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BUNDESTAG/5317: Heute im Bundestag Nr. 517 - 12.10.2015


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 517
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 12. Oktober 2015, Redaktionsschluss: 16.47 Uhr

1. Disput um Stärkung der Betriebsräte
2. Kontroverse um Flüchtlingskinder


1. Disput um Stärkung der Betriebsräte

Arbeit und Soziales/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Vorschläge der Oppositionsfraktionen zur Stärkung von Betriebsräten stoßen bei Experten auf Zustimmung ebenso wie auf Ablehnung. Das wurde im Verlauf einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montagnachmittag deutlich. Während Vertreter der Arbeitgeberseite keinen Bedarf an Änderungen des Betriebsverfassungsrechts im Sinne der Antragsteller erkennen konnten, unterstützten Gewerkschaftsvertreter und Arbeitsrechtsexperten den Großteil der vorgeschlagenen Änderungen.

In ihren Anträgen sprechen sich Linke (18/5327) und Grüne (18/2750) unter anderem für ein vereinfachtes Wahlverfahren bei der Erstwahl eines Betriebsrates auch für Betriebe mit bis zu 100 Wahlberechtigten aus. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert zudem, dass Mitglieder des Wahlvorstandes für den Zeitraum bis zur nächsten Betriebsratswahl in die Schutzbestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes aufgenommen werden sollen. Nach den Vorstellungen der Linksfraktion sollen die Arbeitgeber, sofern im Betrieb die Bedingungen für eine Betriebsratswahl erfüllt sind, dieser aber noch nicht gewählt ist, verpflichtet werden, einmal im Jahr eine Mitarbeiterversammlung durchzuführen, um über die Rechte und Pflichten des Betriebsverfassungsgesetzes zu informieren. Zudem solle der Kündigungsschutz für Mitarbeiter, die sich für den Wahlvorstand bewerben, ab dem Tag ihrer Bewerbung gelten.

Wahlvorstände besäßen schon jetzt einen sechsmonatigen Kündigungsschutz, sagte Sibylle Talkenberg vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Es sei im Übrigen falsch, davon auszugehen, dass Wahlvorstände von den Arbeitgebern als Gegner angesehen werden. "Sie sind wichtige Partner bei den hochkomplexen Wahlverfahren", sagte sie. Die Arbeitgeber hätten schließlich ein Interesse, dass die Wahlen korrekt durchgeführt werden. Sei eine Wiederholung einer Wahl nötig, koste dies schließlich Zeit und Geld.

Das vereinfachte Wahlverfahren, welches vor allem verkürzte Fristen vorsieht und bislang für Kleinunternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern gilt, bringe für ein vertrauensvolles Miteinander zwischen Arbeitgebern und Betriebsrat überhaupt nichts, befand Roland Wolf von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Was die Erweiterung der Kündigungsschutzrechte angeht, so warnte er davor, "das am Ende jeder ein Sonderkündigungsschutz hat". Das hemme die Flexibilität der Unternehmen insbesondere in schwierigen Zeiten, befand der BDA-Vertreter.

Gerade kleine Unternehmen hätten durch zusätzliche Kündigungsschutzmaßnahmen Wettbewerbsnachteile gegenüber großen Unternehmen zu befürchten, sagte Birgit Schweer vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Dass es gerade bei kleinen Betrieben seltener einen Betriebsrat gebe, sei kein Grund, dass Betriebsverfassungsgesetz zu ändern, befand sie. Es habe eher damit zu tun, dass in solchen Betrieben der Inhaber oftmals mitarbeite und so Lösungen für eventuelle Probleme im Gespräch gefunden werden könnten.

Auch wenn das vereinfachte Wahlverfahren im Grunde eher eine Verkürzung als eine Vereinfachung darstelle, sei man dafür, sagte Thomas Fischer vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Grund dafür sei, dass dadurch die Zeit, "in der die Arbeitgeberseite versuchen kann, Betriebsratswahlen zu verhindern oder zu manipulieren, auf zwei Wochen verkürzt wird". Für eine Kompetenzerweiterung der Konzernbetriebsräte sprach sich Martin Simon Schwärzel, Vorsitzender des Konzernbetriebsrates der Asklepios Kliniken GmbH aus. Es sei derzeit nicht möglich, in den einzelnen Unternehmen des Konzerns Mitarbeiterversammlungen einzuberufen, um auf die Möglichkeit der Gründung eines eigenen Betriebsrates hinzuweisen, kritisierte er.

Der Arbeitsrechtler Thomas Berger stimmte dieser Forderung zu. Der dazu von der Linksfraktion gemachte Vorschlag sei überzeugend, urteilte er. Die Arbeitgeber würden seiner Ansicht nach mit der Pflicht zu einer jährlichen Mitarbeiterversammlung "nicht über Gebühr beansprucht".

Für einen vorgelagerten Schutz der Betriebsratskandidaten "noch vor der Einladung zur Wahlversammlung" sprach sich der Franz Josef Düwell, ehemaliger Richter am Bundesarbeitsgericht aus. Zur Begründung verwies er auf einen Fall aus seiner beruflichen Praxis, wo ein Fast-Food-Unternehmen noch vor dem Rausgehen der Einladungen "Wind davon bekommen hatte, wer sich zur Wahl stellen will, und die Filiale in der diese Mitarbeiter beschäftigt waren, für ein halbes Jahr geschlossen hat".

Unterstützung fanden die Oppositionsvorschläge auch bei Martin Behrens von der Hans-Böckler Stiftung. Gerade im Bereich der Unternehmen mit 20 bis 200 Mitarbeitern sei in den letzten Jahren ein erheblicher Rückgang der betrieblichen Mitbestimmung zu verzeichnen. Zudem gebe es gegenüber Mitarbeitern, die in einem Unternehmen ohne Betriebsrat versuchen würden, einen solchen zu gründen, oftmals massive Versuche der Einschüchterung. Dies strahle auch auf diejenigen aus, die es daraufhin gar nicht erst versuchen, gab Behrens zu bedenken und sah es als "dringend geboten an, hier zu Verbesserungen zu kommen".

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2. Kontroverse um Flüchtlingskinder

Familie, Senioren, Frauen und Jugend/Ausschuss

Berlin: (hib/AW) Die von Bund und Ländern angestrebte Verteilung, Unterbringung, Versorgung und Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen wird von Sachverständigen und Vertretern der Kommunen zwar prinzipiell begrüßt. Allerdings besteht aus ihrer Sicht auch deutlicher Nachbesserungsbedarf am Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/5921). Dies wurde in einer öffentlichen Anhörung des Familienausschusses über den Gesetzentwurf und zwei Anträge der Fraktionen Die Linke (18/4185), 18/5932) am Montag deutlich.

Scharfe Kritik übte Niels Espenhorst vom Bundesverband Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Viele der aktuellen Probleme würden durch den Gesetzentwurf nicht gelöst. So werde beispielsweise keine klare Regelung zur Alterseinschätzung von Jugendlichen gemacht, wenn sich deren Alter nicht aus gültigen Personaldokumenten ergibt. Eine doppelte Alterseinschätzung sowohl bei der vorläufigen und bei der regulären Inobhutnahme liege nicht im Interesse der Flüchtlingskinder. Zudem müssten die Interessen der Kinder bei der vorläufigen Inobhutnahme stärker berücksichtigt werden. Dies sei aber ohne eine unabhängige gesetzliche Vertretung kaum möglich. Auch Björn Hagen vom Evangelischen Erziehungsverband plädierte dafür, die Interessen der Flüchtlingskinder stärker zu berücksichtigen. Allerdings räumte er ein, dass in der derzeitigen Situation sich nicht alles umsetzen lassen werde, was wünschenswert erscheine. In jedem Fall müssten aber einheitliche Standards für die Jugendämter festgelegt werden und ihre entsprechende Qualifizierung für den adäquaten Umgang mit unbegleiteten Flüchtlingskindern forciert werden.

Die fehlenden Regelungen zur Alterseinschätzung und zur Beteiligung der Jugendlichen bei der Auswahl eines geeigneten Jugendamtes sowie die fehlende Bestellung einer unabhängigen rechtlichen Vertretung der Jugendlichen bei der vorläufigen Inobhutnahme im Gesetzentwurf wurden auch von Bernward Ostrop vom Deutschen Caritasverband, Birgit Lambertz von SOS-Kinderdorf und Thomas Meysen vom Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht kritisch bewertet. Das Gesetz erschwere zudem die Familienzusammenführung und nehme keine Rücksicht auf spezielle medizinische Notwendigkeiten, sagte Meysen.

Klaus-Dieter Müller, Geschäftsführer des Landesbetriebs Erziehung und Beratung Hamburgs, und Franz Prügl, Leiter des Kreisjugendamtes Passau, begrüßten die im Gesetzentwurf vorgesehene bundesweite Verteilung der Flüchtlingskinder ausdrücklich. Sie verwiesen darauf, welch gewaltige Belastungen jene Jugendämter zu stemmen hätten, die besonders stark von der Flüchtlingskrise betroffen seien. Allein in Hamburg seien bis Mitte September dieses Jahres 1.598 unbegleitete Jugendliche in Obhut genommen worden, sagte Müller. Bis Ende des Jahres würden es voraussichtlich 3.000 sein. Dies sei gegenüber den Vorjahren ein dramatischer Zuwachs. Prügl betonte, auch das Jugendamt des Landkreises Passau sei an seiner Belastungsgrenze angekommen. Bis September seien bereits 3.300 unbegleitete Minderjährige registriert worden.

Verena Göppert von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände schloss sich der Sichtweise von Müller und Prügl an. Es sei gut, dass das Gesetz bereits zum 1. November dieses Jahres in Kraft treten soll. Dies liege im Interesse der besonders stark betroffenen Jugendämter, aber auch im Interesse der Flüchtlinge. Kritisch beurteilte Göppert die Regelung, nach der eine Verteilung der Flüchtlingskinder nur an "geeignete Jugendämter" erfolgen soll. Prinzipiell habe jedes Jugendamt die fachliche Eignung zur Aufnahme von unbegleiteten Flüchtlingskinder oder müsse diese eben erwerben. Göppert mahnte zudem, dass die vom Bund zugesagten 350 Millionen Euro für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlingskinder auch ungeschmälert von den Ländern an die Kommunen weitergegeben werden müssten.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 517 - 12. Oktober 2015 - 16.47 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Oktober 2015

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