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AFRIKA/1040: Sudan - Kein Frieden am Blauen Nil, neue Kämpfe treiben Tausende in die Flucht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. September 2011

Sudan: Kein Frieden am Blauen Nil - Neue Kämpfe treiben Tausende in die Flucht

Von Reem Abbas


Khartum, 19. September (IPS) - Im ostsudanesischen Bundesstaat Blue Nile haben die Anfang September ausgebrochenen Kämpfe zwischen der Armee und Anhängern der im autonomen Südsudan regierenden Partei SPLM (Sudanesische Volksbefreiungsbewegung) zehntausende Menschen in die Flucht getrieben. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat schätzt ihre Zahl auf mehr als 100.000.

Allein im benachbarten Äthiopien hätten 16.000 Flüchtlinge Zuflucht gesucht, berichtete das UNHCR. Die Hilfsorganisation 'Sudanesischer Roter Halbmond' spricht von etwa 35.000 Familien, die in Blue Nile von den Kämpfen betroffen sind. In dem an Äthiopien grenzenden Bundesstaat leben rund 800.000 Menschen, überwiegend Bauern.

Die meisten Flüchtlinge seien inzwischen zurückgekehrt, behauptete Magdi Abdulwahab, Pressesprecher der im Sudan regierenden Nationalen Kongresspartei (NCP), der sich über die Vorgänge in Blue Nile auf dem Laufenden hält. Gegenüber IPS versicherte er: "70 Prozent der Flüchtlinge haben sich im benachbarten Bundesstaat Sennar und dessen Hauptstadt Senja aufgehalten und kommen jetzt zurück."

"Es ist Erntezeit. Deshalb hat die Regierung die Menschen aufgefordert, sich zu Hause um das Einbringen der Ernte zu kümmern, denn in Blue Nile sind Land- und Viehwirtschaft die wichtigste Existenzgrundlage der Bewohner", betonte der Regierungssprecher. Den täglich bei ihm eintreffenden Berichten zufolge habe sich die Lage dort beruhigt, versicherte er.


Machtkampf

Davon kann nach Ansicht politischer Beobachter keine Rede sein, solange die Ursachen des bewaffneten Konflikts, der sich lange angebahnt habe, nicht beseitigt sind. Hintergrund ist ein politischer Machtkampf, den die Zentralregierung in Khartum und die politische Führung des Bundesstaates seit Monaten austragen. Es geht dabei um etliche umstrittene und bislang nicht umgesetzte Vereinbarungen im vorläufigen Friedensabkommen, mit dem die sudanesische Zentralregierung und die politische Führung der damaligen SPLM-Rebellen 2005 einen über 20 Jahre dauernden Bürgerkrieg beendet hatten.

Schon im Juni hatte der damalige Gouverneur von Blue Nile, Malike Agar, gewarnt, ohne eine Einigung über strittige Punkte wie die Aufteilung der Erdöleinnahmen, eine verbindliche Grenzziehung und die militärische Präsenz in Grenzgebieten wie Abyei drohe der Region ein bewaffneter Konflikt. Doch noch Ende Juli erlebte Blue Nile eine massive Präsenz der sudanesischen Streitkräfte.

Mit seiner Warnung erreichte der 2010 gewählte Gouverneur und Vorsitzende des politischen SPLM-Flügels, der in Süd-Kordofan und Blue Nile auch militärisch präsent ist, lediglich seine Amtsenthebung. Die Zentralregierung ernannte den militärischen Befehlshaber Yahya Mohamed Kheir zu Agars Nachfolger, der unverzüglich den Ausnahmezustand ausrief. Inzwischen hat das sudanesische Parlament seiner Verlängerung zugestimmt.


Forderung nach Mitsprache und Integration

Die Zentralregierung hatte Agar beschuldigt, er habe sich der geforderten Auflösung seiner Einheiten von SPLM-Kämpfern widersetzt. Diesen Vorwurf hält Khalil Al-Madani, Dekan der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Nileen-Universität in Khartum, für unberechtigt. "Agar war durchaus bereit, seine Einheiten aufzulösen. Er forderte jedoch verbindliche Absprachen über eine gesicherte Zukunft seiner Soldaten, entweder durch Integrierung in die sudanesische Armee oder in die Verwaltung", berichtete Al-Madani. "Das Friedensabkommen hatte den Bundesstaaten Blue Nile und Süd-Kordofan ein Mitspracherecht in politischen und administrativen Angelegenheiten zugesagt."

Weil die an den Verhandlungen beteiligten Vertreter von SPLM und NCP immer wieder aneinander geraten, ist die Einigung über strittige Punke in weite Ferne gerückt. Die Zentralregierung hatte schon die Wahl des SPLM-Politikers zum Gouverneur von Blue Nile, einem für die Versorgung des Landes wichtigen Bundesstaat, nur widerwillig zur Kenntnis genommen.

"Dabei war Agar demokratisch gewählt worden und seine Absetzung am 2. September verfassungswidrig", stellte Al-Madani fest. Er sieht in Verhandlungen die einzige Möglichkeit, den Konflikt auf Dauer zu lösen.

"In Darfur und in Süd-Kordofan herrscht Krieg, jetzt auch in Blue Nile, und Ostsudan könnte zur nächsten Konfliktregion werden", sagte der Analyst. "Seit 22 Jahren haben wir es mit immer den gleichen Problemen zu tun. Jetzt muss die Regierung für eine politische Lösung sorgen. Schließlich ist es im 21. Jahrhundert gelungen, 95 Prozent aller Bürgerkriege durch politische Verhandlungen zu beenden." (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. September 2011