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ASTRO/288: Flüchtigen Elementarteilchen auf der Spur (idw)


Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg - 09.12.2015

Flüchtigen Elementarteilchen auf der Spur

FAU-Astroteilchenphysiker an europäischem KM3NeT-Neutrinoteleskop beteiligt


Am frühen Morgen des 3. Dezember 2015 haben Wissenschaftler und Ingenieure aus neun europäischen Ländern mit dem Aufbau von KM3NeT begonnen, dem zukünftig größten Neutrino-Detektor auf der nördlichen Erdhalbkugel. Das Teleskop vor den Küsten Italiens und Frankreichs im Mittelmeer wird fundamentale Eigenschaften der Neutrinos untersuchen und eine Himmelskarte der Herkunftsrichtungen hochenergetischer kosmischer Neutrinos erstellen, die bei den gewaltigsten astrophysikalischen Prozessen im Universum entstehen. Das Team um Prof. Dr. Gisela Anton und Prof. Dr. Uli Katz vom Erlangen Center for Astroparticle Physics (ECAP) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) trägt zu KM3NeT mit Simulations- und Physikstudien sowie der Produktion von Sensor-Modulen bei. Außerdem sind die Erlanger verantwortlich für die Software-Entwicklung.


Foto: © KM3NeT Collaboration

Der auf den kugelförmigen Installationsrahmen aufgewickelte String vor der Installation
Foto: © KM3NeT Collaboration

Neutrinos sind die flüchtigsten Elementarteilchen und ihr Nachweis erfordert die Instrumentierung enormer Nachweisvolumen: Das KM3NeT-Neutrinoteleskop wird mehr als einen Kubikkilometer Meereswasser umfassen. Es besteht aus einem Netzwerk von mehreren hundert vertikalen Detektor-Einheiten, sog. Strings. Jeder String wird am Meeresboden verankert, durch eine Unterwasserboje an seinem oberen Ende straff gehalten und trägt 18 Lichtsensor-Module, die gleichmäßig über seine Länge von 700 m verteilt sind. In der absoluten Dunkelheit der Tiefsee werden damit die schwachen Lichtblitze nachgewiesen, die Reaktionen von Neutrinos mit den Atomkernen des Meereswassers anzeigen.

Der erste KM3NeT-String erreichte den italienischen KM3NeT-Standort südöstlich von Sizilien an Bord des Installationsschiffes Ambrosius Tide. Der String - auf einem kugelförmigen Rahmen aufgewickelt, ähnlich einem Wollknäuel - wurde in 3500 m Tiefe zum Meeresboden herabgelassen und mittels eines ferngesteuerten Tiefsee-Tauchboots an das Verbindungsmodul angeschlossen, von der das 100 km lange Hauptkabel zur Küstenstation in Portopalo di Capo Passero führt.

Marco Circella, technischer Direktor von KM3NeT, erklärt: "Die große Meerestiefe schirmt das Teleskop nicht nur völlig gegen Tageslicht ab, sondern auch weitgehend gegen Teilchen, die durch die kosmische Strahlung in der Atmosphäre erzeugt werden. Der Aufbau einer solch riesigen Forschungsinfrastruktur in mehreren Kilometer Wassertiefe ist eine enorme technische Herausforderung. So sind z.B. für die Unterwasser-Kabelverbindungen speziell angefertigte Steckverbinder notwendig, die Glasfaserverbindungen mit Mikrometer-Genauigkeit herstellen können. Die Besatzung der Ambrosius Tide ist spezialisiert auf solche schwierigen Tiefsee-Einsätze."

Nach Überprüfung der elektrischen und der Glasfaser-Verbindung zur Küstenstation wurde das Entrollen des Strings eingeleitet. Ausgelöst durch ein akustisches Signal wurde der Installationsrahmen vom Anker gelöst und stieg langsam zur Oberfläche auf. Dabei rotierte er um eine horizontale Achse und gab Stück für Stück den String in seiner ganzen Länge frei. Der String wurde dann von der Küstenstation aus angeschaltet und lieferte die ersten Daten zur Küste.

Prof. Uli Katz, Physik- und Software-Direktor von KM3NeT und Inhaber des Lehrstuhls für Astroteilchenphysik am Erlangen Center for Astroparticle Physics (ECAP) der FAU zeigt sich begeistert: "Es ist ein überwältigender Erfolg, dass der erste String voll funktionsfähig ist und seit dem Einschalten hochwertige Daten liefert. Innerhalb weniger Stunden konnten bereits die ersten Teilchen von Reaktionen kosmischer Strahlung in der Atmosphäre rekonstruiert werden. Mit großer Vorfreude erwarten wir die Daten des wachsenden KM3NeT-Detektors." Der Erlanger Beitrag zu KM3NeT setzt sich aus Simulations- und Physikstudien sowie der Produktion von Sensor-Modulen zusammen. Das ECAP-Team ist außerdem verantwortlich für die Software-Entwicklung.

Rosanna Cocimano, die für die Stromversorgung von KM3NeT verantwortlich ist, führt aus: "Ein elektro-optisches Netzwerk von Kabeln verteilt die Hochspannung von der Küste an die Lichtsensor-Module in der Tiefsee. Die gemessenen Lichtsignale werden in den Modulen digitalisiert und über Glasfaserverbindungen zur Küstenstation übertragen."

Die erste erfolgreiche Datenentnahme aus der Tiefsee mit der bahnbrechenden, von der KM3NeT-Kollaboration entwickelten Technologie ist ein entscheidender Meilenstein für das Projekt und stellt den vorläufigen Höhepunkt eines Jahrzehnts intensiver Forschung und Entwicklung in den vielen beteiligten Forschungsinstituten dar.

Maarten de Jong, Sprecher und Direktor von KM3NeT, erklärt: "Dieser wichtige Schritt bestätigt Design und Technologie des KM3NeT-Detektors. Die Kollaboration wird nun mit großer Zuversicht mit der Massenproduktion von Detektor-Strings und ihrer Installation an den KM3NeT-Standorten in Italien und vor der französischen Mittelmeerküste bei Toulon beginnen. Ein neues Zeitalter der Neutrinoastronomie hat angefangen."


Abbildung: © KM3NeT Collaboration

Ein Block des KM3NeT-Detektors enthält 115 Strings
Abbildung: © KM3NeT Collaboration


Partnerinstitute der KM3NeT-Kollaboration:

France: Centre de Physique des Particules de Marseille (CPPM), AstroParticule et Cosmologie (APC, Paris), Institute Pluridisciplinaire Hubert Curien (IPHC, Strasbourg),
Germany: Erlangen Centre for Astroparticle Physics (ECAP) und Dr.-Karl-Remeis-Sternwarte Bamberg (beide FAU), Kepler Centre for Astro and Particle Physics (Tübingen), Julius-Maximilian-Universität Würzburg,
Greece: National Centre for Scientific Research "Demokritos" (NCSR-D, Athens), National and Kapodistrian University of Athens, Hellenic Open University (Patras), Aristotle University of Thessaloniki, Technological Education Institute of Piraeus
Italy: Laboratori Nazionali del Sud (INFN/LNS, Catania), University of Bari, University of Bologna, University of Catania, University of Genova, University of Napoli, University of Pisa, University La Sapienza (Rome), University of Salerno, Napoli Gruppo Collegeato di Salerno, Laboratori Nazionali di Frascati (INFN/LNF), Istituto Nazionali di Geofisica e Vulcanologia (INGV, Rome)
Morocco: Mohammed First University (Oujda)
The Netherlands: National institute for subatomic physics (Nikhef, Amsterdam), Universiteit van Amsterdam, Universiteit van Leiden, Universiteit van Groningen (RUG/KVI), Nationaal Instituut voor Onderzoek der Zee (NIOZ, Texel), TNO
Poland: National Centre for Nuclear Research (NCBJ, Warsaw)
Spain: Instituto de Fisica Corpuscular (IFIC/CSIC, Valencia), Polytechnical University Valencia (UPV), Technical University of Catalonia (UPC, Barcelona)

Weitere Institute sind als Beobachter eingebunden.

Weitere Informationen unter:
http://www.km3net.org

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution18

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Dr. Susanne Langer, 09.12.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2015

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