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PRESSEKONFERENZ/1429: Regierungspressekonferenz vom 31. März 2017 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Freitag, 31. März 2017
Regierungspressekonferenz vom 31. März 2017

Themen: Personalie, Entlassung des venezolanischen Parlaments, Einigung auf Waffenruhe im ostukrainischen Konfliktgebiet, Termine der Bundeskanzlerin (Begegnung mit den Ministerpräsidenten Tschechiens und der Slowakei, Besuch des Premierministers des Libanons, 10. Nationale Maritime Konferenz, Besuch eines Integrationsprojekts der Stiftung 1. FC Köln, Kabinettssitzung, Begegnung mit Vertretern von in der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen engagierten Organisationen, Teilnahme an der Regionalkonferenz der Regierungschefs der ostdeutschen Länder, Besuch des irischen Premierministers, Begegnung mit ehrenamtlich engagierten Flüchtlingshelferinnen und -helfern), Syrien-Geberkonferenz, mögliche zivile Opfer eines Angriffs der Anti-IS-Koalition, Äußerungen des US-Präsidenten zur militärischen Bekämpfung des IS, Spionagevorwürfe gegen die Türkei, Brexit-Verhandlungen, Dumpingvorwurf der USA gegenüber ausländischen Stahlproduzenten, israelischer Siedlungsbau im Westjordanland, Nahost-Politik der USA, Meldungen russischer Medien über Teilnahme von russischsprachigen Statisten oder Volontären an Übungen der US-Armee in Deutschland, Bundesprogramm "Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt", Verteidigungsausgaben der Nato

Sprecher: StS Seibert, Audretsch (BMWi), Flosdorff (BMVg), Fischer (AA), Plate (BMI), Stelten (BMAS)


Vorsitzender Feldhoff eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Audretsch: Um mit einem Punkt in eigener Sache zu beginnen: Heute ist dies meine letzte RegPK mit Ihnen, weil ich ab Montag nicht mehr im Bundeswirtschaftsministerium arbeiten werde, sondern zum neuen Bundespräsidenten, Herrn Steinmeier, ins Bundespräsidialamt wechsle. Ich hoffe, dass das nicht ganz das Ende unserer Zusammenarbeit sein wird. Ich werde auch dort im Kommunikationsbereich arbeiten, nicht mehr im tagesaktuellen Bereich, sondern ich werde mich dort um Grundsatzfragen strategischer Kommunikation bemühen.

Heute bleibt mir, noch einmal zu sagen, dass ich tatsächlich immer sehr gern hierhergekommen bin. Ich weiß nicht, ob Sie das glauben, aber mir hat es immer großen Spaß gemacht. Ich habe mich vor allem auch immer, wenn kritische Fragen kommen und ein Diskurs entsteht, tendenziell darauf gefreut, mit Ihnen zusammenarbeiten zu können.

Ich will mich nicht verabschieden, sondern nur sagen, dass ich an anderer Stelle weiterarbeite und hoffe, dass wir dort immer einmal wieder gut zusammenarbeiten werden. Heute bin ich natürlich sowieso noch da, um Ihre Fragen zu beantworten.

Vorsitzender Feldhoff: Vielen Dank, Herr Audretsch. Dann sagen wir nicht Tschüss, sondern auf Wiedersehen und wünschen Ihnen in Ihrer neuen Funktion viel Glück.

StS Seibert: Wenn Sie mir erlauben, würde ich gern zwei Themen nach vorn ziehen und dann zu den Terminen der Bundeskanzlerin kommen.

Das erste Thema ist die Entwicklung in Venezuela. Die Bundesregierung ist über die jüngsten Entwicklungen in Venezuela sehr besorgt. Die Entlassung des venezolanischen Parlaments durch den Obersten Gerichtshof des Landes hat die seit Längerem bestehende faktische Entmachtung des Parlaments nun endgültig offiziell gemacht.

Wir fordern die Regierung Maduro dringend auf, zu demokratischen Strukturen, zu demokratischen Prinzipien, zur Trennung der Gewalten zurückzukehren. Es ist unerträglich, wie Präsident Maduro die Bevölkerung seines Landes zur Geisel seiner eigenen Machtambitionen macht.

Ein weiteres Thema, das ich aktiv ansprechen möchte, betrifft die Ukraine. Die Bundesregierung begrüßt, dass sich die trilaterale Kontaktgruppe in Minsk am Mittwoch dieser Woche auf eine Waffenruhe im ostukrainischen Konfliktgebiet ab dem 1. April geeinigt hat. Wir würdigen ausdrücklich die Anstrengung dieses von der OSZE geleiteten Gremiums um eine Verbesserung der Sicherheitslage vor Ort. Das öffentliche Bekenntnis, das der ukrainische Staatspräsident Poroschenko zu dieser Waffenruhe abgegeben hat sowie insgesamt zu den Vereinbarungen von Minsk, ist ein willkommenes Signal. Die Bundesregierung hofft, dass sich diesem Aufruf auch die von Russland unterstützten Separatisten anschließen.

Wir appellieren an alle Seiten des Konflikts, dieser abermaligen Verpflichtung zur Waffenruhe, die schon 2015 vereinbart worden ist, Folge zu leisten, damit sich daraus ein wirklich nachhaltiger Waffenstillstand entwickeln kann. Wir zählen mittlerweile fast 10 Todesopfer in diesem Konflikt - nach Angaben der UN mehr als 2000 Zivilisten - und mehr als 23 Verletzte. Das ist wirklich ein weiterer Grund, alle Konfliktbeteiligten aufzurufen, die Waffenruhe einzuhalten und die schweren Waffen von der Demarkationslinie abzuziehen.

Zu den Terminen der Bundeskanzlerin: Es beginnt am Montag, den 3. April, mit einer deutsch-tschechisch-slowakischen Begegnung aus Anlass des 25. Jahrestages des Deutsch-Tschechoslowakischen Nachbarschaftsvertrages von 1992. Sie wissen, dass die Tschechoslowakei seit 1993 nicht mehr existiert. Trotzdem hat der Deutsch-Tschechoslowakische Nachbarschaftsvertrag seine Gültigkeit behalten. Er ist immer noch die Grundlage der bilateralen Beziehungen Deutschlands mit Tschechien und mit der Slowakei.

Aus diesem Anlass kommen Ministerpräsident Fico aus der Slowakei und Ministerpräsident Sobotka aus Tschechien mit der Bundeskanzlerin zusammen. Sie empfängt sie um 12.30 Uhr im Kanzleramt. Es gibt ein gemeinsames Mittagessen und im Anschluss daran eine gemeinsame Pressekonferenz. Gegen 14.20 Uhr werden die drei Regierungschefs ebenfalls im Kanzleramt mit Studenten und Schülern aus den drei Ländern zum Thema "Mitteleuropas Beitrag zur Zukunft Europas" diskutieren.

Am Dienstag hat die Bundeskanzlerin den Premierminister des Libanons, Saad Hariri, zu Gast. Die Begegnung beginnt um 12 Uhr. Die Lage in der Region und die Situation der Flüchtlinge werden dabei wohl im Mittelpunkt stehen.

Vielleicht zwei, drei Sätze zum Libanon und dazu, warum das ein so interessantes Treffen ist: Nach über zwei Jahren politischen Stillstands ist im letzten Herbst ein neuer libanesischer Präsident gewählt worden - man muss sagen: konnte gewählt werden. Ende des Jahres hat die neue libanesische Regierung unter Herrn Hariri die Amtsgeschäfte aufgenommen. Wir sehen darin einen wichtigen und positiven Schritt gerade auch angesichts der enormen Herausforderungen in der Region. Bei der Ankunft von Premierminister Hariri sind Pressestatements geplant.

Immer noch am Dienstag wird die Bundeskanzlerin am Nachmittag ab 16 Uhr in Hamburg an der 10. Nationalen Maritimen Konferenz teilnehmen und dort die Abschlussrede halten. Dazu werden nicht nur Menschen aus der Politik, sondern vor allem auch Entscheidungsträger aus der maritimen Wirtschaft erwartet, die in Deutschland etwa 400 Menschen Arbeit gibt und die einen Jahresumsatz von etwa 50 Milliarden Euro hat.

Ein Schwerpunkt der Konferenz ist die Digitalisierung. Es soll aufgezeigt werden, wie die Unternehmen dieses Sektors die sich aus der Digitalisierung ergebenden Chancen erfolgreich nutzen, ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern und neue Geschäftsfelder eröffnen können. Die Digitalisierung ist eines der zentralen Handlungsfelder der von der Bundesregierung verabschiedeten Maritimen Agenda 2025.

Am Dienstagabend wird die Bundeskanzlerin nach Köln reisen. Dort wird sie sich über die Integrationsarbeit der Stiftung 1. FC Köln informieren und im Anschluss das Fußballspiel des 1. FC Köln gegen Eintracht Frankfurt verfolgen.

Zur Integrationsarbeit: Die Stiftung 1. FC Köln bietet im Rahmen des Projekts "Integration durch Fußball" zusammen mit dem CfB Ford Niehl ein wöchentliches Training in Köln-Niehl an. Dazu werden Kinder einer nahegelegenen Flüchtlingsunterkunft eingeladen. Es gibt das Projekt "Scoring Girls", in dem unter Leitung der Bundesligaspielerin Tugba Tekkal wöchentlich Mädchen aus Flüchtlingsfamilien und aus sozial schwachen deutschen Familien trainiert werden. Der 1. FC Köln engagiert sich außerdem in der Initiative "Wir zusammen". Das ist ein Netzwerk von Flüchtlingsinitiativen der deutschen Wirtschaft.

Die Bundeskanzlerin wird dabei einige jugendliche Flüchtlinge persönlich kennenlernen können, die an dem wöchentlichen Training teilnehmen. Die Mannschaft des 1. FC Köln läuft im Übrigen bei dem anschließenden Fußballspiel gegen Eintracht Frankfurt mit dem Slogan der Initiative "Wir zusammen" auf.

Am Mittwoch, den 5. April, leitet die Bundeskanzlerin wie immer um 9.30 Uhr die Sitzung des Bundeskabinetts.

Ab 11 Uhr trifft sie sich mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppen, die sich bei der Aufnahme und bei der Integration von Flüchtlingen engagieren. Das Treffen findet von 11 bis 14 Uhr im Kanzleramt statt. Es ist das sechste Treffen in diesem Kreis. Teilnehmen werden Vertreter von Verbänden, Wirtschaft, Kirchen und Stiftungen, die mit ihren vielen Mitgliedern sehr wichtige und segensreiche Tätigkeiten im Bereich der Flüchtlingsintegration wahrnehmen.

Die Bundeskanzlerin will wie bei den vorherigen Treffen einerseits natürlich für das Engagement danken, andererseits vor allem aber auch von Erfahrungen der Teilnehmer bei der Integration von Flüchtlingen erfahren.

Am Donnerstag, den 6. April, wird die Bundeskanzlerin im Schloss in Bad Muskau an der Regionalkonferenz der Regierungschefs der ostdeutschen Länder teilnehmen, der sogenannten MPK Ost. Sie beginnt um 14 Uhr. Auf der Tagesordnung stehen dieses Mal unter anderem die gesamtdeutsche Strukturförderung nach 2020, die Innovationsförderung in strukturschwachen Regionen und die ostdeutsche Infrastruktur. Ab 15.10 Uhr gibt es eine Pressekonferenz von Ministerpräsident Tillich und der Bundeskanzlerin.

Donnerstag um 17.30 Uhr findet im Kanzleramt der Besuch des irischen Premierministers Enda Kenny statt. Themen der gemeinsamen Unterredung werden aktuelle europapolitische Frage und aktuelle internationale Themen sein. Bei Ankunft des Premierministers sind Pressestatements geplant.

Am Freitag, den 7. April, trifft sich die Bundeskanzlerin ab 13 Uhr im Kanzleramt mit etwa 140 ehrenamtlich engagierten Flüchtlingshelferinnen und -helfern aus ganz Deutschland. Manche von Ihnen wissen es: Dieser Termin war schon einmal geplant, musste dann aber wegen der Verlegung der USA-Reise der Bundeskanzlerin kurzfristig verschoben werden. Er wird also am 7. April nachgeholt. Dabei wird es auch eine Podiumsdiskussion mit Publikumsbeteiligung sowohl über den gegenwärtigen Beitrag der Flüchtlingshelferinnen und -helfer als auch über die künftigen Herausforderungen bei der Integration geben.

Frage : Herr Seibert, ich wüsste gern, wer Deutschland bei der Syrien-Geberkonferenz kommende Woche vertritt. Ich frage Sie, weil die Kanzlerin das, meine ich, schon einmal getan hat.

StS Seibert: Sie hat es getan, als es eine Konferenz in London gab. Die Bundeskanzlerin wird es in der kommenden Woche nicht sein. - Ich höre: der Außenminister.

Frage : Ich möchte das Thema der Anti-ISIS-Koalition und der deutschen Beteiligung an Luftangriffen mit getöteten Zivilisten ansprechen. Herr Seibert, haben Sie ein Statement der Kanzlerin oder eine Bewertung aus dem Kanzleramt bezüglich dieser Beteiligung?

Unterstützt die Bundesregierung die Ankündigung von Herrn Trump "to 'bomb the shit' out of ISIS"?

Herr Flosdorff, war das jetzt der erste Luftangriff mit getöteten Zivilisten, zu dem deutsche Aufklärungsergebnisse beigetragen haben?

StS Seibert: Ich will zunächst sagen, und zwar ganz grundsätzlich, dass wir jedes zivile Opfer militärischer Einsätze bedauern und betrauern, ganz gleich von wem ein solcher Einsatz durchgeführt wird. Wir haben immer betont, dass alles getan werden muss, um solche tragischen Ereignisse zu vermeiden und - sollte es doch zu einem solchen Vorfall gekommen sein - um die genauen Umstände und die Verantwortlichen aufzuklären sowie auch Konsequenzen und Lehren daraus zu ziehen.

Ich kann Ihnen zu diesem Fall nur sagen, dass wir keine genauen Kenntnisse zu tatsächlichen Opfern haben. Die Meldungen Dritter zu zivilen Opfern in diesem spezifischen Fall sind noch unbestätigt.

Wir begrüßen, dass die Anti-IS-Koalition und die amerikanischen Streitkräfte die Berichte zu solchen möglichen zivilen Opfern sehr sorgfältig überprüfen und die Vorgänge untersuchen wollen. Diese konkrete Untersuchung dauert noch an.

Zusatzfrage : Die andere Frage war bezüglich Herrn Trumps, to "bomb the shit" out of ISIS.

Können Sie sagen, wann die Kanzlerin von diesem Ereignis erfahren hat? Von der Verteidigungsministerin, oder hat sie das aus den Medien erfahren?

Herr Flosdorff, die Frage war auch noch offen.

StS Seibert: Zu Ihrer Frage nach dem Kampf gegen den IS kann ich eigentlich nur wiederholen, was ich dazu auch in der vorletzten Pressekonferenz sehr ausführlich gesagt habe: Wir beteiligen uns aus Überzeugung an der Anti-IS-Koalition, weil der IS im Irak und in Syrien eine grausame Schreckensherrschaft aufgebaut hat, eine Herrschaft von Sklaverei, Unrecht, Vergewaltigung, Schändung und allen schlimmen Dingen, die Ihnen sonst noch einfallen mögen. Für all das gibt es Zeugenaussagen und belegte Berichte. Weite Teile der Zivilbevölkerung dort litten und leiden unter dem IS. Das hat zu Flucht und Vertreibung geführt - neben den vielen Toten, die dem IS zugerechnet werden müssen.

Hinzu kommt noch, dass der IS über das Leid hinaus, das er in der Region ausgelöst hat, eine konkrete Bedrohung für uns in Europa darstellt. Das hat eine ganze Reihe von Anschlägen auf traurige Weise bewiesen.

Aus diesem Grund beteiligen wir uns an der Koalition.

Im Einsatz selber hat für uns wie auch für die gesamte Koalition der Schutz der Zivilbevölkerung immer eine herausragende Bedeutung. Das hat zuletzt auch die amerikanische Seite bestätigt.

Zusatzfrage : Wann wurde die Kanzlerin informiert oder unterrichtet?

StS Seibert: Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Ich würde jetzt darüber aber auch keine Auskunft geben. Wir alle verfolgen Medienberichte. Nun heißt es, diese zu überprüfen.

Flosdorff: Ich möchte noch einen Punkt betonen, weil Ihre Frage ja insinuierte, dass es da zivile Opfer gegeben hat:

Wir wissen in Wahrheit noch nicht, was genau geschehen ist. Es gibt Berichte syrischer Quellen, nach denen es viele Opfer gegeben hat. Solche Berichte - das zeigt die Erfahrung der Vergangenheit - treffen manchmal zu, manchmal treffen sie nicht zu. Es gibt auch sehr explizite Äußerungen des Kommandeurs der Operation Inherent Resolve - auch gegenüber der amerikanischen Presse -, der sagt, nach bisheriger Auswertung aller Quellen habe er keine Anhaltspunkte dafür, dass jemand anderes getroffen worden sei als der IS. Sie haben aber auch gesagt, dass die Untersuchung noch nicht abgeschlossen sei und sie auf jeden Fall darüber berichten würden, wie die Untersuchungen am Ende ausgeht.

Ich möchte sagen, dass die Koalition ein sehr hohes Interesse daran hat, alle diese Fälle deutlich und minutiös aufzuklären. Es hat ja auch schon Fälle gegeben, in denen man gesagt hat: Ja, hier ist ein Irrtum geschehen. Jeder Fall wird noch weiter untersucht. Das Interesse ist nicht, dass man dem IS keinen Vorwand für Propaganda oder für fehlgeleitete Informationen geben möchte.

Ich danke erst einmal allen, die bisher in ihrer Berichterstattung sehr fair auf den Umstand hingewiesen haben, dass es noch Untersuchungen gibt, die noch nicht abgeschlossen sind, und es noch gar nicht erwiesen ist, ob am Ende jemand anderes getroffen worden ist. Ich bitte, diese journalistische Sorgfalt in der Darstellung auch zu praktizieren.

Ich möchte an der Stelle aber auch darauf hinweisen, dass wir bisher keinen Anhaltspunkt dafür haben, dass sich irgendein Soldat der Bundeswehr mandats- oder völkerrechtswidrig verhalten hat. Zweck dieses Beitrages der Bundeswehr ist der Kampf gegen einen brutalen und rücksichtslosen Gegner. Er hat häufig selber bewiesen, dass er keine Rücksicht auf Zivilbevölkerung nimmt. Die Koalition gegen den IS treibt wirklich einen enormen Aufwand. Ich habe mich in den letzten Tagen jetzt intensiv damit beschäftigt, auch noch einmal im Detail: Man versucht bei der schwierigen Bekämpfung der IS-Terroristen, wo immer es geht, die Gefahr für unbeteiligte Zivilisten zu minimieren. Wenn in diesem fürchterlichen Konflikt - das sage ich von meiner Stelle noch einmal - Zivilisten zum Opfer von Kampfhandlungen werden, ist es in jedem einzelnen Fall sehr schlimm und bedauerlich.

Zum Mandat "Counter ISIS", das die Bundeswehr vom Deutschen Bundestag erhalten hat, gehört seit Jahr und Tag auch die tägliche Routine der deutschen Tornado-Besatzungen, auf Bestellungen der Koalitionspartner - das sind Listen, die schon viele Wochen im Vorhinein feststehen - Bilder von genau definierten Objekten zu machen.

In der Regel gibt es da einen längeren Vorlauf. Die Zielpunkte werden abgeflogen. Die Bilder werden ausgewertet und in einen Pool eingestellt. Das geschieht jetzt schon länger als ein Jahr. Deswegen bitte ich auch um Verständnis. Ich kann Ihnen nicht sagen, welche dieser zehntausende Bilder, die mittlerweile erstellt worden sind - vielleicht jetzt auch von Objekten, Gebäudekomplexen, geographischen Gegebenheiten -, jetzt plötzlich aktuell in den Fokus rücken und für einzelne Operationen - sei es aus der Luft, sei es am Boden - verwendet werden.

Ob es in dem Zusammenhang auch zu zivilen Opfern gekommen ist, das kann ich Ihnen im Detail überhaupt nicht sagen, weil sich das unserer Kenntnis entzieht.

Ich möchte nur sagen: Technisch - wenn Sie diese Verbindung zu dem Angriff sehen - ist es so, dass die Tornado-Bilder erstellt werden. Sie werden ausgewertet. Dieser Prozess braucht eine gewisse Zeit. Aus technischen Gründen ist das keine Informationsquelle, die dazu dient, dass zeitnah die Entscheidung über das Ob eines Angriffs erfolgt. Die Bilder werden nicht zur Erkenntnis darüber herangezogen, wie viele oder welche Personen sich zu dem Zeitpunkt des Angriffs in einem Gebäude oder in einem anderen Zielobjekt aufhalten. Dazu dienen regelmäßig andere Quellen, die sozusagen zeitnah Auskunft darüber geben können, sei es bildgebend, sei es durch menschliche Quellen am Boden. Sie werden dann in diesem Entscheidungsprozess berücksichtigt. In dieser Phase ist die Bundeswehr nicht mehr beteiligt.

Heißt das, dass wir gar nichts damit zu tun hatten? - Nein, auch die Tornado-Bilder sind häufig eine wertvolle Quelle, damit man einschätzen kann, welche Gebäude das sind und wie es dort aussieht. Man weiß dann zwar nicht aufgrund der Bilder, wer genau dort ist. Aber sie tragen dazu bei, das Lagebild zu verdichten.

Die Bundeswehr trägt im Übrigen auch durch die Satellitenbilder dazu bei. Sie trägt auch dazu bei, indem wir Luftbetankung von Kampfjets der Alliierten machen. Das ist es, warum die Bundeswehr da unten ist. Es geht hier um den Kampf gegen den IS. Das ist ein fürchterlicher Konflikt, der sich da unten abspielt. Es ist immer wieder auch Zivilbevölkerung zwischen den Fronten, und wir kämpfen ja auch gegen einen Gegner, der selbst wenig Rücksicht nimmt, der selbst Zivilisten daran hindert, das Kampfgebiet zu verlassen, zu flüchten. Ich bitte das auch alles in einer abgewogenen Berichterstattung mit zu berücksichtigen.

Frage : Im Sinne der abgewogenen Berichterstattung: Es gibt in den vergangenen Tagen zunehmend Aussagen nicht nur von Medien, nicht nur von NGOs, sondern auch von US-Abgeordneten, dass in den vergangenen Wochen die Intensität der Angriffe und die Gefährdung von Zivilisten zugenommen habe. Ist das eine Entwicklung, die Sie beziehungsweise die Bundeswehr und/oder die Bundesregierung ebenfalls beobachtet hat? Wenn ja, ist es etwas, was von Ihrer Seite in der Koalition thematisiert wird?

Flosdorff: Ich habe keine Erkenntnis darüber. Da gibt es ja auch Äußerungen von amerikanischer offizieller Seite, es gäbe keine Indizien dafür, dass es da eine Veränderung der Regeln gäbe, wenn Sie darauf ansprechen. Dass wir eine Zunahme von zivilen Opfern haben, das lässt sich beobachten. Aber wir wissen auch alle, dass sich in den letzten Wochen und Monaten das Kampfgeschehen verändert hat. Wir reden jetzt nicht mehr darüber, wie wir quadratkilometerweise Wüste frei kämpfen und einfach den Grenzverlauf verschieben, sondern jetzt geht es um Situationen - die haben wir in Rakka, die haben wir in Mossul -, an denen einige tausend IS-Kämpfer beteiligt sind. Es gibt zehntausende, hunderttausende Menschen der Zivilbevölkerung, die dort auf dem engsten Raum unter fürchterlichen Verhältnissen verhaftet sind und teilweise auch an der Flucht gehindert werden. Das bringt es mit sich, dass sich allein schon durch den Verlauf des Kampfgeschehens die Gefahr für die Zivilbevölkerung erhöht, dort mit betroffen zu werden.

Wichtig ist, dass alle Seiten weiter betonen, dass der Schutz von Zivilbevölkerung eine sehr hohe Priorität innerhalb der Koalition hat. Wir haben auch keine Zweifel daran, dass sich daran irgendetwas ändern wird. Das wird immer wieder betont. Auch der Kommandeur von CENTCOM, General Townsend, hat das gerade wieder in der Pressekonferenz erwähnt. Das wird auch weiter die Linie sein.

Zusatzfrage : Die US-Aussage ist ja bisher - jetzt muss ich etwas technisch werden -, dass die "Rules of Engagement" nicht geändert wurden. Aber es steht ja im Raum, dass unterhalb der RoE die "Standard Operating Procedures" doch insofern in Teilen verändert worden sind, als die Billigung von Luftschlägen in einem vereinfachten Verfahren vorgenommen wird. Deckt sich das mit dem, was Sie auch beobachten?

Flosdorff: Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Ich muss Ihnen auch sagen: In der Phase sind wir als Bundeswehr nicht dabei. Wir liefern Aufklärungsbilder. Wenn die Entscheidung über das Ob eines Luftschlages gefällt wird, ist kein Bundeswehrsoldat in der Nähe.

Frage: Herr Flosdorff, wenn man davon ausgeht, dass der Verteidigungsausschuss vom Generalinspekteur nicht ohne Grund informiert wird: Sie haben eben noch einmal darauf hingewiesen, dass in der Regel zwischen dem Erstellen der Bilder und ihrer Auswertung und gegebenenfalls der Einbeziehung in den Entscheidungsprozess mehrere Tage liegen. Im konkreten Fall war es aber offenbar so, dass die Bilder am Tag zuvor gemacht wurden. Ändert das nicht sozusagen qualitativ die Rolle, wenn von der Bundeswehr erstellte Bilder bei Entscheidungen über Bombeneinsätzen herangezogen werden? Mit anderen Worten - Sie haben es selbst gesagt -: Wir sind bei der Entscheidung nicht dabei, aber wir sind nicht unbeteiligt. Rücken mit diesem engeren Zeitkorsett Bundeswehrinformationen nicht doch näher an den Entscheidungsprozess und damit die Verantwortung heran?

Flosdorff: Wenn Sie darauf abheben, dass der Generalinspekteur den Verteidigungsausschuss informiert hat: Wir hatten das Thema ja schon gefühlte - Herr Kollege, helfen Sie mir - siebzehn Mal hier in der Bundespressekonferenz, als es um genau dasselbe Procedere ging. Da haben wir das ja auch ausführlich erklärt. Es ändert nichts daran, ob Sie jetzt mehrere Tage oder anderthalb Tage dazwischen haben. Die Bilder, die die Bundeswehr liefert, geben keine Auskunft darüber, wer sich aktuell zum Zeitpunkt eines Luftschlages in einem Gebäudekomplex aufhält und wie viele Personen das genau sind. Ob vorher sozusagen drei Kleinbusse dorthin gekommen sind, ob Menschen von dort abgeholt worden sind oder Menschen irgendwie dahin gekommen sind, darüber kann das keine Auskunft geben. General Townsend hat es in seiner Pressekonferenz auch noch einmal erwähnt, dass es in diesem speziellen Fall bis zeitnah zu dem Luftschlag eine Vielzahl von Quellen gegeben hat, die über das Lagebild an dieser Örtlichkeit Auskunft gegeben haben. Darüber kann einfach unser Luftbild, auch wenn es anderthalb Tage vorher erstellt worden ist, keine Auskunft geben.

Zusatzfrage: Es gibt Berichte, diese Schule sei ein Quartier für Vertriebene gewesen und die Luftbilder der Bundeswehr hätten nicht die Qualität, um daraus ableiten zu können: Handelt es sich bei denen, die sich dort aufhalten, mutmaßlich um Vertriebene oder nicht?

Flosdorff: Ich glaube, Sie haben eine vollkommen falsche Vorstellung davon, wie solche Bilder aussehen und was solche Bilder aussagen können. Da kann man aus dem Schattenwurf erkennen und eventuell berechnen, wie hoch ein Gebäude ist. Man kann schauen: Wo stehen noch Mauern? Wo stehen Wände? Wo gibt es einen Wassertank? Was könnte vielleicht ein Auto sein?

Aber wer sich genau in einem geschlossenen Gebäudekomplex aufhält, das übersteigt sozusagen die Möglichkeiten jeder Aufklärung. Also wenn dort nicht irgendwie Fahnen gehisst oder Transparente ausgelegt werden, dann kann man allein auf Basis dieser Bilder solche Schlüsse nicht ziehen.

Ich werde es Ihnen auch noch einmal sagen - ich möchte es hier noch einmal wiederholen, und viele Militärexperten haben das ja in den vergangenen zwei Tagen auch in etlichen Medien ausführlich dargelegt -: Es ist nie so, dass auf Basis einer einfachen einsamen Information eine solche Entscheidung gefällt wird, sondern es ist immer eine Vielzahl von Komponenten. Eine wichtige Komponente sind Aufklärungsmittel. Man will ja nicht ein bestimmtes Gebäude unbedingt zerstören, sondern man möchte einen Gegner bekämpfen. Man möchte sich so gut wie möglich einen Überblick darüber beschaffen, wenn man so eine Entscheidung fällt, dass sich auch die Personen, die man bekämpfen möchte, in einem Gebäudekomplex aufhalten. Dazu gibt es auch geeignete Mittel, um das zeitnah festzustellen. Die Tornado-Bilder haben auch ihren Wert in einer Angriffsplanung. Sie sind auch ein Punkt der Beurteilung und der Lageverdichtung. Aber darüber geben sie keine Auskunft.

Frage : Herr Flosdorff, vielleicht direkt daran anknüpfend. Ich habe leider selten die Aufklärungsbilder von Tornados direkt vor Augen. Sie teilen sie mit uns so selten. Aber ich habe in Erinnerung, dass die Recce-Tornados ja gerade auch die Fähigkeit haben, über Infrarot relativ weit in Gebäude - zumindest bei Leichtbauhäusern - hereinzuschauen, nicht nur, was die Struktur angeht, sondern auch, wenn es darum geht tatsächlich festzustellen, ob sich darin irgendetwas Warmes befindet, was möglicherweise von der Temperatur ein Mensch sein könnte. So ist meine Erinnerung. Korrigieren Sie mich, wenn ich da falsch liege. Also das war doch auch einer der Gründe, warum man gesagt hat, man schickt genau diese Recce-Tornados dort herunter.

Flosdorff: Das war jetzt nicht wegen der herausragenden Infrarot-Eigenschaften, sondern die Recce-Tornados fliegen in der Regel auch bei Tag ihre Bilder, weil sie dann von der Auflösung her deutlich besser sind. In diesem Fall kam diese Technik nicht zur Anwendung. Die Experten unter Ihnen wissen, dass Luftschläge meistens nachts erfolgen. Die Experten unter Ihnen wissen auch, welche Technologie dazu geeignet ist, das aufzuklären. Das ist nicht ein Tornado, der sich mit viel Lärm in großer Höhe über ein Zielgebiet bewegt.

Frage : Wie überprüfen Sie - die deutsche Seite -, ob es zum Tod von Zivilisten gekommen ist?

Fischer: Wir arbeiten im Rahmen der Anti-IS-Koalition zusammen. Dort gibt es auch Einheiten, die sich darum kümmern, dass diesen Fragen nachgegangen wird. Sie wissen ja auch, dass die Anti-IS-Koalition versucht, mögliche zivile Opfer nachzuhalten und diese Information auch auf ihrer Webseite veröffentlicht. Das heißt, da arbeiten wir alle eng zusammen. Aber es ist auch so, dass wir als Auswärtiges Amt beispielsweise keine eigene Botschaft in Syrien unterhalten und dementsprechend auch keinen Mitarbeiter oder keine Mitarbeiterinnen vor Ort haben. Das heißt, wir sind auf unsere Kontakte in die Region angewiesen, wir sind auf die Möglichkeiten der Anti-IS-Koalition angewiesen, und daraus versuchen wir uns dann ein Lagebild zu erstellen. In diesem Fall ist das Lagebild so, wie Herr Flosdorff ja schon ausgeführt hat, dass wir noch keine abschließende Erkenntnis haben.

Aber ich meine, es ist, glaube ich, hier bei allen Äußerungen deutlich geworden, dass jedes Menschenleben - ob jetzt von Mann, Frau oder Kind -, das in einem Konflikt verloren geht, ein Menschenleben zu viel ist. Deshalb arbeiten wir ja daran, diesen Konflikt zu lösen, und das tun wir auf vielerlei Weise:

Das eine sind die militärischen Aspekte - da gibt es den Anti-ISIS-Einsatz - , und das andere ist der Aspekt, dass wir Waffen an die Kurden geliefert haben, damit sie in der Lage sind, den Völkermord an den Jesiden zu verhindern.

Wir machen aber auch ganz viel im zivilen Bereich. Im Irak ist ja schon ein sehr großer Teil der Landesfläche von den IS-Kämpfern befreit worden. Hier geht es darum, sehr schnell zu stabilisieren und die Rückkehr von Menschen zu ermöglichen. Mittlerweile ist es so, dass 1,6 Millionen Menschen, die im Rahmen der Kampfhandlungen oder vom IS vertrieben worden sind, schon wieder in ihre Heimat zurückkehren konnten.

Das tun wir alles auch mit sehr beträchtlichen Summen. Für dieses Jahr belaufen sich unsere Zusagen allein für den Irak auf 517 Millionen US-Dollar. Wir haben gerade auch noch beim Anti-IS-Treffen in Washington weitere 235 Millionen Euro für humanitäre Hilfe und Stabilisierung zugesagt.

Das heißt, wir tun an ganz vielen verschiedenen Ecken und Enden sehr viel, um dazu beizutragen, den IS zurückzudrängen, beileibe nicht nur militärisch. Dabei geht es um Stabilisierung sowie um den politischen Prozess in Syrien, also den Versuch, in Syrien endlich eine Lösung zwischen der Opposition und dem Regime hinzubekommen und den Bürgerkrieg dort zu beenden. Da drehen wir tatsächlich an ganz vielen Stellschrauben, und dieser Tornado-Einsatz oder der Einsatz der Bundeswehr ist eine von diesen Stellschrauben.

Flosdorff: Wenn ich das an dieser Stelle noch ergänzen darf: CENTCOM klärt das auf. Wir in der Koalition sind uns bewusst, dass alle zivilen Opfer, die entstehen, immer auch Ansatzpunkte für Propaganda des IS sind, der wir keine Nahrung geben wollen. Deshalb geht CENTCOM jedem Vorwurf hinsichtlich ziviler Opfer gründlich nach, schon aus eigenem Interesse.

Ich kenne weder im Irak noch in Syrien irgendeine andere beteiligte Kraft oder Macht als die Koalition, die solchen Vorwürfen in dieser Stringenz nachgeht und hinterher die Ergebnisse auch veröffentlicht und auch Zahlen über zivile Opfer herausgibt; das möchte ich in diesem Zusammenhang auch einmal erwähnen. Es wäre vielleicht nett, wenn man das auch einmal irgendwie mit berücksichtigen könnte.

Zusatzfrage : Ich präzisiere meine Frage gerne. Sie sagen ja immer wieder, dass Sie keine eigenen Erkenntnisse über irgendetwas hätten. Gleichzeitig verstehe ich jetzt, dass Sie auch nie eigene Erkenntnisse haben werden, weil Sie einfach nie eigenständig forschen werden, sondern das immer an die Amerikaner, an CENTCOM usw. delegieren. Habe ich das richtig verstanden?

Herr Flosdorff, sind CENTCOM-Erkenntnisse dann auch eigene Erkenntnisse der Bundesregierung, oder werden wir einfach nie mit eigenen Erkenntnissen rechnen können?

Fischer: Ich glaube, was ich gesagt habe, ist, dass wir keine eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort haben, dass ein Teil der Informationen, die wir erhalten, von Kontakten kommt, die wir vor Ort haben, und dass ein anderer Teil über Auswertungen à la CENTCOM und von anderer Seite kommt. Das heißt, wir glauben schon, dass sich daraus ein Lagebild zusammensetzen lässt. Allerdings ist es bislang nicht so, dass wir als Bundesregierung ein abschließendes Lagebild zu dem hier besprochenen Angriff hätten.

Die Aufklärung schreitet voran. Sie wird von der Koalition durchgeführt. Wir warten jetzt erst einmal ab, was das Ergebnis sein wird, weil ich glaube, sich jetzt dazu zu äußern, was tatsächlich passiert ist, scheint mir vor dem Ende der Untersuchung noch nicht angezeigt zu sein.

Flosdorff: Ich will das an dieser Stelle vielleicht auch noch einmal ergänzen: Es ist auch nicht so, dass wir komplett nicht beteiligt sind, irgendwie auch daran. Auch die Bundeswehr-Tornados liefern also nach Angriffen im Rahmen des sogenannten "battle damage assessment" Bilder davon, was geschehen ist und was man jetzt feststellen kann. Da kann man feststellen, dass ein Gebäude zerstört worden ist, man kann die Ausmaße der Zerstörung sehen, man kann Rückschlüsse darauf ziehen, was für Waffen hier eingesetzt worden sind, ob vielleicht noch irgendetwas anderes explodiert ist usw. Das heißt, das kann hinterher auch dazu beitragen, dass sich die Berichte auf ein sicheres Lagebild stützen können und man zu einem besseren Urteil kommen kann, auch was die Möglichkeit ziviler Opfer angeht.

Wir haben natürlich bei der nachträglichen Aufklärung jetzt auch keine andere Qualität als bei der Aufklärung vorher. Wir können ein genaues Bild davon zeichnen, wie es im Gelände aussieht und wie es mit den Gebäuden aussieht.

Frage : Herr Flosdorff, warum ist die Bundeswehr eigentlich in Al Udeid nach Ablieferung der Fotos nicht mehr in den Prozess eingebunden? Ist das der eigene Wunsch der deutschen Seite, oder hat sich das einfach zufällig so ergeben?

Flosdorff: Ich bin nicht Militärexperte genug, um Ihnen da die Details zu nennen. Ich weiß nur, dass das irgendwie geübte Praxis in vielen Konflikten ist und dass es offensichtlich auch in Afghanistan irgendwie so gewesen ist, dass diese Nationen, die selbst auch Angriffe fliegen - dazu gehört Deutschland in diesem Konflikt wie auch in dem anderen erwähnten Konflikt nicht -, sozusagen diesen letzten Entscheidungsprozess und die letzte Planung ohne die Nationen durchführen, die am Rande beteiligt sind.

Frage : Herr Flosdorff, Sie sagten ja jetzt, das sei in den meisten Fällen so eine Art Häuserkampf, und dabei seien Stadtgebiete und Wohngebiete umkämpft. Wie kommt man da als Koalition überhaupt auf die Idee, Bombardierungen durchzuführen? Wenn man Wohngebiete bombardiert, dann sind Zivilisten doch wahrscheinlich automatisch Opfer. Warum macht man das also?

Flosdorff: Ich finde es interessant, dass Sie jetzt in diesem Fall diese Frage stellen und nicht in den anderen Fällen diese Frage gestellt haben, als andere Städte unter Bombardements zu leiden hatten.

Es geht hier darum, dass das eine Form der Kriegsführung ist. Deutschland führt selbst keine Luftschläge aus. Wenn man sicher ist oder leidlich sicher ist, dass man das Leben der eigenen Soldaten schont, wenn man leidlich sicher ist, dass wenige oder gar keine zivilen Opfer zu befürchten sind, und wenn die Informationslage richtig genug ist, dann kann es ein legitimes Mittel sein, auch in solchen Operationsphasen irgendwie zu diesem Mittel zu greifen. Es bedarf aber vorher immer einer sorgfältigen Abwägung, und diese Abwägungsprozesse finden täglich statt. Es ist halt nicht so einfach, wie sich das viele Menschen vorstellen.

Zusatzfrage : Aber wenn das täglich stattfindet - ich habe hier einmal eine Liste von "Airways", die das alles dokumentieren, und da finden ja täglich genau diese Angriffe statt -, wo sind denn dann die Abwägungen, wenn man sich am Ende immer dafür entscheidet? Allein im März sind mehr als 1200 Zivilisten bei Angriffen auf Wohnviertel - nicht nur in Mossul, sondern auch in Rakka und anderen Gebieten auch in Syrien - ums Leben gekommen.

Flosdorff: Ich kann Ihre Fakten, die Sie da haben, irgendwie nicht bestätigen. Wir sind hier in einem blutigen Konflikt mit mehreren Zehntausend Opfern. Es ist nicht die Koalition, die heute versucht, sowohl den Irak als auch Syrien von dieser Geißel des IS zu befreien, die sich das aussucht. Es ist einfach so: Wenn man den IS bekämpft, dann muss man diesen Kampf auch hart führen. Wir alle würden uns wünschen, der IS würde der Zivilbevölkerung alle Wege offen lassen und es der Zivilbevölkerung ermöglichen, sich möglichst weit aus der Gefahrenzone zu bringen. Das ist nicht so. Es ist nicht so, dass andere dieselbe Rücksicht nehmen oder zumindest versuchen, dieselbe Rücksicht zu nehmen, wie es die Koalition tut. Das ist einfach ein Fakt, mit dem wir umgehen müssen.

Ist das jetzt völkerrechtswidrig? - Nein.

Frage: Ohne am Aufklärungswillen der Anti-IS-Koalition zweifeln zu wollen, ist es systemisch natürlich immer problematisch, wenn ein möglicher Schädiger die Aufklärung der Folgen seines Tuns allein und selbst betreibt. Ist es für die Bundesregierung denkbar, zu Aufklärungszwecken in direkten Kontakt zum Beispiel mit der Syrischen Beobachtungsstelle in London zu treten, die ja offenbar über relativ gute Informationen von vor Ort verfügt, um das auch im eigenen Interesse in diesen Aufklärungsprozess einzuspeisen?

Fischer: Vielleicht sage ich es noch einmal: Wir stehen ja mit einer Reihe von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Syrien in Kontakt, und die Syrische Beobachtungsstelle gehört natürlich auch zu unseren Kontakten. Aber auch die Syrische Beobachtungsstelle ist ja nicht vor Ort, sondern sie sitzt in London. Sie verfügt in der Tat über ein gutes Netzwerk vor Ort, aber nicht alles, was dort gemeldet wird, stellt sich hinterher auch so heraus. Ich meine, auch die Beobachtungsstelle muss halt damit umgehen, dass es Interessen derjenigen gibt, die ihnen bestimmte Dinge melden, damit sie auf bestimmte Weise in die Öffentlichkeit getragen werden. Das ändert nichts daran, dass das grundsätzlich wichtige Gesprächspartner für uns sind.

Zusatzfrage: Nun hat sich in der Vergangenheit herausgestellt, dass die Wahrnehmungen und Berichte der Syrischen Beobachtungsstelle relativ häufig einigermaßen zutreffend sind. Gehen also in einem Fall wie diesem auch solche Berichte in die deutsche Einschätzung der Lage konkret ein, oder verlassen Sie sich dann doch wesentlich auf das, was vonseiten der Aufklärung der Anti-IS-Koalition kommt?

Flosdorff: Ich will noch einmal etwas zum deutschen Beitrag sagen, weil das, glaube ich, sonst einfach ein Missverständnis ist, das hier entsteht: Die deutschen Soldaten werten Tornado-Bilder aus. Die werten sie nicht unter Zuhilfenahme einer Beobachtungsstelle in London aus, sondern sie beschreiben, was sie auf diesen Bildern erkennen können und was man darauf nicht erkennen kann. Das ist eine relativ nüchterne, sachliche Arbeit. Diese Bilder werden in einen Pool eingestellt. Diese Bilder werden möglicherweise von Koalitionspartnern, die Angriffe am Boden oder aus der Luft gegen den IS starten, zur Hilfe genommen, und zwar als ein Puzzlestück eines Mosaiks, eines Lagebilds, das sich aus vielen Quellen speist. Das können unter anderem auch menschliche Informanten sein, die irgendwie am Boden sind und die vielleicht auch genauso gut oder schlechter oder besser als die Beobachtungsstelle Bescheid wissen.

Alles, was wir hier gesagt haben, ist: Die Beobachtungsstelle hat häufig hinterher nachprüfbare und auch valide Angaben gemacht. Es gibt auch eine Vielzahl von Fällen, in denen sich hinterher herausgestellt hat, dass das irgendwie nicht zutraf und dass offensichtlich auch diese honorige Stelle Informanten aufgesessen ist, die nichts Gutes im Sinn hatten, die ungenau waren oder deren Wahrnehmung vielleicht nicht korrekt war.

Es ist nicht so einfach, das jetzt zu verifizieren und zu sagen "Fragt doch einfach einmal die einen, dann ist irgendwie alles gut, oder fragt die anderen, und dann ist alles gut" oder zu sagen "Hast du ihn nicht gefragt? - Dann ist alles schlecht". So einfach ist es nicht. Es ist eine Vielzahl von Informationen, die dazu führt, ob so eine schwierige Entscheidung getroffen wird. Was wichtig ist, noch einmal, ist die Abwägung, die immer stattfinden muss: Wie viele Informationen haben wir darüber, dass wir wirklich ausschließlich diejenigen treffen, die wir irgendwie auch treffen wollen, und wie groß ist die Gefahr, dass irgendjemand anderes Schaden nimmt? Ich meine, wenn man alles Mögliche dafür tut, das auszuschließen, und wenn man diese Abwägung auch in angemessener Form durchführt, dann ist das in diesem Konflikt alles, was man dort tun kann.

Zusatz: Meine Frage hatte sich auch nicht auf die Angriffsentscheidung bezogen, sondern auf die nachträgliche Aufklärung. Aber ich danke schön.

Frage : Ich möchte gerne den Aufmacher in der heutigen "FAZ" in Sachen BND-Präsident Kahl ansprechen. Ist diese Liste mit den Namen, die von der türkischen Seite übergeben wurde, tatsächlich zu spät ausgewertet worden? Ist die Brisanz unterschätzt worden?

Gibt es Unmut wegen Interviews von Herrn Kahl oder anderen aus seiner Riege, wie ich fast gesagt hätte, wie auch in der Zeitung berichtet wurde?

StS Seibert: Was den Zeitungsbericht betrifft, muss ich sagen: Ich kann über derartige Sitzungen, wie sie in dem Zeitungsbericht ja angesprochen werden, nicht berichten, wie Sie wissen. Über das, was zu diesem Thema zu sagen ist, wurde das Parlament informiert, und zwar sowohl im Innenausschuss als dann auch am Mittwochnachmittag im Parlamentarischen Kontrollgremium durch die Staatssekretärin Haber. Das ist das, was ich Ihnen dazu sagen kann.

Zusatzfrage : Also hat es nicht eine Panne in dem Sinne gegeben, dass die Regierungsmitglieder nicht durch Herrn Kahl informiert wurden?

StS Seibert: Über das, was dazu zu sagen war oder ist, ist das Parlament, wie es sich gehört, informiert worden. Ich habe auch gesagt, durch wen und in welchem Gremium.

Zusatzfrage : Und das Thema Unmut?

StS Seibert: Ich kann nur meine Antwort wiederholen.

Frage : Schon klar, dass wir es da mit einem etwas diffizilen Thema zu tun haben, was die Beantwortungsmöglichkeiten angeht, aber ich würde schon ganz gerne erfahren, vor allem von Herrn Plate, ab wann denn der Innenminister tatsächlich über das Vorhandensein einer solchen Liste informiert war.

Plate: Ich bitte um Verständnis, wenn ich Ihre Erwartungen da vielleicht ein bisschen enttäuschen muss, aber es geht ja um eine Liste, die, wenn die Berichte zutreffen, sozusagen durch operative nachrichtendienstliche Zusammenarbeit bewegt worden ist, wie ich es einmal ausdrücken möchte, und dazu kann ich grundsätzlich nicht Stellung nehmen. Das müsste ich aber tun, wenn ich auch darüber berichten wollte, wie dann intern mit solchen Listen umgegangen wird oder in einem konkreten Fall umgegangen worden ist. Deswegen kann ich Ihnen solche konkreten Zeitangaben - wer, wann, wie, wem gegenüber -, ehrlich gesagt, nicht anbieten.

Zusatzfrage : Herr Plate, im Wissen darum, dass Sie Jurist sind und das grundsätzlich sicherlich juristisch meinten - im Sinne von "es gibt auch Ausnahmen davon, die nur zu definieren sind" -, würde ich dann natürlich schon ganz gerne und doch noch einmal nachfragen. Es macht für uns als Öffentlichkeit natürlich einen großen Unterschied, ob wir die Aussagen des Ministers und auch anderer Beteiligter in den vergangenen Wochen in diesem Lichte neu interpretieren müssten oder nicht. Es gab ja beispielsweise eine Woche vor dem Bekanntwerden dieser Liste eben die Äußerung von Herrn Maaßen, die dann zum Beispiel de facto auch neu interpretiert werden müsste, und zwar über den Umgang mit der Türkei und das Verhältnis zur Türkei. Wenn Sie uns also einen groben Anhaltspunkt geben würden, wäre ich über eine Ausnahme von Ihrer grundsätzlichen "Abgelehntheit" doch sehr glücklich.

Plate: Ich bin mir jetzt nicht so ganz sicher, auf welche Äußerung von Herrn Maaßen Sie jetzt anspielen, die Sie jetzt anders interpretieren wollen, als Sie es möglicherweise vorher getan haben.

Ich kann vielleicht als Hintergrundinformation schon Folgendes dazu sagen: Es geht ja um Personenangaben auf einer möglichen Liste, die jetzt auch Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens beim Generalbundesanwalt ist. Die Vorwürfe, die in diesem Zusammenhang im Raum stehen, sind, wenn sie sich bewahrheiten, natürlich schwerwiegend. Das gilt insbesondere für mögliche Spionagetätigkeit, die sich vielleicht auch gegen Politiker richtet, die sich auf der Liste befunden haben. Aber wenn ich sage, dass es ein Ermittlungsverfahren gibt, dann bedeutet das auch, dass man erst einmal abwarten muss - das ist vielleicht für den Hinterkopf wichtig -, ob das tatsächlich Vorwürfe sind, die sich so, wie sie jetzt im Raum stehen, bewahrheiten oder nicht. Das ist vielleicht für die Einordnung des Gesamtsachverhalts wichtig, und deswegen war es mir wichtig, das einmal zu erwähnen, natürlich ohne dass Sie danach konkret gefragt hatten.

Dann ist es so: Natürlich werden solche Vorfälle immer zum Anlass genommen, im Bundesinnenministerium noch einmal zu schauen, ob man die Abläufe, die es gibt, dahingehend optimieren kann, dass auf jeden Fall immer Mitglieder der Hausleitung über alle Dinge, die Sie wissen müssen, zum richtigen Zeitpunkt informiert sind. Das geschieht natürlich auch in diesem Fall. Aber über diese Angaben hinaus kann ich zu Ihrer Frage nichts sagen.

Frage : Herr Seibert, Herr Tusk hat heute Morgen die Leitlinien der EU für die Brexit-Verhandlungen vorgestellt. Darüber wird ja wohl auch noch zwischen den Staats- und Regierungschefs zu reden sein. Mich würde zum einen interessieren, wie Sie diese Leitlinien nach einem ersten Durchblick bewerten. Mich würde insbesondere interessieren, ob Sie mit Herrn Tusk konform gehen, dass man bei Fortschritten schon in die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen einsteigen kann, während die Scheidungsverhandlungen noch laufen, also dass es eine zeitliche Verschränkung gibt.

StS Seibert: Zunächst einmal, Herr Kollege, stimmt genau, dass heute Morgen der Entwurf der Leitlinien des Europäischen Rats für die Verhandlungen mit Großbritannien über den Austritt an die Mitgliedstaaten übermittelt worden ist. Der Entwurf wird heute den Botschaftern in Brüssel vorgestellt. Alle Mitgliedstaaten - so auch Deutschland - werden diesen Entwurf nun sehr sorgfältig prüfen, die Leitlinien werden dann unter den 27 Mitgliedstaaten beraten, und beschlossen werden sollen sie bei einem Sondertreffen der EU-27 - verständlicherweise ohne Teilnahme Großbritanniens - am 29. April. Wir werden jetzt also prüfen und werden mit den Regierungen der anderen 26 Staaten beraten. Darüber hinaus kann ich Ihnen hier jetzt noch keine Ergebnisse eines ersten Blicks auf das Dokument mitteilen; ich glaube, das wäre unseriös.

Die Bundeskanzlerin hat sich ja am Mittwoch sehr klar zu den Grundlagen der Überzeugungen, mit denen die Bundesregierung in diesen Prozess hineingeht, geäußert. Mit Blick auf die Frage, die Sie gestellt haben, kann ich nur daran erinnern, dass sie von den engen Verflechtungen gesprochen hat, die sich zwischen der Europäischen Union und Großbritannien in 44 Jahren Mitgliedschaft ergeben haben und dass in diesen Verhandlungen zunächst einmal geklärt werden muss, wie diese Verflechtungen geordnet entflochten werden. Dabei wird es auch um die vielen Rechte und Pflichten gehen, die ein Mitgliedsland eben auch hat. Erst wenn diese Fragen geklärt sind, kann anschließend - aber trotzdem hoffentlich bald - dann auch das Gespräch über das zukünftige Verhältnis geführt werden. So hat die Bundeskanzlerin es gesagt, und da habe ich heute keinen neuen Stand. Das ist die Aussage, die auch heute noch für die Bundesregierung gilt.

Zusatzfrage : Verstehe ich das also richtig, dass es eine klare Reihenfolge gibt: Erst das eine zu Ende und dann das Zweite?

StS Seibert: Ich denke, das, was die Bundeskanzlerin gesagt hat, steht in der Klarheit für sich - auch mit dem Zusatz, dass wir doch hoffentlich bald zu diesem zweiten Schritt kommen werden.

Frage: Premierministerin Teresa May hat in ihrem Brief von Sicherheit und einer möglichen Verbindung mit Wirtschaftsabkommen gesprochen. Wie reagiert die deutsche Regierung darauf? Sehen Sie diese Verbindung als eine mögliche Bedrohung?

StS Seibert: Über das hinaus, was die Bundeskanzlerin gesagt hat, möchte ich hier jetzt keine Stellung nehmen zu der Erklärung der Premierministerin. Ich gehe davon aus - und das ist unsere gemeinsame Überzeugung in der Bundesregierung -, dass die Sicherheit für alle in Europa ein gemeinsames Thema, ein gemeinsamer Handlungsbedarf ist - und damit meine ich alle in Europa, denn das geht sogar über die Europäische Union hinaus.

Frage : Herr Seibert, noch einmal dazu, dass es "bald" zu den Verhandlungen über das künftige Handelsabkommen kommen könnte: Die Bundeskanzlerin hat letzte Woche ja gesagt, dass jetzt erst einmal zwei Punkte wichtig sind: Der eine Punkt sind die EU-Bürger, die in Großbritannien leben, und der andere Punkt ist die Verflechtung beziehungsweise sind insbesondere die existierenden Verpflichtungen. Wenn man diese beiden Punkte jetzt klären würde, wäre es dann letztendlich möglich, schon über das Handelsabkommen zu sprechen?

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin hat einige Punkte genannt, die ihr und der Bundesregierung in diesem kommenden Prozess besonders wichtig sind. Ich habe einige davon genannt, und darüber hinaus habe ich dem jetzt nichts hinzuzufügen. Ich denke, dass die Aussagen der Bundeskanzlerin vom Mittwoch wirklich klar für sich stehen.

Frage : Nur auf den Komplex Sicherheit bezogen: Herr Flosdorff, gibt es derzeit noch gemeinsame Rüstungsprojekte mit Großbritannien, die in irgendeiner Form EU-Bezug haben?

Flosdorff: Dazu kann ich Ihnen hier jetzt aus dem Stand nichts sagen. Wir haben einige Truppenkooperationen, Großbritannien ist auch an der Operation SOPHIA beteiligt, aber konkrete Rüstungsprojekte fallen mir hier jetzt nicht ein. Das können Sie aber sicherlich mit einem Anruf im Ministerium sauber klären.

Zusatz : Sie können das dann gegebenenfalls ja auch nachliefern - danke.

Frage: Ich habe zwei Fragen an Herrn Audretsch zum Thema angekündigte Stahlzölle gegen deutsche Unternehmen.

Erste Frage: Wenn ich das richtig einschätze, gibt es jetzt ja die Möglichkeit, eine Klage bei der Welthandelsorganisation einzureichen, wenn diese Zölle erhoben werden. Wäre es dann so, dass deutsche Unternehmen diese Zölle beim Export ihrer Produkte in die USA erst einmal zahlen müssten und dann schließlich nach einer Entscheidung der WTO dieses Geld eventuell zurückgezahlt würde?

Zweite Frage: Es gibt im internationalen Handelsrecht wohl sogenannte reziproke Maßnahmen, also irgendwelche Zölle, die man als Land oder als Wirtschaftsblock gegen einen anderen einsetzen kann, wenn man die von dort erhobenen Maßnahmen für ungerechtfertigt hält. Denken Sie über so etwas nach?

Audretsch: Vielleicht zu Beginn ein, zwei allgemeine Worte zur Einschätzung der Situation: Es ist richtig, dass die USA in "fact sheets", die sie auch auf der Homepage ihrer Administration veröffentlicht hat, bekanntgegeben hat, dass sie gegen verschiedene Unternehmen Dumping festgestellt habe; darunter sind auch die deutschen Unternehmen Salzgitter und Dillinger Hütte.

Nach einer ersten vorläufigen Einschätzung, die wir dazu haben, müssen wir sagen, dass wir die Berechnungsmethoden zur Feststellung dieses Dumpings problematisch finden. Die Bundeswirtschaftsministerin hat sich dazu auch schon geäußert und hat gesagt, dass sie mit der Europäischen Kommission dazu in Kontakt ist und sich gemeinsam mit der Europäischen Kommission dafür einsetzen wird, dass die USA die WTO-Regeln auch künftig einhalten. Das, was wir im Stahlbereich aus den USA hören beziehungsweise die Signale, die wir bekommen, bereiten uns durchaus Sorgen. Diese Themen wird die Ministerin natürlich - wie auch andere Themen - auf ihrer Reise in die USA, die Ende Mai stattfinden wird, ansprechen.

Zu der konkreten Frage bezüglich einer Bezahlung von bestimmten Beträgen durch Unternehmen: Wir sind jetzt in einer Phase, in der uns vonseiten der USA mitgeteilt wurde, dass sogenannte Barsicherheiten verlangt werden. Wenn das der Fall sein sollte - ich muss das im Konjunktiv sagen -, dann sind das tatsächlich Möglichkeiten, die die USA an der Stelle hat. Die Erhebung von Barsicherheiten ist nichts Ungewöhnliches, und die Unternehmen müssen in dem Zusammenhang entscheiden, ob sie nun weiter in die USA exportieren wollen und ob sie bereit sind, dieses Hinterlegungsrisiko erst einmal zu tragen.

Es geht uns in der längeren Frist natürlich darum, dass wir in der Sache insgesamt ganz klar für die Einhaltung von WTO-Regeln eintreten und uns auch für die Rechte, die deutsche Unternehmen im Welthandel haben, einsetzen. Es ist völlig klar, dass wir uns, wenn deutsche Unternehmen im internationalen Handel ungerechtfertigterweise benachteiligt werden, auch im Rahmen der WTO-rechtlich gegebenen Möglichkeiten für diese Rechte unserer Unternehmen einsetzen.

Was die Zuständigkeit betrifft, so muss man sagen, dass das letztlich in der konkreten Zuständigkeit der EU-Kommission liegt und dass die EU-Kommission nach Prüfung der Fakten und Durchsicht der verschiedenen Papiere, die vorliegen, auch feststellen muss, ob an dieser Stelle tatsächlich ein WTO-rechtswidriges Verhalten der USA vorliegt.

Zusatzfrage: Können Sie bereits einschätzen, ob eine Klage vor der WTO infrage kommen könnte und ob in diesem Zusammenhang die sogenannten reziproken Maßnahmen eine Möglichkeit wären?

Audretsch: Das verläuft genau in dem Verfahren, das ich Ihnen gerade beschrieben habe. Wir haben bei uns im Haus jetzt eine erste vorläufige Einschätzung, die ich Ihnen genannt habe, und vor diesem Hintergrund hatte ich gesagt, dass wir die Berechnungsmethoden zur Feststellung des Dumpings beziehungsweise der Dumpingmargen problematisch finden. Das ist allerdings eine vorläufige Einschätzung unseres Hauses. Abschließende Einschätzungen dazu muss allerdings die Kommission als zuständige Ebene und als zuständiger Akteur vornehmen, und davon hängt natürlich auch ab, was im Folgenden kommen kann. Von dieser Bewertung hängt ab, ob die WTO und die entsprechenden Streitbeilegungsmechanismen innerhalb der WTO dann angerufen werden oder ob das nicht passiert.

Frage : Verstehe ich das richtig: "Bareinlagen" heißt, dass man erst einmal das zahlt, was von den USA an Strafzoll erhoben wird, in der Hoffnung, dass das über ein WTO-Verfahren möglicherweise später zurückerstattet wird?

Zweite Frage: Verstehe ich das richtig, dass sich die USA mit ihrem Vorgehen im Moment außerhalb der WTO-Regelsystematik bewegt, dass sie also quasi einseitige staatliche Maßnahmen ergreift?

Zum Thema Zuständigkeit: Offenbar ist der Außenminister in seinen Folgerungen schon etwas weiter als das Wirtschaftsministerium, wenn er sich - so habe ich es jedenfalls verstanden - für eine EU-Klage gegen das US-Verhalten stark macht. Was sagen Sie dazu?

Letzte Frage: Haben Sie einen Überblick, wie viele laufende Verfahren der EU gegen die USA es im Moment gibt beziehungsweise ob es überhaupt welche gibt?

Audretsch: Ich habe mir Ihre vielen Fragen einmal notiert. Ich hoffe, dass ich da überall durchkomme, ansonsten müssen Sie mir noch einmal helfen.

Zunächst zum Punkt Barsicherheiten: Es ist tatsächlich so, dass die USA bei Einfuhr zum jetzigen Zeitpunkt das Hinterlegen von finanziellen Mitteln fordern würden, wenn sie das umsetzen würden. Am Ende kommt es dann tatsächlich auf die Entscheidung innerhalb der USA an.

Das geht auch schon in Richtung Ihrer zweiten Frage: Die USA haben selber noch nicht entschieden, wie sie letztlich agieren wollen. Es ist im Moment so, dass das Department of Commerce eine Entscheidung über die endgültige Dumpingfestlegung getroffen hat. Eine andere Behörde, die International Trade Commission, muss nun in den nächsten 45 Tagen feststellen, ob die US-Industrie tatsächlich durch Dumpingeinfuhren geschädigt wurde. Das heißt, das läuft noch bis zum 15. Mai, dann wird es eine endgültige Entscheidung vonseiten der USA geben, und dann folgt das Prozedere, das ich vorhin beschrieben habe, nämlich die konkrete Prüfung dessen, was die USA dann vorlegt, durch die EU-Kommission. Wenn die EU-Kommission diese Prüfung vollzogen hat, wird sich im Anschluss daran zeigen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssten oder überhaupt ergriffen werden könnten.

Zu Ihrer Frage zu laufenden Klagen müsste ich Sie ebenfalls an die EU-Kommission verweisen, denn in WTO-Verfahren ist immer die EU die zuständige Partei, also der zuständige Part, der in der Europäischen Union auftritt. Dementsprechend müssten Sie sich über laufende Verfahren auch dort erkundigen.

Fischer: Weil Sie den Außenminister angesprochen haben, vielleicht ein kurzes Wort von meiner Seite: Es ist in der Tat richtig, dass der Außenminister die Entscheidung des US-Wirtschaftsministeriums mit großem Unverständnis zur Kenntnis genommen hat. Die Gründe dafür hat Herr Audretsch ja auch aufgeführt: Die verwendeten Rechnungsmethoden sind problematisch und verstoßen aus unserer Sicht gegen bestehendes WTO-Recht. Herr Audretsch hat auch dargelegt, dass auf der US-Seite jetzt 45 Tage Zeit sind, um diesen Beschluss zu bestätigen oder eben nicht. Deswegen ist es, glaube ich, wichtig, jetzt umgehend zu reagieren, um unseren amerikanischen Partnern unsere Haltung zu dieser Frage auch aufzuzeigen. Es ist ja durchaus so, dass die Durchsetzung einer regelbasierten Handelsordnung auch ein eminentes außenpolitisches Thema ist, weil unser Wirtschaftssystem und unser Wohlstand - und letztlich auch der Wohlstand der USA - auf freiem und fairem Handel beruhen. Dieses Prinzip müssen wir als Bundesregierung gemeinsam verteidigen, und deshalb arbeiten Außenminister Gabriel und Wirtschaftsministerin Zypries in dieser Frage auch Hand in Hand. Es ist ja gut so, dass die Bundesregierung hier an einem Strang zieht und gemeinsam ihre Position deutlich macht.

Frage: Herr Fischer, wie bewertet die Bundesregierung die jüngste Entscheidung der israelischen Regierung zum Siedlungsbau im Westjordanland?

Fischer: Ich glaube, das israelische Kabinett hat gestern erstmals seit 1991 die Gründung einer neuen durchaus sehr tief im Westjordanland gelegenen Siedlung beschlossen. Wie Sie wissen, haben wir eine sehr klare Haltung zum Siedlungsbau. Wir haben in der Vergangenheit - und tun das auch jetzt - die israelische Regierung dazu aufgerufen, sich zur Zwei-Staaten-Lösung zu bekennen und einseitige Schritte wie den Bau oder Ausbau von Siedlungen sowie die Planung neuer Siedlung zu unterlassen, weil so etwas den Friedensprozess und den Weg hin zu einer Zwei-Staaten-Lösung untergräbt.

Letztlich ist es doch so: Wer eine friedliche Lösung dieses Konflikts sucht, der muss auf eine verhandelte Lösung setzen, und eine verhandelte Lösung kann eben nicht darin bestehen, dem Friedensprozess hier und da neue Hindernisse in den Weg zu legen. Der Bau von Siedlungen, der ja auch völkerrechtswidrig ist, ist eben ein solches Hindernis für den Friedensprozess.

Frage: Herr Fischer, wenn in den letzten Monaten irgendwelche neuen Siedlungsbaumaßnahmen von den Israelis beschlossen wurden, haben Sie sich aktiv gemeldet und das verurteilt. Diesmal haben Sie das nicht getan. Warum nicht?

Fischer: Ich glaube, dem würde ich jetzt keine zu große Bedeutung beimessen. Wir sprechen ja über dieses Thema, ich habe Ihnen meine Haltung mitgeteilt, und es war ja auch zu erwarten, dass diese Frage an uns herangetragen wird. Von daher bin ich mit der festen Überzeugung hierhin gekommen, mich zu diesem Thema äußern zu können.

Zusatz : Dann haben Sie ja Glück, dass wir gefragt haben.

Fischer: Wir kennen Sie mittlerweile eben ganz gut.

Zusatzfrage : Wird der israelische Botschafter einbestellt? Welche Maßnahmen überlegt die Bundesregierung anzustellen? Denken Sie zum Beispiel über Sanktionen nach? Der Völkerrechtsbruch dauert ja nicht nur an, sondern verschärft sich immer mehr. Ich habe Sie immer so verstanden - Herr Gabriel hat das letztens ja auch gesagt -, dass Deutschland auf das Völkerrecht setzt und, wenn sich andere Staaten gegen das Völkerrecht wenden oder es nicht einhalten, entsprechende Maßnahmen einleiten würde. Was kommt also von deutscher Seite in Sachen israelischer Siedlungsbau?

Fischer: Sie können fest davon ausgehen, dass wir zu dem Thema Siedlungsbau schon in der Vergangenheit intensiven Kontakt mit unseren israelischen Freunden hatten und dass wir dazu gerade auch jetzt in intensivem Kontakt stehen. Das äußert sich konkret zum Beispiel darin, dass unser Botschafter Gespräche in Israel geführt hat.

Was wir aber nicht sehen, ist zum Beispiel ein Boykott Israels. Wir glauben nicht, dass ein Boykott dazu beitragen kann, eine friedliche Lösung des Nahostkonfliktes hinzubekommen. Das ist die Haltung dieser Bundesregierung und das war auch die Haltung vergangener Bundesregierungen. Wir setzen darauf, dass die Konfliktparteien ihr eigenes Interesse an einer Friedenslösung erkennen und dann gemeinsam an einer Zwei-Staaten-Lösung arbeiten. In diesem Zusammenhang wäre es auch wirklich wichtig, dass das israelische Kabinett erneut ein eindeutiges Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Lösung abgibt.

Zusatzfrage : Sie haben den Boykott gerade angesprochen: Dabei geht es ja selten darum, ganz Israel zu boykottieren, vielmehr geht es um die besetzten Gebiete. Kommt das infrage?

Sie sagten gerade, der deutsche Botschafter setze sich da ein. Mit wem redet er denn da? Als ich das letzte Mal davon gehört habe, dass der Botschafter irgendwas in Israel macht, ging es darum, dass sich ThyssenKrupp in der deutschen Botschaft mit Herrn Netanjahus Anwalt trifft.

Fischer: Ich glaube, Sie haben ein verengtes Bild von der Tätigkeit eines deutschen Botschafters, ob in Israel oder in anderen Ländern.

Zusatz : Das liegt vielleicht an schlechter PR von Ihnen.

Fischer: Natürlich ist der deutsche Botschafter in Israel unsere primäre Kontaktperson zur israelischen Regierung, und in dieser Funktion führt er dort Gespräche im Außenministerium und im Premierministeramt mit all den Menschen, die für diese Dinge zuständig sind. Ich glaube, es würde uns nicht besonders viel weiterbringen, hier jedes einzelne Gespräch aufzuführen, aber Sie können davon ausgehen, dass er mit den relevanten Personen in Israel zu dieser Frage in Kontakt steht.

Was den Boykott angeht, so glauben wir nicht - das habe ich ja schon gesagt -, dass Boykottmaßnahmen eine friedliche Lösung befördern werden. Wir lehnen diese ab und wir setzen darauf, dass die Konfliktparteien ein gemeinsames Interesse daran haben, diesen Konflikt, der schon viel zu lange andauert, endlich friedlich zu lösen.

Frage: Herr Fischer, sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Entscheidung für einen Siedlungsbau, der ja eine andere Dimension hat als der Bau einzelner Gebäude, und einer möglichen Positionsänderung beim US-Präsidenten? Offenbar geht Netanjahu davon aus, dass Trump das zumindest billigt. Gleichzeitig agiert Trump gegenüber Assad offenbar auch so, dass man sich wohl doch vorstellen kann, ihn länger im Amt zu lassen. Drittens werden militärische Aktionen gegen den IS verstärkt. Das, was Trump tut oder nicht tut, bringt also momentan die Kräfteverhältnisse im Nahen und Mittleren Osten in Bewegung.

Erkennt das Auswärtige Amt dahinter eine stringente Politik, oder ist das für Sie erratisch? Wie bewerten Sie es?

Fischer: Sie machen jetzt ein ganz weites Feld auf, von Israel bis Syrien. Ich denke, das ist so einfach nicht zu beantworten. Die US-Administration ist zum Beispiel immer noch dabei, Schlüsselpositionen im Außenministerium oder im Nationalen Sicherheitsrat zu füllen und dabei Strategien zu entwickeln. Von daher kann man, denke ich, noch keine abschließende Bewertung der Politik dieser Administration gegenüber diesen Problemfeldern - so will ich das einmal nennen - abgeben. Gerade deswegen sind wir auch mit der US-Administration in engem Gespräch, um unsere Positionen, aber auch die Positionen der internationalen Gemeinschaft, die beispielsweise im Rahmen des Nahost-Friedensprozesses durch das Quartett gemeinsam vereinbart worden sind, darzulegen und für Unterstützung zu werben. Das werden wir auch weiterhin tun. Deswegen sind viele unserer Kolleginnen und Kollegen immer wieder auch in den USA, und deswegen hält unsere Botschaft sehr engen Kontakt zu denjenigen in der Administration, die schon auf ihren Posten sind oder die bis jetzt noch nicht besetzten Posten ausfüllen. So versuchen wir gemeinsam mit vielen anderen einen Konsens darüber herzustellen, in welche Richtung wir in Syrien oder auch im Nahost-Friedensprozess gehen.

Aber unsere Haltung, was den Nahost-Friedensprozess angeht, ist klar. Wir brauchen eine zwischen beiden Seiten verhandelte Friedenslösung.

Zusatzfrage: Sie sagten, das sei ein weites Feld. "On the ground", mit Blick auf die Landkarte ist das Feld aber relativ eng beieinander.

Fischer: Aber trotzdem sind es verschiedene Komplexe. Die Ansätze, die man hat, um den Nahost-Friedensprozess zu lösen, sind ja nicht notwendigerweise dieselben, um ISIS unter Kontrolle zu bekommen oder den Konflikt in Syrien einzuhegen.

Zusatz: Das soll hier auch kein weltpolitischer Dialog werden. Aber sehen Sie in der bisherigen Außenpolitik der US-Administration in diese Region hinein eine Konsistenz oder noch nicht?

Fischer: Wir sehen, was wir sehen. Wir sehen, dass die US-Administration ihr Engagement zum Beispiel im Rahmen der Anti-ISIS-Koalition fortsetzt. Wir sehen, dass die amerikanische Administration, wie es andere Administrationen getan haben, offenbar Wege auslotet, einen Friedensprozess wieder in Gang zu bekommen. Insofern gibt es durchaus Bewegung.

Aber man darf nicht vergessen, dass die gesamte Region in Bewegung ist und auch in Bewegung war, bevor es in den USA Wahlen gegeben hat. Der syrische Konflikt ist 2011 ausgebrochen - im Rahmen des arabischen Frühlings durch friedliche Demonstrationen. Dann hat es die brutale Unterdrückung durch das Assad-Regime gegeben. Der IS hat einen gewaltigen Aufschwung genommen. Spieler aus anderen Teilen der Region haben sich eingemischt. Später ist Russland dazugekommen. Wir sehen also, denke ich, eine Region, die in ständiger dynamischer Bewegung ist und, was Syrien angeht, leider in den letzten Jahren in eine furchtbare Richtung gegangen ist. Dementsprechend muss man sich, denke ich, immer anschauen, wo wir gerade stehen und was die nächste sinnvolle und zielführende Maßnahme ist. Dazu sind wir mit all unseren Partnern - dazu gehören auch die Amerikaner - im Gespräch, um, was Syrien angeht, die Voraussetzungen zu schaffen, um endlich zu einem Ende des Mordens zu kommen.

Frage : Herr Fischer, nur ganz kurz: Die Haltung der Bundesregierung war doch immer, dass es nur ohne Assad eine Zukunft und eine Lösung in Syrien geben wird.

Fischer: Das hat aber, ehrlich gesagt, mit dem Siedlungsbau jetzt weniger zu tun.

Zuruf : Aber die Frage von dem Kollegen ja auch nicht. Wir haben das ja jetzt zur US-Außenpolitik im Nahen Osten weitergeleitet.

Vorsitzender Feldhoff: Ich würde Sie jetzt bitten, hier kein Proseminar zum großen Nahostkonflikt zu veranstalten. Über den Nahostkonflikt inklusive Syrien wurde heute, glaube ich, genug diskutiert.

StS Seibert: Dazu hätte ich jetzt noch etwas sagen können. Wir waren ja schon so halbwegs da, wenn das die letzte Frage dazu ist.

Ich will nur zu dem Thema Assad noch einmal sagen: Die Haltung der Bundesregierung kennen Sie. Sie ist Ihnen hier vielfach vorgetragen wurden. Sie ist auch unverändert. Langfristig ist für uns eine verantwortliche Rolle von Präsident Assad in Syrien nicht vorstellbar. Er ist es, der die Hauptverantwortung für diesen seit sechs Jahren dauernden grauenhaften Krieg trägt, für mittlerweile über 300 Tote und für Millionen von Flüchtlingen. Es ist nachgewiesen, dass unter seiner Führung Chemiewaffen gegen die eigene Zivilbevölkerung eingesetzt wurden. Die Liste der Gräueltaten, die durch sein Regime gegen die eigene Bevölkerung begangen wurde, ist wirklich lang. Auch jetzt verfolgt das Regime stellenweise noch eine Politik des gezielten Aushungerns, um den Konflikt militärisch zu lösen.

Etwas ganz anderes ist die Frage, wie man staatliche Strukturen in Syrien weiterführt oder erhält. Wir haben in Libyen und im Irak festgestellt, was passiert, wenn staatliche Strukturen sich auflösen oder aufgelöst werden.

Wir wollen für Syrien eine inklusive politische Lösung. Dazu gibt es die innersyrischen Gespräche in Genf unter Schirmherrschaft der UN. Dazu gibt es die gesamte Arbeit des Sonderbeauftragten de Mistura, der natürlich weiterhin die volle Unterstützung der Bundesregierung hat. Wir sind überzeugt, dass es notwendig ist, dass das syrische Regime an den Gesprächen in Genf teilnimmt. Das Ziel dieser Gespräche ist und bleibt eine politische Lösung, die zunächst auf der Bildung einer inklusiven Übergangsregierung basiert.

Fischer: Wenn ich das ergänzen darf: Das ist in der Tat genau so. Ein dauerhafter Frieden in Syrien scheint mit einem Machtverbleib Assads nur schwer vorstellbar. Wir reden - das hat Herr Seibert ja sehr deutlich dargelegt - von einem Regime, dass das eigene Volk mit Fassbomben bombardiert, aushungert, verschleppt und zu Tode foltert. Gleichzeitig sind wir der festen Überzeugung, dass dieser Konflikt nur politisch zu lösen ist. Da möchte ich Sie auf die Resolution 2254 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen hinweisen. Dort hat die internationale Gemeinschaft beschlossen, dass es, um diese politische Lösung zu erreichen, zur Bildung einer Übergangsregierung, zu einer neuen Verfassung und zu anschließenden Wahlen kommen soll. Das ist das gemeinsame Verständnis der internationalen Gemeinschaft. Daran hat sich nichts geändert.

Mir persönlich fällt es wirklich schwer, mir nach all den hunderttausend Toten, den Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen vorzustellen, wie Assad reguläre und freie Wahlen gewinnen soll.

Zusatzfrage : Ich meine, das ist doch perfekt. Herr Tillerson hat gestern in Ankara gesagt, dass letztlich das syrische Volk über das Schicksal von Herrn Assad zu entscheiden habe. Damit hat die Bundesregierung jetzt ja eine grundlegend andere Auffassung über ein Ende des syrischen Konfliktes wie die amerikanische Regierung. Oder nein? - Das haben Sie doch gerade gesagt.

Fischer: Wir haben von der Sicherheitsratsresolution gesprochen, in deren Rahmen ja jetzt auch die Friedensverhandlungen stattfinden. Dort wird zum Beispiel in vier verschiedenen Körben verhandelt. Da geht es um Dinge wie Übergang, Transition. Da geht es um die Verfassung. Es geht um Wahlen und um den Kampf gegen den Terrorismus. Wir haben gesagt, dass die Resolution 2254 die Bildung einer Übergangsregierung vorsieht. Sie sieht eine neue Verfassung vor und dass es danach zu Wahlen kommt. Diese Wahlen werden ja wahrscheinlich vom syrischen Volk durchgeführt. Denn wer anders sollte in Syrien seine Führung wählen?

Ich habe gesagt - und das hat auch Herr Seibert gerade gesagt -, dass wir uns nur schwer vorstellen können, wie das mit einem Machtverbleib Assads in Einklang zu bringen ist.

Frage : Herr Flosdorff, es gibt eine große Aufregung in Russland. Russische Medien berichten, dass in Deutschland russischsprachige Statisten oder Volontäre für Übungen gesucht werden, die die US-Armee in Deutschland vorhat. Ist das der Bundesregierung bekannt? Leistet die Bundeswehr eventuell Hilfe bei der Suche nach solchem Personal?

Flosdorff: Ich glaube, das ist keine Frage, die an mich geht, weil sie ausländische Truppen auf deutschem Boden betrifft. Ich weiß nicht, ob der Kollege aus dem AA etwas dazu sagen kann. Ich kann Ihnen dazu nichts sagen.

Zusatzfrage: Hat denn die Bundeswehr bei ihren Übungen in Deutschland eventuell auf solches Personal zurückgegriffen, also auf russischsprachige Statisten oder Volontäre?

Flosdorff: Wüsste ich nicht, kann ich Ihnen nicht sagen. Das ist für uns kein Thema.

Auf die Frage von dem Kollegen kann ich etwas nachliefern, weil ich inzwischen die Mitteilung bekommen habe. Ich hatte nur an neue Projekte gedacht, aber es gibt ja ein paar alt eingeführte Projekte wie zum Beispiel das in Bezug auf den A400M und den Eurofighter, die wir mit Großbritannien gemeinsam durchführen. Diese Programme laufen in engster und zunehmend besserer kooperativer Abstimmung weiter.

Zuruf: Wieso besser?

Flosdorff: Weil wir eine sehr aktive Rüstungsstaatssekretärin haben, die sehr energisch alle Programmnationen an einen Tisch holt. Es gibt mittlerweile eine viel bessere Koordination, wie in Bezug auf die Interessen der Teilnehmernationen an diesen Programmen gegenüber den Herstellern argumentiert und diese durchgesetzt werden.

Frage: Eine Frage an das BMAS. Frau Nahles hat heute laut Zeitungsberichten angekündigt, dass sie ein Programm für Langzeitarbeitslose erheblich ausweiten will, nämlich mit zwei Milliarden Euro Anschubfinanzierung. Mich interessiert, ob das derzeitige Programm, das, glaube ich, 20 000 Langzeitarbeitslosen zugutekommt, überhaupt ausgeschöpft wird. Sind alle Plätze besetzt?

Zweitens. Es wurden ja gerade die Eckpunkte für den Haushalt verabschiedet. Sind denn diese zwei Milliarden Euro darin enthalten, oder welche Anhaltspunkte gibt es sonst, dass das nicht nur Wahlkampf ist?

Stelten: Vielen Dank. - Die Ministerin hat für heute unter anderem den "Ruhr-Nachrichten" und der "Passauer Neuen Presse" ein Interview zu dem Thema gegeben, wo Sie das noch einmal ausführlich nachlesen können. Duktus ist, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen erstmals unter eine Million gesunken ist. Das heißt, es gibt diesbezüglich schon viele Erfolge.

Grundsätzlich verdient aber jeder die Chance auf eine Beschäftigung. Wir müssen hier weiter unterstützen und mehr tun. Das Bundesprogramm "Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt", das es bereits gibt, läuft sehr gut. Ursprünglich gab es Plätze für 10 000 Teilnehmer, die Ende des Jahres alle quasi besetzt gewesen sind, sodass wir entschieden haben, die Zahl zu verdoppeln, sodass es jetzt 20 000 Plätze bis Ende 2018 gibt, wenn ich das richtig auf dem Schirm habe. Das heißt, das wird auf jeden Fall weiter fortgeführt, und dafür ist das Geld vorhanden.

Was die Ministerin gerade jetzt ab 13 Uhr in einer Pressekonferenz in Dortmund vorstellen wird, sind ihre Vorschläge zur Verstetigung des Programms. Dabei geht es um eine Überführung ins Regelgeschäft. Wie in dem Interview angekündigt, würde das aber eine Anschubfinanzierung von zwei Milliarden Euro erfordern, die wir noch nicht haben. Es sind Vorschläge für die Zukunft, was sie, basierend auf ihren Erfahrungen mit dem Programm "Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt" für sinnvoll halten würde.

Frage : Ich traue mich fast nicht, in der noch verbleibenden kurzen Zeit das Thema aufzumachen. Herr Fischer, der Außenminister hat heute vor dem Treffen mit US-Außenminister Tillerson in Brüssel den Standpunkt wiederholt, den er auch schon in Deutschland mehrfach geäußert hat, dass es nämlich in der Nato kein bindendes Zwei-Prozent-Ziel gibt. Herr Seibert, Herr Fischer, Herr Flosdorff, mich würde interessieren, ob diese Haltung die einmütige Haltung der Bundesregierung ist.

StS Seibert: Es ist ja offensichtlich, dass man sich gemeinsam auf die Beschlüsse des Nato-Gipfels von Wales bezieht, die im Übrigen auch eine mehrjährige Vorgeschichte haben. Wir haben hierüber sehr oft gesprochen. Die Bundesregierung bekennt sich dazu, die Ausgaben für unsere Bundeswehr zu steigern. Wir haben das von 2016 auf 2017 mit etwa 8 Prozent getan. In diesem Sinne wollen wir, weil wir wissen, dass es notwendig und sinnvoll ist, unsere Bundeswehr weiter zu stärken, auch weiter vorangehen.

Fischer: Der Außenminister hat einfach noch einmal darauf hingewiesen, dass die Allianz in Wales eine Richtungsentscheidung - ich glaube, das Wort hat er in Brüssel verwendet - beschlossen hat, die mehrere Punkte umfasst. Den entscheidenden Satz kann ich gerne noch einmal zitieren, wie ihn uns der Übersetzungsdienst aus dem Englischen übermittelt hat. Dort heißt es: "...darauf abzielen, sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von zwei Prozent zuzubewegen, um ihre Nato-Planungsziele zu erreichen und Fähigkeitslücken der Nato zu schließen."

Zusatzfrage : Das kenne ich alles. Das war aber nicht meine Frage. Meine Frage war, ob die Aussage des Außenministers "Es gibt keine bindende Zwei-Prozent-Verpflichtung" Konsens in der Bundesregierung ist.

StS Seibert: Es gibt die gemeinsame Verabredung der Nato-Partner - und zu der stehen wir -, uns auf diese zwei Prozent zuzubewegen. Wir liegen derzeit bei 1,2 Prozent. Die Bundeskanzlerin hat neulich gesagt: Wenn wir schon einmal in Richtung 1,5 Prozent gekommen wären, dann hätte man eine ganze Menge erreicht.

Wir blicken jetzt natürlich auch auf die nächsten Jahre. Wir haben die Trendumkehr geschafft. Wir sehen viele Gründe, warum wir das für unsere Bundeswehr tun sollten: Die Einsätze der Bundeswehr sind vielfältiger, als sie das früher waren; die Anforderungen an die Soldaten, an die Ausrüstung ist vielfach gestiegen; die Notwendigkeit, Cyberattacken abwehren zu können, in dem gesamten Bereich der Cyberabwehr tätig zu sein, bringt ein vollkommen neues und auch wieder kostenintensives Feld. Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung entsprechend den Verabredungen in der Nato-Allianz diesen Weg weiter geht.

Flosdorff: Es ist auch aus Sicht der Bundeswehr sehr wichtig, dass wir dieses Ziel bis zur Mitte der nächsten Dekade nicht aus den Augen verlieren. Die Bundeswehr hat einen gewaltigen Nachholbedarf, was die Ausstattung angeht. Das Parlament schickt unsere Soldatinnen und Soldaten in Einsätze. Ich denke, allen ist klar, dass das im Umkehrschluss auch heißt, dass sie angemessen ausgestattet sein müssen, damit sie dem auch Genüge tun können. Es gibt einen unglaublichen Modernisierungsbedarf. Die Fahrzeugflotte, die teilweise aus den 80er-Jahren stammt, muss modernisiert werden. Funkgeräte müssen quer durch die Truppe ersetzt werden. Das sind alles Milliardenprojekte. Ich spreche noch gar nicht von neuen Herausforderungen wie dem Thema Cyber und der notwendigen Digitalisierung. All das hat einen ganz gewaltigen Modernisierungs- und Investitionsbedarf. Wer die Bundeswehr in Einsätze schickt, muss sie auch ausrüsten.

Zusatzfrage : Herr Flosdorff, Sie haben den Munitionsbedarf vergessen. Nur, dass wir den auch noch haben.

Ich will die Frage sehr simpel formulieren: Stimmen Kanzleramt und Verteidigungsministerium der Formulierung des Außenministers "Es gibt kein bindendes Zwei-Prozent-Ziel" zu? Einfach nur: Ja oder Nein.

StS Seibert: Sie werden mich nicht dazu bringen, hier jetzt Sätze anzunehmen oder nicht. Wir sind uns als Bundesregierung einig - auch das hat der Außenminister ja mehrfach gesagt -, uns entsprechend unserer in der Nato abgegebenen Verpflichtungen zu verhalten. Wir haben dies in dieser Legislaturperiode getan. Wir wissen übrigens auch alle in der Bundesregierung, dass, so notwendig es ist, unsere Bundeswehr zu stärken, weiter auszurüsten und mit mehr Geld auszustatten, so notwendig es auch ist, andere Anstrengungen für die Sicherheit zu machen. Die Entwicklungshilfe ist auch eine Anstrengung für die Sicherheit; die Ertüchtigung von sagen wir einmal afrikanischen Staaten, sich um ihre eigene Sicherheit oder die regionale Sicherheit selbst zu kümmern, ist auch ein Einsatz für die Sicherheit. All das zählt auch. Aber wir - die Bundeskanzlerin, der damalige Außenminister Steinmeier - sind uns über das Ziel, das wir gemeinsam in Wales bekräftigt haben, vollkommen einig.

Fischer: Die Haltung der Bundesregierung können Sie auch der mittelfristigen Finanzplanung entnehmen, in der die entsprechenden Finanzierungsansätze dargelegt werden.

Freitag, 31. März 2017

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 31. März 2017
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2017/03/2017-03-31-regpk.html
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2017

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