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FORSCHUNG/560: Der dünnste Draht der Welt (idw)


Julius-Maximilians-Universität Würzburg - 14.01.2009

Der dünnste Draht der Welt


Er ist aus Gold gemacht und eine Million Mal feiner als das Haar eines Menschen: der dünnste Draht der Welt. Physiker der Universität Würzburg können ihn herstellen. Sie hoffen, dass er dank seiner verblüffenden Eigenschaften später einmal den Boden bereitet für Neuerungen in der Technik. Neues aus der Welt der Nanodrähte berichten sie im Fachblatt Physical Review Letters.

Die winzigen Drähte entstehen am Lehrstuhl von Ralph Claessen. "Wir dampfen Goldatome auf Plättchen aus Germanium auf, die einen Zentimeter lang und drei Millimeter breit sind. Das geschieht im Ultrahochvakuum bei 500 Grad Celsius", erklärt Privatdozent Jörg Schäfer im Labor.

Dank eines ausgeklügelten Verfahrens können die Würzburger Physiker die Plättchen so bestücken, dass die Goldatome sich von ganz alleine zu geradlinigen, parallel verlaufenden Ketten anordnen: Fertig sind die Nanodrähte. Die liegen weit genug voneinander entfernt, um sich nicht gegenseitig zu beeinflussen - für ihre weitere Erforschung ist das wichtig.

Nanodrähte: Mögliche Anwendungen

Wozu die Drähte gut sind? "Sie bestehen aus einzelnen Atomen, und kleinere elektrische Leitungsbahnen kann man prinzipiell nicht bauen", sagt Jörg Schäfer. Darum lassen sich aus den Nanodrähten vielleicht Bauelemente realisieren, die die Miniaturisierung von Computern an die Grenze treiben. Mit ihrer Arbeit später einmal den kleinsten Quantencomputer der Welt zu demonstrieren - das ist eine Vision, die den Würzburger Physikern gefällt.

Derzeit aber benutzen sie die Nanodrähte vorrangig als atomare Spielwiese. "Wir können die Drähte an den Seiten um einzelne Goldatome erweitern. Oder gezielt Querbrücken zwischen ihnen schaffen. Und dann analysieren, wie sich dadurch die elektronischen Eigenschaften ändern", erläutert Professor Claessen.

Das nächste Ziel? Die Würzburger hoffen darauf, die elektrische Leitfähigkeit der Nanodrähte beeinflussen zu können. "Das ist mit zusätzlichen Atomen möglich. Über die Spitze eines Rastertunnelmikroskops kann man aber auch elektrische Ladung in einen Draht hineintupfen. So könnte es gelingen, ihn kontrolliert auszuschalten. Entfernt man das zusätzliche Atom oder lässt die störende Ladung abfließen, wäre der Draht wieder angeschaltet", sagt Schäfer. Falls das funktioniert? Dann wäre schon einmal eine Grundvoraussetzung gegeben, um Nanodrähte als Bauteile für Quantencomputer verwenden zu können.

Verblüffende Phänomene in Nanostrukturen

Die elektrische Schaltung der Nanodrähte kann aber auch zu neuen, eher grundlegenden Erkenntnissen führen. Denn je kleiner ein Festkörper gemacht wird, desto größer sind die Überraschungen, die er birgt. "In Nanostrukturen treten viele verblüffende Phänomene auf, die unserer Intuition als Physiker widersprechen", so Schäfer.

Woran das im Fall der Nanodrähte liegt? Die sind derart winzig, dass sich die Elektronen, die Träger der elektrischen Ladung, nur auf einem sehr eng begrenzten Pfad bewegen können - nämlich entlang der Drähte. In einem gewöhnlichen Stück Metall können die Elektronen viele verschiedene Richtungen einschlagen. Wenn aber die Elektronen auf engstem Raum eingesperrt werden, so dass sie einander nicht ausweichen können, treten ungewöhnliche Quanteneffekte auf. Davon kann vor allem die elektrische Leitfähigkeit betroffen sein.

Ein Modell für Luttinger-Flüssigkeiten?

Die Würzburger Physiker meinen, dass ihre Nanodrähte ein neuartiges Modellsystem für eindimensionale Elektronenflüssigkeiten darstellen. Konkret hoffen sie auf die Beobachtung einer so genannten Luttinger-Flüssigkeit. So bezeichnen die Physik-Theoretiker Elektronen, die sich nur in einer Dimension bewegen können - in diesem Fall in der Längsrichtung der Nanodrähte.

"Es ist aber sehr schwierig, die von den Theoretikern vorhergesagten Eigenschaften der Luttinger-Flüssigkeit mit Experimenten nachzuweisen", sagt Schäfer. "Doch wir haben jetzt erste Hinweise gefunden. Erfreulicherweise bleiben die neuartigen Nanodrähte auch bei den erforderlichen tiefen Temperaturen im leitfähigen Zustand, was die entsprechenden Messungen mit Tunnelspektroskopie erst möglich macht."

Ihre Argumente beschreiben die Würzburger detailliert in einem Beitrag für das Fachblatt Physical Review Letters. Die Herausgeber messen dem Artikel aus Würzburg eine besondere Bedeutung bei und heben ihn darum als Editors' Suggestion hervor: Das soll den Lesern signalisieren, dass der Bericht für alle Sparten der Physik von besonderem Interesse ist.


"New Model System for a One-Dimensional Electron Liquid: Self-Organized Atomic Gold Chains on Ge(001)", J. Schäfer, C. Blumenstein, S. Meyer, M. Wisniewski und R. Claessen, Phys. Rev. Lett. 101, 236802 (2008), doi 10.1103/PhysRevLett.101.236802

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Robert Emmerich, 14.01.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2009