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BUNDESTAG/3152: Heute im Bundestag Nr. 157 - 22.03.2012


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 157
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 22. März 2012 Redaktionsschluss: 14:20 Uhr


1. Kleiner, aber militanter
2. Globale Herausforderung für den Standort Deutschland
3. Im Bundestag notiert: "Zug der Erinnerung"
4. Im Bundestag notiert: Änderungen im Wohngeldgesetz


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1. Kleiner, aber militanter

2. Untersuchungsausschuss (Rechtsterrorismus)

Berlin: (hib/KOS) Die Zahl der Aktiven im rechtsextremistischen Spektrum ist inzwischen drastisch gesunken, doch wuchs innerhalb der restlichen Anhängerschar dieser Szene die Bereitschaft zur Militanz. Dieses Fazit zogen die Sachverständigen am Donnerstag zum Auftakt einer Anhörung des Untersuchungsausschusses, der die Hintergründe der dem sogenannten "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie aufklären soll. Der Politologe Richard Stöss erklärte, vor dem Hintergrund des Radikalisierungsprozesses sei es im Laufe der Zeit zwar wahrscheinlicher geworden, dass auch jemand "zu Waffen greift". Das Entstehen des NSU und dessen Taten habe jedoch niemand vorhersagen können, auch nicht die Wissenschaft. Angesichts der wachsenden Militanz innerhalb des Milieus hätte aus Sicht von Stöss jedoch der Geheimdienst "näher hinschauen müssen", so auch der Politologe Klaus Schroeder, die Fachjournalistin Andrea Röpke und der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD).

Vor dem für Ende April terminierten Beginn der Zeugenvernehmungen zu den Kernthemen des Gremiums wollten sich die elf Abgeordneten über die Entwicklungen des Rechtsextremismus informieren, um den NSU und die dieser Gruppe zugerechneten zehn Morde sowie die Pannen und Fehlgriffe der Sicherheitsbehörden bei den Ermittlungen adäquat einordnen zu können.

Laut Stöss ist die Zahl der Aktiven in rechtsextremen Parteien, in der freien Szene wie etwa den Kameradschaften oder in der Subkultur seit 1993 um 60.000 "dramatisch zurückgegangen". Diese Entwicklung sei in erster Linie zu Lasten von Parteien wie der DVU oder der Republikaner gegangen, die sich als Opposition innerhalb des Systems verstünden. Hingegen hätten die parteiunabhängige Szene und die Subkultur, wo eine zunehmende Gewaltbereitschaft zu beobachten sei, einen stärkeren Zulauf zu verzeichnen, so der emeritierte Professor von der FU Berlin. Gerade in den neuen Ländern sei bei diesen Gruppen die Militanz mittlerweile besonders stark ausgeprägt. Die NPD sei von 1996/97 an auf einen fundamentaloppositionellen Kurs umgeschwenkt. Angesichts ihres neuerdings schwindenden Einflusses im Zuge rückläufiger Mitgliederzahlen und schlechterer Wahlergebnisse sei diese Partei immer weniger in der Lage, das militante Potenzial zu integrieren, erläuterte der Politologe.

Stöss wie auch der an der FU Berlin tätige Politikprofessor Schroeder gaben sich überzeugt, dass in erster Linie eine bestimmte individuelle Verfassung junge Leute den Weg zum Rechtsextremismus finden lasse. Oft sei die Persönlichkeit autoritär und dogmatisch ausgerichtet, und erst auf dieser Basis könnten sich sozioökonomische Faktoren wie ein sozialer Abstieg verstärkend auswirken, so Stöss. Laut Schroeder ist bei solchen Personen häufig schon frühzeitig eine Neigung zur Gewaltbereitschaft festzustellen. Meist sei es Zufall, in welche Milieus sie "reinrutschen". Im rechtsextremen Umfeld werde das dann "politisch aufgeladen". Mit steigendem Bildungsgrad seien solche Einstellungen seltener anzutreffen. Schroeder: "Das rechtsextreme Potenzial kommt nicht aus der Mitte der Gesellschaft."

Der Politologe wandte sich gegen die These, Rechtsextremismus wurzele in sozioökonomischen Faktoren: Den Gegenbeweis liefere die DDR, wo trotz der Abschaffung des Kapitalismus solche Tendenzen nicht verschwunden seien. Nach der Wende hätten im Osten viele Jugendliche infolge der sozialen Turbulenzen die persönliche Orientierung verloren und seien von rechtsextremen Gruppen aufgefangen worden: "Dies wirkt sich bis heute aus."

Röpke, die einen historischen Überblick über die Entwicklungen militanter Gruppen gab, verwies auf die in Thüringen stark ausgeprägte Gewaltbereitschaft in der Neonazi-Szene. Dies treffe etwa auf den "Heimatschutz" zu. In diesem vernetzten Umfeld seien auch die drei NSU-Mitglieder sozialisiert worden, führte die Journalistin aus. Zeitweise hätten sie dem "Heimatschutz" angehört. Die NSU-Gruppe habe mit einer vertrauten Unterstützerszene in mehreren Bundesländern rechnen können. Zu Edathys Anmerkung, der NSU habe sich auch innerhalb der rechtsextremen Szene abgeschottet, sagte Röpke, es sei in diesen Kreisen bekannt gewesen, "dass es bewaffnete Strukturen gibt".

Auch Stöss erklärte, das NSU-Trio sei über die Subkultur und den "Heimatschutz" immer militanter geworden. Die Mordserie habe sich gegen Ausländer, aber auch gegen den Staat gerichtet. Man habe sich stark genug gefühlt, den Staat herausfordern zu können. Der Politologe: "Eine maßlose Selbstüberschätzung."


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2. Globale Herausforderung für den Standort Deutschland

Bildung und Forschung/Unterrichtung

Berlin: (hib/ROL) Die Expertenkommission Forschung und Innovation benennt in ihrem neuesten Gutachten zu "Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit" (17/8872) trotz unterschiedlichster Themen eine Gemeinsamkeit: Die globale Vernetzung fast aller Gebiete in diesem Bereich. Das Gutachten, das alle zwei Jahre von renommierten Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Fachrichtungen erstellt wird, analysiert unter anderem die Rolle der Hochschulforschung und drängt auf eine Grundgesetzänderung zur Korrektur der Föderalismusreform I. Die 191 Seiten lange Stellungnahme setzt sich detailliert mit dem Fachkräftemangel auseinander und fordert unter anderem die vertikale und horizontale Durchlässigkeit des Bildungssystems. Ferner beschäftigt sich das Gutachten mit den Wachstumsbedingungen junger Unternehmen in Deutschland und kritisiert, dass diese im internationalen Vergleich meist nicht ausreichend finanziert werden. Die Experten mahnen an, dass mehr Fortschritte bei der Erfassung und Messung der Wirkung staatlicher Forschung und Entwicklung gemacht werden müssen. "Hier fehlt es derzeit an einer geeigneten Dateninfrastruktur, um die FuE-Politik mit der notwendigen Genauigkeit über die Wirkungen ihrer Maßnahmen zu informieren", heißt es im Bericht.

Der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt erreichte im Jahr 2010 in Deutschland 2,82 Prozent und hat damit das vom Europäischen Rat formulierte Drei-Prozent-Ziel knapp nicht erreicht. "Andere führende Wirtschafts- und Innovationsnationen haben die Drei-Prozent Marke schon lange hinter sich gelassen", heißt es im Gutachten. Das gilt vor allem für Nordeuropa. Allerdings ist die Heterogenität in der EU insgesamt derartig groß, dass eine weitere Vorgabe der Drei-Prozent-Marke für die EU-Länder insgesamt den Wissenschaftlern nicht mehr Ziel führend erscheint. Vielmehr sollten die südeuropäischen Länder, die überwiegend weit unter der Drei-Prozent-Marke liegen, eine jeweils nationale Innovationsstrategie umsetzen.

Insgesamt habe Deutschland erfolgreiche Modernisierungsstrategien für das verarbeitende Gewerbe entwickelt, weist aber Defizite in der Spitzentechnologie auf und befinde sich inzwischen im "Zangengriff" zwischen Aufstiegsländern und klassischen Spitzentechnologieproduzenten. Besonders die Energiewende biete Deutschland neben anderen Feldern als Hochtechnologieland "ausgezeichnete Chancen", sich erfolgreich auf dem Weltmarkt zu positionieren.


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3. Im Bundestag notiert: "Zug der Erinnerung"

Verkehr und Bau/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/KAT) Finanzielle Forderungen der Deutschen Bahn AG (DB AG) an den gemeinnützigen Verein "Zug der Erinnerung" sind Gegenstand einer Kleinen Anfrage (17/8985) der Fraktion Die Linke. Die Bundesregierung soll danach ihre Position zur Gebührenberechnung der DB AG an den Verein angeben. Eine Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages hat laut Fraktion die dafür vorgesehene Rechtsgrundlage als "zweifelhaft" erklärt. Des Weiteren wollen die Abgeordneten erfahren, ob die Regierung die DB AG von einer Verzichtsmöglichkeit auf die Berechnung von Stations- und Anschlussgebühren überzeugen will.


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4. Im Bundestag notiert: Änderungen im Wohngeldgesetz

Verkehr und Bau/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/KAT) Mit Änderungen im Wohngeldgesetz und der neuen Verordnung zum automatisierten Datenabgleich im Wohngeldverfahren befasst sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in einer Kleinen Anfrage (17/8975). Sie will unter anderem wissen, wie hoch die Kosten für die Kommunen sind, die aus der neuen Erstattungspflicht für die auskunftgebenden Kreditinstitute entstehen und inwiefern bundeseinheitliche Standards für die sichere Datenübermittlung geschaffen werden sollen.


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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 157 - 22. März 2012 - 14:20 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2012