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PRESSEKONFERENZ/1009: Kanzlerin Merkel zum Sondertreffen der Länder der Eurozone, 22.06.2015 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Brüssel - Montag, 22. Juni 2015
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zum Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs der Länder der Eurozone am 22.06.2015


StS Seibert: Guten Abend, meine Damen und Herren, die Bundeskanzlerin berichtet Ihnen jetzt über diesen Gipfel der Eurogruppe.

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, auf Einladung von Donald Tusk haben wir heute ein Treffen der Staats- und Regierungschefs der Eurogruppe gehabt. Wie ich schon beim Eintreffen gesagt habe, handelte es sich hierbei um einen Beratungsgipfel, weil die Eurogruppen-Chefs heute keine Empfehlungen oder Beschlüsse gefasst haben. Deshalb haben wir heute Abend auch keinerlei Verhandlungen im Detail geführt; das ist die Sache der drei Institutionen.

Naturgemäß haben uns die drei Institutionen über den Stand der Beratungen berichtet und haben noch einmal betont, dass sie gemeinsam die weiteren Beratungen durchführen und auch gemeinsame Vorschläge erarbeiten wollen. Dieses ist auch von allen Staats- und Regierungschefs sehr stark unterstützt worden.

Wir haben noch einmal festgestellt, dass die Basis der Beratungen das sogenannte Aide-Mémoire ist. Was ist das? Wir sind von der Stellungnahme der Eurogruppe am 20. Februar ausgegangen. Dort ist die griechische Regierung bestimmte Verpflichtungen eingegangen. Danach hat es eine Weile eine Diskussion gegeben, und dann haben die drei Institutionen eine Position repräsentiert. Das ist dieses Aide-Mémoire mit den bekannten Primärüberschüssen und den vorgeschlagenen Maßnahmen. Es ist dann gesagt worden, dass Griechenland dazu Stellung nehmen und gegebenenfalls einige der Maßnahmen gegen andere austauschen muss. Der Ausgangspunkt ist also diese gemeinsame Position der drei Institutionen, die bereits ein Entgegenkommen gegenüber Griechenland bezogen auf die Ausgangsverpflichtungen im zweiten Programm ist.

Es gibt heute griechische Vorschläge, von denen Sie gehört haben. Alle drei Institutionen haben gesagt, dass das ein guter Ausgangspunkt für weitere Gespräche ist, die jetzt allerdings mit hoher Intensität geführt werden müssen. Die griechische Regierung hat sich dazu genauso wie die drei Institutionen auch bereiterklärt. Es ist jetzt absolut intensive Arbeit nötig. Der Vorsitzende der Eurogruppe hat gesagt, dass er das Ziel hat, am Mittwochabend wieder eine Eurogruppe einzuberufen, die dann möglichst Resultate und Ergebnisse verkünden kann.

Diese Vorgehensweise haben wir alle gebilligt. Wir werden hier am Donnerstag und Freitag zu einem normalen EU-Rat zusammenkommen und hoffen, dass bis dahin Ergebnisse von den drei Institutionen mit Griechenland, gebilligt durch die Eurogruppe, vorgelegt werden können. Alle Teilnehmer der Diskussion, natürlich auch ich, haben gesagt: Wir wünschen uns, dass Griechenland im Euroraum bleibt. Das, was Griechenland heute vorgelegt hat, ist ein gewisser Fortschritt. Aber es ist in der Diskussion auch klar geworden, dass noch sehr viel Arbeit zu leisten ist, dass die Zeit dafür sehr kurz ist und dass deshalb unglaublich konzentriert gearbeitet werden muss.

Das ist das, was ich Ihnen zu sagen habe.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, der Vorschlag der Griechen enthält angeblich immer auch noch das Verlangen nach einem Schuldenschnitt oder einer Umstrukturierung der Schulden oder was auch immer in der Art. Ist das für Sie akzeptabel?

Zweitens. Im Verlauf der Verhandlungen der letzten Wochen ist den Griechen einmal angeboten worden, die Ziele für den Primärüberschuss zu senken. Das ist meines Wissens in der Eurogruppe nie zustimmend behandelt worden. Wäre das für Sie in der damals beschriebenen Form akzeptabel, also in diesem Jahr nur ein Prozent Primärüberschuss, dann einen sehr viel flacheren Pfad und am Ende nicht 4,5, sondern 3,5 Prozent? Wäre das im Prinzip etwas, das Sie akzeptieren würden, dass die Sparanstrengungen nicht ganz so stark sein müssen?

BK'in Merkel: Ich habe ja eben gesagt: Das Aide-Mémoire der Institutionen von vor wenigen Wochen hat ein Entgegenkommen gegenüber Griechenland schon gezeigt. Das ist heute als die Basis der Verhandlungen genommen worden. Aber diese Basis - so die allgemeine Meinung - muss dann auch eingehalten werden.

Was die Frage der Finanzierbarkeit und damit auch der Schuldentragfähigkeit anbelangt, so ist darüber naturgemäß heute nicht im Detail gesprochen worden. Aber es ist klar geworden, dass diese Frage der Finanzierbarkeit auch Teil der Einigung sein muss.

Sie müssen das so sehen: Es muss zuerst mit den drei Institutionen die Konditionalität verhandelt werden und anschließend muss in der Eurogruppe - natürlich mit den drei Institutionen gemeinsam - auch die Frage der Finanzierung verhandelt werden. Erst wenn beide Teile fertig sind, kann man davon ausgehen, dass man eine Lösung hat; wie man überhaupt noch sehr viel Arbeit zu leisten hat. Man muss von den Vorschlägen, die jetzt im Raum sind, das sogenannte "staff-level agreement" verabschieden; man muss die Finanzierung klären; man muss dann wissen, was die griechische Seite als sogenannte "prior actions", also als Vorausmaßnahmen, macht; es muss dann eine Akzeptanz des griechischen Parlaments zu den beschlossenen Maßnahmen geben, bevor man überhaupt in nationale Parlamente hineingehen kann.

Noch eine weitere Information im Zusammenhang mit der Frage, die Sie gestellt haben, die die Schuldentragfähigkeit anbelangt: Wir befinden uns im zweiten Griechenland-Programm. Das ist ein Programm aus dem EFSF. In dem deutschen Umsetzungsgesetz für den EFSF steht, dass im Rahmen des zweiten Programms also im Rahmen des EFSF, keine weiteren Kredite ausgegeben werden können. Das heißt, das Finanzvolumen, das uns zur Verfügung steht, ist das Finanzvolumen, das heute im zweiten Programm verabredet ist.

Zusatzfrage: (ohne Mikrofon; akustisch unverständlich)

BK'in Merkel: Ich habe eben gesagt, was ich dazu sagen kann. Die Finanzierbarkeit muss geklärt werden. Dazu gehört auch, dass für eine bestimmte Zeit - das verlangt der IWF auch - die Finanzierung gesichert ist. Zweitens ist das Finanzvolumen, das wir zur Verfügung haben, durch das zweite Programm vorgegeben.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich hätte gerne gefragt, ob Sie glauben, dass es heute das letzte Mal war, dass Sie in diesem Kreis zusammensitzen, um über diese Fragen zu diskutieren. Sie hatten erwähnt, dass die Euro-Finanzminister dran sind. Ist Ihre Erwartung, dass das auf dem regulären Gipfel nur noch abgenickt oder von den Regierungschefs politisch indossiert wird oder wird es dann wieder eine Grundsatzdebatte geben?

Zusatzfrage: Haben Sie eigentlich eine Vorstellung, wie die griechischen Banken so lange solvent gehalten werden sollen? Gibt es eine Zusage der EZB, dass bis dahin zumindest die ELA-Hilfen weitergezahlt werden?

BK'in Merkel: Die EZB agiert unabhängig. Dazu kann ich nichts sagen.

Ich kann nur sagen, dass wir uns wünschen, dass die Eurogruppe vor unserem regulären Rat die notwendigen Entscheidungen fällen kann und wir das nur zur Kenntnis nehmen müssen. Ob das gelingt, kann ich Ihnen heute nicht sagen. Angestrebt wird es, aber ich kann mich nicht festlegen, ob das gelingt. Es ist noch sehr viel Arbeit zu tun.

Frage: Es ist ja klar, dass jede Einigung auch eine Verlängerung des griechischen Programms beinhalten wird. Wissen Sie denn schon, wie lange das verlängert werden soll? Um drei, um sechs, um neun Monate?

Wann kann man denn nicht über einen Schuldenschnitt, aber zumindest über Hilfe bei der Schuldenrückzahlung der Griechen reden? Erst dann, wenn die neue Regierung wirklich gezeigt hat, dass sie das Agreement, das es jetzt vielleicht geben wird, auch wirklich implementieren wird?

BK'in Merkel: Ich sagte ja schon, dass wir heute nicht über Details gesprochen haben. Das muss in den Verhandlungen der drei Institutionen und dann mit der Eurogruppe geklärt werden. Wir haben auch über keinerlei Verlängerungsszenarien gesprochen. Wir haben ein zweites Programm, und wir müssen jetzt gucken, wie dieses Programm umgesetzt wird. Was dann genau zu entscheiden ist, muss im Lichte der Verhandlungen besprochen werden.

Dann will ich darauf verweisen, dass wir bereits 2012 Aussagen für eine längerfristige Frage des Umgangs mit den Schulden hatten, wo gesagt wird: Wenn notwendig, wird später darüber entschieden. Sie wissen, dass Griechenland viele Jahre gar keine Schulden zurückzahlen muss. Insofern ist diese Frage der Schuldenrückzahlung jetzt auch nicht die akuteste Frage.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, es muss jetzt ja wirklich optimal laufen, damit die Fristen eingehalten werden. Wie hoch schätzen Sie das Risiko ein, dass es vielleicht an der Verabschiedung im griechischen Parlament oder vielleicht sogar im Bundestag scheitert?

BK'in Merkel: Wer mich kennt, weiß, dass ich auf diese Fragen nicht antworte. Wir arbeiten dafür, dass alles klappt. Ihre Bemerkung, dass es sich um eine sehr komplexe Materie handelt, die wir noch in wenigen Tagen zu bewältigen haben, ist richtig. Deshalb muss mit Hochdruck und Nachdruck zwischen den drei Institutionen und Griechenland gearbeitet werden. Das haben alle Seiten heute auch zugesagt.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wurde heute auch über ein mögliches drittes Programm gesprochen? Wenn das zweite erfolgreich abgeschlossen sein sollte, steht ein drittes ja relativ schnell an.

Wurde in diesem Zusammenhang auch über die Aussicht auf eine mögliche Schuldenrestrukturierung oder einen Schuldenschnitt gesprochen?

BK'in Merkel: Wir haben über kein drittes Programm gesprochen, sondern wir haben über den Abschluss des zweiten gesprochen. Wir haben auch gehört, dass die griechische Regierung im Grunde kein drittes Programm möchte. Weitergehende Überlegungen sind nicht angestellt worden. Die Finanzierung, die jetzt im Rahmen des zweiten Programms notwendig ist - mindestens über ein Jahr muss ja eine gewisse Aussicht gegeben werden -, ist ja schon etwas, was wir im Rahmen des zweiten Programms bewältigen und bearbeiten müssen. Insofern gehört das direkt zu der Frage, wie es weitergeht.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich muss mich entschuldigen, aber ich muss noch einmal ganz konkret nachfragen.

BK'in Merkel: Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Sie sind ja hier, um Fragen zu stellen.

Zusatzfrage: Sie haben jetzt schon mehrmals Fragen zur Schuldentragfähigkeit beantwortet. Ich will es einmal andersherum versuchen: Nach fünf Jahren Griechenland-Krise ist es immer noch so, dass der deutsche Steuerzahler und auch die anderen Steuerzahler noch so gut wie keinen Euro verloren haben. Schließen Sie nach dem Stand der Dinge aus, dass die Steuerzahler in den Euroländern die Kredite zum Teil abschreiben können, die sie Griechenland gewährt haben?

BK'in Merkel: Ich sage noch einmal, dass wir bisher Lösungen gefunden haben, um die Schuldentragfähigkeit darzustellen. Das Ziel ist, das auch jetzt zu tun. Ich kann aber heute über den Ausgang der Verhandlungen bis Mittwochabend keine abschließende Wertung treffen. Ich habe gesagt: Es ist noch viel Arbeit zu tun. Also kann ich nicht sagen, was dabei herauskommt. Es steht aber nicht zur Debatte, dass wir Schulden in dem Sinne restrukturieren oder Ähnliches. Wir müssen die Finanzierbarkeit darstellen und wir müssen mit den Finanzmitteln auskommen - das habe ich nicht ohne Bedacht gesagt -, die innerhalb des zweiten Programms angelegt sind, weil nach deutschem Recht die EFSF-Kredite nicht erhöht werden können.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben von gewissen Fortschritten gesprochen. Können Sie etwas genauer sagen, wo Sie Punkte sehen, bei denen die griechische Regierung deutlich nach vorne gegangen ist?

Zweitens. Haben Sie nach den vielen Gesprächen mit Herrn Tsipras eine Erklärung dafür, warum wirklich bis zum letzten Moment damit gewartet wurde? Es fällt das Wort "Pokerspiel" oder sind es vielleicht innenpolitische Gründe, die Tsipras dazu bewogen haben?

BK'in Merkel: Ich glaube, es nützt jetzt nichts, dass ich Analysen anstelle, warum wann was stattgefunden hat. Wichtig ist, dass es gestern Nacht und heute Früh Vorschläge gegeben hat. Diese Vorschläge liegen uns nicht vor, sondern sie liegen den drei Institutionen vor. Die drei Institutionen haben nicht im Detail darüber berichtet, sondern haben lediglich gesagt, dass sie ein Ausgangspunkt für weitere Gespräche sein könnte. Daraus schlussfolgere ich, dass es ein gewisser Fortschritt ist. Es ist aber ganz klar gesagt worden, dass man noch nicht da ist, wo man hinkommen muss. Deshalb liegen Stunden intensivster Beratungen vor uns.

Damit schicke ich Sie jetzt in die Nacht.

Montag, 22. Juni 2015

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel in Brüssel zum Sondertreffen
der Staats- und Regierungschefs der Länder der Eurozone am 22.06.2015
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/06/2015-06-23-merkel-er.html;jsessionid=584770BF5AFE80B04F9F4EFD4D717C5F.s2t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2015

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