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ASTRO/095: Astrophysikalisches Institut Potsdam - Die Welt ist nicht genug (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 4/2008

Die Welt ist nicht genug
Das Astrophysikalische Institut Potsdam erforscht die Physik von Sternen sowie die Entstehung kosmischer Strukturen und entwickelt Technologien zu ihrer Erforschung

Von Bettina Micka


Es ist eines der führenden astrophysikalischen Institute Deutschlands und das Leibniz-Institut mit der längsten Tradition. Am Astrophysikalischen Institut Potsdam (AIP) beschäftigen sich Astrophysiker aus aller Welt mit Sternen und Galaxien ebenso wie mit der Entstehung und Entwicklung des Universums insgesamt. Die modernsten und größten Teleskope der Welt, an deren Entwicklung AIP-Experten mit oder sogar federführend beteiligt sind, blicken dazu in die Tiefen des Alls und Millionen Jahre in der Zeit zurück.


"Unser Institut ist das einzige Leibniz-Institut, das direkt auf den Namensgeber zurückgeht", weiß Professor Matthias Steinmetz, Wissenschaftlicher Vorstand des AIP. Gottfried Wilhelm Leibniz hatte die Gründung einer Brandenburgischen Societät angeregt, wobei eine Sternwarte gegründet werden sollte. Nachfolger dieser 1700 gegründeten und später auf den Potsdamer Babelsberg verlegten Berliner Sternwarte und des 1874 auf dem Telegrafenberg gegründeten Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam ist das AIP. 1992 wurde das Institut als Stiftung privaten Rechts neu gegründet.

Waren die ursprünglichen Aufgaben der Berliner Sternwarte Kalenderberechnungen, so hat sich das Arbeitsfeld des Nachfolgers deutlich verändert. "Unsere Stärke ist, dass wir heute das astrophysikalische Institut in Deutschland mit der weitesten Spanne an Forschungsfeldern sind, von der Sonne bis zum Universum als Ganzem", betont Steinmetz. "Zudem verbinden sich bei uns Theorie und Praxis." So sind die AIPler an der Entwicklung von Teleskopen beteiligt, führen Beobachtungen durch und simulieren im Computer mit selbst entwickelten Programmen die Entstehung von Strukturen im Universum.

Die Astrophysiker beschäftigen sich also mit den wirklich großen Dingen. Und auch das Instrumentarium, mit dem sie forschen, nimmt sich nicht gerade bescheiden aus. Dazu gehören das größte und fortschrittlichste optische Teleskop der Welt, das Large Binocular Telescope (LBT) in Arizona, das leistungsfähigste Sonnenteleskop, GREGOR, auf Teneriffa sowie das Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte in Chile.

Seit der Inbetriebnahme des LBT 2008, das im Endausbau mit seiner Auflösung selbst das Weltraumteleskop Hubble um den Faktor zehn übertreffen wird, sind den Forschern des AIP bereits zwei Entdeckungen damit gelungen. So konnten sie eine bisher nur aus dem Röntgenbereich bekannte Strahlungsquelle erstmals auch im sichtbaren Licht nachweisen. Noch bedeutsamer war die Entdeckung des bisher massereichsten unter den am weitesten entfernten und damit ältesten Galaxienhaufen. Zwar müssen die Wissenschaftler für Beobachtungen häufig durch die ganze Welt reisen, aber an den Standorten in und um Potsdam betreibt das AIP ebenfalls Teleskope für verschiedene Fragestellungen. Im Observatorium für solare Radioastronomie, das sich in einer Außenstelle nahe Potsdam befindet, erforschen AIP-Wissenschaftler beispielsweise als Einzige in ganz Deutschland so genannte Radio-Sonnenausbrüche, die zu einem stark erhöhten Teilchenstrom zur Erde hin führen und sogar ganze Kraftwerke lahmlegen können. Die Forschungs- und Entwicklungsarbeit am AIP ist in drei Schwerpunkte gegliedert, die jedoch in zahlreichen Projekten zusammenarbeiten.

Der Forschungsschwerpunkt I, der von Professor Klaus G. Strassmeier geleitet wird, befasst sich mit kosmischen Magnetfeldern. Neben der Gravitation spielen Magnetfelder eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Planeten, Sternen und Galaxien. Hier geht es auch um die Frage: Wie typisch ist unsere Sonne als Stern? Diese Forschung soll klären helfen, welche Voraussetzungen ein Stern mitbringen muss, damit in seiner Umgebung Leben entstehen kann, und wie häufig diese Voraussetzungen im Universum erfüllt sind.

Um die besten Bedingungen für ihre Beobachtungen zu finden, ist den AIP-Forschern kein Ort zu ungastlich. Beim ICE-T (International Concordia Explore Telescope) ist vorgesehen, ein robotisches, also vollautomatisches Doppelteleskop in der Antarktis zu bauen und zu betreiben. Hier ist die störende Luftfeuchtigkeit sehr gering, und die Polarnacht ermöglicht es, Himmelsobjekte bis zu 90 Tage kontinuierlich zu beobachten. Mitte 2008 führte ein Team des AIP Probebeobachtungen an einem Pilotteleskop durch. Bereits im Einsatz sind zwei solcher robotischen Teleskope im Rahmen des STELLA-Projektes (STELLar Activity) auf Teneriffa. "Robotische Teleskope führen nicht nur die Beobachtungen eigenständig aus, sondern sind auch in der Lage, den besten Beobachtungszeitpunkt für die verschiedenen Objekte selbst zu bestimmen, indem sie sogar die Wetterbedingungen mit berücksichtigen", erläutert Steinmetz. Ein weiterer Erfolg des Forschungsschwerpunktes I: Der Preis des Stifterverbandes ging 2008 an das Projekt PROMISE (siehe Beitrag auf S. 16 - 17).

Im Forschungsschwerpunkt II "Extragalaktische Astrophysik" geht es um die Entstehung von Galaxien und großräumigen Strukturen im Universum. "Wir wollen etwa die Frage beantworten: Wie typisch ist unsere Milchstraße für die Galaxien im Universum?", erläutert Steinmetz, der den Schwerpunkt leitet. Für die großräumige Verteilung von Masse im Universum spielt die geheimnisvolle Dunkle Energie eine wesentliche Rolle, die mehr als 70 Prozent der Gesamtenergie des Weltalls ausmacht. Das AIP ist unter anderem in dem Projekt VIRUS (Visible Integral-field Replicable Unit Spectrograph) an diesem hochaktuellen Forschungsgebiet beteiligt. Es wird im Rahmen des Wettbewerbsverfahrens der Leibniz-Gemeinschaft seit 2007 gefördert. Die Wissenschaftler wollen herausfinden, ob sich die Stärke der Dunklen Energie im Laufe der kosmischen Entwicklung verändert hat.

Wissenschaftler befassen sich im Forschungsschwerpunkt III mit der Entwicklung von Forschungsinfrastruktur und Technologie. Hier spielt auch die Informationstechnologie eine wesentliche Rolle. "Weil man mit dem Universum nicht experimentieren kann, entwickeln wir Simulationsprogramme", erläutert Steinmetz. In die Simulationen fließen die gesammelten Daten ein. Dann überprüfen die Forscher, ob das Ergebnis dem Universum entspricht, in dem wir leben. Andernfalls fehlen Parameter, oder sie müssen modifiziert werden. Die ungeheuren Datenmengen, die solche Simulationsprogramme verarbeiten müssen, kann ein einzelner Computer nicht mehr bewältigen. Daher kooperieren deutsche Forschungseinrichtungen im Projekt AstroGrid-D. Hier geht es darum, den Rechenaufwand auf viele Computer zu verteilen und damit deren Leistungsfähigkeit zu potenzieren. "Wir entwickeln hier die nächste Generation des Internet mit", so Steinmetz. Dass die technologischen Entwicklungen, die für den Blick weit fort von der Erde gemacht sind, auch irdisch nutzbar sein können, beweist das gemeinsam mit der Universität Potsdam initiierte Zentrum für Innovationskompetenz "innoFSPEC Potsdam".

So wird hier die Übertragbarkeit von in der Astrophysik entwickelten Technologien zur "Vielkanalspektroskopie" auf die medizinische Diagnostik untersucht. Ziel ist es, den Einsatz bildgebender Faseroptiken für die spektroskopische Vermessung von Galaxien und Gasnebeln in die medizinische Endoskopie zu übertragen. Das soll eine minimalinvasive Krebsdiagnose mit fluoreszenzspektroskopischen Methoden ermöglichen. Mit Hilfe dieses innovativen Verfahrens sollen Ärzte in Zukunft häufiger auf die Entnahme von Gewebeproben verzichten können. "Als Astrophysiker bewegen wir uns immer an der vordersten Front der Technologie", sagt Matthias Steinmetz, "das kann eben einen sehr praktischen Nutzen haben."


Das Institut im Überblick
Astrophysikalisches Institut Potsdam (AIP)

Das Astrophysikalische Institut Potsdam betreibt Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Astrophysik. Die beiden Hauptforschungsbereiche sind kosmische Magnetfelder und extragalaktische Astrophysik. Dabei zeichnet sich das AIP durch ein breites thematisches Spektrum der Fragestellungen aus, das von Sternenentstehung bis hin zur Evolution des Weltalls als Ganzem reicht. Ein bedeutender Teil der Forschung ist zudem auf die Entwicklung neuer Forschungstechnologien im Bereich der Spektroskopie, der robotischen

Teleskope sowie des Supercomputing und der E-Science ausgerichtet. Das AIP blickt auf eine mehr als 300-jährige Tradition zurück und ist heute eines der führenden astrophysikalischen Institute Deutschlands.

Gründungsjahr
1992 (1700: Berliner Sternwarte;
1874: Astrophysikalisches Observatorium Potsdam)

Vorstand
Prof. Dr. Matthias Steinmetz
(Wissenschaftlicher Vorstand und Sprecher)
Peter A. Stolz (Administrativer Vorstand)

Wissenschaftliche Direktoren
Prof. Dr. Matthias Steinmetz
Prof. Dr. Klaus Strassmeier

Mitarbeiter
145, davon etwa 90 wissenschaftliche Mitarbeiter

Gesamtbudget
13,5 Mio. Euro

Institutionelle Förderung
9,1 Mio. Euro

Drittmittel
4,4 Mio. Euro

Kontakt
Madleen Köppen
An der Sternwarte 16
14482 Potsdam
Tel: +49 (0)331/7499469
Fax: +49 (0)331/7499216
E-Mail: presse@aip.de
Internet: www.aip.de


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 4/2008, Seite 18-19
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2009