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BUNDESTAG/9441: Heute im Bundestag Nr. 131 - 29.01.2020


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 131
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 29. Januar 2020, Redaktionsschluss: 18.00 Uhr

1. Vorbeugendes Krisenmanagement
2. Kritik an Lösung zur Stiefkindadoption
3. Digitalvorhaben im Finanzministerium
4. Preußens Kronprinz Wilhelm im Fokus


1. Vorbeugendes Krisenmanagement

Tourismus/Ausschuss

Berlin: (hib/WID) Die Bundesregierung möchte krisenhafte Entwicklungen außerhalb des eigenen Landes und Europas "früher, entschlossener und substanzieller angehen" können. Sie setze daher in ihrer internationalen Politik zunehmend auf Früherkennung und Prävention, sagte am Mittwoch eine zuständige Referatsleiterin aus dem Auswärtigen Amt im Tourismusausschuss. Es gelte, sich von Krisen nicht überraschen zu lassen, sondern diese "idealerweise" vorherzusehen und ihnen im Entstehen entgegenzuwirken. Dies sei nicht zuletzt für die Tourismuswirtschaft von Belang, die auf ein stabiles internationales Umfeld angewiesen ist. In verschiedenen Teilen der Welt gebe es Beispiele dafür, wie sich attraktive Reiseländer unversehens in Krisenregionen verwandeln können.

Präventives Krisenmanagement sei ein relativ neuer Ansatz. Erst vor vier Jahren wurde im Auswärtigen Amt die zuständige Abteilung S für "Stabilisierung" eingerichtet, die mittlerweile über 200 Mitarbeiter verfügt. Ihr Tätigkeitsfeld umfasst Früherkennung und Prävention, Konfliktbearbeitung, humanitäre Hilfe, aber auch "Nachsorge", also die weitere Begleitung und Beobachtung von Ländern, die akute Krisen hinter sich haben, und die Evaluierung der Maßnahmen. Die verstärkte Hinwendung zu langfristigen und vorbeugenden Strategien gehe auf eine Erfahrung zurück, die der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier in die Worte fasste, es habe den Anschein, als ob "die Welt aus den Fugen" gerate. Weltweit sei spätestens seit dem Arabischen Frühling zu beobachten, dass sich Krisen "verstetigen" und zum "Normalzustand" werden.

Schwerpunktregionen deutschen Engagements sind der größte Teil Afrikas, der Nahe und Mittlere Osten im Raum zwischen Griechenland, der Türkei und Pakistan, die Ukraine sowie als Einzelfall in Lateinamerika neuerdings Venezuela. Zu den Hauptsorgen in der Abteilung S zählten der Klimawandel und, auch durch ihn bedingt, weltweite Migrationsströme. Die Verschlechterung der klimatischen Bedingungen werde unweigerlich zu "Ausweichbewegungen" und damit zu neuen Konflikten führen.

Methodisch setzt das präventive Krisenmanagement auf die Konsolidierung von Demokratie und Rechtsstaat. Wichtig sei, die Leistungsfähigkeit und somit die Legitimität demokratischer Regierungen zu stärken. Sie seien in die Lage zu versetzen, die Erfüllung von Grundbedürfnissen wie Strom- und Wasserversorgung, Gesundheitswesen, aber auch Justiz effektiv zu gewährleisten. Gerade eine funktionierende Justiz sei von Bedeutung, da viel Krisenpotenzial durch Menschenrechtsverletzungen entstehe. In diesem Zusammenhang sei es auch wichtig, Sicherheitskräften das "Handwerkszeug für eine demokratische Polizeiarbeit" zur Verfügung zu stellen.

Der Tourismus trage bei alledem eine große Verantwortung. Er könne zur Stabilisierung betroffener Regionen beitragen, wenn er nachhaltig betrieben werde, andernfalls aber auch zur Verschärfung krisenhafter Entwicklungen wie des Klimawandels. Die Tourismuswirtschaft müsse "sensibel" sein.

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2. Kritik an Lösung zur Stiefkindadoption

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/MWO) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Öffnung der Stiefkindadoption für nichteheliche Paare geht aus der Sicht von Sachverständigen nicht weit genug. In der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am Mittwoch erklärte beispielsweise die Familienrechtsexpertin Nina Dethloff von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, zwar würde der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beanstandete Verstoß beseitigt, vor allem bleibe aber unverheirateten Partnern nach wie vor die gemeinschaftliche Adoption verwehrt.

Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetzentwurf (19/15618) erreichen, dass die Stiefkindadoption durch eine Person zugelassen wird, die mit dem Elternteil in einer verfestigten Lebensgemeinschaft lebt. Eine solche liege in der Regel vor, wenn die Personen seit mindestens vier Jahren oder als Eltern eines gemeinschaftlichen Kindes mit diesem eheähnlich zusammenleben. Mit dem Gesetz soll eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 2019 umgesetzt werden (1 BvR 673 /17). Das Gericht hatte den vollständigen Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31. März 2020 eine Neuregelung zu treffen. Nach dem Willen der FDP-Fraktion, die einen Antrag zu diesem Thema vorgelegt hat (19/15772), sollen nichteheliche Lebensgemeinschaften und Ehe bei der Adoption eines Kindes gleichstellt werden. Auch müsse es Ehegatten ermöglicht werden, als Einzelperson zu adoptieren.

Dethloff bemängelte wie auch andere Sachverständige den Begriff der verfestigten Lebensgemeinschaft. Dieser sei unglücklich gewählt, da er bereits im Unterhaltsrecht verwendet werde, wo ihm eine andere Bedeutung zukomme. Vorzugswürdig wäre die Verwendung eines anderen, neuen Begriffs, wie etwa der faktischen Lebensgemeinschaft, erklärte Dethloff. Sie forderte den Gesetzgeber auf, mit der Beseitigung gravierender Ungleichbehandlungen von Kindern, die in nichtehelichen Familien aufwachsen, nicht zu warten, bis das Bundesverfassungsgericht den nächsten Verstoß feststellt.

Anne Sanders von der Universität Bielefeld unterstützte die von der FDP vorgeschlagene große Lösung und meinte, der Begriff "verfestigte Lebensgemeinschaft" solle ersetzt werden durch "stabile eheähnliche Lebensgemeinschaft". Sie befürworte eine Regelung, sagte Sanders, nach der Ehepaare und Lebensgefährten entweder gemeinsam oder gar nicht adoptieren können. Andernfalls werde es zu einer Ungleichbehandlung von Ehegatten gegenüber Lebensgefährten kommen. Sollte der Gesetzgeber an der im Entwurf vorgeschlagenen kleinen Lösung festhalten, würde sie kleinere Änderungen anregen. Dazu zähle auch eine Ausnahmeregelung für eine Adoption in einer stabilen eheähnlichen Lebensgemeinschaft, wenn ein Partner mit einem Dritten verheiratet ist.

Die Familienrechtlerin Hildegund Sünderhauf von der Evangelischen Hochschule Nürnberg sprach sich dafür aus, wünschenswerte Adoptionen nicht an rechtlichen Hürden scheitern zu lassen. So sollte die Adoption für elternlose Kinder ermöglicht werden, und zwar auch in Fällen, in denen die Eltern nicht verheiratet sind, und auch dann, wenn sie zwar verheiratet sind, aber nur einer der beiden Eheleute das Kind adoptieren will. Adoption schaffe Eltern-Kind-Bindungen und verfestige sie durch rechtliche Familienbeziehungen, sagte Sünderhauf.

Katharina Hilbig-Lugani vom Deutscher Juristinnenbund (djb) bemängelte, dass der Entwurf nur eine Regelung zur Stiefkindadoption enthalte und den nichtehelichen Lebensgemeinschaften nicht die Möglichkeit der gemeinschaftlichen Adoption eröffne. Kritisch sehe sie auch die Anhebung der Mindestdauer einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft von zwei auf vier Jahre für die Annahme einer verfestigten Lebensgemeinschaft. Der Entwurf zeige, so Hilbig-Lugani, dass eine Insellösung nur wenige Probleme löst, aber viele Probleme provoziert. Im Bereich des Adoptions- und Abstammungsrechts bedürfe es daher bald einer großen Lösung, die auch andere Expertinnen anmahnten.

Für überzeugend hält dagegen Ursula Hennel vom Sozialdienst katholischer Frauen den Entwurf. Hennel, die aus der Sicht einer Praktikerin sprach, erklärte, es sei richtig, dass sich die Vorlage auf die Öffnung der Stiefkindadoption für nichteheliche Partner beschränkt. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass bei einer gleichzeitigen Öffnung der Fremdadoption für nichteheliche Paare adoptionsspezifische Qualitätskriterien und Erfahrungen gegenüber dem Beweggrund der Gleichstellung von nichtehelichen und ehelichen Familien aus dem Fokus gerieten.

Gernot Kintzel, Richter am Oberlandesgericht Bamberg, erklärte, mit dem Gesetzentwurf werde dem Beschluss des BVerfG grundsätzlich in geeigneter Weise nachgekommen. Insbesondere bei der Terminologie - wie bei dem Begriff der verfestigten Lebensgemeinschaft - bestehe jedoch noch Verbesserungsbedarf. Maßgeblich für die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen wem eine Adoption eröffnet werden sollte, müsse das Kindeswohl sein, betonte Kitzel in seiner Stellungnahme. Gleichbehandlungsgesichtspunkte der Adoptivbewerber hätten hinter Belangen des Kindeswohls zurückzutreten. Weitergehende Regelungen wie von der FDP gefordert seien nicht angezeigt.

Insa Schöningh, Bundesgeschäftsführerin der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie, begrüßte ebenfalls das Ziel des Gesetzentwurfes, Stiefkindadoptionen auch in nichtehelichen, aber stabilen Partnerschaften zuzulassen. Die vom BVerfG geforderte Gleichstellung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Ehen spiegele im Hinblick auf Stabilität und Kindeswohl die gesellschaftliche Realität wider und sei daher überfällig. Gleichzeitig sprach sie sich für eine umfassende Reform des Abstammungs- und Sorgerechts auch für weitere Familienkonstellationen aus.

Constanze Körner vom Berlin Verein Lesben-Leben-Familie sagte, es sei grundsätzlich zu begrüßen, dass sich ein verändertes, vielfältigeres Familienbild Schritt für Schritt in den Gesetzen durchsetze und Familie längst nicht mehr zwingend an die Ehe gebunden sein müsse. Jedoch sei für lesbische Mütterfamilien noch immer die Stiefkindadoption in der Ehe beziehungsweise der Eingetragenen Lebenspartnerschaft nach der Geburt der einzige Weg, um rechtlich Eltern ihres in die lesbische Beziehung hineingeborenen Kindes zu werden. Dringend notwendig sei daher die Abschaffung der Stiefkindadoption in gleichgeschlechtlichen Ursprungsfamilien sowie grundsätzlich eine Reform des Abstammungsrechts.

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3. Digitalvorhaben im Finanzministerium

Ausschuss Digitale Agenda/Ausschuss

Berlin: (hib/LBR) Der Ausschuss Digitale Agenda hat am Mittwochnachmittag in seiner 48. Sitzung mit Finanzminister Olaf Scholz (SPD) über die Digitalvorhaben im Finanzministerium (BMF) und der Finanzbranche diskutiert. Das Thema Digitalisierung sei "sehr weitreichend", sagte Scholz, da die wirtschaftliche Stärke Deutschlands viel mit Dezentralität zu tun habe. Dies sei etwas, das bewahrt werden müsse. Die infrastrukturellen Voraussetzungen dafür seien etwa über das Sondervermögen "Digitale Infrastruktur" (Digitalinfrastrukturfondsgesetz) geschaffen worden, das neue Investitionen in den Gigabitnetzausbau und den DigitalPakt Schule fördere.

Weitere große Fragen seien, wie der Staat als Steuererheber an den geschäftlichen Erfolgen der digitalen Plattformbetreiber partizipieren könne. Neben einer Digitalsteuer sei das BMF derzeit auch in Gesprächen rund um eine globale Mindestbesteuerung. Auch welche Rolle künstliche Intelligenz spielen kann, um Projekte etwa im Bereich des Zolls oder des Bundeszentralamts für Steuern voranzutreiben, sei ein aktuelles Thema. Im Ministerium forsche man zudem zu der Frage, wie kleine und mittlere Unternehmen von großen Datensammlungen anderer besser profitieren können, berichtete Scholz. Im Hinblick auf digitale Währungen, wie etwa das Facebook-Projekt Libra, bleibe er bei seiner Haltung, dass die Herausgabe von Währungen Aufgabe des Staates sei. "Die Chancen, die Facebook damit hat, haben vor allem mit dem Versagen anderer Akteure zu tun", betonte Scholz.

Ein Vertreter der CDU/CSU fragte nach einem Zeitplan zur Umsetzung von Gesetzesvorhaben in Bezug auf ein elektronisches Wertpapierregister und die Regulierung von Kryptotoken. Ein Vertreter der SPD-Fraktion wollte Details zum Gemeinnützigkeitsrecht in Bezug auf die Freifunk-Initiative und E-Sport erfahren. Nach dem Umgang mit Libra fragte ein AfD-Abgeordneter. Ein FDP-Vertreter interessierte sich für mögliche Auswirkungen eines E-Euro auf das Bargeld und potenzielle Negativzinsen, ebenso wollte ein Grünen-Abgeordneter Details zu einem gestuften Vorgehen bei der Einführung eines E-Euro erfahren. Eine Vertreterin der Linken wollte wissen, ob über die Einführung einer elektronischen Rechnungsstellung (E-Invoicing-System) nachgedacht werde.

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4. Preußens Kronprinz Wilhelm im Fokus

Kultur und Medien/Ausschuss

Berlin: (hib/AW) Hat der preußische Kronprinz Wilhelm von Preußen in den 1930er Jahren dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet? Diese Frage stand am Mittwoch im Zentrum einer öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses. Hintergrund der Anhörung sind Forderungen des Hauses Hohenzollern auf Entschädigung beziehungsweise Rückgabe von Immobilien und Kulturgütern, die während der sowjetischen Besatzungszeit in Ostdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen 1945 und 1949 enteignet wurden. Seit 2014 verhandeln der Bund und das Land Brandenburg mit der Erbengemeinschaft der Hohenzollern über eine gütliche Einigung. Grundlage für eine solche Entschädigung bildet das Ausgleichleistungsgesetz von 1994, das Entschädigungen aber nur dann vorsieht, wenn der Enteignete der nationalsozialistischen Herrschaft nicht "erheblichen Vorschub geleistet" hat. Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wollen eine Entschädigung des Hauses der Hohenzollern aber in jedem Fall verhindern und haben entsprechende Anträge (19/14729, 19/13545) eingebracht.

Das Urteil der Historiker Peter Brandt, Stephan Malinowski und Stefanie Middendorf fiel übereinstimmend deutlich aus: Kronprinz Wilhelm von Preußen hat vor und nach 1933 dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet. Der Historiker Benjamin Hasselhorn wollte die Frage allerdings nicht so eindeutig beantworten. Beide Ansichten ließen sich zwar historisch begründen, aber nicht eindeutig belegen, ein abschließendes Urteil sei deshalb kaum zu fällen.

Brandt, er lehrte bis 2014 Neuere und Neueste Geschichte an der Fernuniversität Hagen, argumentierte, dass Wilhelm von Preußen im entscheidenden Jahr 1932 zwar keine zentrale politische Figur gewesen sei, aber dennoch aufgrund seiner Stellung als Kronprinz großen Anteil daran hatte, Vorbehalte im deutschen Adel gegen die Nationalsozialisten abzubauen. Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler im Jahr 1933 habe Wilhelm deutlich geäußert, dass sich nun erfüllt habe, wofür er ein Jahr gekämpft habe. Der Kronprinz habe auf eine Wiederherstellung der Monarchie innerhalb einer faschistischen Diktatur nach dem Vorbild Italiens gehofft.

In diesem Sinne argumentierte auch der Historiker Malinowski von der Universität Edinburgh. Er verwies auf den Wahlaufruf Wilhelm von Preußens 1932 zugunsten der Nationalsozialisten und seine Rolle beim "Tag von Potsdam" 1933. Als preußischer Kronprinz habe er über eine große Symbolkraft verfügt. Bei der Frage, ob er dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet habe, sei zudem zu bedenken, dass er eine andere Verantwortung getragen habe als ein Bergmann oder ein gewöhnlicher Wähler. Im Fall eines Verkehrsunfalles trage der Pilot eines Passagierflugzeuges auch eine höhere Verantwortung als ein Fußgänger.

Stefanie Middendorf vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam wies ebenso wie Malinowski die Ansicht zurück, dass die Rolle Wilhelms von Preußen unter Historikern umstritten sei beim Aufstieg der Nationalsozialisten. Die überwiegende Lehrmeinung sei, dass der Kronprinz beständig mit den anti-demokratischen Kräften kooperiert habe, sowohl mit den Nationalsozialisten als auch mit den deutschnationalen Kräften. Middendorf führte an, dass zu dieser Ansicht selbst der Historiker Wolfram Pyta in früheren Arbeiten gekommen sei, auch wenn er in seinem Gutachten für das Haus der Hohenzollern der These widersprochen habe, der Kronprinz habe den Nazis erheblichen Vorschub geleistet. Middendorf wies zugleich darauf hin, dass die Frage nach dem erheblichen Vorschub eine juristische Kategorie und keine historische darstelle.

Der Historiker Benjamin Hasselhorn von der Universität Würzburg hingegen argumentierte, dass die historischen Quellen nicht ausreichend erschlossen und erforscht seien, um die Frage nach der Rolle Wilhelms von Preußen abschließend zu beurteilen. Bis heute gebe es nicht einmal eine wissenschaftliche Biografie über den Kronprinzen. Hasselhorn wies zudem darauf hin, dass der Kronprinz im deutschen Volk nicht sonderlich beliebt gewesen sei. Es sei schwer zu messen, wie stark sich seine Rolle als Symbolfigur ausgewirkt habe. Die Bedeutung Wilhelms für den Aufstieg des Nationalsozialismus ließe sich historisch so oder so beantworten, für beide Positionen gebe es gute Argumente.

Die geladenen Rechtsanwälte und Experten für Restitutionsrecht, Marc Laudien und Hartmut Scheidmann, wiesen übereinstimmend darauf hin, dass es juristisch zunächst nicht zu beanstanden sei, dass das Haus Hohenzollern Ansprüche auf Entschädigungen geltend gemacht haben. Das 1994 vom Bundestag beschlossene Ausgleichsleistungsgesetz gelte für jeden betroffenen Bürger. Laudien argumentierte, dass der Bundestag letztlich nicht darüber entscheiden könne, ob Wilhelm von Preußen dem Nationalsozialismus im juristischen Sinne erheblichen Vorschub geleistet habe. Scheidmann sagte, die Formulierung "erheblich Vorschub geleistet" sei ein unbestimmter juristischer Begriff. Allerdings habe das Bundesverwaltungsgericht dafür Leitlinien aufgestellt. Nach diesen würde ein Gericht im Fall eines Prozesses um die Ansprüche des Hauses Hohenzollern dann auch entscheiden.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 131 - 29. Januar 2020 - 18.00 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2020

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