Goethe-Universität Frankfurt am Main - 04.02.2015
Embryonen beim Wachsen zusehen
Die Fachzeitschrift "Nature Methods" hat die von dem Frankfurter Physiker
Ernst Stelzer entwickelte Lichtscheiben-Fluoreszenzmikroskopie zur Methode
des Jahres 2014 gewählt. Damit kann man über viele Tage hinweg
dreidimensionale Filme von Zellen in den Wurzeln lebender Pflanzen oder in
den Eiern heranwachsender Insekten- oder Fisch-Embryonen aufnehmen, ohne
sie zu schädigen.
Bildtext: In einem Lichtscheiben-Fluoreszenzmikroskop wird die
biologische Probe in einer Ebene von der Seite beleuchtet und
senkrecht dazu beobachtet. Die dreidimensionale Ausdehnung des
biologischen Objekts bleibt beim Einbringen in das Mikroskop und
während der Aufnahmen erhalten. Die drei Bilder zeigen eine Ebene in
der Mitte eines etwa 0.5 Millimeter großen Zellklumpens in
unterschiedlichen Vergrößerungen. Der sphärische Zellhaufen besteht
aus etwa 25.000 Brustgewebezellen. Deutlich zu erkennen sind
Zellkerne (rot) und Aktinstrukturen (grün). Der Differenzierungsgrad
der Zellen ändert sich mit ihrem Abstand von der Grenzfläche.
© Daten und Bilder von Christian Mattheyer, Daniel von
Wangenheim und Francesco Pampaloni
FRANKFURT. Die Lichtscheiben- beziehungsweise Lichtblatt-Fluoreszenzmikroskopie (LSFM) ist eine extreme Weiterentwicklung der konfokalen Fluoreszenzmikroskopie. In beiden Verfahren werden fluoreszierende Moleküle, die zum Teil von den Objekten selbst erzeugt werden, zum Leuchten angeregt. Das Problem aller Lichtmikroskope ist, dass Beleuchtung bereits einen Einfluss auf den Stoffwechsel hat. In vielen Zellen werden nämlich die an biochemischen Prozessen beteiligten Moleküle durch Licht geschädigt. Dies wird unter dem Begriff Fototoxizität zusammengefasst. Um die räumliche und zeitliche Verteilung von bestimmten Proteinen (Eiweißen) zu erkennen, verwendet man bei der Fluoreszenzmikroskopie außerdem leuchtfähige Farbstoffe. Leider sind sie nicht lichtecht. Sie verbrauchen sich beziehungsweise bleichen aus, wenn sie angeregt werden.
Beide Probleme treten vor allem dann auf, wenn man dreidimensionale Bilder mit der herkömmlichen konfokalen Lichtmikroskopie aufnehmen will. "Dazu muss man den Fokus des Mikroskops von der Oberfläche bis in die tiefste Schicht des Objekts Ebene für Ebene führen. Dabei werden zwangsläufig jedes Mal alle Schichten beleuchtet, auch wenn sie gar nicht beobachtet werden", erklärt Stelzer, der seit 2002 an der Entwicklung der LSFM arbeitet. Er ist Professor am Exzellenzcluster Makromolekulare Komplexe der Goethe-Universität.
Ernst Stelzer hatte die Idee, nur jeweils eine Ebene des Objekts, das Objekt also scheibenweise, von der Seite zu beleuchten. Die Kamera, mit der das von den Fluoreszenzfarbstoffen ausgesandte Licht aufgenommen wird, ist senkrecht zu dieser Ebene angeordnet. Der Vorteil: Es wird nur noch diese eine Schicht, die auch beobachtet wird, beleuchtet. Da die ober- und unterhalb liegenden Nachbarschichten nicht beleuchtet werden, werden hier weder die für die Vitalität des Tieres oder der Pflanze wichtigen organischen Moleküle noch die Fluoreszenzfarbstoffe belastet. "Bei einem Zebrafisch-Embryo lässt sich beispielsweise die benötigte Strahlung um zwei bis vier Größenordnungen verringern", rechnet Stelzer vor. So lässt sich das Wachstum vieler Modell-Embryonen über 50 bis 150 Stunden verfolgen. Da man auch keine Signale von Schichten, die außerhalb des Fokus liegen, erhält, verbessert sich die Qualität der Bilder so erheblich, dass sich dreidimensionale Bildstapel aufzeichnen lassen. LSFM werden also verwendet, um dreidimensionale Prozesse als Funktion der Zeit, also 3D-Filme, zu erzeugen.
Anwendung findet LSFM bereits in den Neurowissenschaften, der Zellbiologie, der Pflanzenbiologie und der Entwicklungsbiologie. Die Methode erlaubt es erstmals auch, vergleichsweise große, aus vielen Zellen bestehende Organismen unter natürlichen (physiologischen) Bedingungen zu beobachten. Sie werden nicht nur unter Bedingungen gehalten, die denen ihres ursprünglichen Lebensraums entsprechen, sie überleben die Beobachtung auch ohne erkennbare Schäden und haben trotz der Beobachtung in einem Mikroskop Nachkommen, die selbst fruchtbar sind. "Das Lichtscheiben-Mikroskop hat bereits begonnen, die Zell-, Pflanzen- und Entwicklungsbiologie zu revolutionieren und wird mit der Zeit weitere Wissenschafts- und Anwendungsfelder beeinflussen", urteilt Stelzer. Inzwischen werden mehr als 100 dieser Mikroskope in weltweit über 100 Forschergruppen verwendet.
Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der
europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 1914 gegründet mit rein privaten
Mitteln von freiheitlich orientierten Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern
fühlt sie sich als Bürgeruniversität bis heute dem Motto "Wissenschaft für
die Gesellschaft" in Forschung und Lehre verpflichtet. Viele der Frauen
und Männer der ersten Stunde waren jüdische Stifter. In den letzten 100
Jahren hat die Goethe-Universität Pionierleistungen erbracht auf den
Feldern der Sozial-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, Chemie,
Quantenphysik, Hirnforschung und Arbeitsrecht. Am 1. Januar 2008 gewann
sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als
Stiftungsuniversität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit. Heute ist
sie eine der zehn drittmittelstärksten und drei größten Universitäten
Deutschlands mit drei Exzellenzclustern in Medizin, Lebenswissenschaften
sowie Geisteswissenschaften."
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution131
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Goethe-Universität Frankfurt am Main, Dr. Anne Hardy, 04.02.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2015
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang