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BUNDESTAG/4032: Heute im Bundestag Nr. 432 - 22.08.2013


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 432
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 22. August 2013 Redaktionsschluss: 16:55 Uhr

1. "Beschämende Niederlage der Sicherheitsbehörden"
2. Bundesrat schlägt Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vor
3. Bundesregierung: Bessere Betreuung schwer kranker Patienten in der Palliativmedizin
4. Im Bundestag notiert: Marktmacht deutscher Supermarktketten
5. Im Bundestag notiert: Entschädigung deutscher Staatsbürger polnischer Herkunft
6. Im Bundestag notiert: polizeiliche Datensysteme



1. "Beschämende Niederlage der Sicherheitsbehörden"

2. Untersuchungsausschuss (Rechtsterrorismus)

Berlin: (hib/KOS) Scharfe Kritik an den Sicherheitsinstanzen übten die beiden Vorsitzenden und die fünf Fraktionsobleute des Untersuchungsausschusses, der Fehlgriffe und Pannen bei den Ermittlungen zu der dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie an neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin durchleuchten sollte, am Donnerstag bei der Vorstellung ihres Abschlussberichts. Der Vorsitzende Sebastian Edathy (SPD) monierte ein "multiples, systemisches Versagen" von Polizei und Geheimdiensten, sein Stellvertreter Stephan Stracke (CSU) sprach von einer "beschämenden Niederlage" der Behörden, Linken-Sprecherin Petra Pau von einem "Ermittlungs-GAU". SPD-Obfrau-Eva Högl konstatierte "Fehler und Versäumnisse auf allen Ebenen". In einem Geleitwort schreibt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), das Gremium vermittele die Botschaft, "dass Minderheiten eigene Rechtsansprüche haben, über die Mehrheiten nicht verfügen können".

Die Vertreter des Ausschusses erklärten, bei ihren Aufklärungsbemühungen seien sie nicht auf ein einziges zentrales Versäumnis gestoßen, auf das die Erfolglosigkeit der Ermittlungen zurückzuführen sei. Es habe jedoch viele einzelne Fehler gegeben, deren Vermeiden die Wahrscheinlichkeit, die Täter dingfest zu machen, deutlich erhöht hätte. Als gravierendes Beispiel erwähnt der Bericht die im Januar 1998 bei einer Garagendurchsuchung in Jena entdeckten Adressen aus dem rechtsextremen Spektrum, die bei der Fahndung nicht genutzt wurden - wobei diese Kontaktdaten vielleicht frühzeitig auf die Spur der im Januar jenes Jahres untergetauchten Zelle hätten führen können. Ein anderes Beispiel: Hätte man 2004 nach einem Nagelbombenanschlag in Köln mit über 20 Verletzten gründlicher in polizeilichen Datenbeständen geforscht, so wäre man möglicherweise auf Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gestoßen. Edathy und Stracke betonten indes, der Ausschuss habe keine Anhaltspunkte entdeckt für eine "Kumpanei" zwischen Behörden und dem NSU, auch sei nicht absichtlich weggeschaut worden. Zudem existierten keine Hinweise für eine Tätigkeit des Trios als V-Leute.

Im Detail übt der Ausschuss eine Fülle von Kritik. Edathy bemängelte, dass das Verhältnis der Sicherheitsinstanzen mehr von Konkurrenz als von Kooperation geprägt gewesen sei. Unions-Obmann Clemens Binninger monierte, dass die föderale Sicherheitsstruktur bei länderübergreifender Kriminalität "schnell an Grenzen stößt". Man habe sich sehr schnell auf die Tätersuche im Bereich der organisierten Kriminalität konzentriert und nur vereinzelt einen rechtsterroristischen Hintergrund in Betracht gezogen - "obwohl es auf der Hand lag", dass bei dieser Mordserie ein ausländerfeindliches Motiv vorliege. Högl bezeichnete es als "bittere Erkenntnis", dass in viele Richtungen, aber nicht im Bereich Rechtextremismus ermittelt worden sei. Die "Analysefähigkeit" beim Verfassungsschutz sei nur unzureichend ausgebildet.

FDP-Obmann Hartfrid Wolff beklagte, dass trotz der intensiven Arbeit des Ausschusses noch zahlreiche Fragen ungeklärt seien. Nicht in gebotenem Maße untersucht worden seien etwa der Einsatz von V-Leuten, die internationalen Verflechtungen des NSU besonders in die Schweiz als dem Herkunftsland der Tatwaffe, die Banküberfälle der Zelle oder deren Einbindung in die rechtsextreme Szene. Aus Sicht Paus trugen die Ermittlungen "rassistische Züge". Im Mittelpunkt des Versagens hätten die Ämter des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern gestanden, sagte die Linken-Abgeordnete. Grünen-Sprecher Wolfgang Wieland kritisierte, "dass die Ermittlungen regional borniert geführt wurden". Die Innenminister in Bund und Ländern seien "mehr Teil des Problems als der Lösung gewesen". Für Wieland hat sich vor allem das Bundeskriminalamt (BKA) als "Ort des Versagens" entpuppt, was sich etwa bei der Fahndung nach dem Untertauchen des NSU-Trios in Jena oder beim Verfolgen der Waffenspur in der Schweiz offenbart habe. Bis heute zeige die BKA-Spitze "keinen Hauch von Selbstkritik".

Im einstimmig verabschiedeten Bericht finden sich fast 50 Reformvorschläge. Vor allem dürfe die Gefahr eines Rechtsterrorismus "nie mehr unterschätzt und verharmlost werden", unterstrich Edathy. Mit mehr Präventionsarbeit müsse verhindert werden, dass junge Leute in ein rechtsextremistisches Weltbild rutschen. Binninger hob die Forderung hervor, bei Gewaltdelikten an Migranten stets auch ausländerfeindliche Motive zu prüfen, sofern keine Hinweise auf Täter vorlägen. Högl mahnte eine effizientere parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes an und rief dazu auf, die "interkulturelle Kompetenz" bei den Sicherheitsbehörden zu stärken. Wolff plädierte für eine Reform der Geheimdienste "an Haupt und Gliedern" und machte sich dafür stark, angesichts der ungeklärten Fragen in der nächsten Legislaturperiode erneut einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Anders als Union, SPD und FDP, die Änderungen beim Geheimdienst und beim Umgang mit Spitzeln verlangen, will Pau den Einsatz von V-Leuten "sofort beenden" und den Verfassungsschutz auflösen, der "nicht reformierbar" sei. Laut Wieland soll das Bundesamt für Verfassungsschutz aufgelöst und dann neu strukturiert werden.

Bei der Vorstellung des Berichts wie bei der zuvor erfolgten Übergabe der fast 1.400 Seiten an Bundestagspräsident Lammert betonten die Ausschussmitglieder die erfolgreiche fraktionsübergreifende Kooperation in dem Gremium. Angesichts der Herausforderung durch den Rechtsterrorismus sei es nicht zu einer "parteipolitischen Profilierung" gekommen, sagte Edathy. Man habe "verloren gegangenes Vertrauen in den Rechtsstaat wiedergewinnen wollen". Wolff zeigte sich "beeindruckt" von der "einmaligen Zusammenarbeit", und dies in einem Wahlkampfjahr. Lammert nannte die Arbeit des Ausschusses "stilbildend".

Högl mahnte, dass die Erkenntnisse des Gremiums nun nicht "in Schubladen verschwinden dürfen". Binninger gab sich überzeugt, dass von dem Bericht ein "hoher Veränderungsdruck" ausgehen werde.

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2. Bundesrat schlägt Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vor

Inneres/Gesetzentwurf

Berlin: (hib/PK) Der Bundesrat schlägt eine Änderung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts vor. In dem Gesetzentwurf (17/14574) ist vorgesehen, dass einbürgerungswillige Ausländer beim Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft ihre bisherige Staatsangehörigkeit nicht aufgeben müssen. Folgerichtig verlören auch Deutsche beim Erwerb einer ausländischen Staatsbürgerschaft ihren heimischen Pass nicht. Der geltende "Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit" solle aufgehoben werden.

Somit entfalle auch die sogenannte Optionsregelung zugunsten des dauerhaften Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit hier geborener Kinder ausländischer Eltern mit langjährigem Aufenthaltsrecht. Dies gelte unbeschadet eines möglichen Erwerbs weiterer Staatsangehörigkeiten des Kindes, heißt es in dem Gesetzentwurf. Die neue Regelung werde den Anforderungen einer modernen Einwanderungsgesellschaft gerecht.

Die Reform würde nach Angaben des Bundesrats den Verwaltungsaufwand deutlich reduzieren und eine Vereinfachung des Einbürgerungsverfahrens bewirken. Den Mehrkosten durch eine erhöhte Inanspruchnahme der Einbürgerung stehe ein erhöhtes Gebührenaufkommen gegenüber.

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3. Bundesregierung: Bessere Betreuung schwer kranker Patienten in der Palliativmedizin

Gesundheit/Antwort

Berlin: (hib/PK) Die Versorgung schwer kranker Patienten in der Palliativmedizin ist nach Auskunft der Bundesregierung in den zurückliegenden Jahren besser geworden. So hätten Versicherte seit 2007 einen Anspruch auf eine spezialisierte ambulante Palliativbetreuung. Diese Leistung solle den Patienten mit einem besonderen Versorgungsbedarf ermöglichen, im häuslichen Umfeld zu sterben, teilt die Regierung in ihrer Antwort (17/14554) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (17/14449) mit. Nach anfänglichen "Umsetzungsschwierigkeiten" könne mittlerweile von einer "relativ guten Versorgungslage" ausgegangen werden.

Was die stationären palliativmedizinischen Einrichtungen betreffe, gebe es keine gesetzliche Vorgabe, ab 2014 verpflichtend das Fallpauschalensystem anzuwenden, schreibt die Regierung. Die Stationen könnten weiter als "Besondere Einrichtungen" vom Fallpauschalensystem ausgenommen werden. Allerdings rechneten die meisten Krankenhäuser mit Palliativversorgung im Rahmen der Vergütung mit diagnosebezogenen Fallpauschalen und ergänzenden Zusatzentgelten ab. Diese Systematik ermögliche "aufwandsgerechte Vergütungen" und begründe keine vorzeitigen Entlassungen schwer kranker Menschen, versicherte die Regierung.

Das Fallpauschalensystem bevorzuge auch nicht Palliativstationen mit einer möglichst kurzen und wenig umfangreichen Versorgung. Es setze vielmehr "Anreize für eine gute palliativmedizinische Versorgung". So könnten Kliniken nur dann ein Zusatzentgelt abrechnen, wenn die Behandlung bestimmte Mindestmerkmale erfülle. In den Fachabteilungen für Palliativmedizin der Krankenhäuser wurden den Angaben zufolge im Jahre 2011 insgesamt rund 27.500 Patienten behandelt. Rund 13.600 Patienten starben in den Kliniken nach einer durchschnittlichen Verweildauer von zehn Tagen.

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4. Im Bundestag notiert: Marktmacht deutscher Supermarktketten

Wirtschaft und Technologie/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/HLE) Die Marktmacht deutscher Supermarktketten und ihren möglichen Einfluss auf die Ausbeutung in der globalen Zuliefererkette thematisiert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in einer Kleinen Anfrage (17/14557). Die Bundesregierung soll unter anderem den Einfluss der Supermarktketten auf Arbeitsbedingungen und Umweltstandards in Entwicklungsländern einschätzen und Fakten zu unlauteren Handelspraktiken nennen.

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5. Im Bundestag notiert: Entschädigung deutscher Staatsbürger polnischer Herkunft

Finanzen/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/HLE) Die Entschädigung deutscher Staatsbürger polnischer Herkunft wegen Verfolgung in der NS-Zeit ist Thema einer Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke (17/14549). Gefragt wird unter anderem auch nach Vermögen der 1939/1940 aufgelösten polnischen Organisationen.

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6. Im Bundestag notiert: polizeiliche Datensysteme

Inneres/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/PK) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen interessiert sich für polizeiliche Datensysteme zur Erfassung und Analyse politisch motivierter Kriminalität der rechten Szene. In einer Kleinen Anfrage (17/14545) verweisen die Abgeordneten auf die bereits bestehenden Systeme und wollen wissen, ob es noch weitere Dateien gibt, in denen personenbezogene Datensätze hinsichtlich rechts motivierter Straftaten enthalten sind und wie sie funktionieren.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 432 - 22. August 2013 - 16:55 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2013