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BUNDESTAG/5814: Heute im Bundestag Nr. 328 - 02.06.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 328
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 02. Juni 2016, Redaktionsschluss: 16.36 Uhr

1. Spionageabwehr mit beschränkten Möglichkeiten
2. Maaßen muss sich für Tresor-Funde rechtfertigen


1. Spionageabwehr mit beschränkten Möglichkeiten

1. Untersuchungsausschuss (NSA)/Ausschuss

Berlin (hib/wid) Der Chef der deutschen Spionageabwehr hat vor dem 1. Untersuchungsausschuss (NSA) "knappe Ressourcen" als Ursache der auch nach seiner Einschätzung oftmals "unbefriedigenden" Aufklärungsergebnisse genannt. "Spionageabwehr kostet Geld", sagte der Zeuge Burkhard Even in seiner Vernehmung am Donnerstag. "Wenn man das Geld ausgibt, kann man auch erwarten, dass wir mehr bringen." Ansonsten müsse sich die Politik mit bescheidenen Resultaten begnügen. Der heute 56-jährige Jurist ist nach ersten Berufsjahren im Bundesinnenministerium seit 1998 im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) tätig, wo er seit Sommer 2007 die für Spionageabwehr zuständige Abteilung 4 leitet.

Nach dem Ende des Kalten Krieges habe weithin die Auffassung geherrscht, dass Spionage und mithin auch ihre Abwehr an Bedeutung eingebüßt hätten, berichtete Even. Nach den Anschlägen des 11. September 2001 in den USA habe zudem der Verfassungsschutz weitere Kräfte umgeschichtet, um der neuen Herausforderung durch radikalislamische Bestrebungen zu begegnen. Er selbst habe bereits nach einem Jahr als Abteilungsleiter erleben müssen, dass die Zahl der ihm unterstellten Referatsgruppen von drei auf zwei geschrumpft sei. Die knappe materielle Ausstattung zwinge dazu, Prioritäten zu setzen. So gelte das Hauptaugenmerk den Diensten Russlands, Chinas und des Iran. "Systematische Beobachtung ist sehr ressourcenintensiv. Sie findet bei Bündnispartnern grundsätzlich nicht statt", sagte der Zeuge.

Es sei natürlich "keine neue Erkenntnis", dass sich auch westliche Geheimdienste in der Bundesrepublik in einer Weise betätigten, "die wir aus deutscher Sicht nicht gut finden", sagte Even. Die Konzentration diplomatischer Vertretungen im direkten Umfeld des Brandenburger Tores etwa bereite den Sicherheitsbehörden seit dem Regierungsumzug nach Berlin erhebliches Kopfzerbrechen. Wer auf dem Pariser Platz mit dem Handy telefonieren, müsse davon ausgehen, aus einer der umliegenden Botschaften belauscht zu werden. Es gebe schließlich kaum einen anderen Ort, wo mehr interessante Gespräche abzuhören seien: "Ich glaube nicht, dass irgendeine zuständige Stelle in Deutschland sagen kann, sie hätte es nicht gewusst", betonte Even.

Dennoch sei er überzeugt, dass der "ganz, ganz überwiegende Teil" der Aktivitäten westlicher Geheimdienste in der Bundesrepublik in Kooperation mit deutschen Behörden und im gemeinsamen Interesse erfolge. Zwar hätten gerade die Amerikaner die Neigung, "großflächig" Kommunikationsdaten abzugreifen. Doch auch sie seien in erster Linie am radikalislamischen Terrorismus interessiert, an deutscher Innenpolitik weniger.

Als im Sommer 2013 die Enthüllungen Edward Snowdens über die amerikanische National Security Agency (NSA) die deutsche Öffentlichkeit erregten, habe der Verfassungsschutz 20 Behauptungen des US-Geheimdienstkritikers überprüft, berichtete Even. Die meisten seien "als technisch möglich, auch als plausibel" erschienen. Dennoch sei in keinem einzigen Punkt der "konkrete Nachweis" gelungen, dass die Vorwürfe zutrafen. In ähnlicher Weise sei die Vermutung, dass aus Botschaften verbündeter Staaten heraus Spionage betrieben werde, plausibel, aber nicht beweisbar. Dass die NSA sogar das Handy der Kanzlerin abgehört haben soll, habe den Verfassungsschutz daher "im ersten Moment sehr überrascht, in zweiten dann wiederum nicht".

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2. Maaßen muss sich für Tresor-Funde rechtfertigen

3. Untersuchungsausschuss (NSU)/Ausschuss

Berlin: (hib/RIK) Der 3. Untersuchungsausschuss (NSU II) hat am Donnerstag in nichtöffentlicher Sitzung rund 90 Minuten lang den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, befragt. Grund waren die überraschenden Funde eines Handys und von vier Sim-Karten des 2014 verstorbenen V-Manns "Corelli" in einem Tresor der Behörde. Der Ausschuss-Vorsitzende Clemens Binninger (CDU) sagte nach der Befragung vor Journalisten, dass sich das Handy und die Sim-Karten zusammen mit einer "Unmenge von Unterlagen" wie Akten und CDs in einem großen Tresor des ehemaligen V-Mann-Führers von Thomas Richter alias "Corelli" befunden hätten. Als der Beamte im vergangenen Sommer seine Stelle gewechselt habe, sei der Tresor geräumt worden. Dabei habe man das Mobiltelefon ohne Sim-Karte in einem Umschlag gefunden und zunächst niemandem zuordnen können.

Weil die Brisanz des Fundes nicht erkannt worden sei, habe man das Handy erst im April dieses Jahres untersucht. Dabei sei anhand von Fotos schnell festgestellt worden, dass es "Corelli" gehört haben muss. Erst schleppend sei dann die Amtsleitung über den Fall informiert worden. Laut Binninger befinden sich nach dem aktuellen Erkenntnisstand auf dem Handy keine brisanten Daten mit Bezug zum "Nationalsozialistischen Untergrund". Die jeweils zwei Sim-Karten von deutschen und niederländischen Providern, die jetzt ebenfalls "Corelli" zugeordnet wurden, hätten sich angeheftet an ein Schriftstück in einem Ordner mit zahlreichen anderen Unterlagen befunden.

Binninger nahm Amtschef Maaßen gegen Vorwürfe in Schutz und kritisierte, dass dessen Anordnung aus dem Jahr 2014 missachtet worden sei, wonach die Mitarbeiter des BfV in ihren Tresoren nur Gegenstände aufbewahren sollten, "die dort auch hingehören". Als problematisch wertete er auch, dass es zwischen dem V-Mann "Corelli" und seinem V-Mann-Führer "keinerlei Distanz" gegeben habe.

Die Linken-Abgeordnete Petra Pau warnte vor "voreiligen Festlegungen", dass die neuen Funde keinen Bezug zum NSU hätten. Sie habe genug von ständig neuen Pannen beim Verfassungsschutz. Irene Mihalic von den Grünen sagte, im BfV herrsche offenbar "das absolute Chaos". Es sei richtig, dass Innenminister Thomas de Maizière (CDU) dort jetzt für Ordnung sorgen wolle. Der Obmann der SPD-Fraktion, Uli Grötsch, kritisierte, dass es beim Verfassungsschutz noch immer "kein Bewusstsein für die besondere Brisanz des Falles ,Corelli' gebe".

Bereits am Mittwoch hat das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) dem ehemaligen Grünen-Abgeordneten Jerzy Montag den Auftrag erteilt, bis zur Sommerpause die Umstände der Handy- und Sim-Karten-Funde zu untersuchen. Montag hat für das PKGr bereits im vergangen Jahr einen umfangreichen Bericht über den Fall "Corelli" angefertigt.

Der im März 2014 überraschend verstorbene Rechtsextremist Thomas Richter hatte unter dem Decknamen "Corelli" 18 Jahre als V-Mann gearbeitet. Mitte der 90er Jahre traf er bei der Bundeswehr das spätere NSU-Mitglied Uwe Mundlos, mit dem er Telefonnummern austauschte. Später verbreitete er im Internet das Neonazi-Magazin "Der weiße Wolf", in dem 2002 eine Anzeige mit dem Wortlaut "Vielen Dank an den NSU" erschien. Der Auftraggeber ist bis heute unbekannt. 2005 übergab er schließlich seinem V-Mann-Führer eine CD mit dem Deckblatt "NSU/NSDAP". Kurz bevor Richter alias "Corelli" dazu befragt werden sollte, starb er im März 2014 in seiner Wohnung in Paderborn. Für ein Fremdverschulden gibt es nach dem PKGr-Bericht von Jerzy Montag keine Hinweise.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 328 - 2. Juni 2016 - 16.36 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2016

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