos Tenegüime westlich von Guatiza, Chafaris oberhalb von Tabayesco, Malpaso oberhalb von Haría und der angestaute Barranco bei Mala. Bis auf den letzteren führen sie nur noch kurzfristig in den Wintermonaten Wasser. Die Täler wurden früher landwirtschaftlich genutzt, liegen jetzt jedoch brach, wodurch sich die ursprüngliche Flora und Fauna zu regenerieren beginnt. Hier hat der Kanarengirlitz seinen Verbreitungsschwerpunkt. Vor allem in Chafaris und Malpaso singen die Männchen nahezu ganzjährig. Als Nahrungsquelle sehr beliebt sind die Früchte der uralten Feigenbäume. Eine weitere im Norden Lanzarotes und vor allem in den Barrancos heimische Besonderheit ist die als eigene Unterart beschriebene Blaumeise (Parus caeruleus degener). Sie weicht von der mitteleuropäischen Nominatform (P. c. coeruleus) ab. Wie die nordafrikanische Unterart P. c. ultramarinus hat sie eine anthrazitfarbene Kopfplatte. Von den Unterarten der anderen kanarischen Inseln unterscheidet sich diese Meise farblich durch einen hellen Flügelstreif, den sie wiederum mit P. c. ultramarinus teilt. In den steilen Wänden der Barrancos brüten Turmfalken, Felsentauben und die Schleiereule. Eigene Untersuchungen der Schleiereulengewölle ergaben einen Überblick über das Spektrum nachtaktiver Kleinwirbeltiere auf Lanzarote. Neben Hausratte und Mauergecko wird die erst 1983 entdeckte endemische Kanarenspitzmaus (Crocidura canariensis) erbeutet.

Eine ganzjährig wassergefüllte Zisterne bietet im Barranco de Chafaris Gelegenheit zu besonderen Beobachtungen. Zur Tränke sammeln sich hier aus der Umgebung einheimische Brutvögel wie Bluthänflinge und Zugvögel wie Rotkehlchen, Hausrotschwanz, Drosseln oder Gebirgsstelze. Diese, wie auch schlüpfende Individuen der Sahara-Pechlibelle (Ischnura saharensis), sind potenzielle Beute der Eleonorenfalken, die in immer wieder kehrenden Sturzflügen herabstoßen.

Bluthänflinge und die zu den selteneren Brutvögeln Lanzarotes zählende Samtkopf-Grasmücke haben ihr Hauptverbreitungsgebiet gleichfalls im Norden Lanzarotes außerhalb der Barrancos. Die Arten nutzen im Umfeld der Vulkane Corona, Los Helechos und La Quemada zwischen Máguez und Guinate vor allem die hier häufigen kräftigen Büsche des Kanarenampfers zur Brut.

Das langgestreckte Famara-Massiv besteht aus den geologisch ältesten Gesteinsformationen. Besonders beeindruckend ist die am Meer gelegene Felswand, die hunderte Meter steil aufragt und nur an wenigen Bereichen von einer schmalen Geröllhalde umgeben wird. Hier ist das Felsenhuhn zu Hause. Eleonoren-, Wüsten- und Turmfalken, Kolkraben und auch Sepiasturmtaucher finden hier sichere Brutplätze.



Lebensräume am Meeresrand

Die nahezu überall auftretende Mittelmeermöwe erinnert immer wieder daran, dass man sich auf einer Insel aufhält und das Meer nie fern ist. Die Küsten Lanzarotes sind überwiegend schroff und der starken Brandung ausgesetzt. Wenige Rastvögel, etwa Seidenreiher und Regenbrachvogel, suchen hier Nahrung. Von besonderem Interesse sind daher Bereiche, wo der Gezeitengang sich über größere Flächen auswirken kann, wie z. B. in La Santa im Nordwesten Lanzarotes nahe Tinajo. Angrenzend an einen breiten Sandstrand finden sich amphibische Lebensräume mit ausgedehnten Beständen der mit dem Queller verwandten Gliedermelde sowie Sand-, Schlick- und Felswatt. Mehrere Paare des Seeregenpfeifers brüten hier erfolgreich. Die Hauptbedeutung hat dieses Watt jedoch als Rastbiotop für ziehende Vögel. Hier treffen Löffler, Grau-, Silber-, Seiden-, Purpur- und Nachtreiher ein. Zu beobachten sind außerdem Kiebitz-, Gold-, Fluss- und Sandregenpfeifer, Steinwälzer, Flussuferläufer und Regenbrachvogel.

Ein mariner Lebensraum mit ganz anderem Charakter ist die Laguna de Janubio westlich von Yaiza. Dieses Gewässer ist durch einen hohen Strandwall aus Lavagestein vom Meer abgetrennt und unterliegt nicht mehr dem direkten Zugang der Gezeiten. Allerdings sickert das Meerwasser ständig durch die poröse Barriere. Weil das Wasser in der Lagune in der Sonnenhitze stetig verdampft, ist es salzhaltiger als das Meer. Dieses bereits "eingedickte" Wasser wird vom Menschen in einem Teilbereich, den Salinas de Janubio am Ostrand der Lagune, zur Salzgewinnung genutzt. In der Lagune in Vielzahl auftretende Wirbellose, wie Salinenkrebschen oder Salzfliegen und ihre Larven, dienen der Vogelwelt als Nahrung. Dort wo keine Salinenbecken angelegt wurden, bieten flache Uferbereiche optimale Bedingungen zur Nahrungssuche. Seit etwa zehn Jahren entwickelt sich in der Laguna de Janubio die einzige Brutpopulation des Stelzenläufers auf den Kanarischen Inseln. Es handelt sich um etwa 20 Individuen, zu denen sich zur Zugzeit weitere Stelzenläufer gesellen. Brutvogel ist hier auch der Seeregenpfeifer.

Die Laguna de Janubio ist eine Drehscheibe des Vogelzuges. Die Mehrzahl der Gäste stammt aus der europäischen und sibirischen Tundra und Arktis. Es sind Regenpfeifer wie Sand-, Kiebitz- und Flussregenpfeifer sowie Schnepfenvögel wie Knutt, Sanderling, Alpenstrandläufer, Sichelstrandläufer, Kampfläufer, Zwergstrandläufer, Ufer- und Pfuhlschnepfe, Regenbrachvogel, Rot- und Grünschenkel, Waldwasser-, Bruchwasser- und Flussuferläufer sowie Steinwälzer. Seltener rasten auch Säbelschnäbler und Austernfischer. Auf der freien Wasserfläche schwimmend können vereinzelt Schwarzhalstaucher, Knäkente, Löffelente oder Brandgans entdeckt werden. Als Irrläufer treten nordamerikanische Arten wie Graubruststrandläufer, Wilson-Wassertreter, Veilchen-, Berg- oder Blauflügelente auf.

Ein ähnliches, wenn auch nicht so umfangreiches Artenspektrum von Regenpfeifern, Schnepfenvögeln und Enten findet sich in den Salinenbecken bei Los Cocoteros nahe Guatiza. Allerdings fehlt hier die naturnahe ausgedehnte Wasserfläche wie bei El Janubio. Viele der zuvor erwähnten Arten rasten auf dem der Stadt Arrecife vor gelagerten Felsriff. Sie können von der Uferpromenade in Höhe des kleinen Hafens Charco de San Ginés beobachtet werden.

Auf den steinigen, mit anspruchslosen Pflanzen locker bewachsenen Flächen, die an den Uferrand der Laguna de Janubio anschließen, ist der auf Lanzarote weit verbreitete Wüstengimpel bei der Suche nach Sämereien häufig zu sehen. Sein charakteristisches leises Trompeten ist bei dem meist heftigen Wind nur schwach hörbar. Er baut sein Nest in Lücken vom Menschen aus Lavabrocken kunstvoll errichteter Mauern zwischen den Salinen. Die südlich der Lagune aufragende Felswand bietet Brutmöglichkeiten für Turmfalke und Schleiereule.


Eleonorenfalken und seltene Seevögel im Naturpark Archipiélago Chinijo

Der Insel Lanzarote ist nördlich der aus insgesamt fünf Eilanden bestehende Archipiélago Chinijo (= Kleines Archipel) vorgelagert. Mit Ausnahme der größten Insel La Graciosa sind alle anderen unbewohnt. Zusammen mit dem Steilhang des Risco de Famara, küstennahen Teilen des Gebietes "El Jable" und dem dazwischen liegenden Meer ist der Archipel als Naturpark unter Naturschutz gestellt. Die Eilande, "Islotes" genannt, bilden den Kern des Brutvorkommens einer Reihe gefährdeter Seevögel. Bei der Überfahrt mit der Fähre von …rzola nach La Graciosa sieht man Sepiasturmtaucher flach über Wellenberge und durch Wellentäler segeln. Sie halten sich hier von März bis Oktober auf, die restliche Zeit ziehen sie an die Küsten Südamerikas. Auf dem zum Archipiélago Chinijo gehörigen Eiland Alegranza gibt es mit mehr als 20000 Paaren eine der größten Brutkolonien des Sepiasturmtauchers weltweit. Weitere Brutbestände finden sich am Risco de Famara und nahe dem Ort El Golfo am Rande des Nationalparkes "Timanfaya". Die Nester mit jeweils nur einem einzigen Ei werden in Bruthöhlen angelegt. Eier und vor allem die noch nicht flüggen, sehr fetten Jungen wurden bis in die jüngste Vergangenheit von den Einheimischen aus ihren Bruthöhlen genommen und als Nahrung genutzt. Noch in einem Kochbuch von 1982 über die kanarische Küche finden sich verschiedene Rezepte zu Seevögeln, wie z. B. "Pardela frita con miel" (Gebratener Sepiasturmtaucher mit Honig). So ist wahrscheinlich auch der Ursprung des Namens Caleta del Sebo (= Talgbucht) für den kleinen Hafen auf La Graciosa in der Bedeutung des aus den Vögeln gewonnen Fettes für den Menschen zu suchen, denn nicht weit entfernt liegt eine größere Brutkolonie der Sepiasturmtaucher. Obwohl strafbar, ist auch heute manchem die Lust auf die traditionelle Speise noch nicht vergangen. Auf La Graciosa werden nach wie vor Kücken heimlich gesammelt. Die Kolonien auf Alegranza und im Nationalpark "Timanfaya" werden daher während der Brutzeit von Rangern der Nationalparkverwaltung sowie freiwilligen Helfern des WWF bewacht.

Weitaus seltenere Brutvögel im Archipiélago Chinijo sind Kleiner Sturmtaucher, Atlantiksturmtaucher, Bulwer Sturmschwalbe, Fregattensturmschwalbe und Madeirawellenläufer sowie die zudem im Nationalpark "Timanfaya" brütende Sturmschwalbe. Es lohnt sich jedoch, von den Küsten Ausschau nach ihnen zu halten. Dabei wird der Blick auch immer wieder auf ziehende Brandseeschwalben fallen.

Der Archipiélago Chinijo ist gleichfalls wichtigster Brutplatz verschiedener Greifvogelarten. Es gibt Bestände von über 200 Brutpaaren des von Mai bis Oktober zu beobachtenden Eleonorenfalken, der hier nicht nur seinen einzigen Brutplatz auf den Kanaren sondern auch den südwestlichsten seines Verbreitungsgebietes hat. Im Risco de Famara und im Nationalpark "Timanfaya" finden sich die meisten von etwa 20 Paaren des ganzjährig anwesenden Wüstenfalken. Weiterhin sind Fischadler und der Schmutzgeier vertreten. Neben Vögeln, die ihren Verbreitungsschwerpunkt in bestimmten Lebensräumen haben, kommen andere nahezu überall vor. Der wohl häufigste ist der Kanarenpieper. Die Art besiedelt mit Ausnahme des eigentlichen Küstensaums Flächen bis hinauf auf die Vulkane. Die Vögel trippeln meist Nahrung suchend über den Boden und entfernen sich erst beim Näherkommen mit einem "psilitt", um schon nach kurzem Flug wieder zu landen. Gleichfalls weit verbreitet ist die Brillengrasmücke, deren warnendes "drss" aus kleinsten Dornsträuchern zu vernehmen ist. Ein etwas seltenerer aber doch markanter Brutvogel Lanzarotes ist der Wiedehopf. Man sieht ihn häufig in flatterhaftem Flug, bis er dann auf Steinwällen oder Stromleitungen landet. Hier ertönt sein Ruf, nach dem er auf den Kanaren lautmalerisch "ta-bo-bo" genannt wird.



Lebensraumveränderungen durch den Menschen

Massentourismus, ungehemmte Bebauung großer Teile Lanzarotes und Straßenbau während der letzten Jahrzehnte haben ihre Spuren hinterlassen. Bislang unberührte Naturflächen gingen verloren. Die in Jahrtausenden gewachsene Landschaft El Jable wird durch ungezügelte Sandentnahme für den Hotel- und Appartmentbau in den Touristenzentren großflächig zerstört. Intensivste Ziegenbeweidung verdrängt zudem die natürliche Vegetation und begünstigt wenige weideresistente Arten. Vogelschutz fand auf Lanzarote bis in die jüngste Vergangenheit kaum Wertschätzung. Die letzten Exemplare des rätselhaften Schwarzen Austernfischers wurden Anfang des 20. Jahrhunderts beobachtet. Sepiasturmtauchern und Kragentrappen wurde zum Nahrungserwerb nachgestellt. Heute erfolgt die legale Vogeljagd als Freizeitbeschäftigung, zeitlich und räumlich beschränkt, noch auf Felsenhuhn, Wachtel, Turtel- und Felsentaube. Die vom Menschen verursachte Veränderung der Umwelt hat für einige Arten auch Vorteile gebracht. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts profitierte der ursprünglich nicht heimische Weidensperling von landschaftsgärtnerischen Aktivitäten. Damals soll er erstmalig zahlreich bei Haría in den dortigen Palmen genistet haben, heute tritt er in allen Ortschaften auf. Wo Ziersträucher angepflanzt und bewässert werden, lebt neuerdings die Mönchsgrasmücke. Bis vor kurzem fand sich eine über die Jahre wachsende Brutpopulation von Kuhreihern und deren nächtlicher Schlafplatz in dem einzigen größeren Baumbestand Lanzarotes entlang der Uferpromenade in Arrecife. Dies wurde allerdings inzwischen aus hygienischen Gründen geändert, indem die Bäume beschnitten und auf den verbliebenen Ästen mit spitzem Draht Sitzen und Nestbau verhindert werden.

Das Süßwasser künstlich angelegter Kleingewässer und feuchter Rasenflächen auf Golfplätzen sowie Abfalldeponien lockt etliche heimische und viele Rastvögel an. Hier sind interessante Beobachtungen zur Rastzeit zu machen.



Schutzmaßnahmen zum Erhalt der Vielfalt

Verschiedene Maßnahmen zum Schutz der Natur werden jedoch unternommen. So wurden als zwei wichtige Schutzgebiete der Nationalpark "Timanfaya" und der Naturpark "Archipiélago Chinijo" eingerichtet. Beide Parks umfassen auch marine Lebensräume, wobei die ausgedehnten Flachwasserbereiche des "Archipiélago Chinijo" eine besonders artenreiche Meeresfauna beherbergen. Beträchtliche Flächen für den Vogelschutz wichtiger Zonen wie "El Jable" (einschließlich von Gebieten östlich von Teguise und im Süden der Insel) und "Laguna de Janubio" wurden als "Zona Especial Para Aves" (ZEPA = "Important Bird Area") in das europäische Schutzgebietssystem Natura 2000 aufgenommen. Im Süden der Insel ist geplant, die aufgelassenen Salzpfannen von Janubio zu restaurieren. In diesem Zusammenhang bemüht sich die Biospärenreservatsverwaltung die angrenzende Lagune zu erhalten. Um diesen wichtigen Rastplatz des Vogelzuges zu schützen und gleichzeitig den Besuchern zugänglich zu machen, sind hier Beobachtungsschirme geplant. Das im Nordwesten der Insel gelegene Vogelrastgebiet La Santa ist durch Flächenankauf vor weiterer Bebauung geschützt. Unsicher ist, ob ein angrenzender Meeresarm renaturiert werden kann. Hierdurch könnte ein auf Lanzarote einzigartiger Wattbereich erheblich erweitert und auf diese Weise der ursprüngliche Zustand wieder hergestellt werden. Innerhalb des "Archipiélago Chinijo" dürfen die ohnehin unbewohnten Eilande mit Ausnahme der größten Insel "La Graciosa" nur mit spezieller Genehmigung betreten werden. Dennoch ist es notwendig, dass freiwillige Helfer des WWF die Nester des Sepiasturmtauchers zur Brutzeit auf Alegranza bewachen. Initiiert durch den Künstler César Manrique bestand als Besonderheit Lanzarotes bereits zu Beginn des Tourismus zumindest der Anspruch nachhaltiger Nutzung der Insel. Auf sein Bemühen ist die seit 1993 bestehende Anerkennung Lanzarotes als Biosphärenreservat zurückzuführen. Die von ihm gegründete Stiftung "Fundación César Manrique" setzt sich bis heute für die Ziele der Nachhaltigkeit auf der Insel ein.

Dr. Horst Wilkens ist Professor an der Universität Hamburg und beschäftigt sich in seiner Forschung mit der Evolution von Höhlentieren und den Grundlagen der Artbildung. Weiterer Schwerpunkt ist der Naturschutz, besonders im Elbetal und auf Lanzarote.


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"Galapagos" im Atlantik

Die Besonderheit und Vielfalt des von Europa und Afrika abweichenden Artenspektrums der Kanarischen Inseln hat mehrere Ursachen. Wegen der isolierten vulkanischen Entstehung im Ozean war nicht jeder Tier- oder Pflanzengruppe eine Besiedlung möglich. Hierbei sind beispielsweise flugfähige Insekten und Vögel gegenüber Säugetieren im Vorteil. Räumlich getrennt von ihrem Ursprung entwickelten manche der erfolgreichen Einwanderer eigene Unterarten oder Arten. Einige hatten sogar die Gelegenheit, freie Lebensräume zu nutzen, die in ihrem Herkunftsgebiet durch dort vorhandene Arten besetzt waren. Dies hat zwar nicht bei Vögeln, wohl aber bei etlichen Pflanzen- und wirbellosen Tierarten zur vielfältigen Aufspaltung, einer Radiation, geführt. Zudem haben im ozeanisch ausgeglichenen Klima Tiere und Pflanzen ein Refugium gefunden, die während des Tertiär vor vielen Millionen Jahren auch in Europa lebten, dort aber durch die erdgeschichtlich nachfolgenden Eiszeiten ausstarben. Die Artenvielfalt steigerte sich außerdem durch das unterschiedliche geologische Alter der einzelnen Inseln des Kanarischen Archipels zwischen 20 (Fuerteventura) und einer Million Jahren (Hierro), wodurch immer wieder Neubesiedlungen erfolgten. Alle so entstandenen Arten und Unterarten sind in ihrem Vorkommen auf die Kanaren oder sogar auf eine einzige Insel wie Lanzarote beschränkt und somit endemisch.


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Reisetipps

Durch seine geringe Entfernung von etwa 100 km zum afrikanischen Kontinent ist Lanzarote vor allem zur Zugzeit im Frühjahr und Herbst besonders interessant. Nicht nur Wat- und Wasservögel sondern auch eine Vielzahl europäischer Klein- und Großvögel nutzen die Insel zur Rast. Besonders eindrucksvoll wird das Zuggeschehen, wenn starke aus der Sahara kommende Ost- und Südostwinde (Calima oder Harmattan) den vorherrschenden Nordostpassat durchbrechen. Sie können Zugvögel in Vielzahl mit sich reißen, die auf den Afrika am nächsten gelegenen Inseln Lanzarote und Fuerteventura für einige Zeit notlanden. Wer neben Vogelbeobachtungen auch an Pflanzen interessiert ist, sollte im Frühjahr anreisen. Da die meisten biologisch interessanten Gebiete im Norden der Insel liegen, empfiehlt sich hier auch eine Unterkunft, z. B. in Costa Teguise. Wer es etwas beschaulicher liebt, sollte kleinere Ortschaften wir Arrieta, Punta Mujeres oder das im Landesinnern liegende Städtchen Haría als Quartier auswählen. Von hier aus kann man mit dem öffentlichen Busverkehr (guagua) bestimmte Punkte ansteuern, um von dort aus zu wandern. Startpunkte für die nördlichen Barrancos sind die kleinen Ortschaften Guatiza, Tabayesco und Haría. Die Sandwüste El Jable erstreckt sich zwischen den Straßen Richtung Famara, Soo und Muñique, die man aus Richtung Teguise erreicht. Unweit hiervon liegen der Risco de Famara sowie La Santa. Den Risco kann man über den schönen weißen Sandstrand von Caleta de Famara erwandern, indem man von dort am Ende der sogenannten "Norwegersiedlung" aufsteigt. Das Watt La Santa liegt zwischen dem gleichnamigen "Sportknast" und Tinajo. Zur Besichtigung der Laguna de Janubio im Süden der Insel startet man von einem der beiden Parkplätze an der Küste in das Innere des Gebietes. Eigentlich ein "Muß" ist es, mindestens zwei der insgesamt sieben von César Manrique künstlerisch gestalteten Zentren zu besichtigen: dies sind die Höhle Jameos del Agua und das Vulkangebiet Montañas del Fuego. Es empfiehlt sich auch ein Besuch der ursprünglichen Inselhauptstadt Teguise mit ihren sehenswerten alten Gebäuden und Gassen. Hier kann man im Übrigen vom 10. Dezember 2009 bis 10. Januar 2010 die Fotoausstellung "Leben auf Lava" im Convento de Santo Domingo sehen. Diese Ausstellung von Ulrike Strecker und dem Autor in Zusammenarbeit mit der Biosphärenreservatsverwaltung zeigt beeindruckende Fotos von den Lebensräumen, Tieren und Pflanzen Lanzarotes.


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Informationen zum Thema:

Wilkens H 2009: Lanzarote: Blinde Krebse, Wiedehopfe und Vulkane.
Verlag Naturalanza Ulrike Strecker, Hamburg. (2. Aufl.).

Strecker U, Wilkens H 2009: Lanzarote: Leben auf Lava. Verlag Naturalanza Ulrike Strecker, Hamburg.
Bestellung beider Bücher per E-Mail: info@naturalanza.com
oder telefonisch: 0162/418 22 26 sowie bei amazon.de

www.naturalanza.com
http://birdinglanzarote.blogspot.com/
http://avesencanarias.blogspot.com/


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 1/2010
57. Jahrgang, Januar 2010, S. 16-22
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2010