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FORSCHUNG/1142: Die (mehr als) perfekte Welle (idw)


Universität Augsburg - 27.04.2015

Die (mehr als) perfekte Welle

Physiker aus Augsburg, Dresden, Linz und München berichten in "Nature Nanotechnology" über die gelungene Realisierung eines Synthesizers für maßgeschneiderte nanomechanische Wellen.


Augsburg/München/HK/KPP - Forscher des Exzellenz-Clusters Nanosystems Initiative Munich (NIM), des Center for Nanoscience (CeNS) der LMU München und des Zentrums für innovative Technologien der Universität Augsburg (ACIT) berichten in "Nature Nanotechnology", dass und wie es ihnen gemeinsam mit Kollegen des Institute for Integrative Nanoscience am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden (IFW) und der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz gelungen ist, den ersten Synthesizer für maßgeschneiderte nanomechanische Wellen zu realisieren.


In ihrem soeben von "Nature Nanotechnology" publizierten Artikel zeigen der NIM-Absolvent Florian Schülein und sein Betreuer Prof. Dr. Hubert Krenner - beide forschen am Augsburger Lehrstuhl für Experimentalphysik I (Prof. Dr. Achim Wixforth) -, wie mehrere Nanoschallwellen unterschiedlichster Frequenzen auf einem Chip so miteinander überlagert werden können, dass sie zum Ergebnis einer extrem scharf definierten Nanoschallwelle führen, mit der Quanteneffekte in Halbleiteratomen sehr schnell definiert und gezielt kontrolliert werden können.

Bereits im frühen 19. Jahrhundert hat der französische Mathematiker und Physiker Jean Baptiste Joseph Fourier nachgewiesen, dass sich durch die gezielte Kombination eines Grundtones mit einer Reihe von Obertönen jede beliebige Schallwelle "komponieren" lässt. Dieses Grundprinzip wird heute in unzähligen Produkten des täglichen Lebens genutzt. So erzeugen z. B. Synthesizer - wie etwa die bekannte "Hammond-Orgel" - ihren Klang auf der Basis dieser Fourier-Reihe, bei der MP3-Entschlüsselung ist sie - umgekehrt angewandt - wiederum der Schlüssel zu optimaler Datenkompression.

In ihren Experimenten haben die Physiker am Augsburger Lehrstuhl Wixforth und ihre Münchner, Dresdener und Linzer Kollegen das Grundprinzip der Fourier-Synthese nun genutzt, um auf einem Chip nanomechanische Schallwellen höchster Präzision zu erzeugen. Ihr Ansatz basiert auf der Überlagerung akustischer Oberflächenwellen, sog. "Nano-Erdbeben", einem Verfahren, für das Wixforth mit seinem Augsburger Lehrstuhl als international ausgewiesener Experte gilt. "Um mit Blick auf das Design einer "perfekten Schallwelle" das Nano-Beben auf unseren Chips zweckgerecht gestalten und kontrollieren zu können, mussten wir im Vorfeld ein neues Design der Elektroden entwickeln, die die Schallwellen erzeugen. Gelöst haben wir dieses Problem durch die Entwicklung neuer Elektroden-Geometrien", berichtet Schülein. Diese speziellen Elektroden-Geometrien machen es möglich, über eine einfache Sinus-Welle hinaus zeitgleich eine große Zahl von Obertönen höchster Intensität zu erzeugen. "Und diese neu entwickelten Geometrien", so Krenner, "waren der Schlüssel, der es uns ermöglicht hat, die unterschiedlichen Frequenzen mit einer bislang so nicht möglichen Präzision miteinander zu überlagern. Wenn wir die unterschiedlichen Frequenzen auf unserem Chip entsprechend präzise dosiert miteinander kombinieren, können wir aus einer simplen Sinus-Welle eine Dreiecks- oder Rechteckswelle machen oder sogar eine kurze Stoßwelle."

Um sicher zu gehen, dass sie ihr Ziel - die von ihnen erstrebte "perfekte Nanowelle" - auch wirklich erreicht hatten, bedienten sich die Forscher nanoskopischer "Drucksensoren" in Form von sog. Quantenpunkten. Es handelte sich dabei um "künstliche Atome", konkret um nanoskopische Halbleiterstrukturen, die speziell für diesen Zweck am IFW Dresden hergestellt wurden. "Diese Quantenpunkte", erläutert Wixforth, "sind Nano-Inseln, die Licht als einzelne Lichtquanten, Photonen und extrem scharfe Spektrallinien abgeben. Die Wellenlänge dieses abgestrahlten Lichts hängt wiederum äußerst empfindlich von der Verformung des Materials ab. Genau diese optisch-mechanische Kopplung haben wir genutzt, um unsere nanomechanische Welle in ein optisches Signal zu übersetzen." Und Schülein ergänzt: "Es war faszinierend und sehr befriedigend, an unserem extrem schnellen Stroboskop mitzuverfolgen, wie sich die Spektrallinien des Quantenpunkts exakt so bewegten, wie wir es für unsere perfekte Nanowelle berechnet hatten."

Dem Augsburger Lehrstuhl für Experimentalphysik I wird aufgrund seiner dezidiert anwendungsrelevanten Grundlagenforschung zu akustischen Oberflächenwellen international eine Pionierrolle auf diesem Gebiet zuerkannt. Die von Achim Wixforth entwickelte und angewandte Methode des "Nano-Bebens auf dem Chip" führt aber immer wieder zu spektakulären Forschungsergebnissen auch in biophysikalischen Kontexten sowie in der Mikrofluidik, die sich mit dem Verhalten von Flüssigkeiten und Gasen auf kleinstem Raum auseinandersetzt, und nicht zuletzt dort, wo es um fundamentale physikalische Fragen wie etwa um den Quanten Hall Effekt geht.

So hat die Forschung aufgrund des nanomechanischen Durchbruchs beim Design einer nun "mehr als perfekten Welle", über das die Augsburger Physiker jetzt in "Nature Nanotechnology" berichten, guten Grund zu der Annahme, dass es über kurz oder lang möglich sein wird, Quantensysteme durch Nano-Beben mit dem Epizentrum Augsburg quantenmechanisch zu kontrollieren.

Die Untersuchungen der Augsburger Physiker und ihrer Kollegen aus München, Dresden und Linz wurden gefördert von der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) über deren Emmy Noether Programm (KR 3790/2-1), vom Exzellenzcluster NIM, vom DFG-Sonderforschungsbereich 631, vom BMBF im Rahmen des Projekts "QuaHL-Rep" und von der Europäischen Union im Zuge des 7th Framework Programme-Projekts HANAS.


Publikation:
Florian J. R. Schülein, Eugenio Zallo, Paola Atkinson, Oliver G. Schmidt, Rinaldo Trotta, Armando Rastelli, Achim Wixforth, and Hubert J. Krenner:
Fourier synthesis of radiofrequency nanomechanical pulses with different shapes,
Nature Nanotechnology - advanced online publication;
doi:10.1038/nnano.2015.72 (2015),
http://dx.doi.org/10.1038/nnano.2015.72



Weitere Informationen unter:
http://dx.doi.org/10.1038/nnano.2015.72

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution58

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Augsburg, Klaus P. Prem, 27.04.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2015

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