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PRESSEKONFERENZ/756: Bundeskanzlerin Merkel zum Münchner Spitzengespräch, 14.03.2014 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift der Pressekonferenz - Freitag, 14. März 2014
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zum Münchner Spitzengespräch

Thema: Münchener Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft 2014

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ulrich Grillo (BDI), Ingo Kramer (BDA), Alexander Legowski, Eric Schweitzer (DIHK), Hans Peter Wollseifer (ZDH)



Legowski: Schönen guten Tag, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlich willkommen zur Pressekonferenz anlässlich des Spitzengesprächs der deutschen Wirtschaft mit der Bundeskanzlerin hier in München am Rande der Internationalen Handwerksmesse 2014. Die Wirtschaft hat anderthalb Stunden mit der Bundeskanzlerin getagt. Für die Wirtschaft wird Herr Wollseifer, der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, kurz zusammenfassen.

Wollseifer (ZDH): Die Bundeskanzlerin ist eine verlässliche Konstante. Sie ist nämlich heute zum achten Mal hier in München bei der Wirtschaft zum Spitzengespräch. Dafür danken wir ihr sehr. Ansonsten gab es doch größere personelle Wechsel in den Spitzenbereichen der einzelnen Wirtschaftsgruppen. Die neuen Gesichter an diesem Platz sehen Sie heute hier.

Die Wirtschaft hat mit der Frau Bundeskanzlerin ein, wie ich glaube, sehr konstruktives Gespräch geführt. Wir haben einige Themen angesprochen, die uns Sorge machen, und andere Themen, bei denen wir parallel die Aufgaben anpacken, die vor uns liegen. Bezüglich der Stabilität des Haushalts haben wir eine breite Übereinstimmung. Wir erkennen das Engagement der Bundeskanzlerin in Europa, das Engagement zum Euro und natürlich auch das Engagement in der Außenpolitik sehr an. Wir haben da ein sehr großes Vertrauen.

Es gibt noch andere Themen, bei denen wir hoffen, dass man vielleicht noch das eine oder andere Korrektiv einziehen kann. Wenn ich das sage, dann spreche ich wieder einmal die Rente mit 63 an. Auch der Mindestlohn war ein Thema, das wir erörtert und miteinander diskutiert haben. Die Energiepolitik ist ein weites Feld, das uns umtreibt und bei dem wir den intensiven Dialog und die Diskussion mit der Kanzlerin gesucht haben.

Das vielleicht als Einstieg.

BK'in Merkel: Die Themen sind von Herrn Wollseifer schon genannt worden. Wir haben einen sehr intensiven Dialog über alles geführt, was im Augenblick auf der Tagesordnung steht. Das ist beispielsweise die Energiepolitik. Sie ist zentral für die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, der deutschen Industrie. Wir werden nächste Woche, am Donnerstag und Freitag, einen Rat der EU-Staats- und Regierungschefs haben, auf dem wir uns mit der Zukunft der Industrie in Europa beschäftigen. Ich werde dort sehr deutlich machen: Wenn man möchte, dass Deutschland weiter Stabilitätsanker und Zugpferd auch in Richtung wirtschaftliche Entwicklung, in Richtung Arbeitsplätze ist, dann muss Deutschland auch die Möglichkeiten haben, im Bereich der Energiepolitik die richtigen Rahmenbedingungen zu bekommen. Ich spreche in diesem Zusammenhang von der Befreiung der energieintensiven Unternehmen von der EEG-Umlage und auch von möglichen Rückzahlungen. Es wäre total kontraproduktiv für das Investitionsklima, wenn wir nicht die richtigen Rahmenbedingungen bekommen. Wir wissen: Wirtschaft ist auch zur Hälfte Psychologie. Deshalb ziehen wir hier an einem Strang, um vernünftige Rahmenbedingungen hinzubekommen.

Ich habe mich darüber gefreut, dass die Präsidenten der Verbände gesagt haben, die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gehe in die richtige Richtung. Wir werden aber noch intensive Gespräche zu führen haben, insbesondere auch darüber, was das Thema Eigenverbrauch anbelangt. Ich darf Ihnen im Namen der ganzen Bundesregierung, also auch des Bundeswirtschaftsministers, sagen: Wir arbeiten an verlässlichen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, weil wir wissen, dass nur durch die Wirtschaft die große Zahl der Arbeitsplätze entstanden ist.

Naturgemäß haben wir uns auch über das Thema Mindestlohn unterhalten. Dazu führt Bundesministerin Nahles den Branchendialog durch. Ich glaube, das sind sehr sachorientierte Gespräche. Wir haben uns ja dazu verpflichtet, um Fehlanreize möglichst zu vermeiden. Sie dürfen davon ausgehen, dass wir Ihre Ratschläge aufnehmen und einiges davon sicherlich auch umsetzen, ohne dass ich jetzt hier generelle Zusagen machen kann.

Wir haben über die Fachkräfteentwicklung gesprochen, über die Stärkung der dualen Ausbildung und auch über die Notwendigkeit, dass, wenn man die duale Ausbildung als Zukunftsprojekt für Europa sehen will, bestimmte Standards gewährleistet sein müssen, zum Beispiel den Meisterabschluss als Zugang zum Beruf festzuschreiben. Wir erleben gerade eine Renaissance der dualen Berufsausbildung in ganz Europa. Deshalb müssen die Rahmenbedingungen von Deutschland sehr klar und sehr deutlich benannt werden.

Des Weiteren haben wir über das Thema Haushalt gesprochen. Hier gibt es eine große Unterstützung. Ich habe auch berichtet, dass wir die freien Mittel, die wir in dieser Legislaturperiode haben, ganz wesentlich für Investitionen in Verkehr, in die Infrastruktur im Breitbandbereich, in Bildung und in Forschung ausgeben. Ich glaube, all das stößt auch auf Zustimmung. Insofern war es ein gutes Gespräch.

Ich bedanke mich auch für das Vertrauen in unser außenpolitisches Vorgehen in einer nicht ganz einfachen Zeit. Ich habe den Dreiklang von Gesprächen, Hilfen für die Ukraine und, wenn nicht anders möglich, auch Sanktionen noch einmal erläutert. Ich sage noch einmal, wie ich es schon gestern im Deutschen Bundestag gesagt habe: Wir wollen Lösungen über Gespräche. Die Tür dazu steht weiterhin offen. Heute wird es noch ein Treffen des amerikanischen Außenministers mit dem russischen Außenminister geben. Wir alle in Europa sind eng in die Vorbereitungen einbezogen. Ich glaube, wir sollten jedem Gespräch so entgegentreten, dass wir Lösungen wollen, weil Gespräche die beste Möglichkeit einer Lösungsfindung sind.

Frage: Ich habe die gleiche Frage an die Frau Bundeskanzlerin und an Herrn Grillo. Viele in der Wirtschaft befürchten bei verstärkten Sanktionen gegen Russland Einbußen im wirtschaftlichen Austausch mit Russland. Wie sehen Sie diese Gefahr, Frau Bundeskanzlerin, und wie sehen Sie das, Herr Grillo?

BK'in Merkel: Ich glaube, jetzt ist es erst einmal wichtig, dass wir konsistent handeln. Das heißt, wir müssen einfordern, dass internationales Recht gelten muss und dass Verletzungen des internationalen Rechts nicht einfach unkommentiert bleiben oder ohne jede Wirkung passieren können. Das ist letztendlich auch für die deutsche Wirtschaft wichtig; denn die Einhaltung von verlässlichen Rahmenbedingungen ist für jedes wirtschaftliche Engagement von großer Bedeutung. Deshalb freue ich mich darüber, dass ich Äußerungen von der Wirtschaft gehört habe, die uns da Unterstützung gibt. Dadurch, dass die Tür für Gespräche jederzeit offensteht, haben wir, so glaube ich, alle Voraussetzungen geschaffen, um die Probleme im Gespräch lösen zu können. Ich sehe zurzeit nicht, dass wir uns über größere Bedrohungen Gedanken machen müssen, sondern ich konzentriere meine gesamte Aufmerksamkeit darauf, dass wir wieder zu verlässlichen Rahmenbedingungen zurückkehren.

Grillo (BDI): Ich kann das nur unterstützen. Unsere Hoffnung ist, dass wir zu einer Deeskalation kommen und dass wir das Ganze im Dialog noch hinbekommen. Wenn ich "wir" sage, dann ist das falsch; denn das ist natürlich Aufgabe der Politik. Selbstverständlich sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern sehr wichtig. Wir haben 76, fast 80 Milliarden Euro Wirtschaftsbeziehungen in die eine und in die andere Richtung. Sanktionen würden diesen Wirtschaftsbeziehungen und vor allem dem Vertrauen in den Beziehungen nicht nützen. Aber Völkerrecht geht für mich, für uns über alles. Insofern muss man das beachten. Es ist auch nicht Aufgabe der Wirtschaft, über diese Maßnahmen zu reden. Wir sollten das unsererseits nicht groß diskutieren. Da vertraue ich - das sage ich nicht nur, weil wir jetzt hier zusammensitzen, sondern das haben ich schon heute Morgen gesagt; das ist auch schon bei dpa zitiert worden - ausdrücklich der Bundeskanzlerin und unserem Außenminister, dass sie die richtig abgewogenen Maßnahmen machen. Ich kann nur hoffen, dass wir da zu einer vernünftigen Lösung kommen.

BK'in Merkel: Ich darf vielleicht noch eine Zahl nennen, die mir gestern beim Besuch des tschechischen Premierministers klar geworden ist. Wir haben einen großen Handel mit Russland - Herr Grillo hat die Zahl eben genannt -, nämlich 76 Milliarden Euro. Aber wir haben zum Beispiel auch mit der Tschechischen Republik einen Handel von über 60 Milliarden Euro, nur um einmal die Dimensionen zu zeigen. Der Handel mit Russland ist zwar vorhanden. Aber er macht nicht das gesamte deutsche Wirtschaftsengagement aus. Ich glaube, auch von russischer Seite gibt es durchaus Interessen an guten Wirtschaftsbeziehungen; sie sind nicht einseitig. Wir haben Interessen, aber auch die andere Seite hat Interessen.

Frage: Sie haben den Meistertitel und auch das duale Ausbildungssystem angesprochen. Ich habe eine Frage an Herrn Wollseifer und an die Frau Bundeskanzlerin: Die EU-Kommission hat die Bewertung der nationalen Reglementierungen des Berufszugangs angestoßen. In diesem Prozess wird weniger der Meisterbrief als Zertifikat infrage gestellt, sondern seine Voraussetzung als Notwendigkeit für eine Existenzgründung im Handwerk. Im Zuge der EU-Harmonisierung sehe ich eigentlich nur zwei Möglichkeiten, wie dieser Prozess beendet werden kann: Entweder der Meisterzwang wird in ganz Europa eingeführt, oder er wird letztendlich in der Bundesrepublik fallen. Herr Wollseifer, wie sehen Sie das persönlich perspektivisch? Die Frage an Frau Merkel: Wie möchten Sie ausschließen, dass am Ende dieses Prozesses der Meisterzwang in Deutschland fällt?

Wollseifer (ZDH): Wenn ich beginnen darf. - Wir müssen die Qualitätsstandards in der Ausbildung halten. Wir brauchen noch mehr Qualität als weniger Qualität. Wir möchten unser Bildungssystem, das uns in Deutschland nachhaltig vor Jugendarbeitslosigkeit schützt - Sie wissen, in diesem Land haben wir eine Jugendarbeitslosigkeit von unter 8 Prozent; in Europa liegt der Durchschnitt bei 25 Prozent, in den südlichen Ländern sogar bei über 50 Prozent -, nicht nur behalten, sondern wir möchten auch Bildungsexport damit betreiben. Wir tun das bereits. Viele Handwerksorganisationen bilden schon junge Europäer im dualen System aus. Wir meinen, dass genau das der richtige Weg ist.

Mit Blick auf Deutschland, auf das deutsche Handwerk, kann ich Ihnen sagen, dass sich 95 Prozent aller Ausbildungsverhältnisse in den 41 Meisterberufen befinden, nur 5 Prozent in allen anderen Berufen, die wesentlich mehr sind. Man kann sehen, dass der Meisterbrief, dieser hohe Standard, der Trilog von Lehrling, Geselle und Meister ganz entscheidend dafür maßgeblich sind, auch in Zukunft für Ausbildungsplätze zu sorgen. Wir möchten dies erhalten. Der Meister ist derjenige, der die arbeitspädagogischen und betriebswirtschaftlichen Kenntnisse im Betrieb hat, der sie an die Jugend vermitteln kann. Wir möchten diese Erfahrungen, dieses Know-how an die junge Generation weitergeben und möchten, dass es so bleibt, wie es ist.

BK'in Merkel: Weil es so ist, wie Herr Wollseifer es gesagt hat, unterstützen wir die Frage bezüglich des Meisters als Berufszugangsvoraussetzung. Ich teile Ihre Meinung hinsichtlich der möglichen zwei Ausgänge solcher Verhandlungen nicht. Wenn das richtig wäre, dann hätten wir nie Lösungen für deutsche Sparkassen, für deutsche Volks- und Raiffeisenbanken gefunden. Bei der Bankenregulierung hat es oft so ausgesehen, dass man da nichts findet, weil niemand anderer Sparkassen hatte. Wir haben immer eine Lösung gefunden. Also: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, auch in Europa, meistens jedenfalls. Sie können da zuversichtlich sein. Wir werden uns mit voller Kraft dafür einsetzen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wir sind in München. Ihr Regierungssprecher hat in Ihrem Namen schon etwas dazu gesagt. Wie beurteilen Sie denn den Ausgang des Prozesses um Uli Hoeneß?

BK'in Merkel: Ich kommentiere natürlich Gerichtsentscheidungen nicht, kann aber sagen: Die Tatsache, dass Uli Hoeneß jetzt dieses Urteil so angenommen hat, nötigt mir hohen Respekt ab.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wenigstens in einem Punkt sind sich Bayern und die Bundesregierung völlig einig: Sie streben ausgeglichene Haushalte an. Das ist wirklich ganz großartig. Meine Frage dazu: Herr Schäuble hat schon ein Datum genannt, bis wann er dies schaffen will. Ist es richtig - wenn es richtig ist, wie würden Sie das kommentieren? -, dass man eventuell, falls das Geld nicht reicht, auf die Überschüsse der Krankenkassen zurückgreifen will? Gerade unter dem Gesichtspunkt der Steuern und Beiträge ist das sicherlich eine, wie ich meine, brisante Angelegenheit. Würden Sie dem zustimmen, oder würden Sie anders entscheiden? Was ist Ihr Rat in solchen Dingen?

BK'in Merkel: Ich habe dem schon zugestimmt. Wir haben am Mittwoch die Eckpunkte für den Haushalt 2015 beschlossen. Wir haben in den Krankenversicherungen eine Situation, die uns Beitragsstabilität ermöglicht. Der Bundesfinanzminister hat deutlich gemacht - ich habe auch mit dem Gesundheitsminister darüber gesprochen -, dass die Steuerzuschüsse ab 2016/2017 wieder aufwachsen, sodass die Beitragsentwicklung nicht gefährdet wird, wenn wir Steuergelder dort herausnehmen. Wir haben im Augenblick sehr hohe Überschüsse. Deshalb halte ich das für absolut vertretbar.

Frage: Herr Grillo, Sie haben vor Kurzem gesagt, Sie vermissten einen Plan für den Industriestandort Deutschland, so etwas wie eine Agenda 2030. Haben Sie auch über dieses Thema gesprochen? Gibt es da Fortschritte in Ihrem Sinne?

Grillo (BDI): Ich habe meiner Besorgnis Ausdruck verliehen, dass wir nicht nur über das Thema Verteilung und Regulierung, sondern auch über Zukunftsthemen reden sollten - Agenda 2030, wie auch immer wir das nennen. Wir haben in dem heutigen Gespräch sehr intensiv auch über die Zukunft gesprochen und dabei festgestellt, auch die Frau Bundeskanzlerin: Uns geht es gut. Aber wir müssen in die nächsten Jahre schauen und das Richtige machen, damit es uns auch in einigen Jahren noch gut geht. Wir haben heute über einige Themen gesprochen, die uns wirklich voranbringen, wie die Hightechstrategie und die Digitalisierung. Ich bin sehr froh darüber.

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Quelle:
Bundeskanzlerin Merkel zum Münchner Spitzengespräch
Mitschrift der Pressekonferenz vom 14. März 2014
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2014/03/2014-03-14-muenchner-spitzengespraech.html;jsessionid=463E5C4EFD5A9FADA561CF0A4D983ACC.s1t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2014