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ZOOLOGIE/884: Das Antennen-Transkriptom des Tabakschwärmers (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 15. April 2011

GENETIK | VERHALTENSBIOLOGIE
Das Antennen-Transkriptom des Tabakschwärmers

Wissenschaftler erfassen Gene, die den Geruchssinn in den Fühlern einer Motte steuern


Mit ihren Antennen navigieren Insekten in ihrer Umwelt. Nicht nur Gerüche, sondern auch Tast- und Temperatursinn sind in den Fühlern verankert. In einer nun online veröffentlichten Studie legen Max-Planck-Wissenschaftler erstmals die komplette Analyse der in den Antennen des Tabakschwärmers Manduca sexta am Geruchssinn beteiligten Gene vor. Etwa 70 verschiedene Rezeptoren wurden in rund 100 000 Neuronen identifiziert, mit denen die Motten eine große Anzahl an Düften erkennen, die wiederum ihr Verhalten steuern. Bei der Studie handelt es sich um die erste nahezu vollständige Analyse des Antennen-Transkriptoms einer natürlich vorkommenden Insektenart.

Der nachtaktive Tabakschwärmer hat mit Hilfe seiner Antennen Blüten des wilden Tabaks anhand ihres spezifischen Geruchs erkannt und erfreut sich am Nektar. - © MPI für chemische Ökologie/Danny Kessler

Der nachtaktive Tabakschwärmer (Manduca sexta) hat mit Hilfe seiner Antennen Blüten des wilden Tabaks anhand ihres spezifischen Geruchs erkannt und erfreut sich am Nektar.
© MPI für chemische Ökologie/Danny Kessler

Die genetische Analyse der Antennen des Tabakschwärmers schließt eine Lücke in der Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Insekten und Pflanzen: Wie gelangt eigentlich der Duft des Tabaks, bildlich gesprochen, in das Gehirn der Motte?

Die Entschlüsselung der in den Fühlern aktiven Gene ist eine wichtige Grundlage, um herausfinden zu können, wie ein Insekt Reize wahrnehmen kann. Dazu bestimmten die Jenaer Forscher das so genannte Transkriptom der Antennen des Tabakschwärmers, also die Mengen einzelner, zu einem bestimmten Gen gehörenden mRNAs. Demnach verfügt Manduca sexta über 18 spezifische Duftstoff-bindende und 21 chemosensorische Proteine. Die Tabakschwärmer-Männchen verfügen zudem über 68 verschiedene Geruchsrezeptoren, die jeweils an einen Glomerulus, ein kugelförmiges Nervenbündel, gekoppelt sind. Weibchen wiederum haben 70 solcher "Reaktionseinheiten"; die meisten dieser Rezeptoren konnten im Laufe dieser Untersuchung identifiziert werden.

Eine große Anzahl (69%) der Antennen-Transkripte lässt sich keiner Genfunktion zuordnen - ihre Rolle in den Fühlern ist nicht erkennbar. Dies lässt vermuten, dass es viele noch unverstandene Mechanismen der Reizverarbeitung in den Antennen gibt, die jetzt aufgeklärt werden müssen. Einige der mRNAs lassen auf erhebliche Enzymaktivitäten schließen, beispielsweise Esterasen. Vorhanden ist auch eine größere Menge an Transkripten, die Genexpression steuern, ein Indiz, dass die Antenne sich flexibler an Umwelteinflüsse anpassen kann als bisher angenommen.

Gewebeschnitt einer Antenne eines Tabakschwärmer-Männchens. Die roten und grünen Punkte entsprechen Transkripten zwei verschiedener Geruchsrezeptoren. - © MPI für chemische Ökologie/Christopher König

Gewebeschnitt einer Antenne eines Tabakschwärmer-Männchens. Die roten und grünen Punkte entsprechen Transkripten zwei verschiedener Geruchsrezeptoren.
© MPI für chemische Ökologie/Christopher König

Antennen scheinen trotz ihrer Beteiligung an komplexen Verhaltensweisen eine recht simpele genetische Ausstattung zu besitzen. Zum Vergleich: Im Mitteldarm der Raupen sind nahezu doppelt so viele Gene aktiv wie in den Antennen der Falter. Ausschließlich in Männchen exprimiert sind nur 348 Antennen-Gene, während Weibchen immerhin 729 "eigene" Gene für sich beanspruchen. "Dies könnte daran liegen, dass die Weibchen befruchtete Eier an für den Nachwuchs optimalen Stellen abzulegen. Beispielsweise auf Blättern des wilden Tabaks, wo sich die jungen Raupen ernähren können, ohne durch die Abwehrstoffe der Tabakpflanze geschädigt zu werden", sagt Bill Hansson, Direktor der 2006 am Max Planck Institut gegründeten Abteilung Evolutionäre Neuroethologie.

Der Geruchssinn ist bei Insekten enorm ausgeprägt. Eine geringe Konzentration an Molekülen in der Luft reicht aus, um von den Antennen der Tiere erfasst zu werden. Die Duftstoffe werden mittels Nervenzellen, die sich in den Fühlern befinden, von Rezeptorproteinen erkannt. Hat der Rezeptor ein Duftmolekül gebunden, werden chemische und elektrische Signale erzeugt, die im Gehirn des Insekts verarbeitet werden und schließlich dessen Verhalten bedingen. Neben Rezeptoren kommen weitere in die Geruchswahrnehmung involvierte Proteine ins Spiel, dazu gehören Enzyme und chemosensorische Proteine.

Neben Fruchtfliegen sind Schmetterlinge und Motten beliebte Forschungsobjekte. Das Genom der Seidenraupe Bombyx mori ist inzwischen vollständig sequenziert, allerdings ist dieses Insekt durch den Menschen über Jahrtausende hinweg domestiziert worden, weshalb ursprüngliche, unbeeinflusste Exemplare in der Natur nicht mehr auffindbar sind. Die "Gewohnheiten" des amerikanischen Tabakschwärmers (Manduca sexta) hingegen, einer in Nordamerika vorkommenden Motte, sind der Gegenstand zahlreicher physiologischer Studien zur Erforschung des Geruchssinns in Insekten. Darüber hinaus ist auch dessen Wirtspflanze Nicotiana attenuata, der wilde Tabak, zu einer wichtigen Modellpflanze ökologischer Forschung avanciert.
JWK/HR


Originalveröffentlichung
Ewald Grosse-Wilde, Linda S. Kuebler, Sascha Bucks, Heiko Vogel, Dieter Wicher, Bill S. Hansson
The antennal transcriptome of Manduca sexta.
Proceedings of the National Academy of Sciences USA, Early Edition

Ansprechpartner

Prof. Dr. Bill S. Hansson
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Jena
E-Mail: hansson@ice.mpg.de

Angela Overmeyer
Press and Public Relations
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Jena
E-Mail: overmeyer@ice.mpg.de


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Quelle:
MPG - Presseinformation vom 15. April 2011
Herausgeber:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2011