Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → FAKTEN


PRESSEKONFERENZ/1250: Kanzlerin Merkel und der ukrainische Ministerpräsident Hrojsman, 27.06.2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Berlin - Montag, 27. Juni 2016
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem ukrainischen Ministerpräsidenten Hrojsman

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, heute den neuen ukrainischen Ministerpräsidenten Wolodymyr Hrojsman ganz herzlich in Berlin begrüßen zu dürfen. Wir sind uns schon im Deutschen Bundestag begegnet, als er Parlamentspräsident war. Aber jetzt ist er schon 50 Tage in einer neuen Verantwortung mit einer neuen Regierung, der wir natürlich viel Erfolg wünschen.

Wir haben miteinander ein sehr freundschaftliches und offenes Gespräch über die Situation in der Ukraine geführt. Die Regierung sieht sich einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber, was die wirtschaftliche und die innenpolitische Lage anbelangt. Die Ukraine durchschreitet nach vielen Jahren des Stillstands einen schwierigen Reformprozess. Es geht darum, ein neues Justizsystem aufzubauen und die Korruption zu bekämpfen, vor allen Dingen aber darum, den Menschen zu zeigen, dass sich nach einer schwierigen Phase des Übergangs ihre eigene Lebenssituation verbessert. Dies ist bisher nicht eingetreten. Die schwierige Situation hat dazu geführt, dass das Durchschnittseinkommen gesunken ist. Deshalb ist gerade die Frage der wirtschaftlichen Kooperation mit der Ukraine so wichtig.

Wir hatten mit Arsenij Jazenjuk, dem vorigen Ministerpräsidenten, hier in Berlin eine Wirtschaftskonferenz. Wir werden im Herbst dieses Jahres eine Wirtschaftskonferenz in Kiew durchführen, wo wir mit Hilfe der deutschen Wirtschaft dafür Sorge tragen wollen, dass sich unsere Handelsbeziehungen noch einmal verstärken. Die Ukraine ist nach wirtschaftlichen Einbrüchen jetzt wieder auf einem langsamen Weg hin zurück zu Wachstum. Das will Deutschland ausdrücklich unterstützen. Wir werden im Oktober die Außenhandelskammer in Kiew einweihen können. Das ist ein wichtiger Punkt.

Damit deutsche Unternehmen investieren, unterstützen wir das Programm der Regierung, was Justizreform, Generalstaatsanwaltschaft und Dezentralisierungsbemühungen des Landes anbelangt, auch mit ganz konkreter Kooperation. Wir haben der Ukraine einen ungebundenen Finanzkredit gegeben, der für Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz verwendet wird. Die Energiepreise sind in Marktpreise überführt worden. Sie alle können sich vorstellen, was das für Menschen bedeutet, die eine Mindestrente bekommen und die sehr wenig Geld verdienen. Um diesen Kurs zu unterstützen, wollen wir hilfreich sein.

Wir haben natürlich auch über die Situation in Donezk und Lugansk gesprochen. Wir müssen feststellen, dass es immer noch keinen stabilen Waffenstillstand gibt. Das ist sehr bedauerlich, weil das jeden Tag Unruhe in diesen Gebieten, aber auch in der gesamten Ukraine verursacht. Nichtsdestoweniger sind wir uns einig, dass wir zur Umsetzung der Minsker Vereinbarung stehen und dass alle Anstrengungen unternommen werden. Ich werde mit Präsident Poroschenko, der dafür vorrangig verantwortlich ist, natürlich weiter in Kontakt bleiben.

Deutschland und Frankreich versuchen im Normandie-Format, die Ukraine und auch die ukrainischen Interessen zu unterstützen, damit der Zugang zu den Grenzen wieder da ist, damit die Menschen ein besseres Leben haben und damit dort nach OSZE-Standards Wahlen durchgeführt werden können. Das ist ein schwieriger Prozess. Aber ich denke, es lohnt sich, diesen Weg zu gehen. Deshalb freue ich mich, dass das von der Regierung unterstützt wird.

Wir wissen, dass das Thema der Visaliberalisierung für die Ukraine sehr wichtig ist. Die Ukraine hat die Bedingungen erfüllt. Wir arbeiten jetzt an einem sogenannten "Snap-back"-Mechanismus, also an einem Mechanismus, der in Zeiten von Gefahren die Rücknahme der Visaliberalisierung schneller ermöglicht. Das ist nicht speziell für die Ukraine, sondern das ist ein generelles Verfahren. Wir haben nicht vergessen, dass die Ukraine alle Bedingungen erfüllt hat und dass die Visaliberalisierung für die Ukraine eine sehr hohe Priorität hat. Natürlich haben wir auch darüber gesprochen.

Insgesamt wünsche ich dem Ministerpräsidenten von Herzen allen denkbaren Erfolg. Wir werden den Weg der Ukraine mit allem, was uns möglich ist, unterstützen.

MP Hrojsman: Besten Dank. Ich möchte mich, Frau Bundeskanzlerin, in erster Linie bei Ihnen für die Einladung, Deutschland zu besuchen, bedanken. Dies ist mein erster Arbeitsbesuch als Premierminister. In Europa komme ich ausgerechnet nach Deutschland, zu unserem strategischen Partner. Ich bedanke mich bei Ihnen persönlich für die Einladung und auch für Ihre ständige persönliche Unterstützung und die Unterstützung Deutschlands in dieser keinesfalls leichten Zeit, auch auf dem Wege unserer innenpolitischen Reformen und bei dem Widerstand gegen die russische Aggression. Bedauerlicherweise bekamen wir im 21. Jahrhundert diese Herausforderung vor der ganzen Welt.

Unsere ukrainischen Soldaten verteidigen nicht nur die östlichen Grenzen der Ukraine, sondern auch die Grenzen der Europäischen Union. Denn wir kämpfen für europäische, für demokratische Werte, für Respekt vor dem Völkerrecht. Deshalb möchte ich mich nochmals für die Unterstützung der Ukraine in dieser komplizierten historischen Zeit bedanken.

Wir haben heute in der Tat über die Arbeit unserer neuen Regierung gesprochen. Wir arbeiten etwas mehr als 50 Tage. Wir haben viele Hausaufgaben. Ich habe über konkrete Schritte der ukrainischen Regierung berichtet, über die Reformierung der nationalen Wirtschaft und die Sicherung der makroökonomischen Entwicklung. Die Menschen in der Ukraine leben, wie gesagt wurde, unter schwierigen Bedingungen. Aber das Wichtigste, was die Regierung heute tun muss, ist die Gewährleistung des Anstiegs der nationalen Wirtschaftsleistung, die Erhöhung der Einnahmen der Bürger. Wir haben ein gewaltiges Entwicklungspotenzial. Ich denke, die Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland, auch die Einbeziehung der Deutschen Wirtschaft für Investitionen in die ukrainische Wirtschaft, ist eine ganz wichtige Priorität bei unserer Tätigkeit.

Ich möchte sagen: An erster Stelle unserer Tagesordnung steht die Bekämpfung der Korruption, und nicht bloß das Gespräch über die Bekämpfung der Korruption. Wir haben bereits viele Beschlüsse gefasst, die die Deregulierung im Energiebereich sichern; wir haben die Veränderungen im Staatsdienst der Ukraine angefangen; das ukrainische Parlament hat den Startschuss für die Justizreform gegeben. Das sind alles Schritte, die entsprechende Bedingungen für den Schutz der Bürgerrechte, für den Investitionsschutz und für die Führung des Business in der Ukraine schaffen.

Ich möchte besonders betonen, dass auf der Konferenz, die im Oktober stattfindet, der Vertrag über die Gründung der Handelskammer unterzeichnet werden soll und unterzeichnet werden wird. Damit wird ein wichtiger Mechanismus zur Stärkung unserer wirtschaftlichen Beziehungen geschaffen. Zurzeit ist Deutschland führend, was die Investitionen in der Ukraine angeht. Wir haben mehr als 1000 Betriebe mit deutschem Kapital; diese sind in der Ukraine erfolgreich. Wir schätzen das sehr und sind sehr interessiert daran, dass dieses Business in der Ukraine erfolgreich wird; denn wenn das erfolgreich ist, dann wird sich auch die Wirtschaft entwickeln und dann wird die Ukraine auch erfolgreich sein.

Zu einem weiteren Thema: Wir erleben die Aggressionen der Russischen Föderation und wir erlebten die Annexion der Krim, durch die ein Teil unseres Territoriums erobert und besetzt wurde. In dieser schwierigen Zeit ist die Position Deutschlands, was die Unterstützung der Ukraine betrifft, sehr wichtig. Wir haben in diesem Zusammenhang noch einmal über die Minsker Vereinbarungen gesprochen. Diese Vereinbarungen sind ein Plan zur Reintegration des Territoriums, aber dafür muss auch Russland alle Bedingungen - Abzug der Truppen und andere friedenssichernde Maßnahmen - erfüllen. Dazu gehört auch, dass der Beschuss aufhört, den wir immer noch jeden Tag haben und durch den bedauerlicherweise jeden Tag unsere Soldatenhelden fallen.

Deshalb: Unsere Aufgabe ist weiterhin, die Implementierung fortzuführen, damit wir die Reintegration weiter sichern können - ich möchte betonen: Reintegration des ukrainischen Donbas. Ich möchte sagen, dass die ukrainische Zentralmacht den ukrainischen Donbas und auch die Bürger der Ukraine, die sich zurzeit in der Gefangenschaft der russischen Freischärler befinden, mit großem Respekt behandelt. Unsere Aufgabe besteht aber darin, alles zu tun, damit wir einen stabilen Frieden auf dem Kontinent aufbauen können und damit der Aggressor das Völkerrecht respektiert, damit kein Land der Welt unter solchen Herausforderungen leidet wie denen, unter denen die Ukraine jetzt leidet.

Ein weiteres Thema, das ich betonen möchte: Wir haben auch über ein visafreies Regime besprochen. Ich bin der Meinung, dass das eine wichtige Entscheidung seitens der EU in Bezug auf die Ukraine ist. Wie gesagt, hat die Ukraine alle technischen Bedingungen erfüllt, deren Erfüllung zur Einführung eines visafreien Regimes erforderlich ist, und wir erwarten, dass in der nächsten Zeit eine entsprechende Entscheidung getroffen wird. Natürlich hat die EU ihre innerpolitischen Verfahren, die wir respektieren, und wir warten mit Ungeduld auf die entsprechenden Entscheidungen.

Ich möchte auch betonen, dass wir ein breites Spektrum der Zusammenarbeit haben. Ich möchte mich bei Deutschland nochmals bedanken, und ich möchte mich auch bei Ihnen persönlich, Frau Bundeskanzlerin, für die besondere Aufmerksamkeit in Bezug auf die Ukraine und gegenüber den Problemen der Ukraine bedanken. Ich möchte betonen: Die Ukraine ist und bleibt auch in der Zukunft ein effizienter Partner, und ich glaube, wir alle werden Zeuge der Erfolge sein, die jetzt auf die Ukraine warten.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!

Frage: Frau Merkel, zur Visaliberalisierung: Sie haben gesagt, dass jetzt an einem Mechanismus gearbeitet werde, aber nicht wegen der Ukraine. Wie kann sich die Ukraine sicher sein, dass angesichts der schwierigen Situation in der Europäischen Union - Stichwort "Brexit" - nicht weitere Mechanismen, weitere Hürden entstehen, die das Ganze in die Länge ziehen. Glauben Sie, dass die Ukraine auf ein visafreies Regime ab dem Herbst hoffen kann?

Herr Ministerpräsident, halten Sie es für möglich, dass es im Herbst schon einen visafreien Verkehr für die Ukraine gibt?

BK'in Merkel: Mit der Frage des Referendums von Großbritannien hat das erst einmal nichts zu tun. Großbritannien bleibt Mitglied der Europäischen Union, bis es einen Antrag stellt, und dann wird es längere Verhandlungen geben. Das sehe ich also nicht. Es geht hierbei vielmehr in der Tat um diesen Mechanismus. Warum? Das hat etwas mit unseren Erfahrungen mit der Visaliberalisierung gegenüber Serbien zu tun. Nachdem wir in Serbien die Visaliberalisierung gemacht haben, gab es sehr viele Menschen, die einen Asylantrag in Deutschland und in anderen Ländern Europas gestellt haben. Daraufhin haben wir gesagt: Wir müssen den Mechanismus zur Aussetzung der Visafreiheit, den wir schon hatten, effektiver machen. Daran wird jetzt gearbeitet.

Ich glaube, dass es noch vor dem Sommer eine Einigung im Europäischen Parlament geben kann. Eventuell wird es auch bis September dauern; das kann ich jetzt für das Europäische Parlament nicht sagen. Danach wird diese Frage wieder auf die Tagesordnung kommen.

MP Hrojsman: Das ist eine sehr optimistische Mitteilung. Ich möchte hinzufügen: Die Ukraine hat alle Maßnahmen durchgeführt, damit ein visafreier Verkehr realisiert werden kann. Es gibt keine weiteren Bedingungen. Das heißt, jetzt ist die EU an der Reihe. Ich hoffe auch, dass diese Entscheidung im Jahr 2016 fallen wird und die Ukrainer ab dann visafrei reisen dürfen. Ich bin fest davon überzeugt: Die Ukrainer werden alle unabhängigen Schritte tun, um sich an die Gesetze zu halten und diese Gesetze umzusetzen. Ich denke, besonders wichtig ist das in Bezug auf diesen visafreien Verkehr. Das ist eine Last, ein Rudiment aus der sowjetischen Zeit. Diese Visapflicht ist eine bürokratische Wand, die ein europäisches Land von den anderen europäischen Ländern trennt. Es ist sehr wichtig, dass diese Wand einfach verschwindet, dass sie gestürzt wird und dass die Ukrainer frei reisen dürfen. Vielen Dank.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie hatten auf die Fortschritte im Normandie-Format verwiesen. Ist Ihrer Meinung nach die Zeit gekommen, auch auf Chefebene zusammenzukommen, also der Präsident und Sie, um jetzt einen Durchbruch zu erreichen?

Herr Ministerpräsident, auch die Ukraine hat Verpflichtungen nach dem Minsker Abkommen, nämlich unter anderem die Verabschiedung des Wahlgesetzes. Können Sie uns einen Zeitpunkt nennen? Bis zu welchem Zeitpunkt möchte die Ukraine dieses Gesetz jetzt verabschiedet haben?

BK'in Merkel: Ich sehe im Augenblick eine Situation, in der wir mit Hochdruck verhandeln. Aber wir sind jetzt noch nicht da, wo sich ein Gespräch auf politischer Ebene als aussichtsreich erweisen würde. Wir arbeiten ja noch an dem Wahlgesetz. Das heißt, die Abstimmung kann im Augenblick noch nicht erfolgen, weil es noch gar nicht fertig ist. Es gibt einen Entwurf. Das wird jetzt mit Russland behandelt. Die Gespräche mit den Rechtsexperten und auch mit den Vertretern der OSZE laufen gerade in diesen Tagen wieder. Dann müssen wir auch noch daran arbeiten, eine vernünftige Schrittfolge hinzubekommen. Außerdem bedarf es sicherlich vor einer Abstimmung über ein Wahlgesetz auch einer gewissen Phase des Waffenstillstands, in der er wirklich stabil ist.

Was politische Gespräche anbelangt, so hängen sie jetzt also von den Fortschritten in den Details ab, und deshalb kann ich Ihnen kein genaues Datum nennen. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass es in absehbarer Zeit dazu kommen wird. Aber wann das sein wird und was "absehbare Zeit" bedeutet, kann ich nicht genau definieren.

MP Hrojsman: Ich möchte nur hinzufügen, dass die Wahlen ein absolut demokratischer Prozess sind. Man kann nicht verschiedene Ansätze haben, was die Standards der Wahl in der Ukraine und der Wahl in anderen europäischen Staaten angeht. Die Wahlen sollen stattfinden, und zwar dann, wenn es möglich ist, frei zu kommen und die eigene Wahl zu äußern. Wenn Sie sehen, was zurzeit im Donbass seitens Russland und seiner Kämpfer geschieht, dann sehen Sie, dass wir auf unserem Hoheitsgebiet jeden Tag mehr als 50 Artilleriebeschüsse von dieser Seite gegen unsere Bürger und gegen unsere Soldaten erleben. Deshalb ist es wichtig, dass Russland die Vereinbarungen von Minsk erfüllt. Das bedeutet, dass der Frieden stabil ist. Das bedeutet, dass die Menschen entwaffnet werden und dass die Menschen das Recht haben, die Wahlen auf demokratischer Grundlage durchzuführen. Deshalb hoffen wir, dass dieser Prozess schnell voranschreiten wird.

Frage: Ich habe eine Frage an beide Regierungschefs. Ich möchte noch einmal an den "Brexit" anknüpfen. Es heißt, die Erfahrung mit den osteuropäischen und mitteleuropäischen Staaten zeige, dass allein die Perspektive eines Beitritts zur EU ein großer Anreiz für Reformen sei. Wie betrachten Sie beide jetzt die Folgen des "Brexits" für die Annäherung der Ukraine an die EU und eine mögliche Beitrittsperspektive? Dafür plädiert man ja nicht nur in Kiew, sondern dafür plädieren auch in Deutschland einige Politiker.

BK'in Merkel: Ich gehöre zu den Menschen, die versuchen, keine falschen Erwartungen zu wecken. Deshalb, glaube ich, sind wir jetzt erst einmal bei der Umsetzung des EU-Assoziierungsabkommens mit der Ukraine. Die Frage der Beitrittsperspektive steht im Augenblick nicht auf der Tagesordnung, aber die Frage der Annäherung der Ukraine an die Standards der Europäischen Union. Bei diesem Prozess, der ja nicht nur einfach ist, möchten wir die Ukraine auch sehr unterstützen.

MP Hrojsman: Man muss wahrscheinlich das behüten, was man hat. Das meine ich global und auch in Bezug auf die Europäische Union. Man soll die europäische Einheit bewahren.

Was die Ukraine betrifft: Wir haben unseren Kurs gewählt. Das ist der Kurs der europäischen Integration. Wir stehen für europäische Werte. Wir möchten einen Rechtsstaat mit einer starken Wirtschaft und mit einer gerechten sozialen Politik aufbauen. Wir beachten die Menschenrechte und die Pressefreiheit. Wir möchten uns in die europäische Gemeinschaft integrieren. Ja, es gibt dieses Assoziierungsabkommen mit der EU. Das ist ein sehr guter Plan in Bezug darauf, welchen Weg wir gehen sollen, damit wir den Standards entsprechen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, kann sich Großbritannien mit der formellen Mitteilung über den Austritt eigentlich tatsächlich Zeit lassen, bis ein neuer Premierminister benannt worden ist, also möglicherweise bis Oktober? Es gibt bereits Klagen darüber - aus Berlin, aber auch aus anderen europäischen Hauptstädten -, dass Sie auf die Bremse träten.

Sehen Sie in diesem Zusammenhang eigentlich noch eine Chance auf einen "Brexit" vom "Brexit", also darauf, dass die Briten den Austrittsbeschluss möglicherweise noch einmal rückgängig machen?

BK'in Merkel: Ich befasse mich mit den Realitäten. Das heißt, dass sich eine Mehrzahl der Bewohner, der Bürgerinnen und Bürger Großbritanniens zu dem Austritt aus der Europäischen Union entschlossen hat. Deshalb erwarte ich auch zu einem bestimmten Zeitpunkt die Mitteilung der Regierung Großbritanniens an die Europäische Union nach Artikel 50.

Ich glaube, dass wir die Reihenfolge sehen sollten. Die Mitteilung muss von der britischen Regierung geschickt werden. Da habe ich weder eine Brems- noch eine Beschleunigungsfunktion, sondern ich habe die Aufgabe, dann darüber nachzudenken, wenn diese Mitteilung gekommen sein wird, wie wir das genau umsetzen. Dazu sagt der Artikel 50 eigentlich auch sehr genau, wie das geht.

Ich habe dazu zwei Mitteilungen zu machen. Erstens dürfen wir uns keine dauerhafte Hängepartie leisten, weil das, glaube ich, für die Wirtschaft beider Teile - der EU-27 und Großbritanniens - nicht gut wäre. Aber dafür, dass Großbritannien jetzt auch erst einmal eine gewisse Zeit lang die Dinge analysiert, habe ich ein bestimmtes Verständnis. Im Übrigen werden wir ja morgen mit dem britischen Premierminister über diese Fragen sprechen.

Zweitens muss eines auch klar sein, nämlich dass es keine informellen Verhandlungen geben kann, bevor nicht förmlich die Absicht erklärt worden ist, aus der Europäischen Union auszuscheiden. Wir können also nicht mit irgendwelchen informellen Gesprächen anfangen, ohne diese Mitteilung aus Großbritannien zu haben. Das ist für mich völlig klar.

Drittens muss jetzt alles getan werden, damit die EU-27 zusammen den weiteren Weg beschreiten. Das heißt, es muss alles getan werden, damit Fliehkräfte oder Zentrifugalkräfte nicht gestärkt werden, sondern der Zusammenhalt gestärkt wird. Das ist die Art und Weise, auf die ich an diese Sache herangehe.

Zusatzfrage: (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)

BK'in Merkel: Ich habe das gesagt, was ich gesagt habe, und das auch mit Bedacht. - Danke schön!

Montag, 27. Juni 2016

*

Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem ukrainischen
Ministerpräsidenten Hrojsman in Berlin am 27. Juni 2016
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/06/2016-06-27-regpk.html;jsessionid=DCA1142087D8F9790A0BF8A9D4E14CD6.s7t1
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-25 55
E-Mail: internetpost@bpa.bund.de
Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang