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PRESSEKONFERENZ/866: Regierungspressekonferenz vom 29. September 2014 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 29. September 2014
Regierungspressekonferenz vom 29. September 2014

Themen: Amtseinführung des neuen afghanischen Staatspräsidenten, Materialausstattung der Bundeswehr, beabsichtigter Verkauf der RWE-Tochter Dea an einen russischen Investor, Misshandlungsvorwürfe gegen private Sicherheitskräfte in Flüchtlingsunterkünften, Protestaktionen in Hongkong, Lage in der Ostukraine, Bekämpfung der Terrororganisation ISIS, Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada

Sprecher: StS Seibert, Schäfer (AA), Flosdorff (BMVg), Jäger (BMF), Braams (BMWi), Dimroth (BMI)



Vors. Detjen eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Schäfer: Es geht um das Thema Afghanistan. Sie haben heute sicherlich auch den Medien entnommen, dass es einen neuen afghanischen Präsidenten gibt. Aus diesem Anlass und für die Bundesregierung würde ich Ihnen gerne folgende Sätze des Außenministers vortragen:

"Ich beglückwünsche den neuen afghanischen Staatspräsidenten Ashraf Ghani. Wir wünschen ihm Glück und Erfolg. Mein Glückwunsch gilt auch dem neuen Regierungsvorsitzenden Abdullah Abdullah.

Heute schreibt Afghanistan Geschichte. Das über Jahrzehnte von Bürgerkriegen gepeinigte Land vollzieht den ersten friedlichen und demokratischen Machtwechsel. Das ist ein großer Erfolg, vor allem für die Menschen, die mutig und entschlossen den Drohungen der Taliban getrotzt haben und wählen gegangen sind.

Große Aufgaben stehen nun vor der neuen Regierung. Vordringlich ist es, jetzt zügig alle Voraussetzungen für ein fortgesetztes Engagement der internationalen Gemeinschaft zu schaffen. Deutschland und die internationale Gemeinschaft wollen Afghanistan weiter nach Kräften unterstützen."

Frage: Herr Schäfer, die Bundesregierung erwartet von der neuen afghanischen Regierung, alle Voraussetzungen für eine fortgesetzte Unterstützung Afghanistans zu schaffen. Können Sie ein bisschen konkretisieren, welche Voraussetzungen das sein sollen?

Schäfer: Das, was vordringlich ist, liegt auf der Hand: Es ist die Unterzeichnung des bilateralen Sicherheitsabkommens mit den Vereinigten Staaten von Amerika und darüber hinaus mit all den anderen Staaten - darunter Deutschland -, die sich bereit erklärt haben, ab Anfang 2015 an der Folgemission teilzunehmen. Das ist wirklich dringend. Das ist überfällig. Sie wissen, dass das eigentlich schon in der ersten Jahreshälfte über die Bühne gehen sollte und letztlich daran gescheitert ist, dass der Amtsvorgänger von Herrn Ghani, Herr Karsai, sich geweigert hat, das im Namen der afghanischen Regierung zu unterzeichnen. Wir gehen davon aus, dass es jetzt eher eine Frage von Stunden als von Wochen ist, dass die neue afghanische Regierung die ja unterschriftsreif vorliegenden Verträge unterzeichnet und dann auch zügig ratifiziert. Denn das ist und bleibt eine Voraussetzung dafür, dass diejenigen Nationen - darunter Deutschland -, die sich weiter in Afghanistan engagieren wollen, das auch tatsächlich tun können. Wir sind sehr zuversichtlich, dass uns das in den nächsten Tagen gelingen wird.

Ansonsten gilt: Afghanistan wird es überhaupt nur dann gut gehen und gut gehen können, wenn die Regierung all das fortsetzt, was auch schon die Regierung Karsai zu tun versucht hat, nämlich im Zusammenwirken und in Partnerschaft mit der internationalen Gemeinschaft darauf hinzuwirken, dass Reformen geschehen und dass die Möglichkeit besteht, dass sich die Menschen sozial und wirtschaftlich in einem Klima der Sicherheit weiterentwickeln können. Es gibt vonseiten der Bundesregierung, wie Sie sicherlich wissen - da gibt es ja eigentlich gar nichts Neues -, ein wirklich umfassendes Paket an Hilfeleistungen ziviler Natur und finanzielle Unterstützung für die afghanischen Sicherheitskräfte sowie das Angebot, dass die Bundeswehr im Rahmen einer Ausbildungs- und Beratungsmission noch über 2014 hinaus im Lande bleibt. Aber dafür ist, wie gesagt, klare Voraussetzung, dass wir willkommen sind, dass wir von der afghanischen Regierung dazu eingeladen werden und dass die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, und zwar so schnell wie möglich.

Frage: Herr Flosdorff, könnten Sie uns jetzt noch einmal erklären, wie das letzte Woche mit dieser Liste gelaufen ist, die Ihr Haus dem Ausschuss vorgelegt hat, wie Sie selbst zu dieser Klarstands- oder Einsatzbereitschaftsliste der Bundeswehr stehen, was das Gespräch mit den Inspekteuren der Teilstreitkräfte am vergangenen Freitag sollte und was es gebracht hat?

Flosdorff: Das ist ein umfangreicherer Themenkomplex. Der Bericht der Inspekteure im Ausschuss hatte einen längeren Vorlauf. Es gab ja die Bitte, dass die Inspekteure dort einmal etwas zur Einsatzfähigkeit des Materials vortragen. Die Berichterstattung hierüber ist ja gelaufen. Es gibt ja Informationen darüber, welches Bild die Inspekteure dort gezeichnet haben. Das ist auch das Bild, das die Inspekteure gegenüber der Ministerin am Freitag in der einberufenen Sitzung gezeichnet haben. Die Inspekteure sind ja für die Beurteilung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr verantwortlich. Insofern nehmen wir diese ganzen Meldungen und Zahlen natürlich sehr ernst. Es wurde auch intensiv darüber gesprochen, wie die Entwicklung der letzten Jahre war und wohin die Entwicklung gehen muss.

Was die Materiallage bei der Bundeswehr angeht: Ein Stichwort ist das in den letzten Jahren erfolgte und Ihnen sicherlich auch bekannte Herunterfahren der Ersatzteilproduktion, der Instandsetzung und der regelmäßigen Inspektionen, das aus der Historie heraus auch verständlich ist. Man hat sich auf die Einsätze konzentriert. Das beste und modernste Material ging in die Einsätze, aber dabei wurden doch seit geraumer Zeit die Probleme beiseite geschoben, die man dann auf Dauer im Unterbau hat. Wir sehen jetzt an einigen Systemen, dass sich sehr kritisch äußert, dass wir einen niedrigeren Klarstand haben, als wir ihn uns vorstellen und als auch noch im letzten Jahr prognostiziert worden ist.

Dieses Thema werden wir jetzt angehen. Das ist auch so mit den Inspekteuren besprochen worden. Sie werden innerhalb eines enger getakteten Zeitraums dann auch direkt der Hausspitze und der Ministerin darüber berichten. Das heißt, wir müssen - das ist ein langfristiger Prozess, der sich nicht von heute auf morgen korrigieren lässt - die Systeme sowohl bei der Instandsetzung und den Prüfungen als aber auch beim Material wieder höherfahren, sodass wir eine Ausrüstung haben, die auch den gestiegenen Anforderungen an die Bundeswehr - das haben wir alle in den letzten Wochen erlebt - und der Verantwortung gerecht wird, der sich Deutschland nicht entziehen kann, Stichwort Ebola oder auch "Kampf gegen IS im Irak".

Frage: Herr Seibert, das, was Herr Flosdorff gerade gesagt hat und was die Ministerin auch am Wochenende gesagt hat, war: Das kostet alles mehr Geld. Die Verteidigungsministerin fordert einen höheren Wehretat. Wie steht die Bundeskanzlerin dazu? Oder sind das alles nur Managementprobleme, wie die SPD es sieht?

StS Seibert: Zunächst einmal muss man sagen: Die Haushaltsberatungen für 2015 laufen ja bereits, und die Ministerin selbst hat auch deutlich gemacht, dass es ihr nicht um eine Etaterhöhung für 2015 geht, sondern dass sie einen mittelfristigen Ansatz verfolgt. Dabei gilt, was für jeden Minister und jedes Ressort gilt: Je nach Bedarf und Aufgabenentwicklung müssen Anträge auf Haushaltsmittel gestellt werden, und über die wird dann zu reden sein. Aber das ist, wie gesagt, nichts Kurzfristiges, und mit kurzfristigen Veränderungen ist dabei auch nicht zu rechnen.

Ich will vielleicht grundsätzlich zu dem Prozess, den Herr Flosdorff gerade beschrieben hat, noch einmal sagen, dass dieser Prozess und das, was die Ministerin im Verteidigungsministerium gerade macht, die volle Unterstützung der Bundeskanzlerin haben. Sie legt die Dinge auf den Tisch. Sie schafft einen Überblick über die Lage, wie sie ist. Das ist die Voraussetzung dafür, dass man dann auch Probleme aufarbeiten kann, die sich eben im Laufe vieler Jahre ergeben haben. Das hat, wie gesagt, die Unterstützung der gesamten Bundesregierung.

Zusatzfrage: Ich habe eine Nachfrage zu Frage der Bündnisbereitschaft: Sieht die Bundesregierung diese Bündnisbereitschaft bedroht, nachdem offensichtlich bestimmten Materialanforderungen nicht innerhalb des nötigen Zeitraums nachgekommen werden könnte? Gab es dazu eventuell schon Kontakte mit der Nato?

Flosdorff: Ich übernehme das an dieser Stelle noch einmal: Die laufenden Einsätze und die kurzfristige Krisenreaktion der Nato sind davon nicht berührt. Das kann die Bundeswehr leisten. Probleme aufgrund fehlender Ersatzteile - Stichwort "Klarstand" und "größere Zahl von Material" - oder durch den Ausfall der Marinehubschrauber gibt es aktuell bei den fliegenden Systemen. Das betrifft den "Nato Defence Planning Process". Das ist ein langfristiges Gefüge von Zielwerten, die die Nationen für den Alarmfall melden. Es geht darum, was man innerhalb von 180 Tagen alles an Gerät zur Verfügung stellen will. Das heißt nicht, dass wir da gar nichts zur Verfügung stellen. Wir erreichen aber die Zielzahl, die vor einem Jahr angemeldet worden ist, derzeit nicht.

Frage: Ich möchte auch noch einmal darauf zurückkommen. Herr Seibert, die Bundeskanzlerin hat sich im Baltikum hingestellt und gesagt: Wir stehen an eurer Seite. - Nun hat man den Eindruck, Deutschland könnte dieser Aufgabe gar nicht gerecht werden, weil es das Material unsere Kräfte nicht einmal ins Baltikum bekäme. Sie sagen, Herr Flosdorff, die kurzfristige Krisenreaktion sei gewährleistet. Das behaupten Sie so. Die Ebola-Krise stand auch unter der Schwierigkeit, Material dorthin zu bekommen beziehungsweise mit angemietetem Material zu fliegen.

Ich frage einmal so: Internationale Verantwortung und Auslandseinsätze wahrzunehmen, ist das eine, aber ist die Verteidigungsfähigkeit in diesem Land überhaupt gewährleistet, wenn das Material nicht einmal aus der Garage herauskommt?

StS Seibert: Herr Flosdorff, sofort, da ich jetzt im Namen der Bundeskanzlerin angesprochen wurde: Das, was die Bundeskanzlerin bei Ihrem Besuch im Baltikum gesagt hat, steht selbstverständlich. Das gilt sowohl für die Aussage, dass wir an der Seite unserer Bündnispartner stehen, als auch für die Aussage, dass Artikel 5 kein Papierartikel ist, sondern dass er im Falle eines Falles auch mit Leben erfüllt wird.

Die Bundeswehr erfüllt ihre Aufgaben, die derzeit so vielfältig wie vielleicht noch nie sind. Auch unsere Partner in Europa sowie auch im transatlantischen Bündnis erleben die Bundeswehr und Deutschland als einen einsatzfähigen und engagierten Partner.

Zusatzfrage: Wie wollen Sie das erfüllen? Wie wollen Sie es einhalten, an der Seite der Partner zu stehen, wenn das Material dafür fehlt?

Flosdorff: Ich sage es noch einmal: Das, was wir an die Nato gemeldet haben, also die kurzfristigen Zahlen, wird alles erfüllt. Zum Beispiel fliegen heute und jeden Tag "Eurofighter" im Baltikum im Rahmen des Air Policing. Es gibt Beteiligungen Deutschlands an schwimmenden Einheiten der Nato in der Ostsee und anderswo. Deutsche Besatzungen sind in den AWACS-Einsätzen im Rahmen der Nato engagiert.

Hier geht es um Zielzahlen. Es gibt einen Prozess, der damals, im Jahr 2012, in Chicago aufgesetzt worden ist. Dort hat man grundsätzlich gefragt "Was traut ihr euch zu? Was könnt ihr für die Zukunft anmelden?", und so etwas wird jährlich wieder abgefragt. Da ist es so, dass wir im Moment nicht die Zahl an "Eurofighter"-Maschinen erreichen, die wir eigentlich für diese Zeitraum vorhalten wollten, so, dass man mit einem halben Jahr Vorlauf eine Meldung bekommt und dann innerhalb eines halben Jahres die "Eurofighter" in die Luft bekommt. Da liegen wir darunter. Wir liegen jetzt auch nicht wesentlich darunter. Zwei Drittel dieser Zahl werden erreicht; das ist auch nicht das Problem. Wenn man sich irgendwie anstrengt, dann kann man diese Zahl innerhalb eines halben Jahres sicherlich auch noch steigern. Wir erreichen sie nicht ganz. Es steht hier nicht irgendwie die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit infrage. Es stehen jetzt Zielmeldungen und Planziele infrage, die man vielleicht im vergangenen Jahr - (im Vergleich mit dem,) was jetzt, im Sommer 2014, aufgrund einer Ersatzteillage, wie sie sich im Moment darstellt, entwickelt hat - zu optimistisch beurteilt hat.

Frage: Wenn die Rede davon ist, dass das Prozesse sind, die doch einiger Zeit bedürfen, also die Ersatzteilbeschaffung auf den Stand zu bringen, dass die Ausrüstungsgegenstände funktionieren, gibt es denn dann so etwas wie einen Zeitplan? Sagt man "Unser Ziel ist es, das Problem jetzt anzugehen und in eineinhalb Jahren auf dem Stand zu sein, dass wir wieder sämtliche Verpflichtungen erfüllen, die wir eingegangen sind, oder Versprechungen erfüllen, die wir gemacht haben"?

Mich interessiert zum Zweiten Folgendes: Die Bundesverteidigungsministerin ist ja nun noch nicht so lange im Amt. Die Bundeskanzlerin ist als Bundeskanzlerin länger im Amt. Wenn die Bundesverteidigungsministerin sagt "Das sind Probleme, die sich über längere Jahre hinweg aufgestaut haben", muss sich die Bundeskanzlerin dann nicht in einer Verantwortung sehen, weil sie ja nicht erst seit dieser Legislaturperiode amtiert? Ganz konkret gefragt: Gibt es bei der Bundeskanzlerin so etwas wie Selbstkritik in Bezug darauf, etwas versäumt zu haben, das man nun ausbaden muss?

StS Seibert: Ich will auf diese Frage nur ganz kurz antworten, dass die Bundeswehr seit 2005 in einer Vielzahl von Missionen und Einsätzen ihre Leistung erbracht hat, dass sie ihre Einsatzbereitschaft bewiesen hat und dass es an diesem Punkt sicherlich nichts zu kritteln gibt. Wenn nun einzelne Probleme auftauchen, dann ist es richtig, sie transparent darzustellen und sich ihnen mit aller Kraft zu widmen. Genau das geschieht jetzt im Bundesverteidigungsministerium.

Flosdorff: Ich habe eben schon einmal gesagt, dass das ein Prozess ist, der über viele Jahre hinweg entstanden ist, und das Problem wird sich auch nicht mit einem Schlag lösen lassen. Die drei Bereiche, die wir jetzt angehen müssen, sind, dass wir erstens Inspektionspersonal, Prüfgerät und Personal herauffahren, dass wir zweitens - das wissen Sie ja auch - intensiv mit der Industrie im Gespräch darüber sind, dass wir bezüglich der Anschlusssysteme, auf die wir im Moment dringend warten - das betrifft den Lufttransport, das betrifft gepanzerte Radpanzer, das betrifft aber auch das Ihnen bekannte Thema der Luftüberwachung durch Drohnen -, auf Vertragserfüllung pochen, aber unsererseits unsere Prozesse so optimieren, dass wir nicht in diesen Beschaffungsprozessen auch selbst für weitere Verzögerungen sorgen.

Für nächste Woche ist - das wissen Sie auch - ein umfassender Bericht angekündigt, der derzeit mit externer Expertise über drei Monate hinweg erstellt wird und in dem das ganze Beschaffungssystem intensiv auf den Prüfstand gestellt wird. Auch die Ergebnisse, die in der kommenden Woche auf den Tisch kommen werden, werden nicht gemütlich sein. Das heißt, darin wird man auch einige Fehler und problematische Prozesse benennen, die für die Zukunft korrigiert werden müssen. Wir werden uns sicherlich darauf einstellen, dass wir noch einige Zeit - dabei rede ich nicht von Monaten, sondern eher von Jahren - mit einzelnen Problemen zu tun haben werden.

Ich möchte es einmal kurz rund machen: Es geht nicht nur um die Beschaffung. Es gibt einen dritten Bereich. Das ist das Thema der Instandhaltung und Warteschleifen. Wir sind im Moment auch in einer so schwierigen Lage, weil es einen Großeinsatz gab, der jetzt in Afghanistan als Kampfeinsatz zu Ende geht, und weil wir im letzten Jahr in noch nie dagewesenem Maße auch eine Rückführung von Material erlebt haben. Dieses Material muss sozusagen durch das Nadelöhr der Instandsetzung, und da müssen wir die Kapazitäten hochfahren, um diese Bugwelle zu verarbeiten, damit das Material dann auch wieder im Grundbetrieb zur Verfügung steht. So etwas dauert lange. Das löst man nicht kurzfristig. Deswegen ist das auch der Hintergrund der Äußerungen der Ministerin, dass mehr Geld im Etat bei diesem Problem jetzt nicht kurzfristig hilft. Deswegen kommt kein A400M früher. Aber wenn wir diese Systeme hochfahren - da hängt Personal dran, da hängen Ersatzteilposten in der Lagerung und in der Produktion dran -, dann wird das mittelfristig absehbarerweise auch mehr Geld kosten.

Aber wenn Sie jetzt von mir hören wollen, dass wir eine Zielzahl daran hängen, wann das wieder auf dem 100-Prozent-Stand sein soll: Die kann ich Ihnen heute nicht nennen. Was ich Ihnen heute sagen kann, ist, dass dieses System der Materialverwaltung und der Instandsetzung genauso intensiv und genauso akribisch aufgearbeitet wird, wie wir das bei dem System der Beschaffung in den vergangenen drei Monaten gemacht haben, dass auch dort moderne Managementtools eingeführt werden, dass wir dabei Zahlensicherheit haben wollen, sowohl für die Planung als auch für die Beurteilung der Einsatzbereitschaft durch die Inspekteure, und dass wir uns dort ein enges Monitoring wünschen und aufsetzen werden.

Zusatzfrage: Herr Seibert, ich habe Ihre Antwort auf diese Frage nach der Selbstkritik nicht so richtig verstanden. Wer ist denn jetzt dafür verantwortlich, dass es so misslich aussieht, wie es aussieht? Konnte das nicht anders gemacht werden und ist quasi ohne Verantwortung von irgendjemandem passiert? Welche Antwort geben Sie auf die Frage nach der Verantwortung für die Mängel, die jetzt offenkundig dargelegt worden sind?

StS Seibert: Ich glaube, dass das, was wir jetzt gerade im Bundesverteidigungsministerium erleben, doch genau Ihrer Frage die Antwort gibt: Man legt die Fakten auf den Tisch. Man macht sich des Zustands bewusst, um ihn zu verändern. Das ist, würde ich sagen, ganz konkretes Übernehmen von Verantwortung, um die Bundeswehr in einen noch besseren Zustand zu versetzen. Trotzdem muss man einfach einmal festhalten: Sie ist einsatzfähig, sie ist einsatzbereit, und sie ist in den vergangenen Jahren in einer Vielzahl von sehr schwierigen Einsätzen erprobt worden und hat sich dort bewiesen.

Frage: Herr Flosdorff, ich habe eine Nachfrage zum Bundesamt für Beschaffung in Koblenz: Inwieweit steht im Zuge der Ermittlungen jetzt auch die Arbeit des Amtes auf dem Prüfstand?

Flosdorff: Im Zuge dieses Gutachtens, das erstellt wird und das nächste Woche auch vorgestellt werden wird, schauen wir uns natürlich die gesamte Kette von Entscheidungsprozessen an - im Ministerium über die Beschaffungsabteilung bis hinunter in die Ämter. Alle Prozesse sind da betrachtet worden. Insofern ist das Amt damit sicherlich auch befasst.

Weil sich letzte Woche nachhaltig das Gerücht hielt, dass da eine Ablösung von Personal an der Spitze bevorstünde: Dem ist nicht so. Das möchte ich bei dieser Gelegenheit noch einmal so klarstellen. Wir werden sicherlich Schlussfolgerungen daraus ziehen, die für die gesamte Kette von Belang sind - bis hin zu allen Stakeholdern, die mit diesem Prozess befasst sind. Ich möchte dem an dieser Stelle aber nicht vorgreifen.

Frage: Ich habe auch noch eine Frage zur Finanzierung. Herr Flosdorff, Sie hatten eben gesagt, es gehe jetzt nicht um eine kurzfristige Finanzierung. Gleichzeitig hatten Sie aber auch gesagt, dass man trotzdem vielleicht auch kurzfristig noch einmal die Anstrengungen bezüglich der "Eurofighter" erhöhen könnte. Sehen Sie denn dann die Möglichkeit, das innerhalb des Verteidigungshaushalts zu finanzieren?

Steht die Ministerin bezüglich der mittelfristigen Aufstockung des Etats in Kontakt mit Herrn Schäuble? Diese Frage richtet sich dann vielleicht an beide Sprecher.

Flosdorff: Das war vielleicht eben ein Verständnisproblem. Es geht bei diesem "Nato Defence Planning Process" um dieses Planspiel, dass irgendwann ein Alarmfall ausgerufen wird, und um die Frage, was dann innerhalb eines halben Jahres an fliegendem Gerät in die Luft gebracht werden kann. Wir haben die Ersatzteillager, wie wir sie haben, und man kann Anstrengungen anstellen, damit wir bei der Ersatzteillage besser werden. Aber das ist militärisches Gerät. Das sind auch Ersatzteile. Das sind Sonderanfertigungen. Das ist nicht irgendetwas, das man jetzt innerhalb eines halben Jahres einfach an der nächsten Ecke bei diesem oder jenem Mittelständler bestellen könnte, sondern das ist ein langfristigerer Prozess. Das wird sicherlich nicht für das Jahr 2015 haushaltswirksam werden. Wir werden dieses Thema, wenn es zur Anmeldung und Verhandlung von Haushalten für die Folgejahre kommen wird, sicherlich auf den Tisch bekommen. Aber das ist nichts, das jetzt kurzfristig in irgendeiner Form hilfreich wäre.

Zusatzfrage: Sieht das Finanzministerium mittelfristig auch den Bedarf und die Notwendigkeit, da mehr zu investieren?

Jäger: Wir sprechen im Augenblick über den Bundeshaushalt 2015. Im Übrigen hat sich der Bundesfinanzminister am Wochenende in einem Interview zu dieser Frage geäußert. Dem ist nichts hinzuzufügen. Für all diejenigen, die dieses Interview zufällig nicht gelesen haben: Er hat darin zum einen darauf hingewiesen, dass bestehende Haushaltsansätze nicht ausgeschöpft worden sind. Zum anderen hat er noch einmal daran erinnert, dass die Firmen, die militärische Ausrüstungsgüter liefern, oft im Verzug sind und dass er auch darin ein Problem sieht.

Frage: Herr Flosdorff, ich habe ein bisschen das Gefühl, dass sich manche Sachen doch sehr häufig wiederholen; auch als junger Journalist kommt mir das manchmal so vor. Gerade im Bereich der Rüstungsbeschaffung und - instandhaltung scheint sich doch das eine oder andere zu wiederholen. Vor dem Hintergrund dieses Gesamtbilds, das sich jetzt über die vergangenen Jahre hinweg hinsichtlich der jeweiligen Beschaffungsprobleme ergibt, sei es beim A400M, sei es bei Drohnen wie dem "Euro Hawk" - da würde ich auch gerne wissen, was eigentlich aus ISIS geworden ist, also aus diesem ISIS, nicht Herrn Schäfers ISIS -, stellt sich doch die Frage, ob es nicht irgendwie auch ein bisschen systemisch ist, dass, obwohl der CPM im Verlauf der vergangenen zehn Jahre novelliert wurde, dort offenbar eben keine Besserung eintritt, sondern es eigentlich schlimmer zu werden scheint. Oder vertue ich mich da? Ist der Eindruck falsch?

Flosdorff: Dieser Eindruck, dass wir in diesem Bereich Probleme haben, hat dazu geführt, dass die Ministerin vor einem halben Jahr zum Beispiel dieses Rüstungsboard abgelehnt hat und dass wir nach einer Ausschreibung externe Experten beauftragt haben, die jetzt den ganzen Sommer über intensiv das Gesamtsystem unter die Lupe genommen haben. Der Bericht wird nächste Woche vorliegen. Ich habe er hier schon angedeutet: Auch die Erkenntnisse, die man daraus ziehen wird, werden nicht irgendwie gemütlich sein. Die werden sicherlich kontrovers diskutiert werden und sicherlich auch einer Vielzahl von problematischen Stellen benennen, die sowohl im Ministerium als auch im Beschaffungsprozess als vielleicht auch bei der Industrie liegen, aber vielleicht auch an nicht glücklich gesteuerten Managementprozessen innerhalb der Streitkräfte liegen. Damit werden wir uns nächste Woche intensiv beschäftigen. Das Problembewusstsein, das Sie haben, ist auch bei uns vorhanden; das kann ich Ihnen an dieser Stelle versichern.

Frage: Herr Flosdorff, ich wüsste gerne noch einmal, wie das ist. Sie beschreiben jetzt immer die Probleme mit der Ersatzteilbeschaffung und sagen, dass das langfristige Prozesse seien. Wenn Sie jetzt auf die vergangenen neun Monate oder so zurückblicken, die Sie oder Ihre Ministerin sozusagen persönlich überblicken können, sind dann in dieser Zeit auch keine Ersatzteile bestellt worden? Gab es Anforderungen für Ersatzteile, aber Sie haben gesagt "Wir müssen das erst einmal alles prüfen, und deswegen haben wir das jetzt nicht gemacht"? Was ist in diesem Jahr 2014 passiert? Oder haben die Inspekteure immer gesagt "Es läuft alles so weiter; irgendwann fliegt zwar kein Flugzeug mehr, aber wir haben das schon immer so gemacht"? Gab es sozusagen keine Rückmeldung von den Teilstreitkräften? Haben die gesagt "Wir haben hier ein Ersatzteilproblem, und wir müssen das dringend lösen"? Ich verstehe ja, dass das auf der einen Seite offensichtlich ein langfristiger Prozess ist und auf der anderen Seite jetzt plötzlich eine sichtbare Krise eintritt oder die Krise sichtbar wird. Was ist in den letzten neun Monaten passiert? Das ist die erste Frage.

Zweite Frage, weil wir uns ja in den vergangenen Tagen auch immer über diese Marinehubschrauber unterhalten haben: Da gibt es doch diese Vereinbarung, die noch vom Amtsvorgänger getroffen wurde, über diesen "global deal", dass die Stückzahl der NH90 reduziert wird. Stattdessen sollen irgendwie Marinehubschrauber angeschafft werden. Ist diese Vereinbarung jetzt eigentlich geschlossen worden und gültig? Wird die umgesetzt, oder ist das sozusagen auch noch Bestandteil irgendeiner Prüfung und noch nicht entschieden?

Flosdorff: Um mit der letzten Frage anzufangen: Das ist immer noch Bestandteil der Prüfung. Wir haben diese Entscheidung bewusst angehalten, bis die externe Expertise vorliegt. Sie wissen: Das Hubschrauberthema ist eines dieser Themen, die dabei gesondert in den Fokus genommen und untersucht worden sind. Seitens der Experten werden auch Empfehlungen dazu ausgesprochen, wie wir weiter damit verfahren sollten, sodass wir sowohl unseren Bedarf erfüllen, dass wir uns in den fliegenden Fähigkeiten verbessern und einen besseren Klarstand bekommen, aber auch an dieser Stelle verantwortlich mit Steuergeld umgehen und die entsprechenden Verträge mit der Industrie so abschließen, dass das auch alles im Rahmen, vertretbar und angemessen ist.

Was die letzten neun Monate angeht: So intensiv, wie sich die Lage jetzt darstellt, hat sie sich nicht von Anfang an dargestellt. Wie Sie wissen, haben wir uns bei einigen Themen auch bewegt; das Thema Materialerhalt bei der Bundeswehr ist ja nicht das einzige wichtige Thema, und es wird jetzt sicherlich auch nicht jede Ersatzteilbestellung auf höchster Ebene verhandelt.

Wir laufen bei der Bundeswehr absehbar in einen Fachkräftemangel hinein. Um dieses Problem muss man sich kümmern. Auch wenn wir das Material im Klarstand haben, müssen wir uns darum kümmern, dass wir personellen Nachschub bekommen, dass wir qualifiziertes Personal bekommen.

Wir alle haben im letzten halben Jahr erlebt, wie sich die außen- und sicherheitspolitische Lage verändert hat und wie zusätzliche Aufgaben auf die Bundeswehr zugekommen sind - und zwar mit einer Wucht, dass sich weder die Bundeswehr noch das Land dem entziehen kann und möchte.

Wir haben erlebt, dass die Beschaffungsprozesse länger dauern und sich die Anschaffung von Neumaterial, auf das wir wirklich seit vielen Jahren warten, immer weiter verzögert. Wir hätten jetzt bei den Transportflugzeugen keinen Engpass, wenn wir nicht nach vier Jahren Verspätung immer noch auf die Anschluss-Transportflugzeuge warten würden. Wir müssen jetzt über eine Überbrückungslösung sprechen.

Diese Ersatzteillage wird umso sichtbarer, je mehr sich der Spalt zwischen dem alten Material, mit dem wir arbeiten, und dem neuen Material, das noch nicht da ist, vergrößert und je weiter sich das auseinanderzieht. Das erklärt vielleicht auch ein bisschen die Entwicklung der letzten Jahre, dass immer neue Verzögerungen eintreten: Die Lücke wird immer größer, und irgendwann werden auch der Materialbedarf und der Ersatzteilbedarf immer größer, weil natürlich alte Systeme viel aufwändiger zu warten sind. Bei gestiegenem Bedarf und gestiegener Kadenz der Einsätze ist das Material natürlich auch einer besonderen Belastung unterzogen. Da sind wir jetzt an dem Punkt, dass wir dieses Thema intensiv und dringend angehen müssen.

Zusatzfrage: Sie sagen jetzt, die außen- und sicherheitspolitische Lage habe sich verändert, und Herr Seibert sagt, die Einsatzlage sei so vielfältig wie niemals zuvor. Tatsächlich ist doch die Zahl der Soldaten im Einsatz in den vergangenen Monaten zurückgegangen und nicht nach oben gegangen. Der Abzug aus Afghanistan läuft doch; in den vergangenen Jahren waren 5.000 Mann in Afghanistan und mussten dauernd mit Material, mit Nachschub versorgt werden, und da war der Aufwand für Material und Logistik doch höher, als er das im Moment ist. Oder schätze ich das jetzt irgendwie falsch ein?

Flosdorff: Nein, was die Zahl der Soldaten angeht - nicht was die Zahl der Einsätze angeht -, haben Sie Recht. Wir sind ja auch nicht überall mit Bundeswehrpersonal vor Ort. Wenn wir zum Beispiel eine Luftbrücke im Zusammenhang mit der Ebola-Epidemie sicherstellen oder wenn wir jetzt eine Luftbrücke für humanitäre Güter und für Waffen, für militärisches Gerät, in den Irak betreiben, dann ist damit ja nicht eine hohe Zahl von Soldaten verbunden. Wenn Sie sagen, dass wir vor einigen Jahren deutlich mehr Soldaten im Einsatz gehabt hatten, dann ist das insofern richtig. Die Vorstellung, dass es, wenn wir die Zahl der Soldaten in den Einsätzen herunterfahren, unmittelbare Auswirkungen in der Form hat, dass das Material jetzt wieder zur Verfügung steht, ist aber falsch. Wir haben die Situation, dass wir mehrere hundert Fahrzeuge, die im letzten Jahr aus Afghanistan zurückgekommen sind, noch nicht wieder in den Grundbetrieb haben einordnen können, einfach weil die Kette der Prüfung und Instandsetzung viel zu viel Zeit in Anspruch nimmt und es da ein Nadelöhr gibt und damit einen Stau gibt, den wir aufarbeiten müssen. Es geht dabei also nicht nur um Ersatzteile, sondern es sind wirklich personelle Ressourcen, industrielle Kapazitäten, die der Bundeswehr an dieser Stelle fehlen, um so einen Schwung aufzufangen.

Deswegen kommt das im Augenblick mit Verzögerungen hier an und deswegen sind wir im Moment in der Situation, dass wir nicht nur neues Material brauchen, sondern dass auch das bewährte - und darunter befindet sich hochmodernes Material - instandgehalten werden muss. Wir haben in Afghanistan den NH90, wir haben in Afghanistan den "Tiger", wir haben in Afghanistan den "Boxer". Das ist alles kein Schrott, sondern das ist hochmodernes Material, um das uns viele Verbündete auch beneiden. Dieses Material muss jetzt aber durch diesen Prozess, der zugegebenermaßen viel zu lange dauert.

Frage : Herr Seibert, Sie haben in den bisherigen Ausführungen mehrfach darauf hingewiesen, dass die Bundeswehr bei der Vielzahl von Einsätzen in der Vergangenheit Gelegenheit hatte, ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, aber für die Zukunft gesprochen bleibt diese Einsatzfähigkeit ja eine unbewiesene Behauptung. Inwieweit sieht die Bundeskanzlerin Anlass, diese Krise - Herr Flosdorff hat das ja eindringlich dargestellt und sprach von einer "Wucht", die jetzt aufgrund der Vielzahl von internationalen Anforderungen auf die Bundeswehr einwirkt - zu nutzen, um mit Formen von Sofortmaßnahmen, Abwrackprämien oder ich weiß nicht welcherlei Unterstützung der Bundeswehr Hilfe zu leisten? Sieht sie also Anlass, das, was einmal unternommen wurde, um der Wirtschaft zu helfen, jetzt zu nutzen, um der Bundeswehr zu helfen, ihre Fähigkeiten wiederherzustellen? Der Bedarf an diesen Fähigkeiten wird ja nicht geringer.

StS Seibert: Sie sprechen so, als seien die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium nicht ein Teil der Bundesregierung. Ich kann - -

Zusatzfrage: Ja, aber Sie haben vorhin gesagt, das Verteidigungsministerium habe die Sachen jetzt klar auf den Tisch gelegt, das sei die Art, Verantwortung zu übernehmen, und das werde jetzt aufgearbeitet. Das klingt aber so, als würde man das jetzt Frau von der Leyen überlassen. Was tut denn die Kanzlerin, um Frau von der Leyen zum Jagen zu tragen?

StS Seibert: Dass das Letztere, was Sie in Ihrer Bemerkung gesagt haben, notwendig ist, bestreite ich energisch.

Ich wiederhole mich jetzt, einfach weil ich keine bessere Antwort auf Ihre Frage weiß - ich glaube, es ist beantwortet -: Das, was die Ministerin macht, heißt, sie lebt Verantwortung als Verteidigungsministerin. Sie legt die Dinge auf den Tisch, sie schafft den Überblick, sie hat Strukturen und Verfahren im Bundesverteidigungsministerium eingeführt, die besser als in der Vergangenheit möglicherweise in der Lage sein sollen, solche Probleme zu überwinden. Genau dabei wird sie die volle Unterstützung der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung haben.

Zusatzfrage: Gibt es zusätzliche Möglichkeiten, die Ministerin dabei zu unterstützen - in Form von Konjunkturprogrammen oder ich weiß nicht was?

StS Seibert: Ich weiß auch nicht was. Die Bundesregierung denkt nicht über Konjunkturprogramme nach.

Frage: Herr Flosdorff, der frühere Generalinspekteur Kujat hat auf Bild.de gesagt, es wäre doch ein prima Signal zur Einsatzbereitschaft, wenn sich Deutschland am Irak-Einsatz beteiligen würde. Und zwar hat er sechs "Tornados" ins Gespräch gebracht. Von der grundsätzlichen Ablehnung der Bundesregierung solchen Kampfeinsätzen gegenüber einmal abgesehen: Wäre die Bundeswehr von der Einsatzbereitschaft her überhaupt in der Lage, sechs Tornados für einen solchen Einsatz zu stellen?

Flosdorff: Die Bundeswehr verfügt grundsätzlich über einsatzfähige Tornados.

Zusatzfrage : Auch über sechs?

Flosdorff: Ja.

Frage: Herr Flosdorff, noch einmal zu Ihrem Begriff "Warteschleife" bei der Wiederinstandsetzung, also gewissermaßen der TÜV-Überprüfung des zurückgeführten Materials aus Afghanistan: Wie ist diese Warteschleife denn zu erklären? Die Rückführung des Materials kommt ja nun wahrhaftig nicht überraschend, sondern ist seit langer, langer Zeit zu erwarten gewesen beziehungsweise geplant gewesen. Wie kommt es zustande, dass man dafür nicht vorbeugt - etwa auch mit den entsprechenden Instandsetzungskräften?

Flosdorff: Ich kann Ihnen jetzt nicht jede Detailfrage für die vergangenen Jahre rückwirkend beantworten. Ich kann Ihnen nur sagen: Diese Kapazitäten sind nicht so da. Das Profil der Bundeswehr hat sich ja auch geändert. Niemand hätte Ihnen vor zwei Jahren sagen können, dass sich ISAF genau so entwickelt, wie es sich entwickelt. An dieser Stelle muss ich wirklich einmal sagen: Wir alle hätten auch vor einem halben Jahr nicht gesagt, dass die Bündnisverteidigung wieder so in den Vordergrund rückt, wir hätten nicht gesagt, dass wir im Zusammenhang mit der Ebola-Epidemie innerhalb kürzester Zeit eine Luftbrücke würden aufbauen müssen, und IS hat auch keiner vorhergesehen. Es ist also nicht so planbar, in welcher Dimension man welchen Einsatz fährt. Das gilt auch mit Blick darauf, wie es mit ISAF zu Ende geht, wie sich - in welcher Größe und in welcher Stärke - die Anschlussmission ASM daran anschließen wird und wie sich das auf andere Verbündete, auf die es maßgeblich ankommt, verteilt. Sie wissen, dass das immer relativ kurzfristige Entscheidungen und Prozesse sind.

Die Bundeswehr ist nicht für eine Maximalrückführung von Material aus allen möglichen Einsätzen innerhalb eines Jahres ausgelegt, und sie kann auch nicht darauf ausgelegt sein, dass wir solche Kapazitäten immer vorhalten. Was wir brauchen, ist Flexibilität. Wir stellen jetzt fest: Die Flexibilität, mit einem größeren Schwung an Material, das zurückkommt, in kurzer Zeit fertig zu werden, ist nicht da. Da müssen wir besser werden, und wir werden wir alle Möglichkeiten technischer, personeller und rechtlicher Art nutzen und prüfen, die sich da anbieten. Das ist aber keine einfache Aufgabe. Sie haben ein atmendes System mit den Einsätzen und Sie müssen im Prinzip eine Schleuse dimensionieren, die weder zu klein noch zu groß ist und die auch solche Prozesse bewältigen kann.

Frage: Herr Flosdorff, sollen wir an einen Zufall glauben? Vor drei Wochen war der Nato-Gipfel, da wurde dann groß vereinbart, dass 2 Prozent des Bundesetats in die Verteidigung fließen sollen. Da hat Herr Schäuble dann gleich gesagt: Auf keinen Fall, das geht nicht. Und auf einmal, drei Wochen später, gibt es jetzt Probleme bei der Bundeswehr, aufgrund derer sie wieder mehr Geld braucht. Ist das ein Zufall?

Flosdorff: Ich weiß nicht, ob Sie jetzt darauf anspielen, dass sich über Jahre eine Situation aufgebaut hat, mit der wir jetzt dauerhaft werden kämpfen müssen, oder ob Sie auf die Ereignisse anspielen, die ja auch letzte Woche zur Genüge geschildert worden sind, also dass wir einen Ausfall an Marinehubschraubern haben und dass wir ein altes System Transall haben, das wir länger fliegen müssen. Da müssen Sie mir noch einmal helfen und mir sagen, was genau Sie meinen.

StS Seibert: Es sind übrigens 2 Prozent am Bruttoinlandsprodukt, nicht am Bundeshaushalt.

Zusatzfrage: Was ich meine, ist, ob das eine zufällige Entwicklung ist. Herr Schäuble hat gesagt: Nein, es gibt nicht mehr Geld für die Bundeswehr. Jetzt gibt es eine Entwicklung, aufgrund derer die Bundeswehr offenbar mehr Geld braucht.

Flosdorff: Es gibt hier keine Verbindung zwischen dem Nato-Gipfel und der Beschaffungssituation der Bundeswehr. Sehe ich nicht.

Frage: Herr Flosdorff, hat die aktuelle Situation, die Geld, Aufwand und Energie kostet, Auswirkungen auf das Attraktivitätsprogramm der Bundeswehr, das ja auch Geld kostet?

Flosdorff: Nein. Ich habe es ja noch einmal gesagt: Es gibt bei der Bundeswehr nebeneinander mehrere Bereiche, von denen man sagen kann: Das sind Punkte, an denen wir arbeiten müssen. Das geht ja seit Anfang der Legislaturperiode so. Das eine ist das Fachkräftethema. Das ist unabhängig von der Materialfrage. Auch wenn uns jemand jetzt das modernste Material, das wir kurzfristig gar nicht beschaffen könnten, hier hinstellen würde, müssten wir für die nächsten Jahre schauen, dass wir verantwortungsbewusste, gut ausgebildete Soldatinnen und Soldaten bekommen, die dieses Material bedienen. Das ist mindestens ebenso wichtig wie das Material und die Beschaffungsprozesse. Ich denke, wir sind als Bundeswehr auch immer wieder aufgerufen, das mit zu leisten und zu unterstützen, was Deutschland in der Welt an Prozessen mitbeeinflussen und mitgestalten möchte, also dass wir bereit sind zu helfen und zu unterstützen, wenn eine Notlage in der Welt vorhanden ist - in militärischer Form, wenn es notwendig ist, aber auch humanitär. Parallel dazu müssen wir uns darum kümmern, dass nicht nur die Menschen da sind und dass die Bevölkerung erkennt, wie sinnhaft das Tun und das Handeln der Bundeswehr ist, sondern dass auch das Material stimmt. Auf allen drei Gebieten müssen wir parallel und mit gleicher Intensität arbeiten.

Frage: An das Wirtschaftsministerium: Wir haben hier vor Wochen über den beabsichtigten Verkauf der RWE-Tochter Dea an einen russischen Investor gesprochen. Inzwischen scheint es da Schwierigkeiten mit der britischen Regierung zu geben, die diesen Deal offenbar wegen Gasfeldern vor der britischen Küste jedenfalls nicht unbedenklich findet. Hat die Bundesregierung, hat das Bundeswirtschaftsministerium in irgendeiner Weise Kontakte aufgenommen oder ist es von britischer Seite auf dieses Thema angesprochen worden? Gibt es da so etwas wie ein Problemgespräch?

Braams: Vielen Dank. Wir hatten uns dazu, wie Sie sagen, in der Bundespressekonferenz schon geäußert. Aus unserer Sicht ist das Verfahren abgeschlossen. Die Unbedenklichkeitserklärung, die nach dem Außenwirtschaftsrecht erforderlich ist, wurde erteilt. Zu anderen Fragen, die die britische Regierung anbetreffen, kann ich keine Stellung nehmen.

Zusatzfrage: Können Sie sagen, ob es irgendwelche Kontakte zur britischen Regierung zu diesem Thema gibt?

Braams: Zu diesem Thema ist mir das nicht bekannt.

Frage: Eine Frage an das BMI, aber gern auch an die Bundesregierung zu den Misshandlungsfällen in Flüchtlingsheimen: Inwiefern haben die Berichte über diese Misshandlungsfälle Sie aufgeschreckt, und inwieweit sehen Sie es auch in Ihrer Verantwortung, dazu beizutragen, dass sich solche Vorfälle in der Zukunft nicht wiederholen?

Dimroth: Ihre Frage richtet sich in Richtung des Asylverfahrensgesetzes. Da ist in 44 klar niedergelegt, dass sowohl die Erschaffung als auch der Unterhalt von Unterbringungseinrichtungen Sache der Länder ist. Das betrifft auch die von Ihnen ganz konkret angesprochenen Einzelfälle. Ob da gegebenenfalls Missbrauch stattgefunden hat und in welcher Form und mit welchen Konsequenzen das zu ahnden wäre, ist Sache der Aufsichtspflicht der dafür zuständigen Länder und insofern von uns aus nicht zu kommentieren.

Zusatzfrage: Der Chef der Polizeigewerkschaft, Herr Wendt, hat heute Morgen gesagt, so etwas passiere auch, wenn sich der Staat aus hoheitlichen Gebieten zurückziehe, und hat gefordert, die Bundesregierung solle dafür sorgen, dass die Kommunen mehr Geld zur Verfügung haben, um zum Beispiel Mitarbeiter des Ordnungsamtes bezahlen zu können, die dann - wenn es nötig ist - täglich vor Ort sind. Würden Sie trotzdem sagen, dass diese gesamten Vorfälle in die Verantwortung der Kommunen fallen und sich die Bundesregierung damit erst einmal nicht zu befassen hat?

Dimroth: Die dafür einschlägige gesetzliche Grundlage habe ich gerade zitiert, die steht so, wie ich es gerade vorgelesen habe. Es ist eine Aufgabe der Länder und es ist nicht am Bund oder am Bundesministerium des Innern, zu kommentieren oder auch rechtlich zu prüfen, ob hier möglicherweise bestimmte Aufsichtspflichten nicht hinreichend mit Leben gefüllt wurden. Das kann der Bund nicht und das wird der Bund auch zukünftig nicht tun. Das müssen vielmehr die Länder in eigener, gesetzlich fest zugeschriebener Verantwortung tun. Das betrifft auch die Frage, ob hier gegebenenfalls Dinge, die sozusagen zum Kern der Hoheitsverwaltung gehören, auf private Dritte übertragen wurden: Dazu können wir nicht Stellung nehmen, weil wir schlicht und ergreifend nicht für diese Sachverhalte zuständig sind und weil wir die Sachverhalte auch nicht hinreichend kennen, um da zu einer validen Prüfung beziehungsweise einem validen Ergebnis zu kommen. All das ist gesetzlich zugeschrieben eine Aufgabe der Länder, und dort wird sie dann auch abzuarbeiten sein.

Frage: Herr Seibert, befürchtet die Bundeskanzlerin oder befürchtet die Bundesregierung einen Schaden für das Ansehen Deutschlands in der Welt, wenn aus deutschen Flüchtlingsunterkünften Bilder in die Welt gehen, die an Abu Ghraib erinnern?

StS Seibert: Es ist vollkommen klar: Diese Vorgänge müssen rasch und sie müssen gründlich aufgearbeitet und aufgeklärt werden. Wenn sich bestätigen würde, was diese Bilder nahelegen, wenn also Flüchtlinge dort tatsächlich misshandelt und gedemütigt worden wären, dann wären das widerwärtige Taten. Wir sind ein menschenfreundliches Land, in Deutschland achtet man die Würde des Menschen. Genau das muss sich natürlich auch in Flüchtlingsunterkünften und Asylbewerberunterkünften bewahrheiten. Zunächst einmal gilt aber: Die Vorwürfe, die Vorgänge müssen aufgeklärt werden. Das kann sicherlich nicht von hier geleistet werden.

Zusatzfrage: Einen Schaden für das deutsche Ansehen befürchten Sie zunächst einmal nicht?

StS Seibert: Erst einmal ist jeder Bürger, denke ich, erschrocken, wenn er solche Bilder sieht, und möchte wissen: Was steht dahinter, ist da tatsächlich das geschehen, was diese Bilder nahelegen? Dann müssen die Verantwortlichen, sofern es welche gibt, zur Rechenschaft gezogen werden.

Frage: Ich möchte noch einmal auf die Frage zurückkommen. Die Bundesregierung hat ja sicherlich eine Haltung, einen Gedanken dazu, welche Leistungen sich für die Auslagerung an private Leistungserbringer eignen und welche nicht. Sind diese Fälle in Nordrhein-Westfalen dazu geeignet, die Bundesregierung zu einer Überprüfung ihrer Grundsatzposition zu dem, was sich für Auslagerung eignet und nicht eignet, zu bewegen?

Dimroth: Was die Auswertung und mögliche Schlüsse aus einer solchen Auswertung der jetzt bekanntgewordenen Einzelfälle betrifft, würde ich mich gerne dem Regierungssprecher anschließen. Es ist heute sicher sehr viel zu früh, um daraus wie auch immer geartete Schlüsse zu ziehen. Ich würde mich heute nicht zu solchen Schlüssen äußern. Das wird sicher sehr, sehr sorgfältig aufzuarbeiten sein. Wir reden hier auch über strafrechtlich relevante Sachverhalte. Das heißt, es ist auch Aufgabe der Justiz, hier zur Aufklärung beizutragen. All das wird geschehen - daran habe ich keinen Zweifel - und dann wird man sich sehr sorgfältig anschauen müssen, ob es gegebenenfalls auch strukturelle Defizite gibt, die hier in den Blick zu nehmen sind. Mit Stand heute jedenfalls - da bitte ich um Nachsicht - stehen solche Fragen nicht auf der Agenda.

Frage: Eine Frage an Herrn Seibert und Herrn Schäfer. Wie bewerten Sie die neue Demokratiebewegung in China, genau genommen in Hongkong?

StS Seibert: Wir verfolgen die Vorgänge in Hongkong, in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong, mit großer Aufmerksamkeit. Die Meinungsfreiheit hat in Hongkong eine lange Tradition. Sie ist dort gesetzlich verankert. Seit der Rückführung Hongkongs, was eine ehemalige britische Kronkolonie ist, unter den Herrschaftsbereich der Volksrepublik China gilt dort ein Grundgesetz. Das sieht weitgehende demokratische Freiheiten vor und damit ist Hongkong bisher gut gefahren.

Es ist auch jetzt ein gutes Zeichen, dass so viele Menschen ihre Meinung friedlich geäußert haben. Unsere Hoffnung ist, dass die staatlichen Kräfte in Hongkong besonnen reagieren und die Rechte der Bürger auf friedliche Meinungsäußerung auch wahren.

Zusatzfrage: Sympathisiert die Bundesregierung denn mit den Forderungen der Protestanten in Hongkong?

StS Seibert: Ich habe mich jetzt nicht zu einzelnen Forderungen bekannt, sondern dazu, dass die demokratischen Grundlagen, die in Hongkong gelten und die in dem sogenannten Basic Law gesetzlich verankert sind, das dort herrscht, auch beachtet werden.

Zusatzfrage: Es geht doch konkret um neue demokratische Teilhabemöglichkeiten für die Menschen in Hongkong. Bei anderen Staaten - ich erinnere mich an die Ukraine - wurde genau das Anfang des Jahres immer gelobt. Warum sympathisiert die Bundesregierung jetzt hier nicht?

StS Seibert: Ich glaube, ich habe mich sehr deutlich zu dem Grundsatz der demokratischen Freiheitsrechte, die in Hongkong herrschen, geäußert - ohne jetzt hier auf einzelne Forderungen einzugehen - und habe auch die Überzeugung der Bundesregierung ausgedrückt, dass diese Grundsätze beachtet werden und die Menschen sie friedlich und freiheitlich äußern können müssen.

Frage: Herr Schäfer, gibt es irgendwelche Reisewarnungen oder irgendwelche Vorstufen für Reisewarnungen?

Schäfer: Nicht, dass mir das bekannt wäre. Herr Seibert hat es ja gerade auch schon gesagt: Wir sind froh darüber, dass es bislang grosso modo nicht zu Gewaltaktionen, von welcher Seite auch immer, gekommen ist. Es ist doch aber klar, dass wir die Sache dort aufmerksam beobachten und wir, falls es aus unserer Sicht Anlass gibt, deutsche Staatsangehörige zu warnen, das auch tun würden.

Frage: Herr Schäfer, aber genau diese Gewaltaktionen gab es gestern schon.

Schäfer: Ich habe dem, was ich gesagt habe, nichts hinzuzufügen.

Frage: Noch einmal zum Thema Flüchtlinge. Auch wenn das BMI nicht zuständig ist, können Sie mir vielleicht trotzdem mit der Frage weiterhelfen, ob es für solche privaten Träger und private Sicherheitsfirmen eine Art von Zertifizierung gibt.

Dimroth: Tut mir leid, da muss ich passen. Dazu kann ich Ihnen nichts sagen.

Frage: Ich wollte noch einmal nach der Bewertung der Bundesregierung in Sachen Ostukraine und dem ganzen Komplex fragen. Ist es denn so, dass man sich nach Einschätzung der Bundesregierung in einem Prozess befindet, der in absehbarer Zeit ein Aufheben der Sanktionen zumindest denkbar erscheinen lässt? Oder geht die Entwicklung angesichts des Referendums in der Ostukraine in den umkämpften Gebieten, die ja geplant sind, in die andere Richtung?

Schäfer: Die Politik der Europäischen Union ist immer so angelegt gewesen und wird auch weiterhin so angelegt sein, dass sie in der Lage ist, auf Entwicklungen zu reagieren. Wenn wir wüssten, wie die Lage morgen, übermorgen, im Oktober, im November, Dezember wäre, könnte ich Ihnen eine Antwort auf diese Frage geben. Beides ist möglich. Es ist möglich, dass wir weitere Maßnahmen angesichts des Verhaltens der beteiligten Parteien für erforderlich halten, es ist genauso möglich, dass angesichts dieses dann eher konstruktiven Verhaltens die bisher getroffenen Maßnahmen auch wieder zurückgeführt werden können.

Ich kann Ihnen sagen, dass - auch wenn das Thema in den letzten Tagen und in der letzten Woche nicht oben auf den Titelseiten der Zeitungen, vielleicht auch nicht vorne in den Fernsehnachrichten gewesen ist - die Bundesregierung dieses Thema wirklich ganz oben auf der Agenda hat. Wir sind weit davon entfernt, von einer nachhaltigen Entspannung reden zu können. Gerade heute kommen wieder Nachrichten über erbitterte Kämpfe am Flughafen von Donezk herein. Es hat in der Zeit der Feuerpause, des sogenannten Waffenstillstandes, der in der Tat in der Regel und an den meisten Stellen eingehalten wird, gleichwohl auf beiden Seiten immer noch zahlreiche Verletzte und Tote gegeben. Wir bemühen uns darum, mit der OSZE auf die Konfliktparteien einzuwirken, damit diese vereinzelten Kampfhandlungen eingestellt werden und insbesondere kein Momentum entsteht, das die gesamte Feuerpause sozusagen wieder dahinziehen lässt und die alten Kämpfe wieder aufgenommen werden. Die 12 Punkte der Minsker Vereinbarung vom 5. September müssen die Richtschnur für Kiew und für Moskau bei ihrem Verhalten miteinander und bei der Beruhigung der Lage bleiben. Da gibt es noch ganz viel zu erledigen.

Wir stehen mit allen Parteien - mit Kiew, mit Moskau - im Kontakt und unterstützen alles, was die OSZE unternimmt, um manche Punkte der Minsker Erklärung, zum Beispiel die Überwachung des Waffenstillstandes und das Monitoring von Grenzbewegungen, sicherzustellen. Dazu hat der Bundesaußenminister in der letzten Woche u.a. auch mehrfach mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, mit dem Vorsitzenden der OSZE, dem Schweizer Bundespräsidenten Burkhalter, gesprochen. Hierzu hat es auch einige Veranstaltungen in New York gegeben. Da sind wir weiter dran und das machen wir weiter. Ich kann nur davor warnen, jetzt bereits zu glauben, dass das alles durch ist. Sondern das ist weiter eine ernste Krise und wir sind eben noch nicht an einem Punkt, wo man sagen könnte, dass wir in unseren Bemühungen nachlassen könnten. Im Gegenteil, wir müssen vielleicht sogar unsere Bemühungen verstärken, um alle Beteiligten dazu zu bringen, die Minsker Vereinbarung in Wort und Tat umzusetzen.

Zusatzfrage: Das heißt, kurzfristig keine Änderungen beim Sanktionsmodus?

Schäfer: Nein, es bleibt genau bei dem, was vereinbart worden ist und was auch auf europäischer Ebene beschlossen worden ist. Es hat vor einigen Wochen eine Ausweitung von Maßnahmen auch im Wirtschaftsbereich gegeben. Diese Maßnahmen werden so, wie das vereinbart worden ist, von der Europäischen Union in den nächsten Beratungen auf den Prüfstand gestellt. Dann wird es eine Debatte geben, in der man sich gemeinsam, wie das in der Vergangenheit immer der Fall gewesen ist, politisch auf eine Analyse der Lage verständigt und daraus dann im Hinblick auf solche Maßnahmen die richtigen Schlüsse zieht.

Frage: Wie steht die Bundesregierung zur russischen Forderung, das EU-Ukraine-Abkommen grundlegend zu ändern? Das wurde im Brief des russischen Präsidenten an die Europäische Union so festgehalten.

Schäfer: Zunächst einmal sind den letzten Wochen Entscheidungen für die Anwendbarkeit des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine insbesondere im Bereich der Wirtschaft getroffen worden. Wir haben vereinbart, dass die Regelungen insbesondere im Handelsteil für die Ukraine von der Ukraine zunächst bis Ende 2015 nicht umgesetzt werden können. Wir glauben, dass das eine richtige und vernünftige Entscheidung deshalb ist, weil sie politischen Druck nimmt, weil sie der Ukraine die Gelegenheit gibt, selber zollfrei ihre Produkte in die Europäische Union zu exportieren, gewissermaßen der ukrainischen Wirtschaft zusätzlichen wirtschaftlichen Sauerstoff verschafft, während sie gleichzeitig dem unzweifelhaft bevorstehenden Druck durch eine Verringerung der eigenen Zölle und dadurch durch vermehrte Exportanstrengungen, etwa aus dem Binnenmarkt der europäischen Industrie, nicht ohne Weiteres bereits ausgesetzt ist. Das ist aus unserer Sicht ein Beitrag dafür, die Ukraine sozial und wirtschaftlich zu stabilisieren.

Ich weiß von keinen konkreten Plänen innerhalb der Bundesregierung oder in Brüssel, die den gegenwärtig laufenden Ratifikationsprozess dieses Assoziierungsabkommens infrage stellen würden. Der ist, wie Sie wissen, vom Europäischen Parlament in einer symbolisch sehr bedeutsamen Handlung zeitgleich mit dem Ratifikationsprozess in der Obersten Rada in der Ukraine ratifiziert worden. Jetzt laufen die Ratifikationen in den 28 Mitgliedstaaten. Ich wüsste von keinen Bemühungen, Ideen oder konkreten Plänen, diesen Ratifikationsprozess zu stoppen oder zu verlangsamen.

Frage: Herr Schäfer, noch einmal zur Diskussion auf europäischer Ebene, ob die Sanktionen verschärft oder erleichtert werden sollen. Sie sagen, dass es zwei Möglichkeiten gibt und dass das auf europäischer Ebene überprüft wird. Die Bundesregierung wird ja eine der beiden Positionen übernehmen. Sie wird ja schwerlich beide einnehmen.

Schäfer: Das ist völlig richtig; so ist es wohl. Beides gleichzeitig ginge auch schlecht. Ich meinte, dass ich die Frage verständlich beantwortet hatte. Ich wiederhole es gerne noch einmal: Wie wir uns weiter positionieren, hängt doch nicht von irgendwelchen dogmatischen Vorabfestlegungen, sondern davon ab, wie sich die Lage weiter entwickelt. Das können wir leider nicht vorhersehen. Wir hoffen, dass die Unterzeichner der Minsker Vereinbarung und auch Moskau sich weiter an den 12-Punkte-Plan halten. Wir gehen davon aus, dass die Ukraine die Gelegenheit erhält, ihren Friedensplan in den nächsten Monaten in die Tat umzusetzen. Wir werden das mit allergrößter Aufmerksamkeit beobachten. Mehr als das: Wir versuchen alles, was wir nach unseren Kräften tun können, um die Minsker Vereinbarung etwa durch das Monitoring der OSZE und Hilfsmaßnahmen, die wir dafür planen, zu unterstützen.

Zusatzfrage: (akustisch unverständlich; ohne Mikrofon) Gibt es denn da eine Position?

Schäfer: Die Entscheidung steht an, wenn sie ansteht. Ich glaube, Sie wollen uns drängen, Ihnen hier "Ja" oder "Nein" oder "schwanger" oder "nicht schwanger" zu sagen. So funktioniert das nicht. Dann, wenn die Entscheidungen anstehen, werden wir uns der Sache zuwenden und dann werden wir uns mit unseren Partnern in der Europäischen Union dazu einvernehmlich einigen - genauso wie das in der Vergangenheit immer gewesen ist.

Frage : Eine kurze Frage zu Syrien. Hat denn die Bundesregierung eine Meinung zu den Luftschlägen, die gegen IS durchgeführt werden? Ich meine nicht die rechtliche Einschätzung, sondern ob das das richtige Mittel ist, IS zu bekämpfen. Sehen Sie darin eine wirksame Strategie?

StS Seibert: Ich mache es kurz: Ich werde mich jetzt hier nicht zu militärischer Strategie äußern. Aber wir haben mehrfach betont, wie wichtig es ist, dass die internationale Gemeinschaft zu einer konzertierten und kraftvollen Reaktion auf ISIS in der Lage ist. Dazu sind wichtige Beschlüsse in der vergangenen Woche bei den Vereinten Nationen gefasst worden. Wir leisten unseren Beitrag - humanitär, militärisch wie politisch - zu dieser internationalen Reaktion. Zweifelsohne gehören die militärischen Angriffe, die die USA, einige arabische Staaten und andere Partner fliegen, mit dazu.

Schäfer: Wenn ich darf, würde ich gerne zweierlei dazu sagen.

Meine erste Bemerkung ist im Grunde nur ein Zitat aus einem Interview, das Herr Steinmeier gestern einigen Zeitungen - unter anderem der "Saarbrücker Zeitung" und der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" - zu diesem Thema gegeben hat. Ich lese vielleicht nur die Passage, die auf Ihre Frage passt, vor, wenn Sie einverstanden sind:

"Der Bürgerkrieg in Syrien hat so viele Menschenleben gefordert, so viel Leid verursacht und Familien zerstört. Millionen Menschen haben ihre Heimat verlassen müssen und sind auf der Flucht. Dafür trägt Assad die Hauptverantwortung. Das kann nicht einfach ad acta gelegt werden und das wird auch nicht vergessen. Assad hat jegliche Legitimität verspielt."

Jetzt kommt vielleicht der Punkt, der Sie interessieren mag:

"Auch Luftschläge werden den Bürgerkrieg in Syrien nicht beenden können. Deshalb war allen in New York klar,"

- gemeint allen, mit denen der Außenminister in der letzten Woche in New York Gespräche geführt hat -

"dass dafür an einem politischen Prozess kein Weg vorbeiführt."

Eines der vielleicht interessanteste Gespräche, die der Außenminister letzte Woche geführt hat, war ein Gespräch mit dem neuen Sondergesandten der Vereinten Nationen, Herrn de Mistura, der erst vor wenigen Wochen sein neues Amt angetreten hat, der bereits viele Gespräche mit verschiedenen Parteien in Damaskus geführt hat, aber auch mit den Vertretern der Syrischen Nationalen Koalition, die auch in New York anwesend gewesen ist.

Meine zweite Bemerkung, vielleicht mehr allgemeiner Natur, und auch das vielleicht als Reaktion auf einige Meinungsäußerungen heute in den Medien:

Das Engagement und die Bereitschaft Deutschlands, sich an einer Allianz im Kampf gegen ISIS zu beteiligen, ausschließlich an dem Kriterium "Beteiligung an Luftschlägen - Ja oder Nein" zu messen, ist wirklich Unsinn. Sondern man ist in New York und in den letzten zwei Wochen - wir sind auf dem Weg zu einer internationalen Strategie im Kampf gegen ISIS - ein ganze Stück vorangekommen. Es hat Resolutionen der Vereinten Nationen gegeben, die sich dem Thema Abschneiden von Kapitalflüssen, Abschneiden vom Zufluss von Kämpfern und vielen anderen Fragen zugewandt haben. Wir haben eine Koalition von Dutzenden von Staaten, die sich politisch einig sind, dass der Kampf gegen ISIS geführt werden muss. Aber er wird mit ganz vielen Mitteln geführt, und er wird in erster Linie politisch geführt. Das, was die Bundesregierung bereits vor vielen Wochen entschieden hat, nämlich die Peschmerga, die irakischen, kurdischen Sicherheitskräfte mit Waffen, mit Rüstungsmaterial auszustatten, ist ein ganz wichtiger Beitrag auch zu einer militärischen Auseinandersetzung mit ISIS.

Ich kann Sie nur bitten, das nicht gering zu schätzen. Wir respektieren all diejenigen, die sich an diesen Luftschlägen beteiligen. Die Amerikaner haben den Anfang gemacht. Es gibt inzwischen eine Handvoll europäischer Staaten, die bereit sind, sich daran zu beteiligen. Das respektieren wir. Aber wir haben auch eine ganze Menge Respekt und Anerkennung dafür bekommen, was Deutschland bereit ist, im Kampf gegen ISIS und zum Schutz der irakisch staatlichen Behörden - in diesem Fall der kurdischen Autonomieregion in Erbil - zu tun.

Frage: Herr Seibert, ist die Position, die Herr Gabriel am Wochenende noch einmal vertreten hat, nämlich dass man bei dem Handelsabkommen mit Kanada nachverhandeln wolle, eine Position der gesamten Bundesregierung?

Kann mir das Wirtschaftsministerium ein bisschen Klarheit über die Position der neuen Handelskommissarin verschaffen? Ich habe sowohl gehört, dass sie für Nachverhandlungen eintritt als auch, dass sie diese Kursänderung nicht will. Haben Sie irgendwelche Informationen, die Klarheit schaffen?

StS Seibert: Ich will gerne für die ganze Bundesregierung sagen, dass wir alle viel Sinn und sehr großen Nutzen in einem solchen Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada sehen. Wir wollen versuchen, im weiteren Prozess noch einige Anliegen umzusetzen. Deutschland ist auch nicht das einzige Land, das noch Anliegen hat. Es liegen noch Arbeiten am Vertragstext an und wir wollen, dass diese Zeit für Verbesserungen genutzt wird. Insgesamt ist ja das letzte Wort noch nicht gesprochen, weil die letztendliche Zustimmung erst im Frühjahr des nächsten Jahres durch den Handelsministerrat gegeben wird. Das ist die Haltung der Bundesregierung. Wir wollen dieses Abkommen und wir wollen einige Anliegen, die wir noch haben, umsetzen.

Braams: Zu Ihrer zweiten Frage: Wir müssen natürlich erst einmal abwarten, dass sich die designierte Handelskommissarin dazu äußert, was sie vielleicht heute Nachmittag in den Anhörungen machen wird. Vorher kann ich dazu keine Stellung nehmen und wir wissen auch nichts außerhalb der Pressemitteilung.

*

Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz vom 29. September 2014
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2014/09/2014-09-29-regpk.html;jsessionid=4F578DABBCB4A38305FA0C137D9C4934.s1t2
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2014