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ZOOLOGIE/1016: Käfer - Warum die Räuber selber zu Opfern wurden (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena - 26.09.2012

Warum die Räuber selber zu Opfern wurden

Verwandtschaftsbeziehungen von ausgestorbenen und lebenden Raubkäfern analysiert



Sie waren recht groß, bewaffnet und flink. Dennoch starb ein Zweig der Raubkäfer (Adephaga) vor etwa 100 Mio. Jahren aus, während andere räuberische Wasserkäfer diesem Schicksal entgingen. Ein internationales Wissenschaftlerteam hat nun erstmals die Verwandtschaftsbeziehungen von ausgestorbenen mit noch lebenden Vertretern der Gruppe verglichen. Ihre systematischen Ergebnisse über Raubkäfer aus dem Erdmittelalter sind gerade in der Fachzeitschrift "Cladistics" (DOI: 10.1111/j.1096-0031.2012.00420.x) erschienen.

Grundlage war eine deutsch-chinesische Kooperation. Beteiligt an den Forschungen, für die wichtige aktuelle Fossilfunde aus chinesischen Lagerstätten analysiert wurden, sind Prof. Dr. Rolf Beutel von der Universität Jena sowie Wissenschaftler der Chinese Academy of Sciences und der Capital Normal University in Peking.

Die Käfer tragen archaische Namen wie "Coptoclavidae" (Totenschiffkäfer) oder "Charonoscapha" und "Necronectus", Anspielungen auf den Totenfährmann Charon aus der griechischen Mythologie. Die Gruppe der Raubkäfer umfasst über 30.000 Arten, darunter so auffallende Formen wie der Lederlaufkäfer oder der Gelbrandkäfer. "Die 'Coptoclavidae' sind eine in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Gruppe", erzählt Prof. Beutel. Die Käfer waren teilweise über vier cm groß. Alle Arten waren sehr wahrscheinlich räuberisch und bei einigen waren bei Larven und erwachsenen Käfern die verlängerten Vorderbeine als Fangbeine spezialisiert und die Mittel- und Hinterbeine als paddelförmige Schwimmbeine - sie müssen also auch im Wasser zu den flinken Räubern gehört haben. "Zahlreiche Stücke sind überliefert, viele neue Fossilien haben wir für unsere Forschungen aus China erhalten", so der Jenaer Entomologe weiter. Auf Steinen von ca. 10 cm Durchmesser sind bis zu drei Exemplare zu finden, teilweise Larven und Käfer eng nebeneinander. "Die Gruppe war also trotz ihrer Artenarmut von nur 39 bekannten Spezies auf eine Art sehr erfolgreich", sagt Beutel.

Der typische Lebensraum der Raubkäfergruppe waren Seen mit spärlicher Vegetation. "Es ist aber durch Fossilien aus der berühmten Lagerstätte Solnhofen belegt, dass die Totenschiffkäfer zu den ganz wenigen Insekten gehören, denen es gelungen ist, auch das Meer als Lebensraum zu nutzen", sagt der Insekten-Experte von der Universität Jena und ergänzt: "Aus Sicht des Systematikers und Evolutionsbiologen ist wichtig, dass die 'Coptoclavidae' keine 'natürliche' - wissenschaftlich monophyletisch genannte - Gruppe darstellen. Eine Teilgruppe mit besonders ursprünglichen Merkmalen hat sich unabhängig vom Hauptstamm der Raubkäfer abgespalten."

Entscheidend für das Aussterben in der mittleren Kreidezeit vor rund 100 Mio. Jahren war - so vermutet die Wissenschaft - das Aufkommen der modernen Fische. Für die Wissenschaftler stellte sich nun die Frage, warum andere Wasserkäfer den Fischen nicht zum Opfer fielen. "Das Überleben beispielsweise der Taumelkäfer seit ca. 250 Millionen Jahren wurde wohl durch extrem spezialisierte Sinnes- und Antriebsorgane gesichert", vermutet Prof. Beutel, "während die Schwimmkäfer durch äußerst wirksame Abwehrsekrete geschützt sind, die dem männlichen Sexualhormon der Wirbeltiere - dem Testosteron - sehr ähnlich sind."

Im aktuellen Aufsatz haben die Zoologen nun systematisch die Merkmale der Raubkäfer analysiert. Diese ergeben unter anderem, dass die Raubkäfer wahrscheinlich ursprünglich im Wasser gelebt haben, und dass die extrem erfolgreichen Laufkäfer erst relativ spät sekundär zum Landleben übergegangen sind. Die früheste Abspaltung im Stammbaum der Raubkäfer sind erstaunlicherweise die extrem spezialisierten Taumelkäfer, die wie die ausgestorbenen Totenschiffkäfer völlig getrennte Über- und Unterwasseraugen besitzen und extrem schnell auf der Wasseroberfläche gleiten können.

Original-Publikation:
Beutel G et al.: On the phylogeny and evolution of Mesozoic and extant lineages of Adephaga (Coleoptera, Insecta),
Cladistics (2012) 1-19,
DOI: 10.1111/j.1096-0031.2012.00420.x

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Axel Burchardt, 26.09.2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2012