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INNEN/2933: Sigmar Gabriel zum Tod von Hildegard Hamm-Brücher


SPD-Pressemitteilung vom 9. Dezember 2016

Sigmar Gabriel zum Tod von Hildegard Hamm-Brücher


Zum Tod von Hildegard Hamm-Brücher erklärt der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel:

Wir nehmen Abschied von Hildegard Hamm-Brücher, der großen Dame der Demokratie, die im hohen Alter von 95 Jahren verstorben ist. Mit ihr verliert Deutschland eine ebenso streitbare, wie überzeugt liberale Politikerin und eine hochgeachtete Persönlichkeit. Sie hat die Geschichte der jungen Bundesrepublik seit 1948 entscheidend mitgestaltet. In vielen Ämtern und Funktionen war sie im Laufe ihres langen politischen Wirkens tätig. Bis in die jüngste Zeit hinein hat sie sich zu aktuellen Fragen zu Wort gemeldet und in ihren Büchern politische und gesellschaftliche Fragen erörtert.

Hildegard Hamm-Brücher hatte in ihrer eigenen Familie die grausamen Auswirkungen der Nazi-Diktatur erfahren müssen. Diese Erlebnisse hatten sie zu der starken und unbeugsamen Demokratin werden lassen, die über alle Parteigrenzen hinweg geschätzt und verehrt wurde.

So war ihr Leben und Wirken seit ihrer Jugend geprägt von dem Bewusstsein um die geschichtliche Verantwortung für die Barbarei der Nazi-Diktatur. Die Erinnerung daran an die nachfolgenden Generationen weiter zu geben, war eines ihrer lebenslangen Grundmotive. Die permanente Mahnung wachsam zu sein gegenüber allen Tendenzen des Rechtsradikalismus und Antisemitismus ist ihr Vermächtnis. Diese unumstößliche Haltung führte letztlich auch zu ihrem konsequenten Entschluss, die FDP 2002 zu verlassen, der sie sich 1948 auf Anraten des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss angeschlossen hatte.

Für Frauen war die Entscheidung, sich vollberuflich den öffentlichen Angelegenheiten zu widmen, damals keineswegs selbstverständlich. Hildegard Hamm-Brücher hatte jedoch beschlossen, die Politik - auch gegen heftige Widerstände - nicht mehr nur den Männern zu überlassen. Damit lebte sie Gleichberechtigung, bereits bevor diese im Artikel 3 des Grundgesetzes festgeschrieben wurde. Sie war damit mutmachendes Vorbild für viele andere Frauen, die mithelfen wollten, die junge Demokratie aufzubauen.

Sie wirkte zunächst im Münchner Stadtrat, später als Abgeordnete im Bayerischen Landtag. Hier kämpfte sie für eine modernere Bildungspolitik, die mehr Chancengleichheit gewährleisten sollte - und war damit ebenso ihrer Zeit voraus wie seit 1976 als Bundestagsabgeordnete mit ihren Vorschlägen für eine umfassende Parlamentsreform. Für eine lebendige, partizipative Bürgerdemokratie setzte sie sich seit über zwei Jahrzehnten bis in ihre späten Jahre mit großem Elan ein. Sie war überzeugt, dass Demokratie immer neu erstritten werden muss, dass Frieden und Freiheit keine Selbstverständlichkeiten sind.

Hildegard Hamm- Brücher war von Beginn an eine überzeugte Unterstützerin der Ostpolitik Willy Brandts. Die Aussöhnung mit dem Osten war ihr ein Herzensanliegen. Die Zeit der sozial-liberalen Koalition sah sie als ihre glücklichste politische Zeit an. Sie stand an der Seite der Sozialdemokratie, auch als dies nicht dem Zeitgeist zu entsprechen schien. Unvergessen bleibt ihre Rede im Deutschen Bundestag zum Misstrauensvotum gegen die Regierung Schmidt 1982, in der sie sich für den Fortbestand der Koalition aussprach.

Hildegard Hamm-Brücher war eine Ausnahmeerscheinung im politischen Alltag: Sie blieb immer ihrem Gewissen treu und beugte sich nie der bloßen Parteiraison, sie war loyal, aber nicht gehorsam und vertrat das als richtig Erkannte beständig, wortmächtig und überzeugungsstark.

Ihre unverwechselbare Stimme als "große alte Dame der Demokratie" wird dem Land und uns allen fehlen.

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Quelle:
SPD-Pressemitteilung 273/16 vom 9. Dezember 2016
Herausgeber: SPD Parteivorstand, Pressestelle
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Tel.: 030/25 991-300, Fax: 030/25 991-507
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2016

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