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PRESSEKONFERENZ/1290: Regierungspressekonferenz vom 29. August 2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 29. August 2016
Regierungspressekonferenz vom 29. August 2016

Themen: Äußerungen des Bundeswirtschaftsministers zu TTIP und CETA, Debatte um eine mögliche erneute Kanzlerkandidatur der Bundeskanzlerin, Putschversuch in der Türkei, Besuch des Bundesinnenministers im Berliner Facebook-Büro, Flüchtlingspolitik, Berichte über Begegnung der Bundeskanzlerin mit dem Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Daten des Europäischen Statistikamtes Eurostat zu Kinderarmut und sozialer Ausgrenzung, Einsatz deutscher Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik

Sprecher: StS Seibert, Alemany (BMWi), Dimroth (BMI), Gütte (BMFSFJ), Schneider (BMAS), Schäfer (AA), Nannt (BMVg)


Vorsitzender Feldhoff eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Frage: Ich habe eine Frage an das Wirtschaftsministerium und dann auch vielleicht an das Finanzministerium beziehungsweise an den Regierungssprecher. Gestern wurden manche von der Aussage des Wirtschaftsministers zu TTIP überrascht. Ist das so geplant gewesen, dass dieses Abkommen auf diesem Wege quasi begraben wird? Was sagt die Bundesregierung als Ganzes dazu beziehungsweise das Finanzministerium?

Alemany: Ich finde das gar nicht so überraschend. Sie haben es vielleicht verfolgt: Unser Haus hat eine umfassende Bilanz zum aktuellen Verhandlungsstand und zu den Fortschritten gezogen, die es in den einzelnen Kapiteln gibt oder nicht gibt. Danach gibt es, wie der Minister auch gestern noch einmal verdeutlicht hat, noch kein Kapitel, zu dem es wirklich eine übereinstimmende Haltung gibt. Auf Basis dieser Einschätzungen und dieser umfassenden Bewertung des jetzigen Stands sowie auch aufgrund dessen, dass es in Bezug auf wichtige Punkte keine Bewegung von der amerikanischen Seite gegeben hat, kommt er, wenn er all dies zur Kenntnis nimmt, zu der realistischen Einschätzung, dass es in diesem Jahr nicht zu einem erfolgreichen Verhandlungsabschluss kommen wird.

Frage: Frau Alemany, ich habe den Wirtschaftsminister in seinem Sommerinterview auch so verstanden, dass er den Bürgern durchaus vorwirft, dass CETA und TTIP in einen Topf geworfen werden und dass die Ablehnung, die sich hinsichtlich TTIP abzeichnet, dann einfach auf CETA übertragen wird. Können Sie mir einmal erklären, was der Unterschied zwischen CETA und TTIP hinsichtlich der Schiedsgerichtsbarkeit ist? An diesen Schiedsgerichten wird ja immer wieder Anstoß genommen. Ist das Abkommen mit den Kanadiern denn ein qualitativer Unterschied?

Alemany: Zum ersten Aspekt Ihrer Frage: Der Minister wirft das niemandem vor, schon gar nicht dem Bürger. Er sagt nur: Die Gefahr ist da. Wenn wir die mediale oder die veröffentlichte Meinung oder auch Demonstrationen einfach zur Kenntnis nehmen, dann ist es natürlich schwierig, bei so komplexen Verhandlungsgeflechten wie denen solcher Wirtschaftsabkommen einen Unterschied zu machen. Ihm ist wichtig, dass er verdeutlicht, dass das Abkommen mit Kanada ein sehr erfolgreiches, gutes Abkommen ist, das auch Deutschland helfen wird. Deswegen ist es wichtig, zu schauen, ob man gerade über das Abkommen mit den Kanadiern oder über das Abkommen mit den Amerikanern spricht. Da kommt man manchmal in der Alltagsbetrachtung mit den Kürzeln einfach ein bisschen durcheinander.

Zu den Schiedsgerichten: Der Unterschied ist, dass Deutschland ja sehr viele positive Impulse und Signale in die Verhandlungen der EU-Kommission eingebracht hat, was die Schiedsgerichte und die Ausgestaltung dieser Schiedsgerichte angeht, zum Beispiel, dass sie transparent sind, zum Beispiel, dass Richter da Recht sprechen sollen, und zum Beispiel, dass es Berufungsmöglichkeiten gibt. Dies alles ist erfolgreich in das Abkommen mit den Kanadiern übernommen worden. Der Unterschied ist, dass wir in dieser Hinsicht noch wenig Bereitschaft von der amerikanischen Seite sehen.

StS Seibert: Ich will vielleicht für die Bundeskanzlerin, weil ich ja auch angesprochen wurde, sagen: Noch sind die Verhandlungen ja nicht zu Ende. Zwischenbeurteilungen sind das eine. Die Bundeskanzlerin sieht das nicht als ihre Aufgabe an, sondern sie sieht es als ihre Aufgabe an, abzuwarten, was die EU im Gespräch mit den Amerikanern erreichen kann. Europa hat seine Vorstellungen und Forderungen, genau wie die US-Seite. Damit geht man in die jeweiligen Gesprächsrunden, und dann sieht man, was möglich ist.

Es ist absolut richtig, und darüber gibt es ja auch gar keinen Dissens mit dem Bundeswirtschaftsministerium, dass die Positionen der EU und der USA in einzelnen wichtigen Fragen - Vorsorgeprinzip, Schiedsgerichte, Umgang mit gentechnisch veränderten Agrarprodukten - durchaus voneinander abweichen. Aber die Kanzlerin hat, als sie hier bei der Sommerpressekonferenz saß, darauf hingewiesen, dass es nach ihrer Erfahrung kaum je Verhandlungen gab, bei denen die entscheidenden Kompromisse schon Monate vor Abschluss möglich waren. Insofern ist es richtig, weiter zu verhandeln. Es ist richtig, darauf hinzuweisen, dass der Abschluss eines ehrgeizigen, umfassenden und für beide Seiten vorteilhaften Abkommens im ganz großen europäischen Interesse liegt und dass die Bundesregierung auch zu diesem Interesse steht. Natürlich wird es wie bei jedem Abkommen am Ende darauf ankommen, abzuwägen, ob die Vorteile die Nachteile überwiegen.

Wie gesagt: Noch gibt es Gespräche, und es ist durchaus und schon oft in Gesprächen auch erst in der letzten Runde das Entscheidende passiert.

Frage: Machen Sie sich denn die Einschätzung des Ministeriums oder des Ministers zu eigen, dass es eben wirklich in 27 Kapiteln keinerlei Fortschritt beziehungsweise Kompromisslinie gibt? Das würde nämlich mehr bedeuten als nur "Es gibt hier und da Meinungsunterschiede".

StS Seibert: Ich sehe hier für die Bundeskanzlerin von Zwischenbeurteilungen ab. Es ist offensichtlich, dass es noch Meinungsunterschiede gibt. Das ist, wie gesagt, auch in dieser Phase der Verhandlungen nichts Ungewöhnliches.

Europa hat seine klaren Vorstellungen. Europa hat von vornherein auch klare Linien verfolgt. Es kann keine Absenkung europäischer oder deutscher Standards im Umweltschutz oder im sozialen Bereich oder im Verbraucherschutz geben. Das ist eine Haltung, die alle europäischen Partner uneingeschränkt teilen. Nun müssen wir in den letzten Runden mit den USA schauen, wie weit wir kommen und ob am Ende eine Einigung vorliegen wird, bei der die Vorteile für Europa die Nachteile überwiegen. Das ist ein normales Verhandlungsgeschehen. Da ist es, glaube ich, sinnvoll, jetzt auch noch einmal mit Kraft in die letzten Runden zu gehen, und das tut die Europäische Kommission ja im Auftrag der Mitgliedstaaten.

Frage: Man hört von einer Verfassungsbeschwerde, die übermorgen beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden soll. Minister Gabriel soll untersagt werden, im Ministerrat einer vorläufigen Anwendbarkeit von CETA zuzustimmen. Ist das korrekt? Was sagen Sie zu einer solchen Verfassungsbeschwerde?

Alemany: Ich kommentiere keine Verfassungsbeschwerden. Es gibt verschiedene Beschwerden oder Verfassungsklagen im Organstreit. Wir hatten das Thema der vorläufigen Anwendbarkeit von CETA ja hier schon mehrere Male besprochen. Dazu gibt es auch keinen neuen Stand. Es wird in Kürze einen informellen Handelsministerrat geben. Dabei werden sich die Mitgliedstaaten der EU darüber abstimmen, ob CETA zugestimmt werden kann und ob es, wenn ja, eine vorläufige Anwendbarkeit für EU-only-Teile geben kann. Das ist der richtige Rahmen und die richtige Plattform, um solche Dinge zu besprechen.

Zusatzfrage: Was war das für eine englische Formulierung, die Sie gebraucht haben?

Alemany: EU-only. Wie Sie ja wissen, ist das ein gemischtes Abkommen. Das heißt, es gibt Zuständigkeiten, die in der Hand der EU liegen, und Zuständigkeiten, die die Mitgliedstaaten betreffen.

Zusatzfrage: Verzeihen Sie, wenn ich die mehreren Male, die ich Sie angesprochen habe, unaufmerksam war. Ist es realistisch, dass es zu einer vorläufigen Anwendbarkeit kommen kann?

Alemany: Sie wissen ja: Ich antworte hier ungern in Bezug auf realistische oder nicht realistische Hypothesen. Es ist so, dass es in solchen Verträgen üblich ist, dass es zu vorläufigen Anwendungen kommt, aber davor werden immer ein Ratsbeschluss und dann auch noch ein Parlamentsbeschluss eingeholt. Ich kann Ihnen jetzt noch nicht sagen, wo die Reise im September hingehen wird.

Zusatzfrage: Umgeht man mit so einer Vorläufigkeit nicht die Parlamente?

Alemany: Wie gesagt: Der Rat darf mitbestimmen - das ist eine demokratische Legitimation - und das Parlament auch. Am Ende kann ein Abkommen nie zur Gänze in Kraft treten und ratifiziert werden, ohne dass neben dem Rat und dem EU-Parlament auch alle Parlamente aller Mitgliedstaaten abstimmen.

Zusatzfrage: Hat der Ministerrat dann auch die Kraft, das so an den Staats- und Regierungschefs vorbei zu entscheiden, oder muss Frau Merkel das dann auch noch absegnen, Herr Seibert?

StS Seibert: Ich glaube, den Unterschied zwischen EU-only-Kompetenzen und nationalen Kompetenzen hat die Kollegin jetzt ziemlich klar ausgeführt.

Frage: Frau Alemany, ich habe die Position des Vizekanzlers im Sommerinterview noch nicht genau verstanden. Er sagte, realistischerweise sei in diesem Jahr nicht mit einem Abschluss zu rechnen. Rechnet er denn überhaupt noch mit einem Abschluss, oder hat er das TTIP-Abkommen im Grunde längst beerdigt?

Alemany: Nein, es gilt das, was er gestern gesagt hat: Er hält es de facto für gescheitert. Aber natürlich ist die EU-Kommission der Verhandlungspartner, und die Zeitpläne liegen in der Hand der EU-Kommission.

Frage: Herr Seibert, ist Angela Merkel jetzt eigentlich das, was man im Englischen eine lahme Ente nennt, weil sie nicht erklärt, ob sie weitermachen will? Belastet das ihre Handlungsfähigkeit als Regierende?

StS Seibert: Auf beide Fragen ein kleines Nein!

Zusatzfrage: Wissen Sie eigentlich, ob Frau Merkel weitermachen wird?

StS Seibert: Die Versuche werden kreativer und kreativer, aber Sie können sich vorstellen, dass ich auf das verweise, was die Bundeskanzlerin gestern und im Übrigen zum wiederholten Male zu diesem Thema gesagt hat. Sie hat ja ihre Äußerungen zu diesem Thema nie verändert. Es hat ja nie andere Äußerungen gegeben, als dass sie sich dazu zum gegebenen Zeitpunkt in der Öffentlichkeit erklären wird. So wird es sein.

Frage: Wegen der beliebten Formulierung vom "gegebenen Zeitpunkt": Wer legt den Zeitpunkt fest? Ich nehme doch an, die Kanzlerin selbst, oder gibt es da andere Faktoren?

StS Seibert: Weitere Interpretationen dieses für mein Gefühl sehr verständlichen Satzes werde ich hier nicht abliefern.

Zusatzfrage: Was ist denn der "gegebene"? Woher kommt der?

StS Seibert: Der gegebene ist der richtige Zeitpunkt.

Frage: Neben diversen für die Kanzlerin nicht ganz angenehmen Äußerungen von Herrn Gabriel kam er ja am Wochenende mit der Einschätzung an, dass man sich nach dem Putsch zu spät um die Türkei gekümmert habe. Herr Seibert, nimmt sich die Kanzlerin das zu Herzen? Wird sie jetzt möglicherweise doch noch zu Herrn Erdogan fahren? Wie ist das bei ihr angekommen? Das kam ja als Kritik herüber - an sich an der Bundesregierung, die da zu zögerlich und zu emotionslos gewesen sei, aber logischerweise auch an der Kanzlerin.

StS Seibert: Ich möchte hier nicht Interviews vom Wochenende kommentieren. Die Bundeskanzlerin hat ihres gegeben, der Wirtschaftsminister hat seines gegeben, und er hat zusätzlich noch hier in der Bundespressekonferenz vor Bürgern gesprochen. Ich möchte das nicht kommentieren.

Die Reaktion der Bundesregierung und auch der Bundeskanzlerin persönlich auf den Putschversuch in der Türkei war prompt. Sie war sehr klar. Wir haben uns bereits wenige Stunden nach dem Bekanntwerden dieses Putschversuchs - am frühen Morgen und im Übrigen in der Mongolei - ganz klar dazu geäußert, dass hier Solidarität mit der gewählten Regierung der Türkei am Platze sei. Die Bundeskanzlerin hat seitdem mehrfach mit Staatspräsident Erdogan gesprochen. Auch auf diesem Wege hat sie klargemacht, wie sehr wir verstehen, dass dieser Putschversuch mit - das darf man ja nicht vergessen - Hunderten von Toten auf den Straßen von Istanbul und Ankara ein tiefer und auch traumatischer Einschnitt für die Türkei ist. Es hat da in keiner Weise an Verständnis gefehlt. Die Kontakte mit der türkischen Regierung sind da. Sie sind intensiv. Deswegen ist das alles, was ich dazu sagen kann.

Zusatzfrage: Kam dann von Herrn Erdogan in diesen Gesprächen in Bezug auf einen solchen Besuch vielleicht ein Wunsch oder auch sogar ein Vorwurf auf? Er hat nämlich in anderen Äußerungen durchaus öffentlich gesagt, dass er sich mehr Anteilnahme gewünscht hätte.

StS Seibert: Ich gebe grundsätzlich keine Auskunft über Einzelheiten aus vertraulichen Gesprächen der Bundeskanzlerin. Aber ich habe hier auch nicht zum ersten Mal - auch der Vertreter des Auswärtigen Amtes hat das getan - doch sehr klar ausgedrückt, dass wir wissen, wie einschneidend und wie traumatisch dieser blutige Putschversuch für die Türkei war. Wir wissen um die hohe Zahl von Menschenleben, die dieser Putschversuch gekostet hat, was die Putschisten ganz offensichtlich in Kauf genommen haben. Wir wissen, dass es in der Nacht und am nächsten Tag eine große Volksbewegung auf den Straßen der großen Städte der Türkei gab, und zwar von Menschen, die mit Sicherheit nicht alle Anhänger der AKP, aber Anhänger der demokratischen Prinzipien und Gegner eines militärischen Eingreifens waren. Das ist auch immer gegenüber der türkischen Seite ausgedrückt worden.

Frage: Herr Dimroth, können Sie bitte noch einmal kurz den Charakter des Besuchs ihres Chefs bei Facebook beschrieben? Ist das ein Kennenlernbesuch, oder gehen davon heute auch Entscheidungen über Datenschutz und Zusammenarbeit aus?

Dimroth: Der Charakter des Gesprächs ergibt sich ja letztlich auch aus dem Terminhinweis, den wir dazu veröffentlicht haben. Insofern möchte ich darauf verweisen. Der Minister will sich insgesamt ins Bild setzen lassen, was bestimmte Problemstellungen anbetrifft, aber auch Arbeitsschwerpunkte mit Facebook gemeinsam besprechen. Dazu werden sicherlich die Themen Datenschutz und beispielsweise auch "hate speech" gehören. Der Minister wird sich dazu im Anschluss an seinen Besuch bei Facebook presseöffentlich äußern. Insofern möchte ich dem nicht mit weiteren Details vorgreifen, sondern Sie auf die PK verweisen, die der Minister selber gibt.

Zusatzfrage: Trotzdem noch eine Nachfrage, weil Sie das Stichwort "hate speech" nannten: Ist das in Abstimmung mit dem Minister für Justiz und Verbraucherschutz erfolgt? Hat er ihm dazu einen Fragenkatalog mitgegeben, oder setzt er Überlegungen fort, die Herr Maas schon angestellt hatte? Wie ist die Zusammenarbeit?

Dimroth: Die Zusammenarbeit ist grundsätzlich sehr gut. Selbstverständlich ist es richtig und sinnvoll, dass dieses Thema an verschiedenen Stellen der Bundesregierung betrachtet wird. Eine Vorabstimmung, wie von Ihnen erfragt, hat nicht stattgefunden. Das halte ich aber auch absolut nicht für erforderlich. Noch einmal: Es ist sicherlich sinnvoll, dass dieses Thema durch verschiedene Stellen innerhalb der Bundesregierung bearbeitet wird. Das wird, wie gesagt, neben vielen anderen Themen auch Gegenstand des heutigen Besuchs.

Zusatzfrage: Herr Seibert, ist das eine prominente Behandlung eines Unternehmens seitens der Bundesregierung? Plant die Bundeskanzlerin, die ja auch schon mit Herrn Zuckerberg Kontakt hatte, Facebook in einer besonderen Weise zu behandeln, oder habe ich damit einen falschen Eindruck?

StS Seibert: Ich denke, so wie Herr Dimroth es für den Bundesinnenminister gerade eingeordnet hat, ist die Antwort gegeben. Es ist genau so intendiert, wie er es gerade gesagt hat.

Im Übrigen haben viele Mitglieder jeder Bundesregierung notwendigerweise auch Kontakte mit großen Firmen und großen Konzernen, die für eine bestimmte Branche oder als großer Arbeitgeber von Bedeutung sind. Das ist genau so einzuschätzen und nichts Besonderes.

Frage: Herr Dimroth, inhaltlich die Frage: In Ihren aktuellen Maßnahmenkatalogen stehen durchaus Dinge, die diese Firma direkt betreffen, beispielsweise die Anpassung von TMG und TKG. Da muss man schon sagen: Das ist doch ein bisschen spezifisch.

Wollen Sie jetzt aktiv von Facebook hören, was sie dazu denken, oder ist das erst einmal komplett außen vor?

Dimroth: Ich muss nachfragen, was Sie damit meinen, diese Maßnahme sei doch etwas spezifisch. Könnten Sie mir etwas spezifischer erläutern, was Sie damit meinen?

Zusatz: Es geht ja um relativ klare Dinge. Wenn man sagt - das haben Sie in den neun Punkten getan -, dass das Telemedienrecht an das Telekommunikationsrecht angepasst werden soll, dann kann man das zumindest so verstehen, dass das heißt: in Zukunft auch Vorratsdatenspeicherung und Ähnliches bei einem Telemedienanbieter wie Facebook. Es kann heißen: etwas Ähnliches wie Ausleitungsschnittstellen bei Diensten wie Facebook.

Mich würde interessieren, ob das das ist, womit der Minister dorthin geht.

Dimroth: Ich hatte es gerade erwähnt. Es gibt einen bunten Strauß von Themen aus dem Geschäftsbereich des BMI, die in der Zusammenarbeit mit dem prominenten Anbieter Facebook und vergleichbaren Anbietern eine Rolle spielen. Dabei geht es um Datenschutz, um "hate speech", um die allgemeine Zusammenarbeit mit den Polizeien, vor allem auch bei Gefährdungssachverhalten, gegebenenfalls auch bei Strafverfolgungssachverhalten.

Es gibt einen bunten Strauß von Schnittstellen, auch das von Ihnen angesprochene Thema. Der Bundesinnenminister hat dazu eine Forderung platziert, das ist richtig. Er hat sehr deutlich gemacht, warum er meint, dass hierbei Anpassungsbedarf besteht. Denn vergleichbare Dienstleistungen werden auf einem anderen Weg erbracht, ohne dass die vergleichbaren Regulierungen greifen, die im TKG-Bereich gesetzlich vorgegeben sind. Jetzt ist man in einem Diskussionsprozess und wird sich zu gegebener Zeit sicherlich weitere, konkretere Vorstellungen dazu machen und dies dann auch mitteilen.

Wie Sie wissen, gibt es auf europäischer Ebene dazu schon Überlegungen seitens der Kommission. Auch das beobachten wir sehr aufmerksam und werden sehen, dass wir zum gegebenen Zeitpunkt auch unsere Vorstellungen einbringen können. Federführend innerhalb der Bundesregierung wäre für das Thema ohnehin der Wirtschaftsminister.

Aber noch einmal: Das heutige Gespräch ist ein gegenseitiger Informationsaustausch zu einer Vielzahl von Themen, die aus Sicht des Innenministers relevant sind. Das ist ein allgemeiner Erfahrungsaustausch, nicht mehr und nicht weniger. Der Bundesinnenminister wird nachher sicherlich gern bereit sein, sich auch zu Fragen wie der von Ihnen zu äußern.

Frage: Ich meine, es ist das erste Mal seit Wochen oder Monaten, dass wir in der ersten halben Stunde nicht ein einziges Mal über Flüchtlinge gesprochen haben. Deswegen spreche ich es jetzt an.

Ich habe folgenden Eindruck, vielleicht etwas beeinflusst durch die Reise der Kanzlerin in die benachbarten Länder, das Weimarer Dreieck gestern und den Auftritt der Minister heute Morgen auf der Botschafterkonferenz: Herr Seibert, gibt es so etwas wie eine konzertierte Aktion nach dem Motto: "Wir kümmern uns jetzt mal um andere Themen. Wir haben jetzt andere Themen, die uns wichtiger erscheinen und drehen unsere Arbeit, mit der wir nach außen gehen, jetzt mal weg von den Flüchtlingen"?

StS Seibert: Ich kann Ihnen nicht vorschreiben, welche Eindrücke Sie haben. Ich käme nie zu diesem Schluss.

Für die Bundesregierung kann ich nur sagen, dass unsere Arbeit an dem Großthema Flüchtlinge, das eine innere, also eine nationale Seite hat - Maßnahmen für die Integration - und eine europäische - ich würde sogar fast sagen: eine internationale - Seite - Maßnahmen zur Bekämpfung des Schleuserwesens, gemeinsame Sicherung der EU-Außengrenzen, Bekämpfung von Fluchtursachen -, so intensiv ist wie eh und je. Das muss auch so sein. Das heißt: Ich komme nicht zu diesem Schluss.

Ich denke auch, dass die Gespräche, die die Bundeskanzlerin jetzt zum Teil in europäischen Hauptstädten, zum Teil hier in Meseberg mit europäischen Regierungschefs geführt hat, überhaupt kein Gegenargument sind. Es ist natürlich dringend notwendig, dass die Europäer nach dem angekündigten Austritt durch den Mitgliedsstaat Großbritannien zusammenkommen, um sich zu beraten: Was bedeutet das für uns? Wie können wir unseren Zusammenhalt stärken? Wie können wir unsere Zusammenarbeit für die Bürger noch spürbarer, noch erfolgreicher, noch konkreter machen? - Das hat dann nicht nur, aber auch immer wieder mit dem Großthema Migration als europäische Herausforderung zu tun.

Ich meine also nicht, dass Sie diesen Eindruck haben sollten.

Frage: Die Antwort bringt mich zu der Frage: Welche Rolle spielen die Gespräche mit Großbritannien bei der intensiven Beschäftigung mit diesem Großthema? Werden die Briten noch genauso eingebunden? Sind sie noch genauso mit dabei, oder versucht man, sozusagen den Status schon vorwegzunehmen, diese Dinge künftig auch ohne Großbritannien zu behandeln?

StS Seibert: Unser Prinzip heißt - das haben wir immer gesagt -: Die europäische Mitgliedschaft Großbritanniens ist vollgültig, bis zum Tage des Austritts - mit allen Rechten und mit allen Pflichten.

Deswegen ist Großbritannien selbstverständlich ein Partner. Man muss allerdings bedenken, dass Großbritannien am europäischen Asylsystem nie teilgenommen, sondern dabei eine Ausnahmeregelung für sich hat. Aber natürlich ist Großbritannien ein wichtiger Partner. Großbritannien ist auch bei den maritimen Aktionen im Mittelmeer engagiert. Großbritannien unterstützt, wenn ich richtig informiert bin, die Nato-Mission in der Ägäis. Großbritannien hat Anfang des Jahres die wirklich sehr wichtige Londoner Konferenz veranstaltet, auf der Deutschland Kogastgeber war und die Milliarden eingesammelt hat, um die Lage der Flüchtlinge in den Ländern, die Syrien umgeben, und die Versorgung der Flüchtlingslager zu verbessern. Für all das bleibt Großbritannien selbstverständlich ein wichtiger Partner.

Frage: Herr Dimroth, auch im allgemeinen Kontext der Flüchtlingspolitik ist die Meldung des "SpiegelS" zum Thema der - zumindest aus der Statistik - verschwundenen Minderjährigen. Sie hatten schon häufiger darüber gesprochen. Ich würde gern den aktuellen Stand dazu wissen: Wie weit gehen Ihre Erkenntnisse darüber, was mit diesen 9, wie aktuell gemeldet wird, tatsächlich passiert oder nicht passiert ist? Wie viele Erkenntnisse haben Sie dazu?

Dimroth: Vielen Dank für die Frage. Wir haben tatsächlich schon mehrfach und sehr ausführlich dazu ausgeführt. Möglicherweise mag das BMFSFJ zu diesem Themenkomplex noch ergänzen.

Wir hatten vor allem versucht, Ihnen einen Eindruck davon zu geben, welche Qualität diese Statistik hat. Wenn durch diejenige, die mit der Obhut von jugendlichen Flüchtlingen in den Einrichtungen betraut sind, deren Abwesenheit festgestellt wird, gibt es eine entsprechende Verpflichtung, eine Meldung abzugeben, ohne dass aber auf der anderen Seite der Statistik zwingend eine Meldung des Wiederauffindens registriert wird. Das hängt schlichtweg damit zusammen, dass offensichtlich eine nicht geringe Zahl von Betroffenen beispielsweise zu Verwandten oder Freunden geht oder auch ins europäische Ausland weiterzieht, sodass eine Rückmeldung mit - flapsig formuliert - "Vermisstenanzeige erledigt" in vielen Fällen nicht erfolgt. Deswegen gehen wir davon aus, dass diese Zahl nicht eins zu eins die Realität abbildet.

Ich habe keinerlei Erkenntnisse, was die zuständigen Stellen vor Ort anbetrifft. Ich weiß nicht, ob das BMFSFJ hierzu ergänzen kann oder mag. Ich kann damit leider nicht dienen.

Zusatz: Das BMFSFJ schüttelt mit dem Kopf?

Gütte: Auch ich habe keine neuen Erkenntnisse dazu und würde mich dem anschließen.

Frage: Herr Seibert, vor wenigen Tagen hat sich Frau Merkel mit Herrn Kretschmann im Kanzleramt getroffen. Dazu habe ich die Frage: War das ein privates Treffen, ein Parteitreffen oder ein Regierungstreffen? Wieso fand es nicht in einem Lokal oder in der CDU-Zentrale statt, sondern im Bundeskanzleramt?

StS Seibert: Es ist ja etwas vollkommen Normales und gar nicht Seltenes, dass die Bundeskanzlerin sich mit Ministerpräsidentinnen oder Ministerpräsidenten der Bundesländer trifft. Sie tut das, um einen ganzen Reigen von Themen zu besprechen, die in unserer föderalen Ordnung zwischen Bund und Ländern wichtig sind. Das tut sie natürlich in erster Linie als Bundeskanzlerin, so wie sie auch als Bundeskanzlerin den Ministerpräsidenten in regelmäßigen Abständen in der großen Runde gegenübersitzt.

Zusatzfrage: Können Sie mir netterweise noch sagen, wann das letzte vergleichbare Treffen mit Horst Seehofer stattfand und ob es einen Unterschied bei der Bewirtung und beim Reichen der Getränke gab?

StS Seibert: Nein, das kann ich nicht, weil wir grundsätzlich über solche informellen Termine, die die Bundeskanzlerin mit Ministerpräsidenten hat, nicht berichten. Das haben wir auch in diesem Fall nicht aktiv getan, und deswegen kann ich diese Frage so nicht beantworten.

Frage: Eurostat hat bekanntgegeben, dass in Deutschland fast 3,5 Millionen Kinder aus Armutsgründen nicht für eine Woche in den Urlaub fahren können. Wie bewerten Sie das?

Gütte: Die Zahlen haben wir heute Morgen gesehen. Ich habe leider meine Unterlagen dazu vergessen.

Grundsätzlich sagt die Ministerin immer: In Bezug auf Kinderarmut müssen wir bei den Eltern ansetzen. Wenn Kinder arm sind, dann liegt das daran, dass die Eltern arm sind. Die Bundesregierung - auch unsere Ministerin - ist diesbezüglich mit diversen Konzepten bemüht. Konkret habe ich dazu, wie gesagt, leider nichts dabei.

Zusatzfrage: Wenn man sieht, dass fast 3,5 Millionen Kinder nicht verreisen können, kann man dann nicht sagen, dass ein ziemlich großes Zukunftsproblem wächst und vielleicht eine Generation verlorengeht?

Gütte: Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde.

Frage: Wenn Sie schon darauf hinweisen, dass es meistens daran liegt, dass es sich eher um Elternarmut handelt, würde ich gerne das BMAS dazu hören, denn das Thema Soziales schließt sich automatisch an. Ich würde gerne wissen, ob Ihnen die Zahl 3,5 Millionen angesichts der Zahlen, die Sie kennen, plausibel vorkommt und ob man das aus Hartz-IV-Familien usw. so hochrechnen kann. Ist das aus Ihrer Sicht eine plausible Zahl? Was kann man da konkret tun?

Schneider: Zur Zahl selber kann ich nichts sagen. Ich kann sie weder bestätigen noch dementieren.

Ich kann grundsätzlich der Kollegin zustimmen, dass Kinderarmut an sich immer im Zusammenhang mit Elternarmut zu sehen ist. Das ist in der Tat so. Insofern ist es natürlich in erster Linie wichtig, dass die Eltern in Beschäftigung kommen. Wir sehen auch, dass, wenn die Eltern in Beschäftigung kommen oder in Beschäftigung sind, die Kinderarmut drastisch abnimmt. Insofern ist das ein wesentlicher Faktor.

Sie wissen, dass das BMAS diesbezüglich wesentliche Anstrengungen unternommen hat, und zwar in dieser Legislaturperiode ganz besonders. Insofern sind wir an dem Thema dran. Das kann ich grundsätzlich zum Thema Kinderarmut hinzufügen.

Frage: Dann fragen wir doch einmal Herrn Schäfer und Herrn Nannt, ob es Fortschritte beim Thema Besuch in Incirlik gibt. Sind in den vergangenen Tagen irgendwelche neuen Dinge passiert? Es ist zwar nicht lange her, dass wir uns gesehen haben. Aber das könnte ja der Fall sein.

Schäfer: Es gibt nichts Neues, nichts, was ich Ihnen berichten könnte. Dass wir das Thema auf dem Schirm haben, ist hoffentlich in der letzten Woche hier auch Ihnen deutlich geworden. Daran hat sich nichts geändert.

Nannt: Von meiner Seite aus gilt das Gleiche. Wir haben uns am Freitag ausführlich dazu geäußert, und der Stand von Freitag gilt.

Montag, 29. August 2016

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 29. August 2016
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/08/2016-08-29-regpk.html;jsessionid=8F1638DD45F59116043E73D49C592186.s7t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2016

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