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PRESSEKONFERENZ/1159: Kanzlerin Merkel und der irakische Ministerpräsident Haidar Al-Abadi, 11.02.2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Berlin - Donnerstag, 11. Februar 2016
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Premierminister der Republik Irak, Haidar Al-Abadi

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass der Premierminister des Irak, Herr Haidar Al-Abadi, heute in Berlin zu Besuch ist. Wir treffen uns zum dritten Mal, seitdem er sein Amt angetreten hat. Nach dem Antrittsbesuch haben wir uns in Elmau anlässlich des G7-Treffens getroffen, und heute treffen wir uns in Berlin.

Die Herausforderungen für die irakische Regierung sind groß. Deutschland ist bemüht - wir haben das als G7-Vorsitz im vergangenen Jahr gemacht, aber setzen das auch fort -, alles zu tun, damit sich der Irak stabilisieren kann - angesichts der großen sicherheitspolitischen Herausforderungen, aber vor allen Dingen auch angesichts der ökonomischen Herausforderungen. Der sinkende oder niedrige Ölpreis ist nämlich eine große Aufgabe und natürlich ein großes Thema für die Budgetsituation des Irak.

Was gebraucht wird, ist wirtschaftlicher Aufschwung und sind Infrastrukturprojekte vor allen Dingen auch in den Städten, die vom IS befreit werden konnten. Insofern haben wir heute von deutscher Seite einen ungebundenen 500-Millionen-Euro-Kredit an den Irak gegeben, gerade auch, um Infrastrukturwiederaufbau zu betreiben, um damit Menschen im Irak auch eine Hoffnung für ihr eigenes Leben zu geben und um zu vermeiden, dass sie ihr Land verlassen müssen, weil das weder für den Irak gut ist noch dabei hilft, die Lebenssituation der Menschen zu verbessern, die gerne - das haben wir heute auch noch einmal besprochen - in ihrer Heimat bleiben möchten.

Die Bundesregierung unterstützt insbesondere das Training der Peschmerga im Norden des Irak, aber wir haben auch über die Unterstützung der Ausbildung für die irakische Armee insgesamt gesprochen. Wir haben über wirtschaftliche Unterstützung gesprochen. Wir haben auch noch einmal darüber gesprochen, dass es 2,5 Millionen bis 3 Millionen Binnenflüchtlinge im Irak gibt, und auch dabei sollte sich unsere Entwicklungszusammenarbeit noch stärker auf Schulen konzentrieren, auf Möglichkeiten für diese Menschen in ihrer Heimat sowie darauf, dass sie dort auch weiterhin, obwohl sie vertrieben worden sind, eine Hoffnung finden.

Wir haben uns natürlich über die Situation im Umfeld des Irak unterhalten. Was ich erst einmal als ein sehr hoffnungsvolles Zeichen bewerten möchte, und da hat sich auch wirklich etwas verändert, ist, dass die Menschen im Irak auch außerhalb der Hauptstadt heute wieder mehr Zutrauen in die Kraft der irakischen Armee haben und dass auch die lokale Polizei wieder besser arbeitet, sodass die Menschen wieder ihre Heimat finden können. Natürlich ist das internationale Umfeld sehr kompliziert, in dem der Irak lebt. Deshalb waren wir uns auch einig, dass alle Bemühungen unternommen werden müssen, zum Beispiel Gespräche - wie sie heute ja auch in München stattfinden - über die Zukunft Syriens zu führen und damit den Frieden in der Region voranzubringen, von dem leider im Augenblick so sehr wenig zu sehen ist.

Insgesamt haben wir verabredet, dass wir sehr eng miteinander in Kontakt bleiben werden, dass wir uns auch sehr eng abstimmen, dass wir dafür sorgen werden, dass die Unterstützung für den Irak im G7-Kreis weiterhin groß sein wird, dass der Kampf gegen den IS erfolgreich weitergeführt werden kann und dass die Menschen im Land wieder wirtschaftliche Hoffnung haben. Das sind heute die großen Themen unserer Diskussion gewesen. - Noch einmal herzlich willkommen hier bei uns!

MP Al-Abadi: Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel! Vielen Dank für Ihren Empfang, vielen Dank für die Unterstützung des Irak! Dies sind historische Beziehungen, und wir wollen auch weiter auf diese Beziehungen aufbauen.

Wir im Irak unternehmen große Reformschritte, um unsere Wirtschaft zu reformieren, auch innerhalb der Kreise der Regierung. Wir wollen auch mehr Arbeitsplätze für die irakischen Bürger schaffen, insbesondere im Lichte des Rückgangs der Ölpreise, da sich das irakische Staatsbudget zu 90 Prozent auf Ölpreise und Öleinnahmen verlässt.

Wir haben auch Projekte zur Unterstützung des privaten Sektors veranlasst. Wir haben mehr als 6 Milliarden irakische Dinar für Kleinprojekte, für Projekte der Jugendlichen und für die Arbeitsplatzbeschaffung ausgegeben. Wir wollen von der deutschen Expertise im Bereich der Investitionen und im Bereich der Wirtschaftsförderung lernen, und auch das haben wir heute besprochen. Das gilt insbesondere im Rahmen der G7. Die G7 kann sehr viel anbieten, um den Irakern dabei zu helfen, ihre Wirtschaft wiederzubeleben und sie auch zu diversifizieren. Der Rückgang des Ölpreises, durch den die Einnahmen heutzutage auf 15 Prozent der ursprünglichen Einnahmen gesunken sind, ist natürlich ein sehr starker Rückgang. Deswegen müssen wir die Preise nutzen, um die Wirtschaft zu diversifizieren, um unsere Wirtschaft vollständig und umfangreich zu reformieren. Die G7 kann insofern helfen, diesen Schritt zu verwirklichen, um die irakische Wirtschaft zu modernisieren und aus dieser Krise herauszukommen.

Wir wollen in allen Provinzen wieder Stabilität erreichen, und wir danken der deutschen Regierung für die ungebundenen Kredite in Höhe von 500 Millionen Euro. Damit können wir natürlich die Stabilisierungsprojekte umsetzen, um einen guten Boden dafür zu schaffen, den Binnenflüchtlingen die Chance zu geben, in ihre ursprünglichen Heimatregionen zurückzukehren. Dieses Thema der Flüchtlinge, der Binnenflüchtlinge sowie der Flüchtlinge in den europäischen Ländern ist sehr wichtig. Natürlich ist die beste Lösung dafür, erst einmal die Binnenflüchtlinge in ihren eigenen Ländern gut zu betreuen und gut zu behandeln. Wir haben ungefähr 3 Millionen Binnenflüchtlinge. Wir wollen sie in ihre Heimatregionen zurückbringen. Aber diese Regionen bedürfen natürlich des Wiederaufbaus. Wir wollen auch die Hauptdienstleistungen für diese Bürger garantieren. Das würde dazu führen, die Binnenflucht und damit auch die Flucht in europäische Länder zu verringern. Kein Land möchte seine Mittelschicht und seine Bürger verlieren. Deswegen möchten wir, dass unsere Bürger im Irak bleiben. Aber sie führen auch zu einem Druck auf die europäische Wirtschaft, und das führt auch zu europäischem Leid. Die richtige Lösung besteht darin, ihnen in ihren Heimatländern dabei zu helfen, dort zu bleiben.

Terrorismus ist ein gemeinsamer Feind von uns allen. Wir hoffen auch auf zunehmende Zusammenarbeit im Informationsbereich. Die Sicherheitsapparate kooperieren sehr gut, und wir wollen diesen blutigen Taten und diesen blutigen Attacken Einhalt gebieten. Es ist wichtig, dass wir diese Zusammenarbeit fortführen und sie auch intensivieren.

Unsere Sicherheitskräfte konnten auch sehr große Fortschritte und sehr große Erfolge erreichen. In dieser Woche werden die ersten irakischen Kräfte Ost-Mossul erreichen. Wir hoffen, dass Mossul bald befreit sein wird; bestimmt gibt es auch andere Erwartungen, aber wir sind zuversichtlich, nachdem wir Baidschi und Ramadi befreit haben. Da'esh wird zurzeit zurückgedrängt. Wenn wir ihnen erlauben, weiter voranzuschreiten und sich weiter auszubreiten, dann werden sie weiterhin eine große Gefahr darstellen.

Wir brauchen Training. Wir haben ehrlich gefordert, dass insbesondere unsere lokale Polizei und unsere Armee trainiert werden. Die größte Gefahr sind die Sprengsätze, die zu vielen Opfern unter den Zivilisten führen. Deutschland hat sehr große Erfahrung in diesem Bereich. Deswegen hoffen wir auf deutsche Unterstützung in der Bekämpfung dieser Attacken. Wir haben das Versprechen der Bundeskanzlerin, dass sie den Irak schnellstmöglich unterstützen wird.

Auch was den Austausch von Expertise bei den Wirtschaftsreformen angeht, hoffen wir auf umfangreiche Kooperation. Alle deutschen Unternehmen sind herzlich willkommen im Irak und herzlich willkommen, hier zu investieren. 16 Gouvernements des Iraks sind jetzt als sichere Regionen zu betrachten. Deutsche Unternehmen arbeiten schon seit langen Jahren im Irak, auch im Bereich der Dienstleistungen. Wir hoffen, dass sich mehr deutsche Unternehmen an der irakischen Wirtschaft beteiligen.

Vielen Dank.

Frage: Herr Ministerpräsident, das ist nicht Ihr erster Besuch und wird auch nicht Ihr letzter Besuch in Deutschland sein. Was ist neu?

Es gibt viele Erfolge, was etwa die Befreiung von Tikrit und Ramadi angeht. Es gibt auch eine Reihe von Reformen, die Sie gestartet haben. Wie blicken Sie auf die Zusammenarbeit des Iraks mit den Großen, Starken im Bereich der Wirtschafts- und der Sicherheitspolitik?

MP Al-Abadi: Zwei Punkte dazu. Erstens gibt es einen großen Wandel, was die militärische und die Sicherheitsebene angeht. Das sind natürlich die großen Erfolge, die unsere Sicherheit erreichen konnte. Jetzt sind wir im letzten Kapitel, der Befreiung von Mossul, und dabei, Da'esh endgültig aus dem Irak zu vertreiben.

Natürlich besteht die Frage, wie wir das mit den geringsten Verlusten erreichen können und ohne dass dafür die Präsenz von Da'esh in Syrien verstärkt wird. Deswegen brauchen wir eine politische Lösung. Die Lösung in Syrien kann nicht militärisch sein. Innerhalb von fünf Jahren war das Ergebnis der militärischen Lösung die Zerstörung Syriens. Da'esh konnte über die Grenze in den Irak auswandern, den Irak zerstören und Millionen von Zivilisten töten. Das hat zu einer großen Zahl von Binnenflüchtlingen geführt. Deswegen brauchen wir eine politische Lösung in Syrien. Das ist das Wichtigste. Wir befinden uns jetzt im letzten Kapitel der Befreiung des Iraks. Unser Militär und unsere Polizei können das militärisch erreichen.

Aber der zweite Punkt ist natürlich der weltweite Rückgang der Wirtschaft. Der Rückgang der Ölpreise ist eine wirkliche Gefahr. Niemand konnte das erwarten. Niemand konnte erwarten, dass das so schnell geschieht. Das wirkt sich natürlich nicht nur auf Erdöl produzierende Länder wie den Irak, sondern auf die gesamte Weltwirtschaft aus. Deswegen bedarf es einer Zusammenarbeit, um den Irak zu unterstützen, damit der Irak die Leistungen und die Dienstleistungen an seine Bevölkerung garantieren kann, damit wir den IS endgültig aus dem Irak vertreiben und diese terroristischen Angriffe beenden können.

Das sind die Neuigkeiten. Wir brauchen natürlich eine Neuorientierung des Unterstützungskompasses am Irak.

Frage: Ich hätte gern nach den Auswirkungen der sinkenden Öleinnahmen gefragt. Herr Ministerpräsident, können Sie uns sagen, wie dramatisch die Lage ist? Denn es gibt Berichte, dass in den kurdischen Gebieten der Autonomieregierung Gehälter schon länger nicht mehr bezahlt werden können.

Frau Bundeskanzlerin, führen die sinkenden Einnahmen des irakischen Staates und auch der kurdischen Autonomiebehörde denn nicht dazu, dass die Anstrengungen, die vergangene Woche in London unternommen wurden, dass man nämlich Hilfsleistungen sammelt, konterkariert werden und sich doch wieder Flüchtlinge in Richtung Europa in Bewegung setzen?

MP Al-Abadi: Wie bereits erwähnt, haben die Öleinnahmen jetzt 15 % ihres ursprünglichen Levels erreicht, 15 % der ursprünglichen Einnahmen, die wir vor zwei Jahren hatten. Das ist ein sehr gefährlicher Rückgang. Wir sehen uns mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. Deswegen wollen wir unsere Wirtschaft diversifizieren. Trotz des Rückgangs der Einnahmen war es 2015 ein Drittel. Jetzt sind sie auf ein noch gefährlicheres Niveau gesunken. Wir gehen mit der Wirtschaft im Irak sehr transparent um. Kurdistan erhält die gleichen Öleinnahmen wie wir. Aus Kurdistan werden tagtäglich 612 Millionen Barrel exportiert. Das sind 15 Prozent der gesamten irakischen Öleinnahmen.

Aber wir brauchen natürlich noch mehr Transparenz im Budget von Kurdistan. Ich kann die Forderungen nicht wirklich nachvollziehen. Es wundert mich, dass die Gehälter nicht ausgezahlt werden. Denn das Öl, das von der Zentralregierung an die kurdische Regierung gegeben wird, entspricht den richtigen Einnahmen. Deshalb ist es notwendig, dass Kurdistan auch eine Rolle bei der Kontrolle der Ressourcenverteilung in diesem Gebiet spielen wird. Durch einen richtigen demokratischen Prozess wollen wir unsere Wirtschaft diversifizieren.

Der Irak und Kurdistan sitzen in einem Boot. Probleme in einem Bereich führen zu Problemen im anderen Bereich. Herr Barzani hat uns vergangene Woche besucht. Wir müssen eine einheitliche Vision haben, was die wirtschaftlichen Reformen angeht. Es kann nicht sein, dass ein Teil der Gesellschaft monopolisiert wird. Wir gehen mit allen Bürgern gleich um. Unsere Bürger müssen die Fortschritte in unserer Wirtschaft sehen.

Mein letzter Wunsch an das irakische Parlament war, dass wir einen kompletten Regierungswechsel haben und dass Parteiloyalität überhaupt keine Rolle mehr spielt. Wir haben sehr viele Ressourcen und Kapazitäten, die zur Verbesserung der Lage führen können. Ich habe meine Forderung beim irakischen Parlament schon abgegeben und hoffe, dass die Regierung ausschließlich auf Basis der Kapazitäten aufgebaut wird.

Ich habe Vertrauen in die irakische Wirtschaft. Der Irak ist kein gebrochenes Land. Der Irak hat große Potenziale und Ressourcen. Wir können gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Ich war in Italien und hatte heute ein Treffen mit der Bundeskanzlerin. Ich habe Vertrauen in beide Regierungen und in die Kooperation mit beiden Regierungen, um aus dieser Krise wieder hervorzugehen. Dass wir den IS bekämpfen und ihn besiegen, dazu muss unsere Wirtschaft beitragen können.

BK'in Merkel: Es gibt ja zwei Gründe für Fluchtursachen. Der eine ist die Sicherheitslage. Da gibt es noch etliches zu tun, da gibt es aber auch große Fortschritte, was die Rückeroberung von Städten und Gebieten angeht. Deshalb ist auch die Frage des Trainings von Polizei, aber vor allen Dingen auch die Fähigkeit, die wir bei der Beseitigung von Sprengfallen haben, sehr wichtig. Hierfür können wir die irakischen Fachkräfte sehr gut ausbilden. Denn einige Teile von Städten können überhaupt nicht wiederbesiedelt werden, weil dort alles vermint ist, sodass die Zivilbevölkerung nicht zurückkehren kann. Der Kampf gegen IS ist also ein zentrales Element.

Der andere Grund ist natürlich auch die Frage der wirtschaftlichen Situation. Es ist eine außergewöhnliche Situation. Man muss sich vorstellen, was es für die Budgetsituation bedeutet, wenn man bei einem Haushalt, der, wie mir der Ministerpräsident sagte, zu 90 % von Erdöleinnahmen abhängt, noch 15 % der Einnahmen hat, die man eigentlich eingeplant hatte.

Deshalb glauben wir, dass unser Kredit von 500 Millionen Euro - ungebunden, also für Projekte, die dem Irak wichtig sind, einsetzbar - hilfreich ist. Wir werden die Entwicklungszusammenarbeit fortsetzen. Wir leisten im Nordirak eine sehr intensive Unterstützung der Flüchtlingslager, der Beschulung, des Aufbaus von Wohnungen. Unser Entwicklungsminister hat die Initiative "Cash for Work" gestartet, die auch im Irak angewendet wird; dabei geht es also um Arbeitsmöglichkeiten für Menschen im Irak. Wir werden jetzt darüber reden, wie wir das noch besser auf den gesamten Irak ausweiten können.

Drittens muss man auch sagen - auch darüber haben wir gesprochen -: Wir müssen mehr informieren. Die Verheißungen, die die Schlepper und Schmuggler den Menschen zum Teil machen, die dann einen gefährlichen Weg gehen, viel Geld bezahlen - die zur Mittelschicht des Landes gehören, also gar nicht einmal die ärmsten sind -, sind oft bar jeder Realität, die die Menschen in Deutschland erwartet. Daher hat uns der Premierminister auch gebeten, alle Möglichkeiten zu suchen, um Desinformation aufzudecken und die wirkliche Information zu geben.

Ich glaube, diese drei Elemente - Sicherheit, wirtschaftliche Hilfe und Kampf gegen die Schmuggler und Schlepper durch wahrheitsgemäße Informationen - müssen die Optionen sein - natürlich können wir auch darüber reden, ob wir hier Studienplätze und vielleicht auch Berufsausbildung für Iraker auf legalem Wege ermöglichen wollen -, die wir an die Stelle des Menschenschmuggels setzen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, die Iraker haben Ramadi befreit, die Kurden haben Sindschar befreit und wiedererobert. Wird Deutschland die Iraker, die Kurden bei der Befreiung von Mossul unterstützen beziehungsweise die Unterstützung noch mehr steigern?

Herr Premierminister, ich wollte Ihnen eine Frage zu Mossul stellen - Sie haben mir die Frage aber erspart, da Sie die Antwort bereits gegeben haben. Daher zu den wirtschaftlichen Reformen: Es gibt ja eine Reihe von wirtschaftlichen Reformen, und auch die Anzahl der Ministerien in Bagdad soll verringert werden. Ihre Kollegen in Kurdistan sehen sich mit demselben Problem konfrontiert. Der Präsident von Kurdistan - Sie haben auch den Besuch von Herrn Barzani erwähnt - führt jetzt die gleichen Reformen durch. Gibt es Koordination, gibt es eine Zusammenarbeit zwischen Ihnen, was die Reformen angeht? Könnte das möglicherweise auch einen positiven Einfluss auf die Beziehungen zwischen Bagdad und Erbil haben?

BK'in Merkel: Wir haben einen klaren Rahmen für unsere Unterstützung erst einmal der Peschmerga im Nordirak: Bis zu 150 deutsche Soldaten sind bei der Ausbildung der Peschmerga dabei, und die Peschmerga bekommen von uns auch Ausrüstungsunterstützung. Sofern sie jetzt auch bei der Befreiung von Mossul mithelfen, sind sie dann natürlich auch besser ausgebildet.

Wir haben darüber hinaus eben auch darüber gesprochen, dass wir gerade mit Blick auf Spezialisten für die Entschärfung von Sprengfallen für das gesamte irakische Gebiet noch mehr tun können. Darüber müssen erst noch Gespräche geführt werden, aber das sind Beiträge, wie wir sie auch für die Zukunft noch im Auge haben.

MP Al-Abadi: Die Reformen sind natürlich grundsätzlicher Art, aber ich möchte betonen, dass die Reformen nur dann erfolgreich werden, wenn sie auf den gesamten Irak angewandt werden. Wir haben sehr tiefe Beziehungen zu Kurdistan und hoffen, dass wir auch unsere Kooperation vertiefen. Das Regierungsprogramm, das ich dem irakischen Parlament vorgelegt habe, glaubt an die Dezentralität in der Verwaltung. Deswegen möchten wir auch weitere Kompetenzen übertragen, damit wir mit Kurdistan und mit den Provinzen zusammenarbeiten und so um einen qualitativen Sprung erreichen können. Ich habe Vertrauen, dass wir das schaffen können. Ich glaube, weil die Angelegenheiten vorher nicht transparent behandelt wurden, bestehen noch kein genügendes Vertrauen und keine genügende Zusammenarbeit. Wir rufen auch zur Bekämpfung der Korruption aus. Leider gab es da immer eine Aufteilung nach bestimmten Kriterien - aber wer korrupt ist, der ist nicht korrupt aufgrund seiner Religion oder aufgrund seiner Parteiloyalität; vielmehr kommt es hier auf die persönliche Überzeugung einer Person an. Insofern glaube ich, dass wir, wenn wir im Bereich der Reformen zusammenarbeiten, das Beste für das irakische Volk tun. Das bedeutet in meinen Augen, das Beste für die eigene Bevölkerung anzubieten und für das Beste der Bevölkerung zu arbeiten.

Frage: Herr Ministerpräsident, es hat zuletzt Überlegungen der kurdischen Führung gegeben, ein Referendum abzuhalten. Wie bewerten Sie das? Sind Sie der Meinung, dass das Auswirkungen auf die militärische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den Peschmerga haben sollte?

Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie gestatten: Könnten Sie sagen, wie Sie die Äußerungen des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer bewerten, dass es in Deutschland in der Flüchtlingspolitik eine Herrschaft des Unrechts gibt? Sind Sie der Meinung, dass die CSU aus dieser Überzeugung ihres Vorsitzenden irgendwelche Konsequenzen mit Blick auf die Arbeit in der Bundesregierung ziehen sollte?

MP Al-Abadi: Kurdistan ist ein Teil von Irak, und ich wünsche natürlich, dass Kurdistan das auch bleibt. Die Teilung des Irak ist im Interesse von keinem Einzigen. Europa wird immer einheitlicher, das sehen wir; es wird sich immer mehr einig, wird immer besser in der Zusammenarbeit. Dass wir uns auf eine Teilung zubewegen, sehe ich insofern nicht als richtig an. Aber in all meinen Gesprächen mit der kurdischen Führung sehe ich, dass auch sie keine Teilung wünscht. Ich rufe transparent dazu auf, dass das Referendum nicht abgehalten wird; denn wieso sollte man, wenn sie sich dann ohnehin nicht an das Ergebnis des Referendums halten werden, überhaupt ein Referendum durchführen?

Ich sehe also, dass es eine gemeinsame Vision gibt und dass eine solche Teilung im Interesse von Keinem in der Region ist. Deswegen frage ich mich: Wieso wollen wir alle Menschen eigentlich in diese Richtung bringen, wenn wir uns ohnehin nicht daran halten werden? Die richtigen Führungen arbeiten an einer Versöhnung zwischen den Menschen. Kurdistan wird ohne Irak nicht zu einem Fortschritt finden, und für Irak ist es wichtig, in all seinen Komponenten einheitlich zu bleiben. Wir sind auf die kurdische Komponente in unserem Land sehr stolz, und die Kurden sind auch stolz darauf, Teil des Iraks zu sein. Wir arbeiten zusammen, und ich glaube, ein Referendum ohne ein richtiges Ergebnis würde in den Augen der Leute lächerlich sein.

BK'in Merkel: Zu der an mich gestellten Frage: Das kommentiere ich nicht.

Zu dem, was der Premierminister eben gesagt hat, möchte ich noch hinzufügen, dass auch die Bundesregierung alles daransetzt, dass die territoriale Integrität und die Gemeinsamkeit des Irak erhalten bleibt. Das haben wir bei aller Unterstützung für die Peschmerga und für die Kurden immer wieder deutlich gemacht, und das zeigt auch der heutige Besuch. Wir empfinden die kurdischen Gebiete als Teil des Iraks, und in diesem Geiste unterstützen wir sie auch.

Herzlichen Dank!

Donnerstag, 11. Februar 2016

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Premierminister der
Republik Irak, Haidar Al-Abadi am 11. Februar in Berlin
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/02/2016-02-11-pk-irak.html;jsessionid=AFCDC28D39B26CF474AFCCFC8CA62AB2.s2t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2016

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