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MEDIEN/209: 50 Jahre DER RING 1961-2011 (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - Februar 2011

50 Jahre DER RING 1961-2011
Personalmangel und "Titeleritis" in den Sechzigern

Von Petra Wilkening


"Der neue Sproß am Anstaltsbaum ist nicht so schnell gewachsen, wie wir es wünschten", informiert das Betheler Mitteilungsblatt bei seinem ersten Erscheinen im Januar 1961 in blumigen Worten über ein neu übernommenes Haus in Badbergen. Die Sprache jener Jahre war eine andere, die Probleme, die Bethel in den 1960er-Jahren beschäftigten, sind dagegen erstaunlich vertraut: Personalmangel war ein Grund für den schlechten Start des Hauses. Auch die Sorge um das diakonische Profil zieht sich wie ein roter Faden durch das erste Jahrzehnt des RINGs.


"Aber nun erleben wir die große Not, wie sie gegenwärtig überall in den Heimen schmerzlich durchstanden werden muß: Es mangelt an genügendem Pflegepersonal!" ist in der ersten Ausgabe zu lesen. Fünf Jahre später hat sich der Pflegekräftemangel noch verschärft. Herausgeber Pastor Hermann Wilm zeichnet in seinem Vorwort im Mai 1966 ein düsteres Zukunftsbild angesichts des "ständigen Rückgangs des Bestandes an Diakonissen und Diakonen".

Man werde auch Kräfte einstellen müssen, die nur 42 bis 48 Stunden in der Woche arbeiten wollten oder könnten. Das bringe eine gewaltige Umstellung sowohl im Arbeitsablauf wie im Zusammenleben der jeweiligen Haus- und Dienstgemeinschaften mit sich. Und man werde eine Vergütung anzubieten haben, die "keinesfalls geringer ist als die der uns umgebenden Industrie- und Handelsbetriebe". "Sollte es nicht Menschen geben, die, bietet man ihnen in etwa die gleichen Arbeitsbedingungen, wie sie draußen vorhanden sind, lieber am kranken, hilfsbedürftigen Menschen Dienst tun als am leblosen Material in einer Fabrik?", gibt Pastor Wilm seiner Hoffnung auf Besserung Ausdruck. Diakon Erwin Saretzki schlägt vor, im Verwandten- und Freundeskreis zu werben und in einem Jahr einen Menschen nach Bethel in die Pflegearbeit zu bringen. "Stellen Sie sich bitte vor: 500 Mitarbeiter im Raume der Dienstgemeinschaft Sareptas tun dies, 500 im Raume der Dienstgemeinschaft Nazareths tun das gleiche. Das wären im Mai 1967 1000 neue Mitarbeiter!" Eine andere Idee hat Pastor Wilm: Im Oktober 1966 ergeht der Aufruf an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Verwaltungen und Betrieben, einen diakonischen Monat im Pflege-, Erziehungs- oder Küchendienst zu leisten oder dort gelegentlich am Wochenende und an Feiertagen mitzuarbeiten.


Annoncen ohne Wirkung

Es mangelt an Nachwuchs, - selbst der Landschaftsgärtnerei fehlt manchmal das Personal für Beerdigungen -, und Pastor Wilm nimmt kein Blatt vor den Mund: "Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll." Auch Annoncen in den Tageszeitungen sind ohne Wirkung geblieben. Da ist die Hilfe aus dem Ausland nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Im September 1966 berichtet DER RING, dass 26 Südkoreanerinnen zur Ausbildung in Sarepta eingetroffen sind.

Vier Jahre später ist die Lage unverändert. Jetzt will man Frauen in der dritten Lebensphase für die Pflege gewinnen. Durch eine Mitarbeiterschaft unterschiedlichster Prägung sieht man allerdings neue Probleme auf sich zukommen. "Viele unter uns, die in den Pflegehäusern tätig sind, können jetzt schon ein Lied davon singen", ist im Januar 1970 zu lesen. Mitarbeiter, die nicht aus Nazareth oder Sarepta kämen, dürfe man nicht als Hilfstruppe ansehen. Hierarchisches Denken wird auch von diakonischen Helfern kritisiert, die Ende 1970 in Nazareth diskutieren, ob die Anstaltsdiakonie Platz für junge Mitarbeiter hat. Im Jahr zuvor hat Pastor Alex Funke schon das - neue - Stichwort "Partnerschaft" ins Gespräch gebracht, als er im April 1969 ankündigt, dass die Strukturen von Leitung und Verwaltung überarbeitet werden sollen. Der damalige Anstaltsleiter fragt, wie Partnerschaft vor sich gehe, wo und wie man sie lerne. "Hierüber wird im RING noch manches Mal zu schreiben sein", kündigt er an.

Pastor Eberhard Krause-Sparmann spricht im April 1970 sogar von einem "Kastengeist" in Bethel. Professoren, Ärzte, Pastoren, Lehrer und Diakone mit ihren Familien würden ihm, dem Gemeindepfarrer, immer wieder als "herrschende" Gruppen genannt. Die ihm ihr Herz ausschütteten, seien die Angestellten, Handwerker, Arbeiter und alten Leute. Das Thema bringt Hans-Ulrich Grundmann auf die "Titeleritis" in Bethel. Sie werde hier besonders intensiv gepflegt, schreibt er im Mai und fragt sich, ob das noch nach Bethel passe, wo eine Dienstgemeinschaft bestehen solle. Zwei Mitarbeiter nehmen die "Titeleritis" humorvoll. Die Rubrik "Das fröhliche Bethel" berichtet im Februar 1970 von Angestellten in einem Bethel-Büro, die sich immer sehr respektvoll begrüßen: "Guten Tag, Herr Generaldirektor! - Guten Tag, Herr Kanzleirat!" Für ihr Zeremoniell haben die Beiden eine einleuchtende Erklärung: "Wir wissen gut, dass wir das noch nicht sind, aber wir sehen doch wenigstens, was in uns steckt!"


Böse, zerstörende Macht

Wie Hans-Ulrich Grundmann tritt auch Pastor Krause-Sparmann für die Dienstgemeinschaft ein: "Brauchen die Kranken nicht uns alle, von 'oben' bis 'unten', und gehören wir deshalb nicht ganz eng zusammen?" Im September 1961 mahnt Pastor Wilm, dass es in der Nachfolge Jesu im Miteinander aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nur ein gegenseitiges Dienen geben könne. "Das Herrschenwollen kann auch in unseren Büroabteilungen, in unseren Betrieben, aber auch unter Diakonissen und Diakonen und Lehrern und Ärzten, gewiß auch unter Pastoren, eine böse, die Gemeinschaft störende und zerstörende Macht" haben, so der RING-Herausgeber.

Durch Nachbarschaftsbesuche die Gemeinschaft zu fördern, schlägt Dr. Carl Schmidt im November 1961 vor. Als der Oberstudienrat in Bethel begann, bekamen neue Mitarbeiter von der Hauptkanzlei noch eine Liste mit rund 100 Namen von Leuten, die sie zu besuchen hatten. Das sei allerdings eine "Tortur" gewesen, der er nicht das Wort reden wolle.

Die Gemeinschaft schließt auch die Menschen ein, die Hilfe erhalten. "Unsere Pflegebefohlenen und wir gehören zusammen, so eng zusammen, dass ich hier nur mit ganz großer Scheu von einem 'sie und wir' rede Heute soll nur dieses eine gesagt sein, daß es in unserem Miteinander kein oben und unten geben darf", gibt Hermann Wilm den Mitarbeitern im Oktober 1964 mit auf den Weg. Und weist im Januar 1965 darauf hin, dass die Pflegebefohlenen die eigentlichen Auftraggeber seien.

Schon in der zweiten Ausgabe des RINGs muss der Betheler Pastor feststellen, dass "unsere Gottesdienste schlecht besucht sind". Die dort hingehörten, seien zu Hause geblieben. Das diakonische Profil beschäftigt die Menschen in Bethel bereits in den 1960er-Jahren. "Auch in einer modern-heidnischen Welt gibt es tüchtige und hochwertige Pfleger", stellt Diakon Karl Ostermann im Mai 1961 fest. Was aber aus hochqualifiziertem pflegerischen Können getan werde, ohne dass es zur brüderlichen Begegnung komme, sei im Sinne der Diakonie wertlos.

"Verstehen heute alle 3600 Mitarbeiter der v. Bodelschwinghschen Anstalten ihre Arbeit als diakonische Aufgabe?" ist für Pastor Alex Funke eine "bedrängende" Frage. Im September 1970 thematisiert der Anstaltsleiter den diakonischen Auftrag in der Rubrik "Aus Bethel - Für Bethel". Diakonie werde das einschließen, was man soziales Handeln nenne, sie habe aber eine eigene Beurteilung dessen, was die Menschen zum Leben benötigten. Die Erfahrung der versöhnenden Liebe Gottes halte die Diakonie für das vordringlichste Gut. Vom Staat wünscht sich Pastor Funke im Namen der Diakonie die gleiche Unterstützung, wie sie andere karitative Einrichtungen erhalten. "Der Staat sollte jedem hilfebedürftigen Bürger die gesetzliche und finanzielle Unterstützung zukommen lassen, die nötig ist, um ihm optimal zu helfen ... Hoffentlich leisten wir in den diakonischen Einrichtungen unsere Hilfe dann so, daß die Notleidenden sich uns gern anvertrauen."

DER RING jener Jahre hält die Leserschaft über große Themen und Ereignisse auf dem Laufenden - zum Beispiel über die Einweihung der Epilepsieklinik Mara im Mai 1962, den sieben(!)-stündigen Besuch von Bundespräsident Lübke im August 1963 oder die Pläne für den Neubau des Brüderhauses Nazareth im Mai 1969; er nimmt sich aber auch kleinster Begebenheiten an. So wird im Juni 1961 vermeldet, dass Pastor Friedrich Wolf eine kleine schwarze Mappe mit persönlichen Aufzeichnungen abhanden gekommen ist. Der Hundekot auf den Bürgersteigen findet ebenso Erwähnung wie die alten Damenstrümpfe, die als elastische Binden für Leprakranke in Afrika gesucht werden - aber bitte gewaschen! Übrigens hat es auch in den 1960er-Jahren schon rücksichtslose Kraftfahrer in der Ortschaft Bethel gegeben. Im Juni 1964 bittet Pastor Wilm darum, sich die Fahrzeugnummern lärmender Mopedfahrer zu merken - er will den Übeltätern persönlich ins Gewissen reden.

Beim Durchblättern alter RING-Ausgaben wird deutlich, wie sehr sich die Sprache verändert hat. So wurde Bethel nicht "besucht", sondern "besichtigt", "Zigeuner" waren in Bethel zu Gast, die Feierabendschwestern Sareptas wurden als Heiminsassen bezeichnet, und es gab "nichtpsychotische psychisch Abartige". Aber schon damals wie auch heute war man um "politische Korrektheit" bemüht, und so konnte DER RING im Juni 1964 berichten, dass die Bethel-Mission eine neue Sammeldose eingeführt hatte: Ein hölzernes Nilpferd löste den "nickenden Neger" ab. Er sei schon lange als störend empfunden worden und wohl auch nicht mehr recht geeignet für die "heutige, sich stark gewandelte Zeit".


Warum ich den RING lese?

Es gibt diakonische Zeitschriften, die kann man lesen, zum Beispiel, weil sie nett gemacht sind. Es gibt diakonische Organe, die sollte man lesen, weil sie fachlich und sozialpolitisch wichtig sind. Und dann gibt es den RING aus Bethel. Den muss ich lesen. Denn der RING berichtet anschaulich von Menschen, die Hilfe erfahren, und Menschen, die helfen. Und macht Zeitansagen zu dem, was diakonisch dran ist. Wort und Bild im RING sind mir wirklich sehr wichtig. Als Liebhaber des Blocksatzes muss ich sagen, dass mir das Schriftbild des 50 Jahre alten RINGs besonders gut gefällt.

- Pastor Günther Barenhoff (Vorstand Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e.V.)   


Als Nachrichtenagentur werten wir den RING mit "professionellem Blick" aus. Oft regen uns die dort vorgestellten Sozialprojekte Bethels zu eigenen Berichten und Reportagen für den Evangelischen Pressedienst (epd) an. Auch die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen in der RING-Redaktion klappt jedes Mal prima. Herzlichen Glückwunsch zum 50.!

- Holger Spierig - (Redakteur epd-Landesdienst-West)   


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Quelle:
DER RING, Februar 2011, S. 16
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Redaktion: Quellenhofweg 25, 33617 Bielefeld
Telefon: 0521/144-35 12, Fax: 0521/144-22 74
E-Mail: presse@bethel.de
Internet: www.bethel.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2011