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PRESSEKONFERENZ/809: Regierungspressekonferenz vom 13. Juni 2014 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Freitag, 13. Juni 2014
Regierungspressekonferenz vom 13. Juni 2014

Themen: Tod Frank Schirrmachers, Situation in der Ukraine, "Tag des offenen Schlosses" in Meseberg, Termine der Bundeskanzlerin (Reise nach Brasilien, Kabinettssitzung, Empfang des Ministerpräsidenten Tunesiens, Empfang einer Unternehmerdelegation des WEF, Empfang der Ministerpräsidentin Dänemarks, Antrittsbesuch des Ministerpräsidenten Estlands), Interviewäußerungen des britischen Premierminister zur Besetzung des Amtes des EU-Kommissionspräsidenten, Abschluss des Verfahrens gegen Bundespräsident a.D. Wulff, finanzielle Situation der gesetzlichen Krankenkassen, Syrien, Reform des EEG, Erdgasspeicher und Gasreserve, Bau eines LNG-Anlandeterminals in Deutschland, Situation im Irak, Einschätzung Saudi-Arabiens, Vergleich der Entwicklung im Irak mit der in Afghanistan, Reise eines Politischen Direktors des Auswärtigen Amtes in den Iran, Ausnahmeregelungen beim Mindestlohn

Sprecher: StS Seibert, Schäfer (AA), Berve-Schucht (BMG), Mänz (BMZ), Toschev (BMWi), Westhoff (BMAS)



Vorsitzender Mayntz eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Guten Tag, meine Damen und Herren!

Zunächst zu einem traurigen Thema: Auch die Bundeskanzlerin war bestürzt, als sie gestern vom plötzlichen und frühen Tod Frank Schirrmachers erfuhr. Er wird nicht nur seiner Zeitung, der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", seinen Lesern, sondern er wird dem geistigen Leben unserer Republik insgesamt sehr fehlen. An seine Witwe hat die Bundeskanzlerin heute ein Kondolenzschreiben gerichtet. Ich will daraus nur kurz zitieren. Sie schreibt darin:

"Wie kein Zweiter hat Frank Schirrmacher maßgebliche geistige, gesellschaftliche und technologische Entwicklungen unserer Zeit erspürt und als Journalist und Autor beschrieben und gedeutet."

Die Bundeskanzlerin drückt der Witwe und der Familie ihre persönliche Anteilnahme und ihr tiefes Mitgefühl aus.

Ich wollte dann kurz etwas zur weiteren Entwicklung in der Ukraine sagen. Die Bundeskanzlerin hat in den vergangenen Tagen zu diesem Thema sowohl mit Präsident Poroschenko wie auch mit Ministerpräsident Jazenjuk telefoniert. Dabei standen die aktuellen Bemühungen um eine Deeskalation der Lage im Mittelpunkt. Es gibt dabei gewisse positive Signale. Zu denen zählen wir zum Beispiel die Tatsache, dass Präsident Poroschenko und Präsident Putin gestern miteinander telefoniert haben und dass Sprecher der russischen Administration dabei auch ausdrücklich vom ukrainischen Präsidenten gesprochen und damit seine Wahl anerkannt haben.

Positiv sind ebenso zu werten: die Vorhaben von humanitären Korridoren, die Fortsetzung des Abzugs russischer Truppen aus dem Grenzgebiet, aus der Grenzregion, und die Aufforderung des russischen Präsidenten Putin an seine Grenzschutzbehörden, die Grenzen zur Ukraine besser zu kontrollieren. Gerade der letzte Punkt ist entscheidend, um die tägliche Gewalt dort einzudämmen. Es kommt ganz wesentlich darauf an, dass das unverzüglich umgesetzt wird, um das ständige Einsickern von Waffen, das Einsickern von Kämpfern in die Ostukraine zu verhindern. Wenn sich jüngste Berichte bestätigen, wonach Panzer und weitere schwere Waffen von Russland aus in die Hände von prorussischen Separatisten gelangt sind, dann wäre das allerdings eine schwerwiegende und sehr besorgniserregende Entwicklung.

Ein weiterer Gesprächspunkt in den Gesprächen der Bundeskanzlerin waren die Verhandlungen, die derzeit zwischen der Ukraine und Russland unter Teilnahme der Europäischen Union mit dem Ziel geführt werden, die russischen Energielieferungen für die Ukraine für die Zukunft sicherzustellen. Die Bundeskanzlerin hatte dies auch schon in ihrem Gespräch mit Staatspräsident Putin am Dienstag thematisiert. Sie spricht sich erneut für eine schnelle, eine einvernehmliche Lösung dieses Gasstreits aus, und zwar eine Lösung, die sich an den in Europa marktüblichen Preisen orientiert. Wie Sie vielleicht wissen, hat die russische Seite die von ihr gesetzte Frist für den Beginn von Vorauszahlungen bis kommenden Montag - das ist der 16. Juni - verlängert. Wir gehen davon aus, dass die Verhandlungen dazu unter Teilnahme von EU-Kommissar Oettinger fortgesetzt werden.

Frage: Herr Seibert, weil Sie eben gesagt haben, das mit den russischen Panzern wäre eine sehr besorgniserregende Lage: Gibt es denn deutsche Erkenntnisse - zum Beispiel vom BND - darüber, dass das tatsächlich passiert? War das gestern Thema in den Gesprächen der Kanzlerin mit dem ukrainischen Präsidenten und dem ukrainischen Premierminister?

StS Seibert: Ich kann Ihnen hier keine weiteren Erkenntnisse dazu liefern. Sie kennen die Berichte. Wenn sich diese Berichte bestätigen würden, dann wäre das in der Tat eine schwerwiegende und besorgniserregende Entwicklung.

Zusatzfrage: An das Auswärtige Amt: Können Sie uns noch einmal einen Stand über die OSZE-Beobachtermission geben? Auf wie viele Personen wurde die mittlerweile aufgestockt? Ist da die Zielmarke von 500 Beobachtern mittlerweile erreicht?

Gibt es irgendwelche Erkenntnisse über die Lage in Slawjansk? Es gab ja immer wieder unterschiedliche Berichte über Machtwechsel innerhalb der prorussischen Separatisten.

Schäfer: Was die verschwundenen OSZE-Beobachter angeht, so würde ich gerne genau bei dem bleiben, was an dieser Stelle seit Wochen gesagt wird: Die OSZE führt die Verhandlungen über eine Freilassung dieser Beobachter. Die OSZE kommuniziert auch mit Ihnen und mit der Öffentlichkeit über diese Fragen. Deshalb sehe ich mich weiter nicht in der Lage, Ihnen dazu konkrete Auskünfte zu geben, außer dass es völlig selbstverständlich ist, dass die Bundesregierung alles in ihrer Macht stehende tut, um diese Verhandlungen zu unterstützen, damit genau das gleiche Ergebnis herauskommt wie vor etwa sechs Wochen, als es uns auch gelungen ist, das OSZE-Inspektorenteam bedingungslos wieder in Freiheit zu versetzen.

Was die Gesamtzahl der OSZE-Beobachter angeht, so liegen mir hierzu jetzt keine absolute Zahlen vor. Richtig ist, dass die Mission weiter aufwächst und dass auch die Zahl der deutschen OSZE-Beobachter, die wir an die OSZE sekundieren, weiter wächst. Es wird in der nächsten Zeit dazu kommen müssen, dass im OSZE-Rat erneut über die Frage der OSZE-Beobachtermission gesprochen wird, denn die Mission ist zunächst einmal auf eine bestimmte Zeit angelegt gewesen. Es ist im Interesse der Bundesregierung - und so hat sie sich auch positioniert und so wird sie sich weiter positionieren -, dass die OSZE-Beobachtermission weitergeführt werden kann und dass an dieser Mission auch weiter deutsche Beobachter teilnehmen können.

Hinsichtlich Ihrer Frage im Hinblick auf die Verhältnisse von Slawjansk bin ich mir nicht sicher, ob ich der richtige Ansprechpartner für eine solche Frage bin. Ich verfolge ähnlich wie Sie die tatsächlichen Verhältnisse über die Medien. Die Bundesregierung hat darüber hinaus einige andere Informationsquellen. Sie werden aber sicherlich verstehen, dass es mir hier öffentlich nicht möglich ist, darüber ohne Weiteres zu sprechen.

Vorsitzender Mayntz: Und wenn wir "unter zwei" oder "unter drei" gehen? - Auch dann nicht. Weitere Fragen "unter eins"? - Dann werfen wir doch einen Blick auf die Termine der nächsten Woche.

StS Seibert: Bevor wir zu den Terminen der Bundeskanzlerin kommen, ein Hinweis für Samstag, den 14. Juni: Da hat das Gästehaus der Bundesregierung in Schloss Meseberg für Besucherinnen und Besucher seine Tore von 11 bis 16 Uhr geöffnet - der "Tag des offenen Schlosses". Vielleicht ist das auch für den einen oder anderen von Ihnen noch ein Ausflugstipp.

Am Sonntag reist die Bundeskanzlerin - das haben wir hier schon bekanntgegeben - nach Brasilien. Ich kann Ihnen zu dieser Reise jetzt noch ein bisschen mehr mitteilen.

Zunächst einmal wird die Bundeskanzlerin nach ihrer Ankunft in der Hauptstadt Brasilia in die Residenz des deutschen Botschafters fahren. Sie trifft dort mit dem ersten Jahrgang brasilianischer Bundeskanzlerstipendiaten zusammen. Dieses Bundeskanzlerstipendium ist, wie Sie vielleicht wissen, ein Programm der Alexander-von-Humboldt-Stiftung für angehende Führungskräfte aus dem Ausland. Die Bundeskanzlerin hatte sich ausdrücklich dafür eingesetzt, dass dieses Programm auch auf Brasilien, auf junge Brasilianer erweitert wird. Den ersten Jahrgang dieser brasilianischen Bundeskanzlerstipendiaten wird sie dort also treffen.

Anschließend findet - immer noch in der Residenz des deutschen Botschafters - ein Gespräch mit Wirtschaftsvertretern, vor allem Vertretern deutscher Unternehmen, die in Brasilien tätig sind, statt.

Am Sonntagabend wird die Bundeskanzlerin dann durch Präsidentin Roussef, die sie ja zu dieser Reise eingeladen hat, mit militärischen Ehren empfangen. Es gibt dann ein Abendessen der beiden Regierungschefinnen miteinander. Anschließend, gegen 21.10 Uhr, findet eine gemeinsame Pressekonferenz statt. Das ist immer noch in Brasilia.

Noch am selben Abend wird die Bundeskanzlerin dann nach Salvador da Bahia weiterreisen, wo sie am Montagmorgen als ersten Termin ein Arbeitsfrühstück mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Studentinnen und Studenten der Technischen Universität Senai Climatec hat.

Anschließend besichtigt sie das Benediktinerkloster São Bento.

Gegen 11 Uhr wird sie ein von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, der GIZ, gefördertes Sozialprojekt, das sogenannte Sportcamp "Fußball für Entwicklung" besuchen.

Zum Abschluss ihrer Reise wird die Bundeskanzlerin, wie schon bekannt, das erste WM-Gruppenspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Portugal besuchen.

Am Mittwoch um 9.30 Uhr tagt wie üblich das Kabinett.

Am Mittwochmittag, genau um 12 Uhr, empfängt die Bundeskanzlerin den tunesischen Ministerpräsidenten Mehdi Jomaâ mit militärischen Ehren im Kanzleramt. Es wird ein Arbeitsmittagessen geben, bei dem die Lage in der Region, aber auch die deutsch-tunesische Transformationspartnerschaft im Mittelpunkt stehen werden. Diese Transformationspartnerschaft, die wir mit Tunesien haben, ist ja ein Versuch, den demokratischen Wandel in diesem Land zu unterstützen. Das geschieht mit über 100 Projekten vor allem aus den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Beschäftigung. Das alles wird also Thema der Bundeskanzlerin im Gespräch mit Ministerpräsident Jomaâ sein. Anschließend, gegen 13.15 Uhr, findet eine gemeinsame Pressekonferenz statt.

Am Donnerstag - das gehört noch zum Besuch des tunesischen Ministerpräsidenten - gibt es übrigens die zweite Runde der deutsch-tunesischen Staatssekretärskonsultationen. Dieses Format hatte die Bundeskanzlerin im Jahre 2012 mit einem Vorgänger des tunesischen Ministerpräsidenten angestoßen. Auch da geht es auf der Ebene der Staatssekretäre um konkrete Umsetzung dieser Transformationspartnerschaft.

Noch einmal zurück zum Mittwoch: Am Mittwochabend empfängt die Kanzlerin im Kanzleramt eine Unternehmerdelegation des World Economic Forum. Es sind eine etwa eineinhalbstündige Gesprächsrunde und dann ein gemeinsames Abendessen zu Themen der nationalen und internationalen Wirtschaftspolitik geplant.

Am Donnerstag, dem 19. Juni, ist die Ministerpräsidentin Dänemarks, Helle Thorning-Schmidt, um 12 Uhr zu Gast im Kanzleramt. Das Treffen dient in erster Linie der Vorbereitung des nächsten Europäischen Rates, der am 26. und 27. Juni stattfindet. Es wird voraussichtlich auch um die weitere Entwicklung in der Ukraine gehen. Es gibt auch nach diesem Gespräch eine gemeinsame Pressekonferenz, und zwar gegen 13 Uhr.

Noch ein Regierungschef ist in der kommenden Woche zu Besuch, nämlich am Freitag der neue Ministerpräsident Estlands, Herr Taavi Rõivas, der um 12.45 Uhr mit militärischen Ehren im Kanzleramt empfangen wird. Auch da wird es gegen 14 Uhr eine gemeinsame Pressekonferenz geben.

Soweit die Termine der Kanzlerin für die kommende Woche.

Frage: Herr Seibert, wäre es richtig, wenn man den Besuch der dänischen Ministerpräsidentin als Vorstellungsbesuch für einen möglichen Posten als EU-Rats- oder Kommissionspräsidentin betrachtet?

StS Seibert: Ich kann Ihnen ja grundsätzlich Ihre Wertungen nicht diktieren; die müssen Sie selber finden. Es ist ein Besuch, der der Vorbereitung des Europäischen Rates dient. Sie wissen, dass die Bundeskanzlerin gerade in Schweden mit drei anderen Ministerpräsidenten gesprochen hat. Sie trifft den estnischen Ministerpräsidenten in der kommenden Woche. Sie hat enge Kontakte, auch telefonisch, mit anderen Ministerpräsidenten. In diese Reihe ist die Begegnung mit Frau Thorning-Schmidt einzureihen.

Zusatzfrage: Sie haben Schweden angesprochen. Gibt es eigentlich in den nächsten zwei, drei Wochen noch andere Länder-Gruppen-Treffen - entweder mit den Ost-, Südeuropäern oder mit anderen Gruppierungen -, an denen die Bundeskanzlerin teilnimmt?

StS Seibert: Ich kann Ihnen im Moment von solchen Treffen unter mehreren Regierungschefs nichts berichten. Aber der nächste Europäische Rat nähert sich ja auch schon mit großen Schritten.

Zusatzfrage: Eine Frage zum World Economic Forum. Ich hätte gerne gewusst, ob Herr Rösler an dem Treffen teilnimmt.

StS Seibert: Ich kann Ihnen die Teilnehmer heute noch nicht nennen.

Frage: Anschließend an die Frage zu Frau Thorning-Schmidt: Herr Cameron hat sich heute in einem Interview noch einmal explizit gegen Herrn Juncker als EU-Kommissionspräsident ausgesprochen. Sieht die Kanzlerin noch Chancen, Herrn Juncker, für den sie sich jetzt mehrfach ausgesprochen hat, als Kommissionspräsident durchzusetzen?

Eine zweite Frage dazu: Außerdem sagt Herr Cameron, die Fraktionen hätten sich explizit gegen die EU-Verträge gestellt, indem sie Juncker und im Prinzip auch Schulz zum Kandidaten gemacht hätten. Schließt sich denn die Kanzlerin dieser Interpretation an, dass man sich mit der Benennung gegen die EU-Verträge gestellt habe?

StS Seibert: Zunächst einmal zu dem Text, den Premierminister Cameron heute in die "Süddeutsche Zeitung" gestellt hat: Es ist gut und richtig, dass der Premierminister von Großbritannien seine Haltung, seine Überzeugungen in diesem Text einem breiteren und interessierten deutschen Publikum darlegt. Wenn die Haltungen klar sind, diskutiert es sich ja immer leichter.

Für die Bundeskanzlerin war nun natürlich nicht viel Überraschendes darin, denn sie kennt seine Haltung aus intensiven Gesprächen mit ihm. Sie sind sich zuletzt in Brüssel und zuallerletzt in Schweden in Harpsund begegnet. Ebenso kennt die britische Regierung die Haltung der Bundeskanzlerin, die sich vor Kurzem auch sehr klar in ihrer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag dafür ausgesprochen hat, dass Jean-Claude Juncker der nächste EU-Kommissionspräsident wird und dass sie dafür arbeiten wird, dass er eine Mehrheit bekommt.

Im Übrigen hat sie sehr klar gemacht - ich glaube, das beantwortet ihre Frage -, dass sie all diese Gespräche, die sie jetzt zu führen hat, und überhaupt den gesamten Prozess im europäischen Geist führen will. Das ist der Geist, der seit fünf Jahrzehnten immer wieder geholfen hat, dass man in Europa bestmögliche Ergebnisse miteinander erzielt. Das ist ein Geist der Kompromissbereitschaft, ein Geist der Zusammenarbeit.

Zusatzfrage: Ich habe vielleicht etwas "verschwurbelt" gefragt. Noch einmal: Sieht denn die Kanzlerin noch Chancen, Herrn Juncker irgendwie zum Kommissionspräsidenten zu machen, ihn durchzusetzen und gleichzeitig die Briten in der EU zu halten?

StS Seibert: An der Haltung der Bundeskanzlerin, wie sie sie in ihrer Regierungserklärung ausgedrückt hat, hat sich nichts geändert.

Zusatzfrage: Schließt sie sich der Auffassung an, dass sich die Benennung von Spitzenkandidaten gegen die EU-Verträge stellt?

StS Seibert: Da die Bundeskanzlerin in ihrer Eigenschaft als Parteivorsitzende ja an der Benennung eines Spitzenkandidaten in Dublin beteiligt war, wie Sie sich sicher erinnern, hat sie sicherlich nicht gegen die EU-Verträge verstoßen. Wichtig ist, dass wir bei dem Prozess, der jetzt durchlaufen werden muss, den Vertrag von Lissabon einhalten. Das heißt, dass der Europäische Rat seiner Aufgabe und seiner Verantwortung gerecht wird. Genau das wird jetzt geschehen, und dafür beginnt Herman Van Rompuy seine Konsultationen sowohl zu personellen Fragen als auch vor allem zu inhaltlichen Fragen. Dass das in einem Geist geschieht, den die Bundeskanzlerin den "europäischen Geist" nennt, also in einem kollegialen, kompromissbereiten, kooperativen Geist, ist die Erfüllung der europäischen Verträge.

Frage: Herr Seibert, Sie sagten, dass es gut und richtig sei, dass der britische Premierminister seine Meinung darlegt. Findet denn die Kanzlerin es auch hilfreich, dass der Premierminister so deutlich seine Ablehnung von Juncker darlegt, während sie in Schweden noch einmal den europäischen Geist betont hat? Das ist jetzt keine Drohung gewesen, aber es ist doch eine sehr dezidierte Haltung, die im Grunde genommen Kompromisse in der Sache unmöglich macht.

Zweitens. Es ist am Ende immer von einer Paketlösung die Rede. Könnte diese Paketlösung auch beinhalten, dass möglicherweise Großbritannien gegenüber inhaltliche Zugeständnisse gemacht werden und im Gegenzug möglicherweise doch noch Herr Juncker, den ja auch die Bundeskanzlerin unterstützt, Kommissionspräsident wird?

StS Seibert: Ich habe den Text des britischen Premierministers über das hinaus, was ich gesagt habe, hier nicht weiter zu bewerten. Die Haltung, die er darin ausdrückt, ist der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin tatsächlich bekannt, genau wie unsere Haltung bekannt ist. Jetzt greift das, was der Europäische Rat bei seiner letzten Begegnung am 27. Mai beschlossen hat, nämlich dass Herman Van Rompuy als Ratspräsident die Konsultationen mit den Mitgliedstaaten und vor allem auch mit dem Europäischen Parlament führt. Das sind insbesondere natürlich auch Konsultationen zu inhaltlichen Themen - darum ging es ja zum Beispiel auch bei dem Treffen in Schweden -, dass wir uns - und darin stimmen alle Länder, die im Europäischen Rat vertreten sind, überein - auf die zentralen Zukunftsfragen konzentrieren müssen. Das heißt, eine inhaltliche wie personelle Konsultation beginnt jetzt, Herman Van Rompuy führt sie durch und er hat das Mandat dafür. Diesen sicherlich nicht einfachen Prozess sollten wir unterstützen, indem wir nicht jeden Tag von der Seite hereinrufen, sondern indem wir ihm jetzt auch die Zeit geben, die er braucht.

Frage: Herr Seibert, hat die Bundeskanzlerin denn schon dem früheren Bundespräsidenten Wulff zu seiner juristischen Rehabilitation gratuliert?

StS Seibert: Es ist gut, dass das Verfahren gegen den früheren Bundespräsidenten nun endgültig abgeschlossen ist. Alle Vorwürfe gegen ihn wurden untersucht. Der Freispruch, den das Gericht erlassen hat, ist nun endgültig rechtskräftig. Jetzt, da dieses sicherlich belastende Verfahren, Kapitel vorbei ist, wünscht die Bundeskanzlerin Herrn Wulff alles Gute für ihn persönlich wie auch für alle seine künftigen Pläne und Vorhaben.

Zusatzfrage: Hat sie ihm das auch persönlich übermittelt?

StS Seibert: Das sage ich hier gerade für die Bundeskanzlerin.

Frage: Herr Seibert, teilt denn die Bundeskanzlerin die Einschätzung des Altpräsidenten, dass es sich in wesentlichen Teilen dieser Affäre um eine Verschwörung verschiedener Medien gegen ihn gehandelt habe, die auf unzulässige Art und Weise eine Kampagne gegen ihn geführt haben?

StS Seibert: Ich möchte nicht kommentieren, was der Altbundespräsident bei der Vorstellung seines Buches gesagt hat. Das, was ich dazu zu sagen habe, habe ich jetzt gerade gesagt.

Ansonsten kann man auch noch einmal nachlesen, was die Bundeskanzlerin am Tag seines Rücktritts gesagt hat. Das gilt natürlich auch weiterhin.

Frage: Meine Frage richtet sich an die Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums und bezieht sich auf die finanzielle Situation der gesetzlichen Krankenkassen. Wie besorgt ist der Minister, wenn er sich dieses Defizit anschaut? Es ist immerhin ein dreistelliger Millionenbetrag. Betrachten Sie das als einmaligen Ausrutscher oder gibt es schon irgendwelche Erkenntnisse, dass Sie wissen, woran das liegt?

Werden jetzt schon Konsequenzen gezogen oder gibt es für Sie eine Art Alarmglocke, noch ein Quartal abwarten? Es gibt ja Rücklagen und die Krankenkassen haben auch noch ausreichend Rücklagen. Die Koalition hat beschlossen, eigentlich den Zuschuss zum Gesundheitsfonds zurückzufahren. Ich hätte von Ihnen gerne den Stand der Dinge.

Berve-Schucht: Die Zahlen, die heute veröffentlicht worden sind, beruhen auf Recherchen von Zeitungen. Das sind nicht unsere Zahlen und insofern kommentieren wir diese auch nicht.

Die offizielle Statistik zum ersten Quartal der Krankenkassen wird nächste Woche von uns veröffentlicht und dann auch entsprechend eingeordnet und bewertet.

Man kann vielleicht noch dazu sagen, dass die Zahlen für das erste Quartal nur bedingt für das ganze Jahr aussagefähig sind, weil einfach bestimmte Zahlungen fehlen: Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und solche Dinge sind nicht enthalten. Insofern kann man sie nur bedingt für das ganze Jahr anwenden. Das muss man dabei in Betracht ziehen.

Zusatzfrage: Eine Lernfrage: Das heißt, das Ministerium geht davon aus, dass diese Gründe für dieses erste Quartal ausschlaggebend sind und nicht steigende Gesundheitskosten?

Berve-Schucht: Wir werden, wie gesagt, nächste Woche unsere Einordnung dazu geben. Wir kommentieren das jetzt nicht.

Frage: Eine Frage an das BMZ zum Thema Syrien. Herr Minister Müller hat vergangene Woche im Bundestag die Einberufung eines EU-Sonderrates zur Flüchtlingsproblematik in Syrien gefordert. Ich wollte gerne wissen, ob diesen Worten schon Taten gefolgt sind. Ich weiß zwar nicht, wer so einen Sonderrat einberufen darf, aber ich denke, wenn die Bundesregierung diesen Wunsch äußert, wird dem mit großer Sicherheit Folge geleistet. Ist da schon etwas passiert?

Die zweite Frage in diesem Zusammenhang: Der Minister hat gesagt, in der EU werde in der Flüchtlingsfrage zu wenig getan. Hat er Deutschland auch damit gemeint? Sieht er da in Deutschland auch noch Nachholbedarf?

Mänz: Zu Ihrer ersten Frage, was die Forderung nach einem EU-Sonderrat angeht: Diesem Wunsch ist die EU bislang nicht nachgekommen. Es wird aber Mitte des Monats - das genaue Datum habe ich nicht im Kopf; ich glaube, es ist der 20. Juni - einen informellen Entwicklungsministerrat auf Wunsch der Italiener zum Thema "Migration" geben.

Zu Ihrer zweiten Frage: Sie wissen, dass gerade die Innenminister beschlossen haben, weitere 10.000 Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Das trifft sicherlich auch auf die Zustimmung des Ministers. Er hat insgesamt gefordert, dass die EU sich deutlich stärker engagieren müsse und hat in jüngster Zeit - zuletzt vor einigen Tagen - gefordert, dass es einen eigenen Flüchtlingskommissar innerhalb der EU-Kommission geben solle.

Zusatzfrage: Die Kanzlerin hat Anfang Februar beim Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan angekündigt, dass der Minister zusammen mit der Staatsministerin für Integration in die Türkei reisen werde beziehungsweise sich Flüchtlingslager anschauen werde. Meines Wissens ist das noch nicht passiert. Wird das noch geschehen oder fällt das aus?

Mänz: Darüber bin ich aktuell tatsächlich nicht auf dem letzten Stand. Dazu müsste ich noch einmal nachfragen und die Antwort gegebenenfalls nachreichen.

Frage: Ich habe eine Frage an das Bundeswirtschaftsministerium. Es geht um das Thema EEG. Nachdem gestern die Ministerpräsidenten der Länder und der Bund anscheinend nicht näher zusammenkamen, die Frage: Wird das Wirtschaftsministerium jetzt die EEG-Reform noch etwas verändern und an einzelnen Punkten nacharbeiten? Können Sie uns sagen, wann die Eckpunkte des Reformpakets nach Brüssel gemeldet werden?

Toschev: Vielen Dank für die Frage. Was die EEG-Reform angeht, so wissen Sie, dass die Bundesregierung dieses Vorhaben mit Hochdruck vorantreibt und sich ihm alle Beteiligten widmen. Davon zeugen auch die Gespräche, die die Beteiligten gestern geführt haben.

Wir haben einen Entwurf vorgelegt, der sich jetzt im parlamentarischen Verfahren befindet und dort diskutiert wird. Ich habe nicht vor, die einzelnen Überlegungen aus dem parlamentarischen Raum zu kommentieren. Die Sache liegt jetzt dort.

Der Entwurf, den wir vorgelegt haben, ist klar. Man kann sehen, wie unser Entwurf zu den aktuellen Punkten steht, was beispielsweise Eigenstromversorgung und Ausnahmen angeht, die für Kleinanlagen vorgesehen sind, also für den Häuslebauer mit einer Solaranlage auf dem Dach. Das sah unser Entwurf vor.

Die Gespräche dazu laufen derzeit. Die Sache befindet sich im parlamentarischen Verfahren. Nachdem das dort seinen Abschluss gefunden hat, werden die Fraktionen ihre Überlegungen sicherlich vorstellen. Dann wird das seinen weiteren Gang gehen.

Die Notifizierung, nach der Sie fragten, ist erfolgt. Das ist bekannt. Der Endstand wird dann sicherlich mit der Kommission abgestimmt werden. Der Vorgang wurde schon eingeleitet, auch um das zeitliche Ziel zu halten.

Zusatzfrage: Zum ersten Punkt möchte ich noch nachfragen. Meine Frage zielte etwas mehr darauf, ob Sie selber als Wirtschaftsministerium nach den Gesprächen, die gestern stattgefunden haben, Änderungsvorschläge in das laufende parlamentarische Verfahren hineingeben würden, weil absehbar ist, dass der Bundesrat möglicherweise mit dem, was im Bundestag beschlossen wird, nicht zufrieden sein wird und man einen Vermittlungsausschuss riskiert?

Toschev: Diese Gespräche haben noch keinen Endstand erreicht. Deshalb kann ich Ihnen auch nicht sagen, was dann hypothetisch geschehen würde. Der Entwurf befindet sich im parlamentarischen Verfahren. Änderungen kämen zunächst aus dem parlamentarischen Raum. Danach ergibt sich alles Weitere.

Frage: Meine Frage steht damit vielleicht in einem weiteren Zusammenhang und richtet sich zunächst auch an das Wirtschaftsministerium. Sie betrifft die Gasreserve und die Problematik, die von Bayern unterstrichen wurde, dass demnächst ein Viertel der deutschen Erdgasspeicher im Besitz ausländischer Investoren stehen. Sieht das Wirtschaftsministerium darin möglicherweise Probleme? Muss das gesetzlich geregelt werden, damit der Zugriff auch künftig gesichert bleibt?

Toschev: Was den Aufbau einer sogenannten strategischen Gasreserve angeht, kann ich Ihnen sagen, dass wir bisher gute Erfahrungen mit der Gewährleistung der Erdgasversorgung durch die Erdgasunternehmen selber gemacht haben. Das ist anders geregelt als etwa auf dem Ölmarkt, wo es eine strategische Ölreserve gibt. Die Märkte als solche sind faktisch auch nicht unbedingt miteinander vergleichbar. Erdgas ist an die Pipelineinfrastruktur gebunden, während Erdöl liquide und transportabler ist.

Die Rolle der Speicher wird momentan diskutiert. Wir nehmen diese Überlegungen wahr und auch auf. Dabei spielt eine Rolle, dass die Speicher nach den Vorschriften des Dritten Energiebinnenmarktpakets nicht nur für die Sicherung der Gasversorgung, sondern auch für Handelsgeschäfte genutzt werden können. Die Überlegungen dazu laufen. Dabei wird keine Option ausgeschlossen.

Zur Einordnung möchte ich Ihnen noch ein paar Informationen im Zusammenhang mit den Speichern geben. Deutschland verfügt über große Gasspeicherkapazitäten. Die Speicher haben die weltweit viertgrößte Kapazität. Sie sind - gerade zu dieser Jahreszeit - gut gefüllt. Die Speicherkapazität wurde im Vergleich zum vergangenen Winter um 10 Prozent ausgebaut. Anhaltspunkte für Lieferschwierigkeiten gibt es diesbezüglich nicht. Soweit einige Informationen darüber, wie sich der Speicherstand darstellt.

Wie ich eingangs sagte: Wir haben gute Erfahrungen gemacht, nehmen aber auch die Überlegungen auf. Dabei wird keine Option ausgeschlossen.

Zusatzfrage: Können Sie das ein wenig konkretisieren? Was heißt das, dass keine Option ausgeschlossen wird?

Toschev: Das kann ich momentan nicht im Einzelnen sagen. Wir werden es uns anschauen. Sicherlich spielt die aktuelle Lage eine Rolle. Nicht zu vergessen ist, dass ja auch auf EU-Ebene Bestrebungen bestehen, um die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Das muss sicherlich in Abstimmung mit den europäischen Partnern erfolgen. Diese Überlegungen begrüßen wir. Es sollte auch eine europäische Lösung gefunden werden. Im Einzelnen kann ich das jetzt noch nicht bewerten.

Frage: In diesem Zusammenhang möchte ich nach LNG fragen. Ist das Wirtschaftsministerium aktiv geworden, was den Bau eines LNG-Anlandeterminals in Deutschland angeht? Bisher laufen die Importe ja meistens über Rotterdam. Hat das Wirtschaftsministerium aktiv eine Rolle gespielt und ist auf E.ON, das wohl in Wilhelmshaven bauen wollte, zugegangen? Denn das würde die Versorgungssicherheit erhöhen.

Toschev: LNG ist eine Möglichkeit zur Erhöhung der Versorgungssicherheit und zur Diversifizierung, die wir vorantreiben wollen. Das muss auch im europäischen Kontext erfolgen. Es ist richtig, dass momentan kein deutsches LNG-Terminal existiert. Es gibt auch kein aktives Vorantreiben unsererseits. Das ist zunächst einmal eine wirtschaftliche Frage, die Investoren beantworten müssen. In den Niederlanden gibt es LNG-Terminals. Auch in anderen Nachbarländern - Stichwort Polen - gibt es diesbezüglich Fortschritte. Das Ganze wird als ein Baustein in die Kommissionsüberlegungen zur Versorgungssicherheit eingebunden. Ein aktives Vorantreiben dieses einen LNG-Terminals, nach dem Sie konkret fragten, gibt es jedoch nicht.

Zusatzfrage: Ich will die Frage zuspitzen: Bedarf es keines eigenen deutschen LNG-Terminals, um die Versorgungssicherheit Deutschlands zu gewährleisten?

Toschev: Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet. Was Erdöl angeht, so können wir es über andere Terminals beziehen, wie es momentan auch der Fall ist. Auch ohne LNG-Terminal in Deutschland ist die Versorgungssicherheit gewährleistet.

Schäfer: Sie hatten nach der Zahl der OSZE-Beobachter gefragt. Die Zahlen liegen mir nun vor, und ich kann sie Ihnen nennen. Zurzeit sind 230 OSZE-Beobachter in den Regionen des Landes im Einsatz, auf die sich der OSZE-Rat vor Monaten geeinigt hat. Davon sind exakt 10 Prozent Deutsche, nämlich 23.

Nach der Entscheidung des OSZE-Rates über die Einrichtung einer solchen Beobachtermission ist sie bis zum 21. September befristet. Ginge es nach uns, dann würden wir uns wünschen, dass über eine Verlängerung dieser Mission bereits vor der Sommerpause positiv entschieden würde.

Frage: Herr Seibert, mich würde interessieren, ob sich die Bundeskanzlerin mit Blick auf die Entwicklung im Irak schon in diplomatische Konsultationen zum Beispiel mit Herrn Obama oder mit Herrn Erdogan begeben hat.

StS Seibert: Lassen Sie mich zu der Entwicklung im Irak Folgendes sagen: Die jüngste Entwicklung versetzt die Bundesregierung natürlich in größte Sorge. Was wir dort an Besetzungen und terroristischen Angriffen erleben, das verurteilt die Bundesregierung auf das Allerschärfste. Dazu gehört auch die Geiselnahme Dutzender türkischer Staatsbürger, darunter auch Diplomaten. Wir haben es dort unzweifelhaft mit einer sehr ernsten terroristischen Bedrohung zu tun, die mögliche Auswirkungen auf die Stabilität des Iraks und auch auf die Stabilität dieser ohnehin sehr fragilen Region hat. Deswegen appelliert die Bundesregierung an alle politischen Kräfte im Irak, zügig eine inklusive Regierung zu bilden, die den Bedürfnissen aller Bevölkerungsgruppen gerecht wird.

Über einzelne Gespräche der Bundeskanzlerin in diesem Zusammenhang kann ich Ihnen jetzt noch nicht berichten.

Zusatzfrage: Gibt es in der Bundesregierung Überlegungen, die Beurteilung eines Landes wie Saudi-Arabiens, das gern als Stabilitätsanker in dieser Region bezeichnet wird, unter dem Gesichtspunkt des Beitrags, den Saudi-Arabien zu der Entwicklung im Irak geleistet hat, neu zu überdenken?

StS Seibert: Ich denke, die Einschätzung der Rolle einzelner Länder in dieser wirklich sehr komplizierten Region muss immer wieder neu vorgenommen werden. Sie gilt nie ein für alle Mal, sondern muss immer wieder im Lichte dessen, was geschieht und was man erfährt, neu vorgenommen werden. Zunächst einmal gilt jetzt die Einschätzung, dass wir es im Irak mit einer sehr bedrohlichen terroristischen Situation zu tun haben.

Frage: Herr Seibert, ich würde gern erfahren, ob sich aus der Entwicklung im Irak Rückschlüsse auf Afghanistan ziehen lassen. Der Abzug des Westens nach einer militärischen Intervention führt ja anscheinend nicht immer dazu, dass eine stabile Lage entsteht. Das hat man in Libyen und im Irak gesehen. Nun gibt es beschlossene Pläne zum Abzug aus Afghanistan. Muss das neu überdacht werden, weil man im Irak die Erfahrung macht, dass Stabilität danach nicht unbedingt gewährleistet ist?

StS Seibert: Ihrer Bemerkung, dass Stabilität nicht grundsätzlich gewährleistet ist, muss man zustimmen. Dennoch würde ich keine Eins-zu-eins-Parallelen von einem Land zu einem anderen Land, das viele Flugstunden entfernt liegt und in dem ganz eigene Bedingungen herrschen, ziehen. In Afghanistan - darüber haben wir hier oft gesprochen - ist eben nicht nur in den militärischen Einsatz viel Arbeit geflossen, sondern auch in den zivilen Einsatz. Da hat die Entwicklungsarbeit eine große Rolle gespielt. Ich denke, das ist eine ganz andere Situation, als wir sie jetzt im Irak erleben.

Zusatzfrage: Ich möchte noch einmal nachfragen. Heißt das, dass Sie nach einem Abzug des Westens keine ähnliche Entwicklung befürchten?

Schäfer: Auch aus meiner Sicht kann man die Situation im Irak nicht einfach schablonenhaft auf die Lage in Afghanistan übertragen oder gar mit ihr gleichsetzen. Die Parallelen, die es geben mag, sind aus unserer Sicht zunächst oberflächlicher Natur. In Afghanistan besteht eine ganz andere Lage. Niemand weiß, was 2015, 2016 und 2017 passieren wird, weder in Afghanistan, noch im Irak oder sonst wo.

Das, was die internationale Gemeinschaft in Afghanistan zurzeit tut, ist, genau das zu verhindern, was Sie ansprechen, nämlich ein mögliches Sicherheitsvakuum. Seit Jahren engagiert sich die internationale Gemeinschaft - darunter auch Deutschland - mit viel Geld, Know-how und sehr viel Manpower dafür, dass nach dem Abzug der internationalen ISAF-Kampftruppen aus Afghanistan Ende 2014 die afghanischen Sicherheitskräfte in der Lage sind, mit den Herausforderungen und den Gefahren für die Sicherheit des Landes umzugehen. Dazu wird viel Geld investiert, und wir haben auch bereits Erfolge erzielt. Nicht zuletzt haben wir zurzeit eine Situation in Afghanistan, in der zunächst die afghanischen Sicherheitskräfte selber flächendeckend für die Sicherheit im Land verantwortlich und die ISAF-Truppen sozusagen einen Schritt zurück getreten sind, um auf diese Art und Weise zunächst den afghanischen Sicherheitskräften selber - den Sicherheitskräften eines souveränen Landes - die Aufgabe zu überlassen, für die Sicherheit zu sorgen.

Deshalb wiederhole ich: Niemand kann vorhersehen, was 2015 und danach in Afghanistan passieren wird. Aber niemand kann der internationalen Gemeinschaft vorwerfen, dass wir nicht alles in unserer Macht stehende versuchen würden, um die afghanischen Sicherheitskräfte auf die Herausforderungen, denen sie sich dann selber zu stellen haben, vorzubereiten und sie das selber anpacken zu lassen.

Frage: Herr Seibert, Sie haben gerade gesagt, dass es immer wieder neue Einschätzungen zu einzelnen Staaten gibt. Die Bundesregierung hat Saudi-Arabien wiederholt einen Stabilitätsanker in der Region genannt. Hat sich an dieser Einschätzung etwas geändert, auch vor dem Hintergrund, dass saudisches Geld und saudische Waffen an die dschihadistischen Gruppierungen in Syrien und auch im Irak fließen?

StS Seibert: Angesichts dessen, was aktuell im Irak passiert, ist es, meine ich, nicht der Moment, um leichtfertig Parallelen zu etwas, was möglicherweise in Syrien geschieht, zu ziehen. So einfach ist das nicht.

Ich habe ganz generell die Bemerkung gemacht, dass die Einschätzung der Rolle eines Landes in einer Region im Lichte dessen, was geschieht, immer wieder neu zu treffen ist. Dabei habe ich nicht nur über dieses eine Land gesprochen.

Zusatzfrage : Herr Schäfer, Ihr Politischer Direktor Herr Lucas, der auch Verhandlungsführer in den E3+3-Gesprächen im Iran ist, fliegt heute nach Teheran zu Gesprächen mit der iranischen Seite. Können Sie sagen, welches Ziel diese Reise hat? Werden sich dieses Gespräche nur auf die Nukleargespräche fokussieren, oder werden auch regionale Themen - Stichwort Irak - erwähnt?

Schäfer: Es trifft zu, dass sich der Politische Direktor des Auswärtigen Amtes, Herr Lucas, in den nächsten Tagen in Teheran aufhalten wird. Das tut er, weil er neben vielen anderen Gästen aus der Welt, aus Europa und aus Deutschland zu einer Veranstaltung der Körber-Stiftung des Bergedorfer Gesprächskreises eingeladen ist. Es trifft ebenfalls zu, dass er am Rande dieser Veranstaltung mit Vertretern der iranischen Regierung zusammentreffen wird, um mit ihnen das Gespräch über aktuelle Fragen im Zusammenhang mit den Verhandlungen der E3+3 mit dem Iran über das iranische Nuklearprogramm zu führen. Das fügt sich in einen Rahmen ein, in dem, wie Sie wissen, auch in dieser Woche bereits andere Partner der E3+3 - die Amerikaner und insbesondere die Franzosen - bilaterale Gespräche mit dem Iran geführt haben.

Das soll dem Ziel dienen, in den durchaus unter einigem Zeitdruck stattfindenden Verhandlungen bis zum Ende der sechsmonatigen Frist am 20. Juli, auf die man sich für die Verhandlungen geeinigt hat, eine Lösung zu finden, die für alle Beteiligten, insbesondere für uns und unsere Partner in den E3+3, einen vernünftigen, tragfähigen und glaubwürdigen Abschluss darstellt, mit dem wir ausschließen können, dass das iranische Nuklearprogramm für militärische Zwecke genutzt wird.

Zusatzfrage: Werden sich diese Gespräche nur auf die Nuklearfrage beschränken, oder werden auch die regionalen Themen erwähnt?

Schäfer: Ich kann den Gesprächen nicht vorgreifen. Ich halte es für möglich, dass es, wenn sich Vertreter der Bundesregierung und des Auswärtigen Amtes in Teheran aufhalten, auch Gespräche geben wird, die die bilateralen Beziehungen und die Lage in der Region zum Gegenstand haben. Das kann ich Ihnen aber vorweg nicht bestätigen, weil es ja noch nicht stattgefunden hat.

Zusatzfrage: Ist das Datum 20. Juli weiterhin realistisch? Es gibt jetzt Medienmeldungen, die besagen, dass die Gespräche sogar bis zum 20 Januar verlängert werden könnten.

Schäfer: Ich habe bereits gesagt, dass Zeitdruck entsteht, weil jetzt nur noch wenig mehr als fünf Wochen vor uns liegen. Die nächste multilaterale Verhandlungsrunde der E3+3 mit dem Iran findet in Kürze in Wien statt. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass das ein wichtiger Moment ist, bei dem die sechs Beteiligten auf der Seite der E3+3 und der Iran mit Blick auf den engen Zeitplan Fortschritte erzielen sollten.

Ich kann nicht erkennen, dass es derzeit unter den E3+3 bereits Gespräche darüber gibt, ob man die Frist verlängert, sondern wir wollen alles daran setzen, bis zum 20. Juli ein Ergebnis zu erzielen. Diesen Rahmen hat man sich gesteckt; in diesem Rahmen muss eine Lösung erreicht werden.

Frage: Ich habe zwei Fragen zu einem innenpolitischen Thema, nämlich zum Mindestlohn, an das Arbeitsministerium und an Herrn Seibert.

Aus der Union kommen immer wieder Forderungen nach weiteren Ausnahmeregelungen. Ist die Ministerin prinzipiell noch zu geringfügigen Änderungen bereit? Oder bleibt das, was die Ausnahmeregelungen angeht, grundsätzlich so bestehen, wie es im Gesetzentwurf beschrieben ist?

An Herrn Seibert geht meine Frage, wann sich die Kanzlerin hierbei zu Wort melden wird, weil gerade aus ihrer Partei die Forderungen kommen, die zum Teil auch recht widersprüchlich sind.

Westhoff: Die Ministerin hat sich zuletzt vergangenes Wochenende in einem Interview in einer Sonntagszeitung dazu geäußert. Dem kann ich nicht viel hinzufügen. Sie hat noch einmal deutlich gemacht, dass es aus ihrer Sicht dabei bleibt, dass keine ganzen Branchen ausgenommen werden können. Es bleibt bei den bisher vereinbarten Ausnahmen - Praktikanten, Ausbildung, auch das Ehrenamt ist dabei noch zu nennen.

Ansonsten läuft im Moment das parlamentarische Verfahren. Wir alle wissen, dass Gespräche geführt werden. In diesem Rahmen sehe ich auch die Äußerungen und Diskussionen, die im Moment zu vernehmen sind. Für die Ministerin ist deutlich und klar - es steht nicht umsonst so im Gesetzentwurf -, dass keine ganzen Branchen ausgenommen werden können. Was weitere Punkte betrifft wie etwa die Mindestlohnkommission oder die Frage, in welchem Rhythmus und mit welchem Verfahren ein Mindestlohn angepasst wird, so ist, denke ich, deutlich geworden, dass dort durchaus noch Offenheit für Veränderungen besteht.

Das weitere Verfahren müssen wir einfach abwarten. Die zweite und die dritte Lesung sind für den 4. Juli geplant. Bis dahin werden die Diskussionen sicherlich noch weitergehen. Dann wird man sehen, wo man am Ende steht. Aber feste Position ist nach wie vor: Alle Branchen bleiben dabei.

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin steht als Regierungschefin zu dem, was diese Regierungskoalition im Kabinett miteinander beschlossen hat. Der Mindestlohn ist ein gemeinsames Projekt. Es war immer klar, dass es eine intensive parlamentarische Befassung geben würde. In genau dieser befinden wir uns. Das ist ein völlig normaler Vorgang, den ich hier nicht zu kommentieren brauche. Die Bundeskanzlerin ist in ihrer Partei natürlich immer wieder im Gespräch.

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Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz vom 13. Juni 2014
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2014/06/2014-06-13-regpk.html;jsessionid=A31AB536D888EC062C9317C56119E1B7.s3t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2014