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ZOOLOGIE/1276: Ein Blick auf die letzten echten Wildpferde der Welt nach 100 Jahren Gefangenschaft (idw)


Forschungsverbund Berlin e.V. - 25.09.2015

Ein Blick auf die letzten echten Wildpferde der Welt nach 100 Jahren Gefangenschaft


Zum ersten Mal hat ein internationales Forscherteam das komplette Erbgut von elf Przewalski-Pferden sequenziert, einschließlich aller Abstammungslinien. Fünf Pferdeproben stammten von mehr als 100 Jahre alte Museumsexemplaren. Die Genome wurden mit dem Erbgut von 28 Hauspferden verglichen, um ein detailliertes Bild der Vergangenheit und Gegenwart der bedrohten Tiere zu erhalten. Die aktuelle Studie wurde jetzt im (Cell Press-)Fachmagazin "Current Biology" veröffentlicht.


Foto: © Ludovic Orlando

Przewalski-Pferde
Foto: © Ludovic Orlando


Die letzten echten Wildpferde der Welt, bekannt als Przewalski-Pferde, lebten in den 1870er Jahren in den asiatischen Steppen der Mongolei und Chinas. 90 Jahre später waren diese Pferde jedoch nicht mehr freilebend. Nur eine einzige in Gefangenschaft lebende Population blieb übrig, die von etwa einem Dutzend Individuen aus Wildfängen und vier domestizierten Pferden abstammte. Dank erheblicher Schutzbemühungen umfasst die heutige Population der Przewalski-Pferde über 2.000 Individuen, von denen etwa ein Viertel in Auswilderungsreservaten lebt.

"Neuartig an unserem Forschungsansatz ist, dass wir nicht nur die gegenwärtige, sondern auch die einstige genetische Vielfalt der Przewalski-Pferde mit Hilfe von Museumsexemplaren untersucht haben", erklärt Ludovic Orlando vom Zentrum für Geogenetik des Naturkundemuseums Dänemark und der Universität Kopenhagen. "Dadurch konnten wir den Einfluss von mehr als 100 Jahren Gefangenschaft auf den Genpool der ehemals stark bedrohten Tiere ermitteln."

"Der genetische Nachweis trägt zur Klärung einer langjährigen Debatte hinsichtlich der Beziehung zwischen wilden und domestizierten Pferden in der Pferdeevolution bei", erklärt Arne Ludwig, Genetiker am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW). Die Wissenschaftler berichten, dass die Vorfahren der Przewalski-Pferde und Hauspferde noch für lange Zeit durch einen Genfluss miteinander verbunden blieben, nach ihrem Auseinanderstreben vor ungefähr 45.000 Jahren. Auch als Menschen vor etwa 5.000 Jahren anfingen Pferde zu domestizieren, vermischten sich ihre Populationen weiterhin.

"Wir konnten tatsächlich zeigen, dass Hauspferde bereits zu Beginn ihrer Gefangenschaft - während des frühen 20. Jahrhunderts - entscheidend zu einigen Linien des Stammbaums der Przewalski-Pferde beigetragen haben", sagt Orlando. "Das bedeutet, dass nicht alle überlebenden Przewalski-Linien den Wildpferde-Genpool in gleichem Maße vertreten."

Orlando und seine Kollegen fanden die größten genetischen Unterschiede zwischen domestizierten und wilden Pferden bei Genen, die den Stoffwechsel, die Reproduktion, das Verhalten sowie Herzerkrankungen, Muskelkontraktionen, und Signalwege betreffen.

Die Wissenschaftler zeigten außerdem, dass die letzten 110 Jahre in Gefangenschaft nicht spurlos an den Przewalski-Pferden vorbeigegangen sind. Dies machte sich in Form einer geringeren genetischen Diversität und zunehmender Inzucht bemerkbar. In einigen Fällen kam es zudem zu wesentlichen Veränderungen des Genpools durch domestizierte Individuen. In den extremsten Fällen bestand ungefähr ein Viertel des Erbguts der Przewalski-Pferde aus Genvarianten, die von domestizierten Pferden vererbt wurden.

Es gibt jedoch auch gute Nachrichten: "Obwohl Przewalski-Pferde einen extremen demographischen Zusammenbruch hinter sich haben, scheint sich die Population zu erholen und ist immer noch genetisch divers", sagt Orlando. "Damit besteht Hoffnung für (andere) gefährdete Populationen, die mit ähnlichen demographischen Problemen zu kämpfen haben."

"Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung von fossilen DNA-Nachweisen, um die Domestikation von Tieren zu verstehen. Wir wollen noch weitere alte Pferderassen - sowohl wilde als auch domestizierte - untersuchen, um die Geschichte der 5.500 Jahre alten Pferdedomestizierung zu rekonstruieren", berichtet Ludwig.


Publikation:
Sarkissian CD, Ermini L, Schubert M, Yang MA, Librado P, Fumagalli M, Jónsson H, Bar-Gal GK, Albrechtsen A, Vieira FG, Petersen, B, Ginolhac A, Seguin-Orlando A, Magnussen K, Fages A, Gamba C, Lorente B, Polani S, Steiner C, Neuditschko M, Jagannathan V, Feh C, Greenblatt CL, Ludwig A, Abramson N, Zimmermann W, Schafberg R, Tikhonov A, Sicheritz-Ponten T, Willerslev E, Marques-Bonet T, Ryder OA, McCue M, Rieder S, Leeb T, Slatkin M, Orlando L (2015):
Evolutionary genomics and conservation of the endangered Przewalski's horse.
CURR BIOL.
doi.org/10.1016/j.cub.2015.08.032.



Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution245

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Forschungsverbund Berlin e.V., Saskia Donath, 25.09.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. September 2015

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