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PRESSEKONFERENZ/365: Pressekonferenz zum 5. Integrationsgipfel der Bundesregierung (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift der Pressekonferenz - Dienstag, 31. Januar 2012
Pressekonferenz zum 5. Integrationsgipfel der Bundesregierung

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, StS Seibert, Staatsministerin Prof. Maria Böhmer, Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, Ali Ertan Toprak, Mijo Marić


StS Seibert: Meine Damen und Herren, guten Tag! Zum fünften Mal hat es im Bundeskanzleramt einen Integrationsgipfel gegeben. Darüber berichten Ihnen gleich die Bundeskanzlerin, die thüringische Ministerpräsidentin Frau Lieberknecht sowie Frau Staatsministerin Böhmer. Die zwei Herren möchte ich Ihnen vorstellen: Das sind Mijo Marić vom Kroatischen Weltkongress in Deutschland und Ali Ertan Toprak von der Alevitischen Gemeinde Deutschlands.

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, heute hat der fünfte Integrationsgipfel stattgefunden. Wir sitzen hier in unserer Verantwortlichkeit für den Bund, die Ministerpräsidentin des Landes Thüringen für die Länder und zwei Vertreter des Integrationsbeirats, die gerade schon vorgestellt worden sind. Mijo Marić steht ein bisschen für die jüngere Generation. Herr Toprak hat gesagt, er wolle nicht der älteren Generation zugeordnet werden. Er hat sich im Integrationsbeirat, den es seit 2011 gibt, interessanterweise mit dem Thema Heimat und Identität beschäftigt, was ein nicht direkt messbares, aber dennoch sehr spannendes Thema ist.

Lassen Sie uns einmal auf die fünf Gipfel zurückschauen: Angefangen haben wir mit der Erstellung eines Nationalen Integrationsplans. Seinerzeit ging es um freiwillige Selbstverpflichtungen. Heute ist gesagt worden, dass damals viele nicht daran geglaubt haben, dass das ein zielführender Weg ist. Aber das hat doch sehr gut funktioniert. Die Selbstverpflichtungen sind alle erfüllt worden. Aber wir müssen verbindlicher werden. Wir müssen in unseren Zielsetzungen klarer werden. Vor allen Dingen müssen wir von den Modellprogrammen schrittweise zu dauerhaften Angeboten für eine verbesserte Integration kommen. Deshalb ist jetzt der Nationale Aktionsplan die nächste Stufe.

Wir versuchen durch Indikatoren, die wir entwickeln, die Zielsetzung messbar zu machen. Das hat sich heute in unserer Diskussion widergespiegelt, als wir über das Thema Sprache gesprochen haben: Wie vermittelt man Sprache? Was sind die besten Möglichkeiten, Sprache zu vermitteln? Wie steht es mit der Muttersprache und der Sprache des Landes, in dem man wohnt? Wir haben für den nächsten Integrationsgipfel, der im ersten Halbjahr 2013 stattfinden wird, ausgemacht, noch mehr Ergebnisse zu haben, und zwar nicht nur in der Hinsicht, dass wir wissen, dass heute in vielfältiger Weise Sprachstandsprüfungen erfolgen. Immerhin erfolgen diese bei Kindern heute; das gab es früher nicht. Da sind wir vorangekommen. Aber die Vielfalt ist groß. Das ist nicht weiter schlimm. Allerdings sind die Erfolgskriterien noch nicht so messbar.

Der zweite große Punkt neben dem Thema Sprache - hier möchte ich auch die interkulturelle Kompetenz als ein ganz wichtiges Gebiet nennen - war das Thema Arbeitsmarkt, heute weniger fokussiert auf die private Wirtschaft, sondern sehr viel stärker auf den öffentlichen Dienst: Wie können wir Angebote machen? Wie können wir hierfür werben? Wie können wir Menschen ermutigen, im öffentlichen Dienst ihren Beitrag zu leisten? Im Moment läuft eine Anzeigenkampagne "Meine Stadt. Mein Land. Meine Aufgabe." mit Vorbildern, die in diesem Bereich tätig sind.

Der dritte große Block war das bürgerschaftliche Engagement, die Freiwilligendienste und das Ehrenamt. Hierzu gab es Berichte aus dem Bereich der Freiwilligen Feuerwehr und des Sports. In diesem Zusammenhang ist schon sehr viel geschehen. Allerdings - schauen wir uns zum Beispiel die freiwilligen Feuerwehren an - ist die Zahl der Migranten, die unter den 1,3 Millionen Mitgliedern der Feuerwehren in Deutschland sind, noch viel zu gering. Da ist der Sport schon weiter; ich glaube, das kann man so sagen.

Der vierte Punkt betraf die Medien. Wir haben heute erfahren, dass zwar jeder fünfte Bürger der Bundesrepublik Deutschland einen Migrationshintergrund hat, aber - so wurde es gesagt, ich habe es nicht überprüft - nur jeder 50. Journalist einen Migrationshintergrund hat. Die Frage, wie die Medien in Deutschland agieren, ist natürlich eine Frage, die sich auch auf die Verbreitung des Themas Integration auswirken wird.

Wir waren uns heute einig: Integration ist weit mehr als nur das Erlernen der Sprache. Das Erlernen der Sprache ist eine notwendige Voraussetzung, aber sie reicht noch längst nicht aus, um von einer gelungenen Integration zu sprechen.

Das Thema ist dringlicher denn je; denn angesichts des demografischen Wandels in Deutschland werden wir im Durchschnitt nicht nur älter, sondern auch weniger. Indem wir weniger werden, werden wir mehr Menschen mit Migrationshintergrund haben. Das heißt, wir werden noch vielfältiger.

Die Offenheit sollte für uns eine Chance, eine Bereicherung und ein Zeichen Deutschlands sein. In diesem Geist haben wir heute die Diskussion geführt. Ich möchte sagen: Es lohnt sich weiterzumachen.

Meine Ausführungen möchte ich mit einem Dank an Maria Böhmer beschließen, die gleich danach spricht und das alles vorbereitet hat.

StM'in Böhmer: Der Nationale Aktionsplan Integration, den wir heute vorgelegt und verabschiedet haben, umfasst elf große Themenfelder. Zwei neue Themenfelder stechen dabei besonders ins Auge, nämlich Gesundheit und Pflege; denn viele der Migranten, die uns gekommen sind, werden älter. Deshalb ist diese Situation besonders drängend. Wir brauchen eine interkulturelle Öffnung im Gesundheits- und Pflegebereich. Aber auch für die Jungen ist dieses Thema wichtig, weil wir wissen, dass gerade bei Kindern die Vorsorgeuntersuchungen nicht so wahrgenommen werden. Deshalb ist dies ein neues und wichtiges Themenfeld.

Der öffentliche Dienst hat Vorbildfunktion, wenn es um den Arbeitsmarkt geht. Ich glaube, dass nicht nur der Wille vorhanden ist, dass mehr Migranten die Chance bekommen, im öffentlichen Dienst eine Ausbildung zu beginnen, angestellt zu werden und dort auch ihren beruflichen Aufstieg zu vollziehen. Die Weichen sind an dieser Stelle gestellt, sodass deutlich wird: Wir wollen, dass wir Brückenbauer gewinnen und dass sich die Vielfalt unserer Gesellschaft in diesem Bereich widerspiegelt. Was mich sehr freut, ist, dass wir einen deutlichen Anstieg bei den Lehrkräften und auch bei den Erzieherinnen haben. Aber auch bei der Polizei, bis hin zur Bundespolizei gibt es mehr und mehr Migranten; das ist wichtig.

Ich halte es für entscheidend, dass wir jetzt in dem Nationalen Aktionsplan Integration verbindliche und messbare Ziele verankert haben. Der Nationale Aktionsplan Integration wird quasi ein Navigationssystem sein. Wir haben inzwischen auch ein Messinstrument erarbeitet, Indikatoren, an denen wir sehen können, wie die Integration verläuft. Damit können wir sehr deutlich sagen: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Was haben wir erreicht? Von daher verspreche ich mir davon, dass wir auch in der Integration einen neuen Qualitätsschub bekommen.

Jetzt können Sie sagen, dass das alles sehr technisch klingt. Lassen Sie mich darauf Folgendes sagen: Der Nationale Aktionsplan Integration ist auch Teil einer neuen Willkommenskultur; denn wir sagen sehr deutlich: Ihr gehört dazu. - Migranten sprechen natürlich die deutsche Sprache, aber sie sind auch mehrsprachig. Sie bringen vielfältige Fähigkeiten und Fertigkeiten mit, die wir sehr viel stärker schätzen sollten.

Das, was wir hier vorlegen, ist ein gemeinsames Werk. Das betrifft die Migranten genauso wie die deutsche Seite. Es betrifft Bund, Länder und Kommunen sowie die großen gesellschaftlichen Gruppen. Wenn wir bei der Integration erfolgreich sein wollen, dann gilt der Satz: Integration gelingt nur gemeinsam. - Dieser fünfte Integrationsgipfel steht mehr denn je dafür, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen und an dieser Stelle sagen wollen: Ihr seid in Deutschland willkommen. Ihr gehört dazu. - Das ist Ausdruck unserer neuen Willkommenskultur.

MP'in Lieberknecht: Integration geht uns alle an. Deswegen sitzen bei diesem 5. Integrationsgipfel Bund, Länder, Städte und Gemeinden, aber auch Vereine, Verbände, Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und Medien an einem Tisch.

Integration ist eine wichtige Aufgabe. Das haben wir in den gemeinsamen Handlungsfeldern deutlich gemacht. Integration ist aber auch eine Chance für die weitere Internationalisierung Deutschlands und auch der deutschen Länder.

Menschen mit Migrationshintergrund sind Brücken in andere Kulturen, andere Länder, andere Religionen, andere Märkte und andere Unternehmen. Auch das ist für Deutschland in der globalisierten Welt unverzichtbar.

Es hat aber auch eine Rolle gespielt das schmerzhafte, ja, das uns schockierende Wahrnehmen dessen, was über anderthalb Jahrzehnte in Deutschland möglich war, nämlich die rechtsterroristischen Morde an neun Menschen mit Migrationshintergrund und an einer deutschen Polizistin. Das schockiert uns sehr, mahnt uns aber umso mehr, im gesellschaftlichen Zusammenleben miteinander noch mehr Leidenschaft an den Tag zu legen, noch genauer hinzuschauen, noch mehr Anteil am Leben des anderen zu nehmen, und zwar durch eine wirkliche Offenheit, eine wirkliche Toleranz, Vielfalt und eine echte Willkommenskultur, die durch jeden Einzelnen in unserer Gesellschaft stattfinden muss.

Der Gipfel ist wichtig. Es war ein Gipfel, der uns in einer sehr konstruktiven und kreativen Atmosphäre aller Teilnehmer insgesamt wirklich gute Fortschritte bescheinigt hat. Aber die eigentliche Integrationsarbeit ist die Arbeit, die im Alltag stattfindet, in unseren Städten und Gemeinden, dort, wo das Leben stattfindet, dort, wo Bildung stattfindet, dort, wo Arbeit stattfindet, und dort, wo Menschen miteinander Leben in den verschiedensten Bereichen teilen.

Der heutige Schwerpunkt, nämlich Pflege und Gesundheit, ist ein ganz besonders wichtiger Punkt, aber nicht nur im Hinblick auf die ältere Generation, auf die etwa 1,5 Millionen älteren Mitbürger ab 65 Jahren, sondern auch in der frühkindlichen Phase, wenn es zum Beispiel darum geht, sich konsequent an den Früherkennungsuntersuchungen zu beteiligen, auf die wir in den Ländern zunehmend Wert legen.

Auch das, was in der Bildungsfrage vor uns steht, ist eine große Herausforderung, der sich die Länder mit aller Kraft stellen. Ich will nur zwei Zahlen nennen: Wenn von 13,1 Millionen Kindern in Deutschland 4 Millionen einen Migrationshintergrund haben, also etwa 31 Prozent, und wenn von den Null- bis Fünfjährigen etwa 35 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund sind - davon wiederum 17 Prozent, bei denen in den Familien Deutsch nicht die Familiensprache ist -, dann wissen wir, was wir im öffentlichen Bereich für Bildungsaufgaben haben. Aber auch das ist keine Einbahnstraße.

Es geht nicht nur um die Sprachkompetenz der Menschen, die zu uns kommen, und der Menschen, die mit Migrationshintergrund in Deutschland leben. Sprachkenntnisse und Mehrsprachigkeit sind eine Aufgabe für die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Auch da kommt es darauf an, in einer tatsächlichen Willkommenskultur in der Lage zu sein, mit denen, die zu uns kommen, entsprechend zu kommunizieren, sich einzulassen und offen zu sein für Kulturen, die unsere eigene Gesellschaft bereichern. Vor allen Dingen dieser Bereicherungsgesichtspunkt, die Frage der Heterogenität von Gruppen, die kreativ wirken, um Deutschland in den Weltmärkten, in denen wir uns befinden, immer wieder zu Exzellenz zu verhelfen - all das ist heute auf dem Integrationsgipfel angeklungen.

Ich fasse zusammen: Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir haben, und zwar mit großen Chancen für Deutschland, mit einer starken Bürgerschaft, die wir haben. Das heißt aber auch vor Ort integrieren sowie Wahrnehmung von Verantwortung jedes Einzelnen. Dafür geben die elf Handlungsfelder des Nationalen Integrationsplans tatsächlich gute Möglichkeiten. Deswegen war es der Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder Ende des vergangenen Jahres so wichtig, unsere Maßnahmen konkret diesen Handlungsfeldern zuzuordnen. Ich bin guter Dinge, dass wir auf dem Weg, auf dem wir schon gut vorangekommen sind, weitere Erfolge erreichen werden.

Toprak: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Frau Staatsministerin Böhmer, sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Lieberknecht, meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Integrations- und Migrationspolitik wurden in den letzten Jahren atmosphärisch, aber auch inhaltlich mehr Fortschritte erzielt als in den Jahrzehnten zuvor. Seit 2006, mit dem Integrationsgipfel und der Deutschen Islam Konferenz, reden wir endlich miteinander und nicht mehr übereinander. Die letzten 50 Jahre sind damit vergangen, dass wir eher übereinander geredet haben. Jetzt reden wir endlich miteinander. Aber oftmals konzentrieren sich diese Anstrengungen noch auf die Defizite von Zuwanderern oder auf technische Fragen der Integration. Es ist endlich an der Zeit, die Herzen und die Köpfe aller Menschen zu erreichen.

Willy Brandt sagte während der Wiedervereinigung: "Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört." Jetzt ist es an der Zeit zu sagen: Es muss zusammenwachsen, was schon so lange zusammenlebt. - Dank der Wiedervereinigung haben wir unsere Bundeskanzlerin bekommen. Wir brauchen aber nach der ersten deutschen Einheit, wie ich finde, die zweite deutsche Einheit. Vielleicht kann Frau Merkel mit ihrer Politik in diesem Bereich dafür sorgen, dass auch in Zukunft eine Frau Bundeskanzlerin werden kann oder dass eines Tages vielleicht Menschen wie mein Kollege Marić oder ich als Bundeskanzler vor Ihnen sitzen.

Wir - die Zivilgesellschaft, die Politik und die Kirchen - haben uns zusammengetan und arbeiten sehr gut zusammen, wie ich finde. Es war heute eine sehr gute Veranstaltung. Ich möchte mich auch im Namen der Zivilgesellschaft und aller anderen Beteiligten ganz herzlich für die vertrauensvolle Zusammenarbeit bei der Bundesregierung bedanken. Ich glaube, nirgendwo auf der Welt findet im Bereich Integrationspolitik seit einigen Jahren so viel wie in Deutschland statt. Auch das muss einmal bei aller Kritik gesagt werden.

Ich habe gesagt, wir müssen endlich die Herzen der Menschen erreichen. Wir haben in den letzten Jahren zu sehr über die technischen Seiten der Integration gesprochen. Wir müssen endlich ein Wir-Gefühl entwickeln.

Wir haben auch über das Wort "Migrant" gesprochen. Die Frau Bundeskanzlerin hat das angesprochen. Wir sehen uns als Teil dieser Gesellschaft. Das Wort "Migrant" führt dazu, dass wir uns zu identitätslosen Menschen entwickeln. Was bedeutet "Migrant"? Wir sind Teil dieser Gesellschaft. Als Teil dieser Gesellschaft möchten wir natürlich auch als Deutsche wahrgenommen werden, die sich nicht nur für Rechte, für Gleichberechtigung und für Begegnungen auf gleicher Augenhöhe einsetzen, sondern wir möchten für unser Land gemeinsam Verantwortung übernehmen. In Deutschland wird noch immer zu sehr in Zuständigkeiten gedacht. Aber wir müssen Verantwortungsgemeinschaften bilden.

Ich denke, beim Integrationsgipfel hat sich gezeigt, dass wir uns erfolgreich zu einer Verantwortungsgemeinschaft und zu einer Wir-Gesellschaft entwickelt haben. Wir als Deutsche mit Migrationshintergrund sind dazu bereit. Ich hoffe, dieses Wort streichen wir irgendwann in der Zukunft aus unserem Vokabular. Deutschland ist vielfältiger geworden. Das ist die Realität, und das muss endlich als Normalität in dieser Gesellschaft in diesem Land begriffen und auch gelebt werden.

Integration kann aber nur gelingen, wenn wir es schaffen, dass sich Menschen, die hier geboren werden, deren Eltern aus dem Ausland hierher gezogen sind, von Anfang an mit unserer Gesellschaft, mit unserem Staat identifizieren. Das gelingt wiederum nur, wenn wir ihnen von Anfang an das Gefühl geben, dass sie dazugehören und dass sie partizipieren.

Aber, wie gesagt, wir möchten nicht nur an der politischen Macht, an allen Bereichen der Gesellschaft partizipieren; wir möchten natürlich auch an der Verantwortung partizipieren. Das ist ein Zeichen in Richtung der Mehrheitsgesellschaft. Wir sind uns bei unserem Einsatz für Partizipation und gleiche Rechte bewusst, dass wir auch die Mehrheitsgesellschaft mitnehmen müssen. Gerade nach der heutigen Veranstaltung bin ich optimistisch, dass uns das gelingen wird. Natürlich wird es immer wieder Rückschläge geben, aber wir haben keine andere Wahl. Wir leben hier. Wir möchten uns gemeinsam für unser Land einsetzen

Marić: Verehrte Damen und Herren, vielen Dank an die Bundeskanzlerin, die Staatsministerin und die Ministerpräsidentin. Ich will als kurze Perspektive aus Sicht eines der vielleicht jüngsten Migrantendachverbandsvertreter aus dieser Runde auch noch einmal betonen: Integration bleibt eine strategische Herausforderung für Deutschland. Man muss vielleicht "noch bessere Integration" sagen, denn so schlecht stehen wir in Deutschland eigentlich gar nicht da. Die Integration von 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund wird darüber entscheiden, ob wir in Deutschland wettbewerbsfähig bleiben werden, ob wir innovativ bleiben werden, ob wir ein attraktives Land bleiben werden.

Mich freut, dass insbesondere die Bundeskanzlerin und auch die Staatsministerin die Relevanz dieses Themas erkannt haben. Es gab in den letzten Jahren wirklich erkennbar Fortschritte. Da wurde viel nachgeholt, was jahrzehntelang leider versäumt wurde. Diese doch erheblichen Fortschritte in den letzten Jahren werden auf jeden Fall seitens der Migrantenorganisationen gewürdigt.

Der Nationale Aktionsplan Integration spielt in diesem Kontext eine sehr wichtige Rolle. Wir haben heute von sehr vielen Maßnahmen aus insgesamt 11 Dialogforen gehört. Es geht darum, die Maßnahmen verbindlicher und nachprüfbar zu gestalten. "Migranten im öffentlichen Dienst" ist zum Beispiel ein wichtiges Thema. Die Rolle der Medien haben wir auch noch einmal intensiv besprochen.

Weg von Projektförderung, hin zu struktureller Förderung - da will ich noch einmal einen Aspekt betonen, nämlich die Rolle der Migrantenorganisationen. Hier gilt es im Prinzip, diese Ressourcen zu nutzen und die Potenziale zu heben. Migrantenorganisationen genießen spezielles Vertrauen ihrer Migrantengruppen. Sie haben Zugriff auf die Migrantengruppe. Sie kennen die wichtigsten Multiplikatoren, die Vereinslandschaft, und sie haben im Prinzip den besten Zugang. Hier heißt es, diese Ressourcen zu nutzen, um Integrationspolitik noch effektiver zu gestalten. Deswegen muss auch - natürlich freut uns das - ernsthaft in Richtung einer strukturellen Förderung zumindest von bundesweit agierenden Migrantenorganisationen nachgedacht werden.

Frage: Frau Böhmer, meine Fragen bezieht sich auf das Schicksal der vietnamesischen Familie Nguyen, die heute Vormittag nach langem Hin und Her nach Deutschland zurückkehren durfte. Diese Familie ist im November abgeschoben worden. Sie galt als besonderes Beispiel für eine gelungene Integration, nachdem sie 19 Jahre lang in Deutschland gelebt hat. Können Sie mir erstens sagen, wie es dazu kommen kann, dass Menschen, die hier integriert sind, abgeschoben werden? Ist das zweitens nicht ein Beleg dafür, dass die Integrationspolitik in diesem konkreten Fall zwar gut gemeint, aber am Ende doch nicht gut gemacht ist?

Frau Bundeskanzlerin, was muss sich gesetzlich ändern, damit solche Fälle in Zukunft nicht passieren?

StM'in Böhmer: Der Fall ist mir sehr vertraut. Ich bin seit Ende letzten Jahres damit befasst und habe mich auch sehr dafür eingesetzt, dass die Möglichkeit der Rückkehr für die Familie bestand. Wir haben auch alles daran gesetzt, Bleiberechtsregelung zu verbessern. Hierbei ist gerade in den letzten fünf, sechs Jahren sehr viel geschehen; Sie wissen das. Das ist dann auch eine Frage dessen, wie diese Bleiberechtsregelungen vor Ort umgesetzt werden. In der Tat ging es gerade hier um eine sehr gut integrierte Familie. Viele vor Ort haben Unterstützung gegeben. Das hat dabei geholfen, dass die Entscheidung, die das Land getroffen hatte, dann revidiert worden ist und die Familie jetzt wieder glücklich hier in Deutschland ist.

BK'in Merkel: Ich glaube, dass das Zentrum durch den Hinweis auf das Bleiberecht eigentlich schon angesprochen wurde. Es wird dabei auch immer bestimmte Ausführungsspielräume geben. Aber man versucht ja auch, wie Maria Böhmer es gesagt hat, aus jedem Fall zu lernen und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.

Frage: Ich habe eine Frage an Frau Merkel oder auch an Frau Böhmer. Sie haben ja beide betont, dass der Quantensprung in dem Aktionsplan darin liegt, dass die Ergebnisse jetzt messbar sind. Wenn man jetzt das Beispiel des öffentlichen Dienstes nimmt, dann ist mir das nicht ganz klar. Woran machen Sie die Messbarkeit fest? Es gibt ja auch Vertreter, die hier eine Quote für den öffentlichen Dienst fordern. Teilen Sie diese Forderung? Was spricht aus Ihrer Sicht dafür oder dagegen?

BK'in Merkel: Ich finde, eine Quote an jeder Stelle ist auch nicht unbedingt gleich hilfreich. Ich meine, wir stehen gerade im öffentlichen Dienst noch sehr am Anfang des Prozesses.

Zur Messbarkeit: Die Zeiträume, innerhalb derer bestimmte Projekte ablaufen, bedeuten ja auch, dass man das Ergebnis am Ende des Weges misst. Wir sind jetzt erst einmal dabei. Das Bundesinnenministerium hat gestern eine Webseite geschaltet. Es gibt eine Kampagne durch das Bundespresseamt, im Rahmen derer wir dazu auffordern, sich im öffentlichen Dienst zu bewerben, und gute Vorbilder zeigen. Hier kann man jetzt noch nicht abrechnen und fragen "Was haben wir jetzt geschafft?", sondern das muss man sich nach einer Weile anschauen.

Wir haben allerdings ein Problem - das ist uns in Bezug auf die Feuerwehr auch gesagt worden -, das auch gar nicht so einfach zu überbrücken ist: Diejenigen, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, werden gar nicht mehr so einfach als Menschen mit Migrationshintergrund erfasst. Das hat ja auch sein Gutes, nämlich dass man jetzt nicht bis in die 15. Generation hinein immer weiter überlegt "Wo komme ich her?" und sich schon längst als Deutscher fühlt. Das heißt, es ist bei den besonders gut gelungenen Integrationen oft auch nicht mehr genau feststellbar, ob das nun jemand mit Migrationshintergrund ist oder nicht. Insofern können die Zahlen gegebenenfalls auch etwas besser sein.

Das, was diesen Nationalen Aktionsplan Integration auszeichnet, ist, wenn Sie es sich anschauen: Es gibt immer ein konkretes Projekt, eine konkrete Zielsetzung, einen konkreten Zeitrahmen, und am Ende wird dann abgerechnet. So werden wir natürlich im öffentlichen Dienst auch einmal messen: Wo sind mehr Menschen mit Migrationshintergrund beschäftigt, wo weniger? In welchen Regionen gelingt das besser? Welche Erfahrungen haben wir hier gesammelt? Wie muss man - das war heute auch so ein Thema; derjenige, der aus einer Beamtenfamilie kommt, geht häufiger in den öffentlichen Dienst, als wenn es gar keine Bezüge dazu gibt - junge Menschen eigentlich ansprechen? Was müssen auch die Personalabteilungen tun? Hans-Peter Friedrich hat zum Beispiel darauf hingewiesen, dass auch Personalabteilungen geschult werden müssen, um bei den vielen Bewerbungen, die kommen, eine Offenheit herzustellen und hierbei eben auch ganz besonders auf (entsprechende) Bewerbungen zu achten.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, direkt daran anknüpfend: Unter welchen Bedingungen steht den Kandidaten denn die Beamtenlaufbahn offen? Müssen die die deutsche Staatsangehörigkeit haben? Es gibt ja noch die Optionslösung.

Zweitens: Welche sicherheitspolitischen Vorteile versprechen Sie sich zum Beispiel von mehr Polizisten mit Migrationshintergrund?

StM'in Böhmer: Die deutsche Staatsbürgerschaft ist nicht in jedem Fall Voraussetzung für den öffentlichen Dienst, auch nicht, um Beamter zu werden. Auch das muss man sehr deutlich sagen, damit die Betreffenden wissen: Das ist nicht die Hürde, die man nehmen muss, sondern der öffentliche Dienst steht den Betreffenden offen. Es gelten die klassischen Voraussetzungen für den öffentlichen Dienst: Eignung, Leistung und Befähigung. Aber wir haben schon im letzten Integrationsplan gesagt: Es kommen gerade im Hinblick auf Migranten noch zwei Kriterien hinzu. Das ist zum einen die interkulturelle Kompetenz - ein wichtiger Kompetenzvorsprung in manchen Fällen - und zum anderen auch, dass diese Personen möglicherweise mehrsprachig sind. Auch das ist ein Pfund, mit dem man wuchern kann und das dann auch bei Einstellungsgesprächen oder dann, wenn es um den beruflichen Aufstieg geht, zu Buche schlagen sollte. Deshalb ist es so wichtig, dass Ausschreibungen auch entsprechend gestaltet werden, dass Personalentscheider entsprechend geschult werden und dass auch Personalräte mit ins Boot geholt werden, damit die Entscheidungen dann, wenn es um die Auswahl geht, auch entsprechend fallen.

Toprak: Das ist ein wichtiges Thema für uns, das wir heute auch angesprochen haben. Natürlich ist es sehr gut, dass die Bundesregierung, dass die Politik auf unsere Forderung reagiert hat, dass sich auch Migranten auf allen gesellschaftlichen Ebenen wiederfinden. Wenn es um Migranten im öffentlichen Dienst geht, erwarten wir natürlich, dass sich Migranten im öffentlichen Dienst nicht nur in den niedrigen Lohngruppen wiederfinden, sondern wir möchten in Zukunft Schulleiter, Polizeipräsidenten und Bürgermeister mit Migrationsgeschichte in Deutschland haben. Nur so kann es funktionieren. Im Übrigen haben wir heute erfahren: Bei den Medien - nur 1 Prozent - sieht es nicht so rosig aus. Daran, denke ich, müssen vor allen Dingen auch die Medien arbeiten.

Warum ist das wichtig? Sicherheitspolitik ist nur ein Aspekt zum Beispiel im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Gute Integrationspolitik ist ein weiterer wichtiger Aspekt. In den letzten Wochen haben wir im Zusammenhang mit nationalsozialistischem oder rassistischem Terror in Deutschland erfahren, dass viele Migranten ihr Vertrauen verloren haben. Das müssen wir so schnell wie möglich wieder zurückgewinnen. Eine demokratische Gesellschaft kann es sich nicht leisten, dass ihre Bürger ihren Sicherheitsbehörden nicht vertrauen. Daher ist es auch wichtig, dass Menschen mit Migrationsgeschichte gerade auch bei der Polizei und bei den anderen Sicherheitsbehörden dabei sind und mitwirken. Es sieht zum Teil so aus, dass viele Polizeibeamte gute Arbeit leisten, aber wenn sie Migranten ihr Leben lang während ihres Dienstes nur als Drogendealer kennengelernt haben, dann denken sie, es gebe sie nur als Drogendealer. Da könnten Kollegen mit Migrationsgeschichte wahrscheinlich dazu beitragen, zu sehen, dass es auch die andere Seite der Medaille gibt. Insofern ist es sehr wichtig, dass sich unsere Vielfalt überall widerspiegelt.

BK'in Merkel: Diesen Aspekt möchte ich auch in den Vordergrund stellen. Es geht jetzt nicht vordergründig darum, dass sich ein türkischstämmiger Polizist um türkischstämmige Leute kümmert, sondern es geht darum, dass sich in den Sicherheitsinstitutionen unseres Landes - möglichst auf allen Ebenen - auch die Vielfalt des Landes widerspiegelt, weil diese Institutionen für die Menschen natürlich auch Vertrauen mit sich bringen und weil es wichtig ist, dass diese Institutionen alles einschließen, was es an Erfahrungswissen gibt. Aber die Sicherheit muss sozusagen insgesamt von allen gemeinsam hergestellt werden, und dabei ist jeder verantwortlich, egal mit welcher Herkunft er in diesen Dienst kommt.

Frage: Frau Staatsministerin, können Sie denn für die Beschäftigten mit Migrationshintergrund im Bundesdienst einmal eine Hausnummer nennen? Wie hoch ist der Anteil im Moment, und wohin wollen Sie in den nächsten Jahren kommen?

StM'in Böhmer: Sie sprechen ein Problem an, vor dem wir stehen, nämlich der statistischen Erfassung. Uns liegt momentan nur eine generelle Zahl für den öffentlichen Dienst vor, und die haben wir auch nur durch den Mikrozensus: 9,9 Prozent. Wir haben keine differenzierten Zahlen, die wir Ihnen nennen können, aufgeschlüsselt nach Behörden, Ministerien oder anderen Dienststellen. Wir sind deshalb auch damit konfrontiert, dass wir uns mit der Frage der Erfassung auseinandersetzen müssen. Das ist auch ein Punkt, den wir im Nationalen Aktionsplan niedergelegt haben. Wir sind nämlich aus Datenschutzgründen gehalten, nicht zu fragen, welcher Herkunft jemand ist. Aber es gibt Möglichkeiten - dabei arbeiten wir auch mit den Bundesländern zusammen -, diesen Hintergrund zu erfassen und damit genauere Daten zu erhalten.

Wenn Sie nach den Zahlen fragen, sage ich natürlich: Wenn es einen bestimmten Prozentsatz in Höhe von 9,9 Prozent gibt, dann sind wir auf keinen Fall zufrieden. Wenn sich dieser Anteil noch in den unteren Dienststufen darstellen würde, dann wäre das erst recht nicht der Punkt. Es ist vielmehr ähnlich wie bei der damaligen Frage "Frauen in den öffentlichen Dienst": Wir wollen genauso in den Top-Positionen sein und im Querschnitt verbreitet sein.

Deshalb sage ich: Wir sind jetzt in diesem Bereich dabei, intensiv für die Ausbildung im öffentlichen Dienst zu werben - das ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, mehr junge Menschen dafür zu gewinnen - und bei der Einstellung mehr Interesse für den öffentlichen Dienst zu wecken. Deshalb halte ich die Werbekampagnen, die derzeit aufgelegt werden, für wesentlich. Das gilt auch für die Website, um darüber zu informieren, welche Stellenangebote es gibt. Ich glaube, dass man dann auch bei denjenigen, die die Personalverantwortung tragen, immer wieder nachfragen muss, wie das gelingt. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Der Indikatorenbericht, den wir für das nächste Jahr vor uns haben, wird diesen Punkt auch erfassen.


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Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz - Dienstag, 31. Januar 2012
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2012/01/2012-01-31-integrationsgipfel.html?nn=391778
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2012