Schattenblick → INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → BIOLOGIE


ORNITHOLOGIE/330: Vielfalt an der Steilwand - Bienenfresser als Lebensraumgestalter (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 3/2015

Vielfalt an der Steilwand: Bienenfresser als Lebensraumgestalter

von Jan Goedelt


Steilwände an natürlichen Flussläufen sowie in Kies- und Sandgruben beherbergen eine hohe Anzahl verschiedener Tierarten, darunter eine Vielzahl an Brutvögeln, die in der Wand ihre Nester haben. Für diese Artenvielfalt an der Steilwand kommt dem Bienenfresser eine entscheidende Bedeutung zu: Er verändert stetig den Lebensraum Steilwand durch das Graben von Bruthöhlen und ermöglicht es so anderen Vogelarten, sich diesen Lebensraum überhaupt erst zu erschließen.

*

Anfang bis Mitte Mai kehren Bienenfresser in ihre mitteleuropäischen Brutgebiete zurück. Sie besiedeln dort Böschungsabbrüche, Steilufer und -wände, in deren Umfeld ausreichend Beutetiere wie Wespen, Hummeln, Käfer und Libellen leben. Da es in Mitteleuropa nur noch sehr wenige natürliche Flussläufe mit Abbruchkanten oder Steilufern gibt, befindet sich die überwiegende Zahl der Brutkolonien in Sekundärlebensräumen. An erster Stelle stehen Sand-, Kies- oder Braunkohlegruben, die in ihren Randbereichen Steilwände und - böschungen aufweisen. Hier legen die farbenprächtigen Spinte ihre selbstgegrabenen, durchschnittlich einen Meter tiefen Brutröhren an, bevorzugt 30 Zentimeter bis einen Meter unterhalb der Böschungsoberkante knapp unter der Humusschicht. Eine große Höhe der Niströhre über dem Böschungsfuß hält potenzielle Räuber wie Steinmarder, Iltis oder Fuchs fern. Bei höheren Brutwänden haben Bienenfresser zudem die Möglichkeit, in Folgejahren weiter nach unten auszuweichen, sodass erst später tiefer liegende Bereiche der Wand besiedelt werden.

Alt und Neu

Normalerweise bauen Bienenfresserpaare jedes Jahr in die angestammte Steilwand eine neue Bruthöhle. Vor der endgültigen Fertigstellung einer Höhle beginnt das Paar (überwiegend das Männchen) jedoch oftmals, mehrere Löcher zu graben. Auf eine fertiggestellte Bruthöhle können so vier bis fünf unfertig aufgelassene, teilweise viele Zentimeter in die Wand getriebene Höhlen kommen, die bereits ein Stadium nahe der Fertigstellung aufweisen können. Ist die Höhle einmal tiefer als 60 bis 70 Zentimeter gegraben, wird sie als endgültige Bruthöhle fertiggestellt und genutzt. Zu Bruthöhlen aus früheren Jahren wird ein Abstand gehalten, der gerade so groß ist, dass die zu den Röhren gehörenden Nestkammern nicht zusammentreffen. Zwischen besetzten Bruthöhlen des jeweiligen Jahres halten die Bienenfresser einen Mindestabstand von rund einem Meter ein. Neben aufgegebenen Höhlenanfängen wird oft unmittelbar neu gegraben. Immer wieder nutzen Bienenfresser jedoch auch ihre Nisthöhlen der Vorjahre, es werden bereits vorhandene Höhlenanfänge weitergebaut oder von ebenfalls in den Steilhängen brütenden Uferschwalben begonnene und aufgegebene Höhlen ausgebaut. Die Nutzung der vorjährigen Niströhren ist aber nur dort möglich, wo ein festeres Substrat zum längeren Erhalt der alten Brutröhre führt. Besonders in den oberen Bereichen der Brutwand bleibt das Substrat oftmals durch die Humusdecke längerfristig feucht und dadurch stabil. Kommt es hingegen im Bereich der Brutröhren zu Veränderungen der Brutwand, wie etwa zu Einstürzen im Eingangsbereich, werden im Folgejahr neue Röhren an anderer Stelle angelegt.

Die Grabeaktivität der Bienenfresser führt über Jahre hinweg zu einer nachhaltigen Veränderung der Steilwand. Zum einen graben die Bienenfresser aktiv neue Höhlen und holen so Substrat aus der Brutwand. Zum anderen führt das Anlegen von Höhlen in derselben Steilwand dazu, dass diese - unter Einfluss der Witterung - an Stabilität verliert und in Teilen erodiert. Große Bruchstücke werden freigegeben und es können sich umfangreiche Risse und neue Abbrüche bilden. Untersuchungen in Südspanien gehen davon aus, dass ein Bienenfresserpaar allein beim Anlegen seiner Bruthöhle (ohne Einberechnung etwaiger unfertiger Höhlen) knapp 13 Kilogramm an Substrat aus der Steilwand entfernt. In der dort untersuchten Kolonie mit 67 neu angelegten Nestern in einem Brutjahr kamen so rund 870 Kilogramm an ausgegrabenem Material zusammen - eine unvorstellbare Menge! In jener Kolonie brachen durch die Aktivitäten der Bienenfresser zudem einige große Stücke aus der Wand, deren Gewicht auf insgesamt rund 4500 Kilogramm taxiert wurde; kleinere Abbruchstücke sind hierbei nicht einmal berücksichtigt. Insoweit fördert der Bienenfresser aktiv die Erosion der Steilwände und gestaltet so dieses Habitat um.

Ökologische Schlüsselrolle

Brutkolonien der Bienenfresser können bei einem guten Bruterfolg ein Wachstum von jährlich bis zu 25 Prozent aufweisen, da auch die Rückkehrrate der Alt- und Jungvögel an den Brutplatz oder Geburtsort sehr hoch ist. In Untersuchungen zeigte sich, dass Alt- und Jungvögel oft über viele Jahre denselben Brutplatz nutzen. Diese Geburtsort- und Brutplatztreue ist ein Grund dafür, dass die Besiedelung weiterer potenzieller Brutplätze nur sehr langsam vonstattengeht, die Größe der jeweiligen Kolonie dagegen sehr schnell zunehmen kann, sodass es zu einer alljährlichen Zunahme an Niströhren kommt.

Diese Rahmenbedingungen - fertiggestellte Vorjahreshöhlen, angefangene Höhlen, zunehmende Zerlöcherung der Steilwand und Erosionsabbrüche - führen dazu, dass sich in den Brutwänden von Bienenfressern, gerade mit zunehmendem Alter der Brutkolonie und damit der Anzahl freier Bruthöhlen, zahlreiche andere Höhlenbrüter ansiedeln können. Hinsichtlich des Höhlenbaus kommt Bienenfressern daher eine ökologische Schlüsselrolle zu, denn durch ihre Aktivitäten wird vielen Vogelarten erst ein Brüten in der Steilwand ermöglicht. Bienenfresser sind damit Höhlenlieferanten für andere Arten. Während verschiedener Untersuchungen in Bienenfresserkolonien in Süd- und Mitteleuropa fanden sich dort als Nutznießer folgende 14 Arten: Feld-, Haus-, Weiden- und Steinsperling, Wendehals, Steinkauz, Turmfalke, Blauracke, Wiedehopf, Mauersegler, Dohle, Steinschmätzer, Bachstelze und Star. Die größeren Arten wie Turmfalke, Steinkauz oder Blauracke siedelten in durch Regen ausgewaschenen, teilweise erodierten Bruthöhlen des Bienenfressers oder erweiterten die Nisthöhlen durch eigene Grabeaktivitäten, während die kleineren Arten ihr Nest einfach im vorderen Bereich der langen Niströhren bauten; die sich anschließenden, tief in der Steilwand liegenden Nistkammern der Bienenfresser bleiben in der Regel ungenutzt. Für Arten wie zum Beispiel den Steinsperling gelten die Bruthöhlen des Bienenfressers als wichtig für den Erhalt der Population. Auch für Feldsperlinge und Blauracken ist die Schaffung der Niströhren bedeutend; in einigen Brutkolonien des Bienenfressers brüten Feldsperlinge und Bienenfresser in gleich hoher Anzahl. Doch nicht nur als Nisthöhlen für andere Vogelarten sind die Höhlen des Bienenfressers von Bedeutung. Zahlreiche Tierarten nutzen die Höhlen zum Beispiel als Versteck. Wechsel- und Knoblauchkröten, Zauneidechsen, Natternarten, Fledermäuse und verschiedene Arten des Schwarzkäfers (Fam. Tenebrionidae) konnten besonders in niedriger gelegenen Bienenfresserbauten festgestellt werden. Viele der Schwarzkäferarten benutzen Bienenfresserbruthöhlen zudem, um dort ihre Eier abzulegen oder nach Nahrung zu suchen.

Konkurrenz an der Steilwand

Die Nutzung von Nisthöhlen durch andere Höhlenbrüter führt zwangsläufig zu einer Konkurrenz um die Vorjahres- bzw. die noch nicht zu Ende geführten Höhlen. Verändern gerade größere Höhlenbrüter wie Blauracke, Dohle oder Steinkauz den Höhleneingang, so wird die Niströhre für Bienenfresser unbrauchbar. Arten wie Sperlinge oder Stare haben zudem den Vorteil, dass sie wesentlich früher im Jahr die Nisthöhlen besetzen können als die erst Anfang Mai aus den Winterquartieren zurückkehrenden Bienenfresser. Sperlinge stellen hierbei die zahlenmäßig größten Nistplatzkonkurrenten dar. Bienenfresser zeigen gegenüber anderen Höhlennutzern kaum Aggressionsverhalten, selbst in unmittelbarer Nähe ihrer eigenen Nester nicht: Teilweise beträgt der Abstand zwischen der Nisthöhle des Bienenfressers und der eines Sperlingspaars gerade einmal zehn bis 15 Zentimeter. Kleinvögel wie Haus- oder Feldsperlinge bleiben auch in der nächsten Nachbarschaft und auf den Warten unbeachtet, werden aber auf dem Höhepunkt des territorialen Verhaltens vom Höhleneingang der Bienenfresser vertrieben. Anders jedoch die Aggression gegenüber Artgenossen, die sich vor allem in der Verteidigung der immer wieder benutzten Sitzwarten äußert.

Kleptoparasitismus am Bienenfresser

Nicht nur die Bruthöhlen der Bienenfresser selbst dienen anderen Arten als Nistmöglichkeit. Immer wieder werden aktive Bruthöhlen der bunten Spinte von anderen Vogelarten aufgesucht, um dort am Höhleneingang oder nahe der Sitzwarten nach Nahrung zu suchen. Von den häufig frequentierten Sitzwarten lassen die Bienenfresser nämlich ihre Speiballen fallen. Besonders Elstern suchen Bienenfresserkolonien auf, um die üblichen Sitzwarten nach Speiballen und Insektenresten abzusuchen und diese dann selbst zu fressen. Ebenso suchen sie regelmäßig die Höhleneingänge nach Futterresten ab, desgleichen Wiedehopfe und Haussperlinge. Ein aggressives Verhalten der Bienenfresser gegenüber diesen, ihre Nisthöhlen inspizierenden Vögeln ließ sich in Untersuchungen nicht feststellen.

Diese Form des Nahrungserwerbs weiten Haussperlinge sogar noch aus und betreiben an den Bienenfressern Kleptoparasitismus: Trupps junger Haussperlinge konnten in verschiedenen Brutkolonien dabei beobachtet werden, wie sie in Bäumen nahe der Bienenfresserniströhren warteten, bis sich ein Futter tragender Bienenfresser näherte und seine Bruthöhle anflog. Sogleich folgten ihm sechs bis acht Haussperlinge bis zum Eingang der Höhle. Währenddessen hielten sich weitere Sperlinge oberhalb der Kolonie auf, die allesamt darauf warteten, heruntergefallene Insektenteile aus dem Röhreneingang aufzulesen. Oftmals aber bedrängten die jungen Sperlinge den anfliegenden Bienenfresser derart, dass er einige Nahrungsteile fallen ließ und so Beute an den Trupp der Sperlinge verlor. Mit zunehmenden und heftigeren Attacken der jungen Haussperlinge im Laufe der Brutsaison änderten die Bienenfresser ihre Strategie, indem sie mit dem Anflug zur Höhle zunächst warteten, den Trupp Haussperlinge beobachteten, um dann bei einer günstigen Gelegenheit mit höherer Geschwindigkeit ihre Bruthöhle anzusteuern. Dieses Verhalten führte zu einer reduzierten Fütterungsrate, da die Altvögel hierbei viel Zeit verloren. Andere Bienenfresser wehrten sich gegen die Angriffe, ohne dabei wesentliche Mengen an Futter zu verlieren. Aber warum attackieren Trupps junger Haussperlinge die Futter tragenden Bienenfresser? Möglicherweise ergänzen die jungen Haussperlinge auf diesem Weg ihre Nahrung, um an die für sie nicht leicht zu erreichenden Insekten zu gelangen, nachdem sie bis kurz nach dem Ausfliegen aus dem Nest noch von ihren Eltern mit Insekten versorgt worden sind und sie nun - womöglich unerfahren - weniger Erfolg auf der eigenen Insektenjagd hätten.

Vor- und Nachteile der Koloniebrut

Die Vorteile des gemeinsamen Brütens in einer gemischten Brutkolonie liegen insbesondere in einer kooperativen Feindabwehr. Gemeinsam beobachten die Bewohner der Kolonie gleichzeitig vom Boden und von der Luft aus sehr wachsam die Umgebung und warnen rechtzeitig bei drohender Gefahr, zum Beispiel vor Greifvögeln oder Mardern. Der Alarmruf der Bienenfresser wird auch über die Artgrenzen hinweg von beispielsweise Sperlingen oder Staren erkannt und verstanden. Bienenfresser attackieren in großen Gruppen Beutegreifer wie Falken, Steinkäuze oder Marder. Hierin liegt vor allem der Vorteil für die kleineren, in der Kolonie mitbrütenden Arten wie etwa Feld- oder Steinsperlinge, die sich selbst nicht an der Verteidigung beteiligen, zugleich aber in den Vorteil des höheren Schutzes gelangen und so eine höhere Reproduktionsrate erreichen können. Auf der anderen Seite kann das Brüten in größeren, gemischten Kolonien dazu führen, dass diese Brutansammlungen häufiger von Feinden aufgesucht werden, weil sie auffälliger sind als kleinere Brutkolonien. Auch vermögen sich in Kolonien, gerade wenn Nester von Bienenfressern aus dem Vorjahr benutzt werden, Parasiten schnell artübergreifend zu übertragen. Werden viele Vögel stark von Parasiten befallen, so senkt dies wiederum den Bruterfolg. Insgesamt aber dürften die Vorteile der Mitbewohner überwiegen, die ohne den Bienenfresser den begrenzten Faktor Höhle gar nicht hätten nutzen können.


Jan Goedelt ist Jurist mit umweltrechtlichem Schwerpunkt und seit der Kindheit begeisterter Vogelbeobachter, Fotograf und Naturschützer.
www.natur-linse.de


Literatur zum Thema:

Bauer H-G, Fiedler W, Bezzel E 2005: Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas, Nonpasseriformes, 2. Aufl., Aula-Verlag, Wiesbaden.

Casas-Criville A, Valera F 2005: The European bee-eater (Merops apiaster) as an ecosystem engineer in arid environments, Journal of Arid Environments 60: 227-238.

Glutz von Blotzheim UN, Bauer KM 1980/1994: Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Bd. 9 (Columbiformes - Piciformes), Akad. Verlagsges., Wiesbaden.

Heneberg P, Simecek K 2004: Nesting of European bee-eaters (Merops apiaster) in Central Europe depends on the soil characteristics of nest sites, Biologia Bratislava 59/2: 205-211.

Kollar HP 1988: Steilwände - Zentren faunistischer Artenvielfalt, ÖKOL 10/3-4: 20- 6.

Petrescu A, Adam C 2001: Interspecific relations in the populations of Merops apiaster of Southern Romania, Travaux du Museum National d'Histoire Naturelle "Grigore Antipa", Vol. XLIII: 305-322.

Rupp J, Saumer F, Finkbeiner W 2011: Brutverbreitung und Bestandsentwicklung des Bienenfressers (Merops apiaster) am südlichen Oberrhein im Zeitraum 1990 bis 2009, Naturschutz südl. Oberrhein 6: 31-42.

Schulze M, Ortlieb R 2010: Bestand, Schutz und Gefährdung des Bienenfressers (Merops apiaster) in Sachsen-Anhalt, Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt, 47. Jahrgang, Heft 1 & 2: 3-15.

Sommer K 2010: Verlauf und zeitliches Investmentmuster beim Bruthöhlenbau des Bienenfresser (Merops apiaster) - eine Fallstudie, Diplomarbeit, Universität Wien.

Ursprung J 1984: Zur Brutbiologie und Nistökologie ostösterreichischer Bienenfresser (Merops apiaster), Egretta 27/2: 68-79.

*

Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 3/2015
62. Jahrgang, März 2015, S. 12-17
mit freundlicher Genehmigung des Autors und des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141, Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de
 
Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,95 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In- und Ausland für 54,- Euro
zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang