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SCHLESWIG-HOLSTEIN/2138: Für mehr Bürgersinn, gegen Untertanengeist - Gespräch mit Dr. Christian Meyer-Heidemann (Landtag)


Der Landtag - Nr. 01 / März 2016
Die Parlamentszeitschrift für Schleswig-Holstein

Für mehr Bürgersinn, gegen Untertanengeist
Gespräch mit Dr. Christian Meyer-Heidemann, neuer Landesbeauftragter für politische Bildung

Die Fragen stellte Vivien Albers


Der Landtag: Was reizt Sie an der Aufgabe des Landesbeauftragten für politische Bildung?

Christian Meyer-Heidemann: Politik lebt vom Streit um verschiedene Vorstellungen, wie das gemeinsame Zusammenleben verbindlich geregelt werden soll - das ist eine wesentliche Voraussetzung einer lebendigen Demokratie. Das setzt aber eine gemeinsame rechtsstaatliche Grundlage voraus, die diesen demokratischen Streit möglich und für alle erträglich macht. Diesen Grundkonsens - allem voran die Unantastbarkeit der Menschenwürde - müssen wir in den Köpfen und Herzen aller Bürgerinnen und Bürger immer wieder erneuern. Leider führen uns dies Extremisten und Fremdenfeinde, die die Menschenwürde mit Füßen treten, auch in diesen Tagen deutlich vor Augen. Durch politische Bildung dazu beizutragen, dass uns die Grundlagen unseres freiheitlich-demokratischen Zusammenlebens nicht wegbrechen, ist für mich nicht nur eine reizvolle, sondern vor allem eine sinnvolle Aufgabe.


Der Landtag: Welche Akzente wollen Sie in Ihrem Amt setzen?

Christian Meyer-Heidemann: Es freut mich, dass Sie von "Amt" sprechen, denn es handelt sich ja nicht um einen "Job" oder "Posten", wie verschiedentlich in anderen Medien geschrieben wurde. Als Amtsinhaber möchte ich mich zunächst einmal um eine gute Amtsführung bemühen. Das heißt Sorge dafür zu tragen, dass mein Team und ich unabhängige und überparteiliche politische Bildungsarbeit leisten. Insbesondere möchte ich Jugendliche erreichen, denn das sind schließlich die Bürgerinnen und Bürger von morgen. Um diese wichtige Zielgruppe zu erreichen, brauchen wir mehr digitale Angebote politischer Bildung.


Der Landtag: Ihre Dissertation heißt "Selbstbildung und Bürgeridentität". Sie sprechen davon, dass das Leitbild der politischen Bildung eine gelingende Bürgeridentität ist - können Sie das erläutern?

Christian Meyer-Heidemann: Ob wir tatsächlich Bürgerin oder Bürger dieser Republik sind, ist doch nicht allein eine rechtliche Frage. Mir geht es darum, dass sich die Menschen selbst als Bürgerin oder Bürger verstehen und auch entsprechend selbstbewusst handeln. Politische Bildung kann diese Entwicklung fördern. Leider beobachten wir ja, dass sich einige Menschen auch hierzulande eher wie Untertanen verhalten. Sie schimpfen beispielsweise auf "den Staat" und sind noch nie auf die Idee gekommen, dass sie sich selbst - und sei es nur in ihrem nächsten Umfeld - beteiligen und etwas verändern können. Mit diesen Menschen müssen wir ins Gespräch kommen und Beteiligungsmöglichkeiten aufzeigen.


Der Landtag: 2017 ist in Schleswig-Holstein wieder Landtagswahl, 2012 sank die Wahlbeteiligung auf gerade einmal 60 Prozent. Wie kann man wieder mehr Menschen an die Wahlurne locken?

Christian Meyer-Heidemann: Mit dem Wort "locken" habe ich so meine Probleme. Die Frage ist doch: Für wen gehe ich denn wählen? Doch nicht für den Staat oder für die Politiker, sondern für mich selbst! Das heißt nicht, dass es nur auf die Durchsetzung meiner eigenen Interessen ankommt, aber es geht um mein eigenes Selbstverständnis. Wenn ich nicht zur Landtagswahl gehe, muss ich wohl die nächsten fünf Jahre mit dem Gefühl leben: "Ich hätte etwas entscheiden können, aber habe mich einfach rausgehalten!" Das ist keine Haltung, auf die man stolz sein kann.


Der Landtag: Was erwarten Sie von den Politikern?

Christian Meyer-Heidemann: Auch sie sollten sich selbstkritisch hinterfragen: Machen sie ihre Positionen und Entscheidungen hinreichend verständlich? Gehen sie auch bei unbequemen Entscheidungen ehrlich mit den Bürgerinnen und Bürgern um? Zeigen sie sich offen für neue Formen der Beteiligung?


Der Landtag: Wie kann politische Bildung für Flüchtlinge zugänglich gemacht werden?

Christian Meyer-Heidemann: Politische Bildung kann Orientierung geben. Die Denkerin Hannah Arendt hat davon gesprochen, dass Menschen die Welt verstehen müssen, um in ihr heimisch zu werden. Das heißt für diejenigen, die in diesen Tagen eine neue Heimat suchen, dass sie sich selbst etwas Gutes tun, wenn sie unsere Sprache, unsere Kultur und unsere politische Ordnung verstehen lernen. Die Angebote dazu müssen dringend durch entsprechende Bildungsmaterialien und Personal verbessert werden. Aber bilden kann sich letztlich nur jede und jeder selbst.


ZUR PERSON
Christian Meyer-Heidemann, 36 Jahre alt, geboren in Wolfsburg, Lehramtsstudium für Mathematik und Wirtschaft/Politik in Kiel, Promotion, dann Vertretungsprofessor für Wirtschaft/Politik und Didaktik an der Christian-Albrechts-Universität. Im November 2015 Wahl zum Landesbeauftragten für politische Bildung.

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Quelle:
Der Landtag, Nr. 01 / März 2016, S. 19
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers:
Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages
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Tobias Rischer (verantwortlich)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2016

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