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PRESSEKONFERENZ/1687: Pressekonferenz zum 10. Nationalen Integrationsgipfel, 13.06.2018 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz im Bundeskanzleramt - Mittwoch, 13. Juni 2018
Pressekonferenz zum 10. Nationalen Integrationsgipfel

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Staatsministerin Anette Widmann-Mauz, Ferda Ataman (Neue Deutsche Organisation)


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass wir hier heute den zehnten Integrationsgipfel abhalten konnten und doch sehr spannende Diskussionen hatten. Die Staatsministerin, Anette Widmann-Mauz, und ich waren vorher beim Sportclub Rot-Weiß Viktoria Mitte bei einem Mädchen-Fußballprojekt, das 100 Mädchen den Fußball lernen lässt. Das war sehr beeindruckend und ein gutes Zeichen dafür, welche Rolle der Sport bei der Integration spielt. Der Gipfel ist also mit diesem zehnten Mal, das er stattfindet, ein etabliertes Format, und ich bedanke mich auch ganz herzlich bei Anette Widmann-Mauz, dass sie ihn so gut und so interessant vorbereitet hat.

Es ging heute um die Frage des Zusammenhalts in der Gesellschaft, um Werte, die uns einen. Nach einem sehr spannenden Einführungsvortrag von Prof. Thym über das Grundgesetz, den Zusammenhalt in der Gesellschaft und die Werte gab es dann eine sehr muntere Diskussion. Vier Punkte möchte ich hervorheben, die sehr wichtig sind:

Es geht zuallererst, wenn es um das Zusammenleben geht, um die gleichen Chancen auf Teilhabe, und das im umfassenden Sinne. Das fängt bei der Bewerbung an, bei der unterschiedliche Namen keinen Unterschied machen sollten, und geht weiter über die Ausbildung, die Teilhabe am Arbeitsmarkt bis hin zum Zugang zum öffentlichen Dienst, worin sich natürlich auch das Staatsverständnis spiegelt. Wir haben inzwischen auch sehr viele gute Beispiele dafür, zu zeigen, wie auch Menschen mit Migrationshintergrund ihren Dienst leisten, zum Beispiel - das war heute ein Beispiel - in der Bundeswehr.

Zweitens müssen wir bei der Gestaltung des Zusammenlebens alle Seiten im Blick haben. Wir dürfen also nicht diejenigen, die schon sehr lange hier leben, aus dem Blick verlieren, und genauso müssen wir diejenigen, die vor Kürzerem zu uns gekommen sind, in den Blick nehmen. Es geht vor allen Dingen auch darum, dass es sozusagen nicht immer nur um Teilhabe von jemandem mit Migrationshintergrund geht, sondern es geht auch darum, dass sich viele sehr aktiv in unsere Gesellschaft einbringen und deshalb auch diese Gesellschaft mitgestalten.

Drittens - das war heute auch sehr wichtig - ist es wichtig, Haltung zu zeigen. Freiheit, Respekt vor der Würde aller Menschen, Achtung vor dem Rechtsstaat und die Gleichberechtigung von Mann und Frau sind grundlegende Werte, die uns leiten und ohne die ein gesellschaftlicher Zusammenhalt undenkbar ist.

Viertens ist in der Debatte über das gemeinsame Verständnis des Zusammenlebens klar, dass es Regeln gibt, die auch nicht verhandelbar sind, so die freiheitlich-demokratische Grundordnung, unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsdauer. Das war auch ein von allen Teilnehmern vollkommen geteiltes Anliegen. Die Missachtung von Gesetzen kann nicht geduldet werden. Wir wollen ein weltoffenes und ein vielfältiges Deutschland sein.

Ich glaube, die heutige Debatte hat gezeigt, dass wir durchaus mit Mut und Selbstbewusstsein in dieser Debatte über das Zusammenleben gehen können. Sie hat aber auch gezeigt, dass Migrantinnen und Migranten oder Menschen mit Migrationshintergrund - "neue Deutsche", wie sie sich in Ihrem Verein auch nennen - durch die vielen Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind, auch unter Druck geraten und die Gefahr besteht, dass über das, was da geschafft wurde, was da erreicht wurde, nicht in ausreichendem Maße gesprochen wird. Deshalb ist es wichtig, dass wir nach 2012 jetzt den Nationalen Aktionsplan Integration weiterentwickeln. Das wird die Staatsministerin Anette Widmann-Mauz tun, und dabei wird sie von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des heutigen Migrations- und Integrationsgipfels auch unterstützt werden.

StM'in Widmann-Mauz: Frau Bundeskanzlerin, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Nationale Aktionsplan Integration hat heute einen neuen Startschuss bekommen. Er ist innerhalb der Bundesregierung abgestimmt und wird von ihr gemeinsam getragen. Er bündelt alle Integrationsmaßnahmen und - aufgaben der Bundesressorts. Dabei geht es nicht nur um die Integration von Geflüchteten, sondern es geht insgesamt um den Zusammenhalt aller Menschen in unserem Land.

Wir müssen deshalb auch alle Phasen der Integration in den Blick nehmen, und ich möchte Ihnen hier gerne einige Punkte nennen und sie besonders herausstellen, die mir besonders wichtig sind:

Erstens. Die Integration muss früher ansetzen. Wir brauchen Vorintegrationsangebote und Sprachkurse bereits im Herkunftsland; denn wir müssen die Erwartungen steuern. Wir müssen noch viel frühzeitiger Orientierung auf das geben, worauf sich Menschen dann in Deutschland auch einlassen.

Zum Zweiten müssen wir mehr in die Tiefe gehen. Die bestehenden Integrationsangebote in unserem Land müssen besser aufeinander abgestimmt werden. Wir müssen uns auch ansehen, was funktioniert und wo wir nachsteuern müssen. Wir brauchen unmittelbar nach dem Ankommen der Menschen bei uns bereits Kurse, um die rechtsstaatlichen Regeln, die Werte, aber auch die ungeschriebenen Erwartungen zu vermitteln. Für uns ist wichtig, dass dies unabhängig von der Aufenthaltsdauer und vom Status ansetzt; ein wichtiger Impuls. Wir brauchen aber auch mehr Qualität und vor allen Dingen zielgerichtetere Angebote bei den Integrationskursen und den Beratungsangeboten, damit dann am Ende nicht nur die Teilnahme auf dem Papier steht, sondern wir auch Erfolge verzeichnen können.

Zum Dritten müssen wir alle, die hier leben, die Potenziale auch in unsere Gesellschaft einbringen können. Sie bringen ja auch einiges mit. Das müssen wir fördern, aber das fordern wir auf der anderen Seite auch ein. Das beginnt natürlich bereits in frühen Jahren in den Kindertageseinrichtungen. Sprachstandserhebungen sind eine wichtige Voraussetzung dafür, dass man dann später auch überhaupt am Bildungserfolg teilhaben kann, ihn überhaupt realisieren kann. Aber auch der Kita-Ausbau ist notwendig. Das kommt am Ende ja auch allen in unserem Land zugute.

Wir müssen dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen in Ausbildung und in Arbeit kommen und dass sie sie finden. Da gibt es nach wie vor vorhandene Hemmnisse und Förderlücken, die wir abbauen müssen. Auch, was die Anerkennung der Berufs- und Bildungsabschlüsse anbelangt, können wir hier die Situation weiter verbessern.

Viertens brauchen wir mehr Miteinander statt Nebeneinander. Das ist ein Auftrag, der sich nicht nur an das individuelle Miteinander richtet, sondern es geht dabei auch um eine moderne Stadtentwicklung, um die kulturellen und die sportlichen Angebote - wir haben heute eines davon gesehen - bis hin zu unserem Gesundheitswesen. Wir haben hier noch viel zu tun.

Fünftens müssen wir den Zusammenhalt stärken und damit den Populisten und auch denjenigen, die mit hetzerischen Parolen das Klima vergiften, den Nährboden entziehen. Wir müssen dafür sorgen, dass den 18,6 Millionen Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte in unserem Land nicht die Zugehörigkeit zu unserem Land abgesprochen wird.

Es gibt hier bereits gute Ansätze und Angebote dazu, wie wir die Demokratie stärken, wie wir Extremismus vorbeugen. Gleichzeitig nehmen wir mit Sorge die Berichte über die Vorfälle wahr, die wir aus Schulen kennen. Deshalb ist es wichtig, dass wir hier den Lehrkräften, den Erzieherinnen und Erziehern sowie den Pädagogen den Rücken stärken, die jeden Tag eine ganz wichtige Aufgabe umsetzen. Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sie damit und mit solchen Konfliktsituationen auch angemessen umgehen können.

Zusammenhalt bedeutet aber auch Vielfalt in Unternehmen und auch in der öffentlichen Verwaltung. Auch da müssen wir Vielfalt sichtbarer machen und damit dazu beitragen, dass es eben nicht darauf ankommt, woher jemand kommt, sondern darauf, wie er sich einbringt, was er mitbringt und wie er dann auch entsprechend im Beruf seine Leistung erbringt.

Sie sehen: Bei der Integration ist bereits vieles geschafft, aber es liegt auch noch viel Arbeit vor uns. Eines ist mir dabei besonders wichtig, nämlich dass wir das in einer sachlichen Debatte tun, wenn es um die Grundlagen und die Regeln unseres Zusammenlebens geht. Das tut unserer Demokratie gut. Das fordert uns auf der anderen Seite aber auch alle, Politik und Gesellschaft genauso wie die Medien. Deshalb müssen wir auch offen und ehrlich die Probleme ansprechen. Aber wir dürfen auch die vielen Erfolgsgeschichten nicht vergessen und aus dem Blick verlieren, nämlich die große Mehrheit der Menschen, die eine Einwanderungsgeschichte in unserem Land hat und die jeden Tag ihren Beitrag zum Gelingen dieser Gemeinschaft leistet. Ja, wir müssen im Grunde auch immer wieder dafür sorgen, dass wir diese - weil sie so gut integriert ist - unsichtbare Gruppe sichtbar machen.

Mir ist, wie gesagt, wichtig, dass wir mehr miteinander als übereinander sprechen und darüber sprechen, wie Integration gelingt. Genau dazu hat der heutige Integrationsgipfel beigetragen. Ich werde, wie gesagt, bei der Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans Integration auf die Verantwortlichen in den Ländern und in den Kommunen zugehen und die Arbeitgeber, die Gewerkschaften, die Wohlfahrtsverbände und die Migrantenorganisationen eng einbinden - auch das ist ein Beitrag zu Partizipation und Teilhabe -, denn sie leisten bereits vieles, und sie können ihre Expertise hier gut mit einbringen.

Ich freue mich also, dass wir heute diesen Startschuss für die gemeinsame Arbeit gegeben haben und bedanke mich sehr herzlich bei der Bundeskanzlerin dafür, dass sie diesen Integrationsgipfel wieder einberufen hat.

Ataman: Sehr geehrte Damen und Herren, mein Name ist Ferda Ataman. Ich bin Sprecherin der Neuen Deutschen Organisationen. Wir sind ein bundesweites Netzwerk von 100 Initiativen und engagieren uns für ein weltoffenes Deutschland, für ein gerechtes Bildungssystem und gegen Rassismus. Wir sind die Bindestrich-Deutschen, die mit dem Migrationsextra in der Statistik. Unsere Eltern sind einmal früher als Arbeitsmigranten oder Flüchtlinge eingewandert. Bei vielen ist es aber auch so, dass sie schon vor vielen Generationen kamen; Afrodeutsche, Sinti und Roma. Die haben in der Statistik noch nicht einmal einen Migrationshintergrund.

Wir nennen uns ganz bewusst Neuen Deutschen Organisationen, weil wir von hier sind. Beim Gipfel haben wir heute über die Themen Heimat, Werte und Zusammenhalt gesprochen. Dazu würde ich gerne ein paar Anmerkungen machen.

Wir reden in letzter Zeit viel über Migration und Integration und meinen damit aber eine kleine Gruppe von Menschen, die in den letzten Jahren als Flüchtlinge kamen. Das Thema Migration trifft aber nicht nur eine Randgruppe, es betrifft sehr viele Menschen in Deutschland. Jedes dritte Kind lebt in einer Einwandererfamilie, und das ist konservativ gezählt. Unser Land ist und war schon immer von Migration geprägt, nicht erst seit 2015. Die deutsche Gesellschaft ist längst eine Einwanderungsgesellschaft. Deswegen begegnet einem Vielfalt überall, auch einem FDP-Politiker beim Warten in der Bäckerschlange.

Für alle, die es noch einmal zum Mitschreiben brauchen: Man kann neu zugewanderte Flüchtlinge nicht am Aussehen erkennen, genauso wenig, wie man Deutsche am Aussehen erkennen kann. Eine Einteilung in Migranten und Deutsche funktioniert nicht mehr. Worauf ich hinaus will: Wenn jetzt vor Überfremdungsängsten in der deutschen Bevölkerung gewarnt wird, dann grenzt das gerade sehr viele Menschen in Deutschland aus, die Deutschland als ihre Heimat verstehen. Noch einmal: Das ist auch unsere Heimat!

Was wir deswegen brauchen, ist ein klares Bekenntnis der Politik dazu, dass Vielfalt eine Tatsache ist und dass das vor allem nicht politisch verhandelbar ist. In diesem Sinne verstehe ich auch den Integrationsgipfel, der jetzt eben zum zehnten Mal stattfindet, der quasi schon Tradition hat und der uns genau dieses Signal gibt. Dieses Bekenntnis, dass wir dazu gehören, könnte auch im Grundgesetz stehen, es könnte in einem anderen Gesetz stehen, aber wir hätten es inzwischen gerne schwarz auf weiß.

Die Wertedebatte, die wir seit einiger Zeit führen, bereitet uns große Bauchschmerzen; denn wenn gesagt wird, dass Flüchtlinge Wertekurse brauchen, dann unterstellt man, dass Migranten per se nicht die richtigen Werte hätten. Wenn jetzt darauf gepocht wird, dass sich Muslime an die Verfassung halten sollen, dann unterstellt das, dass die große Mehrheit das nicht tut - das tut sie aber -, oder es wird verlangt, dass Migranten die deutsche Sprache lernen, obwohl die meisten längst Kommentare in Zeitungen schreiben könnten; manche tun es. Für das Protokoll: Einwanderer lernen Deutsch, halten sich an die Gesetze und brauchen nicht pauschal Nachhilfeunterricht in Wertekunde. Für einzelne mag das natürlich gelten. Aber so zu tun, als hinge die Zukunft unseres Landes an diesen Fragen, ist Quatsch.

Nicht nur die Wertedebatte, auch das exklusive "Wir" in der Sprache macht uns zurzeit Sorgen. Wenn Politikerinnen und Politiker heute von Heimat sprechen, wenn sie "unser Land", "unsere Werte" und "unsere Kultur" sagen, dann tun sie das leider oft in einem Rahmen, der uns ausgrenzt. Wir erleben gerade eine massive Diskursverschiebung in Deutschland, die konkrete Folgen für Migranten und ihre Nachkommen hat. Frauen berichten davon, dass ihnen das Kopftuch abgerissen wird, Männer davon, dass sie noch öfter als früher an Hauptbahnhöfen ohne Anlass kontrolliert werden. Unsere Postfächer quellen über vor Hass und Beschimpfungen. Unsere Bürotüren und Gebetshäuser werden beschmiert und einige von uns erhalten Morddrohungen. Ich mache es kurz: Wir fühlen uns in diesem Land - in unserem Land - manchmal nicht mehr sicher.

Wenn die Politik die Ängste und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen möchte, dann soll sie das bitte tun - von allen Bürgern. Die verständnisvollen Debatten darüber, ob sich Deutsche inzwischen fremd im eigenen Land fühlen, die übrigens auch von Medien gerne so aufgegriffen werden, gießen Öl in dieses Feuer. Eine Heimatspolitik als Antwort auf Überfremdungsängste wäre fatal. Sollte es so kommen, wird das unser Land weiter spalten; denn in diesem Kontext ist Deutschland nur eine Heimat der Menschen, die zuerst hier waren und also auch bestimmte Vorrechte haben. Dass nur Deutscher wäre, wer von Deutschen abstammt, davon hatten wir uns eigentlich verabschiedet.

Die Diskussion um Heimat ist auch eine Chance, und deswegen haben wir uns sehr gefreut, dass das dieses Mal Thema war. Was wir jetzt brauchen, sind selbstbewusste Politiker und Politikerinnen, die im aktuellen Diskurs klarstellen, dass Deutschland die Heimat der Vielen ist, nicht der Völkischen, dass wir, die Migranten und deren Nachkommen, dazugehören und dass dies auch unsere Heimat ist. Die Heimatdebatte bietet die Chance, an einem positiven Selbstbild zu arbeiten, und wir Menschen mit transnationalen Erfahrungen könnten dabei der Schlüssel sein. Wir könnten eine Brücke zwischen den Alten und den Neuen bilden. Man muss nur mit uns reden und uns einbeziehen - so, wie es beim Nationalen Integrationsgipfel seit zehn Jahren passiert.

Wir haben als 50 Migrantenorganisationen etwa ein Positionspapier erstellt, das ich Ihnen mitbringen durfte, und darin stehen auch die ganz konkreten Forderungen, die wir haben: Wir wollen mehr Sichtbarkeit, wir wollen Teilhabe, wir wollen ein besseres Antidiskriminierungsgesetz und mehr Schutz für uns. Ich lege es hier einmal hin.

Ich wollte noch sagen: Wir begrüßen, dass Sie den Nationalen Aktionsplan Integration aufnehmen wollen. Wir verstehen das auch ein bisschen als einen Masterplan Integration und freuen uns, wenn wir über diese Themen wieder hin zu Teilhabe und weg von Ausgrenzungspolitik kommen, über die wir im Moment sehr viel gesprochen haben. - Vielen Dank.

Frage : Frau Widmann-Mauz, ich wüsste gerne zunächst einmal, wie viel Zeit Sie sich vorgenommen haben, also wann der Integrationsplan fertig sein soll.

Frau Merkel, Frau Ataman, Herr Seehofer hat als erster Innenminister überhaupt nicht an einem Integrationsgipfel teilgenommen. Er hat das mit Ihrer Teilnahme begründet, Frau Ataman, und gesagt, Sie hätten ihn in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt. Frau Merkel, was ist das für ein Signal, wenn ein Innenminister nicht teilnimmt? Teilen Sie seine Einschätzung?

Frau Ataman, wie bewerten Sie den ganzen Vorgang?

BK'in Merkel: Das waren bei einer Fragen schon drei Fragen!

StM'in Widmann-Mauz: Der Aktionsplan ist ein Prozess, der auf die ganze Legislaturperiode angelegt ist. Wir haben ihn, wie gesagt, in fünf Phasen gegliedert, und wir werden jetzt die einzelnen Arbeitsthemen bearbeiten und dann sukzessive auch bei weiteren Integrationsgipfeln über die Maßnahmen, über die Projekte, aber auch über die Zwischenstände berichten. Das ist also auf die gesamte Legislaturperiode angelegt.

BK'in Merkel: Das Bundesinnenministerium war heute durch den Parlamentarischen Staatssekretär Marco Wanderwitz beteiligt, aber in der Tat nicht durch den Bundesinnenminister Horst Seehofer. Er hat die Absage ja auch begründet.

Ich will von meiner Seite aus sagen, dass es in der Tat ein sehr prononcierter, vielleicht auch ein als Provokation gemeinter Kommentar war, in dem sich das, was wir uns für die Bundesregierung auch als die Aufgabe des Heimatsministeriums überlegt haben, aus meiner Sicht nicht widerspiegelt.

Es gibt die Sorgen und die Ängste. Die hat Frau Ataman eben dargelegt. Aber es ist heute noch einmal von Marco Wanderwitz darauf hingewiesen worden, dass es in Bayern mit einem bestimmten Vorlauf an Gedanken im Jahr 2014 ein Heimatsministerium gab. Das hat also mit der Frage der Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind, nichts zu tun. Das ist ein Gedankengang, den ich persönlich auch sehr richtig finde, nämlich dass wir uns nicht immer nur mit den starren Dingen wie Bauen, der Zahl der Wohnungen und dem, was man da alles verstehen kann, beschäftigen, sondern dass das eben einmal gebündelt wird - von der Frage, was uns zusammenhält, über die Aufgabe der Islam Konferenz, die ja zum Beispiel auch im Bundesinnenministerium bearbeitet wird, bis zu der Fragen der Integration, die dort ja auch eine große Rolle spielen - und das gemeinsame Grundverständnis unserer Gesellschaft dargelegt wird.

Deshalb möchte ich auch widersprechen, wenn das jetzt den Eindruck erweckt, als wenn der Begriff Heimat ein Ausgrenzungsinstrument sei. Das ist er ausdrücklich nicht, sondern er ist ein offenes Angebot des gemeinsamen Gestaltens unserer Gesellschaft, an das wir uns dann gebunden fühlen, natürlich basierend auf bestimmten Grundlagen.

Ataman: Ich würde sagen: Der Bundesinnen- und Heimatminister hat seine Prioritäten gesetzt und hat heute einen anderen Termin. Das nehme ich und das nehmen, glaube ich, wir alle zur Kenntnis. Vor allem geht es ja darum, dass 50 Migrantenorganisationen und 100 Teilnehmende heute dabei waren, und es wäre schön gewesen, wenn wir gemeinsam über die Themen in seiner Zuständigkeit hätten diskutieren können.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, es wurde gerade darauf hingewiesen, dass Herr Seehofer einen anderen Termin hatte, nämlich ein Treffen mit dem österreichischen Bundeskanzler. Der wiederum möchte eine "Achse der Willigen" im Kampf gegen illegale Migration in Europa. Schließen Sie sich dem an? Ist das eine gute Idee? Haben Sie Bedenken, dass nun ein CSU-Innenminister, ein FPÖ-Innenminister in Österreich und ein Lega-Innenminister in Italien gemeinsam über dieses Thema debattieren?

BK'in Merkel: Ich habe ja gestern auch mit dem Bundeskanzler Sebastian Kurz gesprochen, und es geht um eine gesamteuropäische Lösung. Da gibt es Ankunftsländer mit vielen Migranten. Im Augenblick ist in ganz besonderer Weise Italien betroffen, aber das ist genauso Griechenland, wie wir wissen, und das ist in gewisser Weise auch Spanien. Deshalb glaube ich, dass es dort viele solcher Kooperationsformen geben muss - also nicht nur in diese eine Richtung, sondern in viele mehr -, wenn wir zu einer gemeinsamen europäischen Antwort auf die Fragen der illegalen Migration, aber auch Formen der legalen Migration kommen wollen.

Frage: Ich würde gerne noch einmal der Frage von Frau Vates nachgehen und nach der Abwesenheit des Innenministers fragen. Der deutsche Innenminister ist ja auch für die Verfassung zuständig. In der Verfassung wird die Meinungsfreiheit ja als besonders hohes Gut dargestellt. Halten Sie es denn aus dieser Sicht für nachvollziehbar, dass ein Bundesinnenminister, der für die Einhaltung der Meinungsfreiheit zuständig ist, wegen eines Artikels einer Journalistin tatsächlich aus diesem Grund so einer Veranstaltung fernbleibt?

BK'in Merkel: Wir haben ja viele Freiheiten in Deutschland, und insofern ist es sicherlich bedauerlich, dass hier durch diesen Kommentar auch Gefühle geweckt wurden. Aber das Bundesinnenministerium war, wie gesagt, vertreten, und deshalb ist es jetzt so, wie es ist. Ich denke, dass die Integrationsarbeit auch mit dem Bundesinnenministerium weiter voranschreitet.

Mittwoch, 13. Juni 2018

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Quelle:
Pressekonferenz zum 10. Nationalen Integrationsgipfel
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2018/06/2018-06-14-pk-integrationsgipfel.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2018

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