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BUNDESTAG/8368: Heute im Bundestag Nr. 507 - 06.05.2019


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 507
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 6. Mai 2019, Redaktionsschluss: 16.58 Uhr

1. Systematischer Betrug beim Kindergeld
2. Experten-Zuspruch für Grünen-Entwurf
3. Einflussnahme von Interessenvertretern
4. Zuzahlungen der Versicherten
5. Linke fragt nach Heilmittelversorgung
6. Einflussnahme von Interessenvertretern


1. Systematischer Betrug beim Kindergeld

Finanzen/Anhörung

Berlin: (hib/HLE) Von systematischen Betrug beim Bezug von Kindergeld durch EU-Bürger in bestimmten Fällen hat Ministerialdirigentin Daniela Lesmeister, Abteilungsleiterin Polizei im Innenministerium von Nordrhein-Westfalen, berichtet. In einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses, die von der Vorsitzenden Bettina Stark-Watzinger (FDP) geleitet wurde, berichtete Lesmeister am Montag, dass EU-Bürger bereits dann einen Anspruch auf Kindergeld hätten, wenn der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland liege. Bei organisierten Betrugsdelikten würden kinderreiche Familien aus dem EU-Ausland dort angeworben und nach Deutschland transportiert. "Hier werden sie unter anderem in Häusern untergebracht, die sich in einem desolaten baulichen und hygienischen Zustand befinden. Oftmals sind hier nicht einmal die absoluten gefahrenabwehrrechtlichen Mindeststandards, etwa in brandschutzrechtlicher Hinsicht, erfüllt", berichtete Lesmeister. In den Schrottimmobilien seien Strom und Wasser abgestellt, es gebe Rattenbefall. Für eine Person stünden gerade fünf Quadratmeter zur Verfügung. Mitten in Deutschland würden somit Menschen und insbesondere Kinder unter Bedingungen leben, die nicht nur rechtswidrig, sondern "schlichtweg menschenunwürdig" seien. Das Rechtssystem lasse immer noch zu viel Freiraum für lu krative kriminelle Geschäftsmodelle, die auf maximalen Profit durch systematischen Betrug, verbunden mit minimalem Kostenaufwand für Unterbringung und Verpflegung der Leistungsbezieher, aufbauen würden.

Gegen die missbräuchliche Inanspruchnahme von Kindergeld will die Bundesregierung mit einem Gesetzentwurf vorgehen und unter anderem auch illegale Beschäftigung schärfer bekämpfen. Diesem Ziel dient der Entwurf eines Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch (19/8691). Vorgesehen ist, dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls (FKS) nicht nur Fälle von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit prüfen kann, bei denen tatsächlich Dienst- oder Werkleistungen erbracht wurden, sondern in Zukunft auch die Fälle prüfen soll, bei denen Dienst- oder Werkleistungen noch nicht erbracht wurden, sich aber bereits anbahnen. Prüfen soll die Finanzkontrolle Schwarzarbeit auch die Fälle, in denen Dienst- oder Werkleistungen nur vorgetäuscht werden, um zum Beispiel unberechtigt Sozialleistungen zu erhalten. Zusätzliche Kompetenzen sollen die Finanzkontrolle Schwarzarbeit in die Lage versetzen, Ermittlungen im Bereich Menschenhandel im Zusammenhang mit Beschäftigung, Zwangsarbeit und Ausbeutung der Arbeitskraft zu führen, um so die Strafverfolgung in diesem Deliktfeld weiter zu stärken. Besonders ins Visier nehmen soll die Finanzkontrolle Schwarzarbeit auch sogenannte Tagelöhner-Börsen.

Die Präsidentin der Generalzolldirektion, Colette Hercher, bestätigte in ihrer Stellungnahme, dass oft in organisierten Strukturen die jeweiligen Voraussetzungen für den Bezug von Sozialleistungen fingiert würden. Der Kindergeldbezug werde dabei auch an Scheinarbeitsverhältnisse und gefälschte Dokumente, die einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland belegen sollten, geknöpft. Ebenfalls mittels Täuschungen und Fälschungen, die eine vermeintliche Selbständigkeit belegen sollten, werde vermehrt ein unberechtigter Bezug von weiteren Sozialleistungen erreicht. Der Schaden für die Sozialversicherung sei immens. Den Gesetzentwurf bezeichnete Hercher als "rundes Paket".

Karsten Bunk, Leiter der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit, ging auf eine von mehreren geplanten Neuregelungen ein, nach der neu zugezogene Unionsbürger während der ersten drei Monate von Kindergeldleistungen ausgeschlossen werden sollen, sofern keine inländischen Einkünfte erzielt werden. Damit könne der Gefahr von Leistungsmissbrauch begegnet werden und Überzahlungen könnten maßgeblich verringert werden. "Die Regelung macht Sinn", so Bunk.

Auf schwere Bedenken stieß dieser Gesetzesvorschlag hingegen beim Deutschen Anwaltverein (DAV). Mit der Dreimonatsfrist werde der unionsrechtlich garantierte Anspruch auf Kindergeld für Staatsangehörige eines EU Mitgliedstaates, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten würden, in Europa rechtswidriger Weise beschnitten, kritisierte Professor Hermann Plagemann für den DAV. Auch andere geplanten Maßnahmen beurteilte der Anwaltverein kritisch. Weder bedürfe es zum Schutze des Sozialstaates noch zum Schutze der Rechte von Betroffenen noch zum Schutze des Wettbewerbs einer solchen Machtfülle bei der FKS. Der Bundesverband der deutschen Lohnsteuerhilfevereine äußerte die Sorge, dass durch die vorgesehenen Einschränkungen auch Eltern benachteiligt werden könnten, bei denen kein "Missbrauch" vorliege und der Bezug des Kindergelds sachgerecht wäre. Ebenso wie der Deutsche Anwaltverein sah auch die Diakonie Deutschland einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, der eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit verbietet. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lehnte den dreimonatigen Ausschluss von Kindergeldleistungen für Angehörige anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union als "unbegründet, kontraproduktiv und wahrscheinlich auch europarechtswidrig" ab.

Der DGB begrüßte, dass die Bemühungen gegen Schwarzarbeit, Arbeitsausbeutung, Menschenhandel und illegale Beschäftigung vorzugehen, verstärkt werden sollen. Dies müsse allerdings durch eine entsprechende Personalausstattung unterlegt werden. Auch die Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ) erklärte, die derzeitigen Befugnisse der FKS seien nicht mehr den aktuellen Herausforderungen bei der Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung gewachsen und damit nicht mehr zeitgemäß im Hinblick auf die Auftragsanbahnung über Tagelöhner- und Onlinebörsen. Eine personelle Stärkung der FKS sei unabdingbar. Die Organisation bezifferte den personellen Mehrbedarf auf 6.500 Stellen. Unterstützt wurden die Forderungen nach einem Personalaufbau von der Deutschen Steuergewerkschaft. Dem Vorwurf der Bürokratieausweitung hielt die Organisation entgegen, es gehe hier schlichtweg um Kriminalität, die zu verfolgen, aufzuklären und gegebenenfalls abzuurteilen sei. Die zunehmende bürokratische Belastung war vom Präsidenten des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven, beklagt worden. Diese Belastung betrage inzwischen 50 Milliarden Euro. Für den Mittelstand gebe es über 10.000 Informationspflichten. Und mit diesem Gesetzentwurf kämen weitere Informationspflichten hinzu.

Grundsätzlich setzte sich Professor Gerhard Bosch (Universität Duisburg-Essen) in seiner Stellungnahme mit den Strukturen beim Zoll auseinander. Der Zoll verfüge mit der FKS und der Zollfahndung über zwei parallele Vollzugsdienste, die unterschiedlichen Zentraldirektionen zugeordnet seien, obwohl sie vielfach ähnliche Aufgaben hätten. Bosch vermutete, dass die Patchwork-Organisation des Zolls einen effizienten Mitteleinsatz verhindere. Außerdem sei der Personalaufbau nicht gelungen. "Dem Zoll laufen die Leute weg", sagte Bosch. Das sei ein Krisenphänomen.

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2. Experten-Zuspruch für Grünen-Entwurf

Inneres und Heimat/Anhörung

Berlin: (hib/wid) Eine Initiative der Grünen zur Verbesserung der Qualität und Rechtssicherheit von Asylverfahren hat in einer Anhörung des Innenausschusses überwiegenden Zuspruch gefunden. Zugleich übte die Mehrheit der geladenen Sachverständigen am Montag deutliche Kritik an der derzeitigen Praxis. In einem Antrag (19/4853) verlangen die Grünen unter anderem eine unabhängige und kostenlose Rechtsberatung, um Asylsuchende auf ihre Anhörung vorzubereiten, sowie feste Qualitätsstandards für Dolmetscher. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) müsse nach dem Prinzip "Qualität vor Schnelligkeit" arbeiten. Die Fraktion hat darüber hinaus einen Gesetzentwurf (19/1319) vorgelegt, um in Asylverfahren vor Verwaltungsgerichten die Möglichkeit der Berufung an eine höhere Instanz auszuweiten.

In der Anhörung beklagte Belinda Bartolucci, Leiterin der Abteilung Rechtspolitik bei der Hilfsorganisation Pro Asyl, einen Trend zu qualitativ schlechteren Asylentscheidungen. Wo es um Leben oder Tod, körperliche Unversehrtheit oder Folter, Freiheit oder willkürliche Haft gehe, wäre eigentlich besondere Sorgfalt geboten, meinte sie. Im Asylrecht herrsche hingegen der Beschleunigungsgrundsatz mit Schnellverfahren, eingeschränkten Rechtsmitteln und verkürzten Fristen. So sei 2018 jede dritte BAMF-Entscheidung vor Gericht korrigiert worden; Kläger aus Afghanistan seien sogar zu 60 Prozent erfolgreich gewesen. Bessere Entscheidungen entlasteten zugleich die Gerichte, betonte Bartolucci.

Der Gesetzentwurf der Grünen verdiene Zustimmung, sagte auch Professor Uwe-Dietmar Berlit, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, der ebenfalls "erhebliche Qualitätsmängel" in der Arbeit des BAMF seit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen 2015/16 beklagte. Berlit hob die Bedeutung einer unabhängigen Rechtsberatung von Asylbewerbern vor der ersten Anhörung hervor: "Rechtsschutz als Lotterie ist eines Rechtsstaats unwürdig", sagte er.

Der Jenaer Professor Harald Dörig, Vizepräsident der Europäischen Vereinigung von Migrations- und Asylrichtern, begrüßte die von den Grünen vorgeschlagene Ausweitung der Berufungsmöglichkeit zu oberen Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht als Beitrag zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung. Es sei ein unhaltbarer Zustand, wenn die Aussicht auf die Asylgewährung auch davon abhänge, in welchem Bundesland ein Bewerber seinen Antrag stelle. Verfahren würden beschleunigt, wenn sich Richter in höherem Maße an oberinstanzlichen Leitentscheidungen orientieren könnten.

Der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts in Karlsruhe, Michael Hoppe, wies darauf hin, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit derzeit zu 80 Prozent mit Asylverfahren ausgelastet sei. Sie stehe damit jetzt vor einer ähnlichen Überforderung wie das BAMF in den Jahren 2015 und 2016. Umso wichtiger sei die Kontrolle durch übergeordnete Gerichte, um Rechtsfehler zu vermeiden. Derzeit seien die Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Entscheidungen soweit eingeschränkt, "dass die Qualität nicht vollständig sichergestellt werden kann"

Der Frankfurter Asylanwalt Reinhard Marx rügte die Praxis der "Direktanhörung" bei den Asylbehörden als Einschränkung der Rechtssicherheit der Betroffenen. Zunehmend werde es zur Regel, dass Asylbewerber bereits eine Woche nach Antragstellung angehört würden. In dieser Frist sei anwaltliche Betreuung kaum zu organisieren. Die Präsidentin des Verwaltungsgerichts in Göttingen Stefanie Killinger sprach von der deutschen Rechtslage als einer "Asyllotterie", die dieses Land für Migranten zusätzlich attraktiv mache, denn in einer Lotterie sehe sich jeder als möglichen Gewinner.

BAMF-Präsident Hans-Eckhard Sommer verteidigte seine Behörde. Der Antrag der Grünen zur Qualitätsverbesserung im Asylverfahren sei bereits nicht mehr aktuell. Unter anderem nehme jeder Mitarbeiter des BAMF an jährlich zwei Fortbildungen teil: "Welche andere Behörde in Deutschland investiert derart in Qualität wie mein Amt?"

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3. Einflussnahme von Interessenvertretern

Gesundheit/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/PK) Die Einflussnahme von Interessenvertretern auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform der Psychotherapeutenausbildung (19/9770) ist Thema einer Kleinen Anfrage (19/9455) der Linksfraktion.

Die Abgeordneten wollen von der Bundesregierung erfahren, nach welchen Kriterien und mit welchen konkreten Auswirkungen Verbände, Unternehmen, Organisationen oder Institutionen an der Erarbeitung des Gesetzentwurfs beteiligt wurden.

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4. Zuzahlungen der Versicherten

Gesundheit/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/PK) Die Zuzahlungen der Versicherten bei Leistungen der Heilmittelversorgung sind Thema einer Kleinen Anfrage (19/9756) der Linksfraktion. Bei den Heilmitteln würden zehn Prozent der Kosten zuzüglich zehn Euro pro Verordnungsblatt fällig. Die Abgeordneten wollen nun unter anderem wissen, inwiefern die Versicherten Einfluss haben auf die Therapieentscheidungen und Verordnungen der Ärzte.

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5. Linke fragt nach Heilmittelversorgung

Gesundheit/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/PK) Mit dem Fachkräftemangel in der Heilmittelversorgung befasst sich die Linksfraktion in einer Kleinen Anfrage (19/9762). Im Koalitionsvertrag hätten Union und SPD angekündigt, das Schulgeld für die Ausbildung in den Gesundheitsberufen abzuschaffen. Es sei nachvollziehbar, wenn Interessenten nun bis zur angekündigten Schulgeldfreiheit warten wollten. Damit drohe jedoch eine Verschärfung des Fachkräftemangels.

Die Abgeordneten wollen nun Details über die Ausbildungslage erfahren sowie über die derzeit diskutierten Modelle zur Abschaffung des Schulgeldes.

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6. Einflussnahme von Interessenvertretern

Gesundheit/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/PK) Die Linksfraktion erkundigt sich nach der Einflussnahme von Interessenvertretern auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Errichtung eines Implantateregisters. Die Mitglieder des Bundestages wüssten wenig Konkretes über die Erkenntnisquellen des Entwurfs, heißt es in einer Kleinen Anfrage (19/9735) der Fraktion.

Die Abgeordneten wollen von der Bundesregierung nun erfahren, nach welchen Kriterien und mit welchen konkreten Auswirkungen Verbände, Unternehmen, Organisationen oder Institutionen an der Erarbeitung der Gesetzentwürfe beteiligt wurden.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 507 - 06. Mai 2019 - 16.58 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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Internet: www.bundestag.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2019

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